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21.02.20 Freitag, 21. Februar 2020DWBE-HP
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DIE WELT FREITAG,21.FEBRUAR2020* POLITIK 5
D
ie CDU Baden-Württemberg
ist der zweitstärkste Landes-
verband der Partei und hat bei
der Entscheidung über den neuen
Bundesvorsitzenden ein wichtiges
Wort mitzureden. Im Frühjahr 2021 ist
Landtagswahl im Südwesten, CDU-
Spitzenkandidatin ist Kultusministe-
rin Susanne Eisenmann. Wen sie aus
der bisherigen Bewerberriege für die
Parteispitze – Friedrich Merz, Armin
Laschet, Jens Spahn und Norbert Rött-
gen – bevorzugt, darauf will sie sich
nicht festlegen.
VON HANNELORE CROLLY
AUS STUTTGART
WELT: Frau Eisenmann, Markus Sö-
der fällt nach eigenem Bekunden zu
Thüringen und dem Handeln der
dortigen CDU nichts mehr ein. Geht
es Ihnen ähnlich?
EISENMANN: Ich kann mich Markus
Söder nahtlos anschließen. Ich bin tat-
sächlich ein Stück weit ratlos. So eine
verfahrene Situation habe ich selten
erlebt. Man hat den Eindruck, als gehe
es nur um Macht statt um Gestal-
tungskraft und Lösungen. So ein Bild
darf Politik nicht abgeben.
Die CDU Thüringen fürchtet bei
schnellen Neuwahlen aber die har-
sche Abstrafung durch den Wähler.
Muss sie das akzeptieren?
Meiner Meinung nach sind baldmög-
lichste Neuwahlen nötig. Jede Partei
stellt sich mit dem, was sie geleistet
oder angerichtet hat, dem Votum der
Wähler. Mit dem Ergebnis muss sie
dann eben leben.
Also würden Sie Christine Lieber-
knecht widersprechen, die ihre Par-
tei aufforderte, eine Regierung unter
Bodo Ramelow (Linke) mitzutra-
gen?
Die Beschlusslage der CDU zur Ab-
grenzung gegenüber AfD und Links-
partei ist richtig. Damit setzen wir
ganz rechts und ganz links aber nicht
gleich, die Begründungen sind völlig
unterschiedlich. Der Rassismus und
Rechtsextremismus führender AfD-
Politiker, der von vielen in der Partei
klaglos mitgetragen wird, ist völlig un-
vereinbar mit den Grundüberzeugun-
gen und Werten der CDU. Und bei den
Linken gibt es beim Menschenbild,
beim Umgang mit der DDR-Vergan-
genheit und in der Wirtschafts-, Sozi-
al- oder Sicherheitspolitik nicht mal
ansatzweise Überschneidungen. Eine
Kooperation oder Koalition wäre für
uns als CDU das Höchstmaß an Belie-
bigkeit.
Manche in Ihrer Partei sehen das an-
ders. Zerlegt sich die CDU, wie es
Bundestagspräsident Schäuble for-
mulierte, gerade selbst?
Ich sehe in der Breite der Partei keinen
Richtungsstreit. Wir sollten auch nicht
darüber diskutieren, ob wir jetzt ganz
nach links oder nach rechts rücken sol-
len. Ich rate dazu, über Inhalte zu dis-
kutieren und Positionen zu entwi-
ckeln. Das kann je nach Politikfeld
konservativ, liberal und sozial sein.
Aber dass Personaldiskussionen zu
Spaltungen führen können, die sehr
nachhaltig sein können, bereitet mir
ebenfalls Sorgen. Wenn sich jeder mit
hohen Emotionen hinter unterschied-
lichen Personen versammelt, führt das
in der Regel nicht dazu, dass man hin-
terher wieder gut zusammenarbeitet.
Ich plädiere deshalb dafür, die Perso-
nalfragen ohne Hektik, aber zügig zu
lösen – idealerweise bis zur Sommer-
pause.
Es gibt Stimmen, die für eine Ent-
scheidung erst im Dezember beim
Bundesparteitag in Stuttgart oder
womöglich gar erst nächstes Jahr
plädieren.
Wir dürfen nicht die Fehler der SPD
wiederholen. Wenn wir uns monate-
lang mit uns selbst beschäftigen und
nur übers Personal streiten, statt um
Inhalte zu ringen,
dann wird das für
die Landtagswahl im März 2021 in Ba-
den-Württemberg ein echtes Problem.
Die Partei braucht Führung und Orien-
tierung. Und die Wähler kann man
ebenfalls nicht einfach hinhalten, um
in letzter Minute wie Kai aus der Kiste
einen Kandidaten zu präsentieren.
Aber besteht nicht die Gefahr, dass
sich ein bald gewählter CDU-Chef
ebenfalls an der Seite der Kanzlerin
verkämpft?
Die Situation, wie sie durch den Rück-
zug von Annegret Kramp-Karrenbauer
eingetreten ist, mag sich niemand ge-
wünscht haben. Aber die CDU muss
mit ihr nun zeitnah umgehen und zei-
gen, dass sie handlungsfähig ist. Füh-
rung bedeutet, auch in schwierigen
Zeiten Verantwortung zu übernehmen
und das Schiff durch eine raue See zu
steuern. Wer sich das nicht zutraut
und warten will, bis das Wetter wieder
schön ist, ist die falsche Person am
Ruder.
Erwarten Sie also endlich offene Be-
werbungen?
Die Unruhe, die mit der Bewerbung
von Norbert Röttgen aufkam, zeigt ja,
wie wichtig es ist, wieder Führung zu
bekommen. Ich erwarte von allen, die
sich um das Amt bewerben, dass sie
erklären, wofür sie inhaltlich eigent-
lich stehen und was sie mit der CDU
vorhaben.
Was ist mit Ihnen?
Die Herausforderung in Baden-Würt-
temberg, auf die ich mich wirklich
freue, erfordert meine ganze Kraft.
Baden-Württemberg ist der zweit-
stärkste Landesverband der CDU.
Wie empfinden Sie es im Südwesten,
dass alle gehandelten Bewerber aus
NRW kommen?
Das ist eher Zufall. Der Testosteron-
Überschuss im Westen verfälscht al-
lerdings die Sicht darauf, dass wir für
die Zukunft als Partei deutlich brei-
ter aufgestellt sind, auch hier im Süd-
westen.
Welches Verfahren zur Besetzung
von Vorsitz und Kanzlerkandidatur
ist sinnvoll – ein Mitglieder-
entscheid, die Team-Lösung, gar ei-
ne Doppelspitze?
Zu Mitgliederentscheiden gibt es den
klaren Beschluss vom Bundesparteitag
in Leipzig, diesen Weg nicht zu gehen.
Das halte ich auch für richtig. Wenn
Team bedeutet, dass alle an einem
Strang ziehen, dann ist das immer gut.
Aber die Posten aufzuteilen oder gar
eine Doppelspitze zu bilden wird nicht
funktionieren. Davon abgesehen, dass
es keine Frau gibt, die sich zum jetzi-
gen Zeitpunkt dafür aufdrängt.
Auch nicht Landwirtschaftsministe-
rin Klöckner?
Das kann ich derzeit eher nicht erken-
nen. Und eine Doppelspitze aus zwei
Männern? Das ist für mich undenkbar.
Die Partei braucht eine klare Führung,
in Bezug auf eine Person, aber auch auf
Inhalte.
Sollten Vorsitz und Kanzlerkandida-
tur in einer Hand sein?
Das sollte man anstreben. Frau
Kramp-Karrenbauer hat diesen Vor-
schlag aus ihrer eigenen Erfahrung he-
raus gemacht. Das sollte die CDU be-
rücksichtigen und ernst nehmen. Aber
ich will unterstreichen, dass Frau
Kramp-Karrenbauer nicht an dieser
Trennung gescheitert ist. Vielmehr
kam sie offenbar zu der Erkenntnis,
dass ihr der Rückhalt in der Breite
fehlt. Es ist daher wichtig – egal, wie
viele Kandidaten antreten –, dass es
nach der Entscheidung eine aufrichti-
ge Vereinigung hinter dem Gewählten
gibt. Das, was passiert ist, darf sich
nicht wiederholen.
Aus der Wirtschaft war auch zu hö-
ren, es sei nun genug mit der „Da-
menriege“. Spielte das Geschlecht
auch eine Rolle?
Diese Äußerung war sehr respektlos.
Es ist legitim, Entscheidungen der
Kanzlerin zu kritisieren, Stichwort
Flüchtlingskrise. Die Kanzlerschaft
von Angela Merkel hat Deutsch-
land und der Union aber insge-
samt sehr gutgetan. Gerade für
die Wirtschaft und das interna-
tionale Ansehen Deutschlands
waren es 14 gute Jahre. Mit dem
Geschlecht hat das doch nichts
zu tun.
„Doppelspitze aus zwei
Männern? Undenkbar“
Kanzlerkandidatur und Bundesvorsitz: Südwest-CDU
spricht sich gegen eine Teamlösung aus
PICTURE ALLIANCE/ DPA/ BERND WEISSBROD
G
ut 24 Stunden nach sei-
nem Freispruch ist Os-
man Kavala wieder in
Haft. Am Mittwoch-
abend verfügte ein Istan-
buler Gericht Untersuchungshaft für
den türkischen Bürgerrechtler und
Kulturmäzen, der nun wieder dort ist,
wo er die vergangenen zwei Jahre ver-
bracht hat: im Hochsicherheitsgefäng-
nis Silivri Nr. 9, eine Autostunde west-
lich von Istanbul.
VON DENIZ YÜCEL
Kavala war im November 2017 verhaf-
tet worden. Der 62-Jährige hatte Anfang
der 80er-Jahre den Kavala-Konzern ge-
erbt. Mitte der 90er war er einer der
Gründer des heute größten türkischen
Mobilfunkanbieters. Anfang dieses
Jahrtausends zog sich Kavala aus dem
Unternehmen zurück, um sich ganz der
Förderung von sozialen und kulturellen
Projekten zu widmen. Dabei trat er
nicht allein als Finanzier auf, sondern
war selbst ein geschätzter Intellektuel-
ler. Bei seiner Festnahme im Herbst
2017 war er gerade auf der Rückreise aus
dem südosttürkischen Gaziantep, wo
seine Anatolische Kulturstiftung ein
Projekt mit geflüchteten syrischen
Künstlern ins Leben gerufen hatte.
Ein Vorwurf lautete, Kavala habe die
regierungskritischen Gezi-Proteste
vom Frühjahr 2013 finanziert, der ande-
re, er sei an der Planung des Putschver-
suchs vom Juli 2016 beteiligt gewesen.
Im Gezi-Verfahren waren mit ihm 15
weitere Vertreter der türkischen Zivil-
gesellschaft angeklagt. Ein Teil von ih-
nen, darunter der Journalist Can Dün-
dar, war bereits vor der Aufnahme des
Verfahrens ins Ausland geflohen. Kavala
war der einzige Inhaftierte – und einer
der wenigen politischen Gefangenen,
über die sich Staatspräsident Recep
Tayyip Erdogan öffentlich äußerte: Er
nannte Kavala einen „einheimischen
Soros“ und einen „Gärtner des Terro-
rismus“.
Nach 16 Monaten legte die Staatsan-
waltschaft die Anklageschrift im Gezi-
Verfahren vor, in der sie wegen „bewaff-
neten Umsturzversuchs“ hohe Haft-
strafen forderte; für Kavala und zwei
seiner Mitangeklagten sogar „lebens-
länglich unter erschwerten Bedingun-
gen“ – ein Strafmaß, das mit der Ab-
schaffung der Todesstrafe eingeführt
worden war. Mehr geht im türkischen
Rechtssystem nicht. Am Dienstagnach-
mittag dann die Wende: von der
Höchststrafe zum überraschenden Frei-
spruch für alle, mit dem das Gericht
auch Kavalas Freilassung verfügte.
Üblicherweise dauert es etwa eine
Stunde, bis eine solche gerichtliche An-
ordnung dem Gefängnis amtlich über-
mittelt wird. Doch in diesem Fall traf
die Anordnung nicht ein. Offenbar hat-
te die Staatsanwaltschaft nach einem
Grund gesucht, Kavala wieder verhaften
zu können – und griff auf das Ermitt-
lungsverfahren wegen Beteiligung am
Putschversuch zurück. In diesem Zu-
sammenhang liegt noch immer keine
Anklageschrift vor. Allerdings war in
diesem Verfahren das Hafturteil bereits
im Oktober 2019 gerichtlich aufgehoben
worden. Das sind die verfahrensrechtli-
chen Details. Offensichtlich ging es vor
allem darum, Kavala um jeden Preis im
Gefängnis zu behalten. Hätte es diese
laufende Ermittlung nicht gegeben,
man hätte etwas Neues erfunden.
„Staatspräsident Erdogan hat heute
die Richterrobe angelegt und die Ver-
haftung meines Mandaten verfügt“,
sagte Kavalas Anwalt Ilkan Koyuncu.
Unter unabhängigen Beobachtern gilt
es als so gut wie sicher, dass sich Erdo-
gan persönlich eingemischt hat – zumal
sich der Präsident keine große Mühe
gibt, diesem Eindruck entgegenzutre-
ten. Die Gezi-Proteste seien ein „nie-
derträchtiger Angriff“ und ein „Putsch-
versuch“ gewesen, sagte er am Mitt-
woch bei einer Rede vor der Parla-
mentsfraktion seiner Partei für Gerech-
tigkeit und Entwicklung (AKP). „Mit ei-
nem Manöver haben sie gestern ver-
sucht, ihn freisprechen zu lassen“, sag-
te er. Zu diesem Zeitpunkt befand sich
Kavala schon im Polizeipräsidium Is-
tanbul in Gewahrsam.
Aber warum hat man Kavala über-
haupt erst freigesprochen? Wäre es
nicht einfacher gewesen, ihn zu verur-
teilen? Anders gesagt: Was ist in den
sechseinhalb Stunden zwischen dem
Freispruch und der erneuten Festnah-
me passiert? Diese Fragen bewegen seit
zwei Tagen große Teile der türkischen
Opposition.
Eine relativ einfache Erklärung lau-
tet: Man wollte das Urteil des Europäi-
schen Gerichtshofs für Menschenrechte
(EGMR) aushebeln, das Anfang Dezem-
ber Kavalas Untersuchungshaft für
rechtswidrig befunden und seine sofor-
tige Freilassung angeordnet hatte. Ob-
wohl dieser Richterspruch eigentlich
für die Türkei rechtlich bindend ist, hat-
te das türkische Gericht die Freilassung
zunächst verweigert.
Ähnliches war zuvor schon dem pro-
minenten kurdischen Politiker Selahat-
tin Demirtas und dem Autor Ahmet Al-
tan passiert, die beide seit 2016 in Haft
sind. Demirtas etwa wurde in einem an-
deren Verfahren rechtskräftig zu vier
Jahren Haft verurteilt. Erst danach ver-
fügte ein Gericht seine Freilassung in
dem Verfahren, in dem er ursprünglich
verhaftet worden war und auf das sich
das EGMR-Urteil bezogen hatte. Ein
Taschenspielertrick: Demirtas blieb wie
gewünscht in Haft, die Türkei musste
sich aber nicht nachsagen lassen, Urtei-
le des EGMR zu missachten.
Gerade weil es elementare Men-
schenrechte und grundlegende rechts-
staatliche Prinzipien mit Füßen tritt, ist
es für das Regime wichtig, den Anschein
von Rechtsstaatlichkeit zu wahren – aus
Gründen des Selbstverständnisses, aber
auch aus Rücksicht auf internationale
Investoren. Erst kürzlich hatte Volks-
wagen die nach dem türkischen Ein-
marsch im kurdisch kontrollierten
Nordsyrien ausgesetzte Entscheidung
über ein Autowerk in der Türkei erneut
verschoben.
Das Gegenargument zu dieser Ver-
mutung lautet: Die türkische Regierung
kümmert ihr internationales Ansehen
schon lange nicht mehr.
Andere Beobachter sprechen von ei-
nem Machtkampf innerhalb des Re-
gimes: Auf der einen Seite Justizminis-
ter Abdülhamit Gül (nicht zu verwech-
seln mit dem früheren Staatspräsiden-
ten Abdullah Gül), der wie Erdogan aus
der islamistischen Milli-Görüs-Bewe-
gung stammt. Seit er Mitte 2017 das
Justizministerium übernahm, hat er in
den Gefängnissen für gewisse, wenn-
gleich sehr eingeschränkte Verbesse-
rungen gesorgt. Für türkische Verhält-
nisse gilt Gül als moderat. Ihm gegen-
über steht die Fraktion um Erdogans
Schwiegersohn und Wirtschaftsminis-
ter Berat Albayrak. Pelikan-Fraktion
wird seine Gruppe genannt, nach den
VVVerfassern eines Papiers, das im Früh-erfassern eines Papiers, das im Früh-
jahr 2016 eine wichtige Rolle bei der
AAAbsetzung des damaligen Ministerprä-bsetzung des damaligen Ministerprä-
sidentenAhmet Davutoglu spielte. Die
Pelikan-Gruppe gilt als weniger ideolo-
gisch, aber skrupellos. Sie soll Gül übel
nehmen, dass er bei der Besetzung von
Stellen in der Justiz ihre Leute zu sel-
ten berücksichtigt habe. Die Staatsan-
waltschaft Istanbul steht im Ruf, von
der Pelikan-Gruppe dominiert zu sein;
allen voran Oberstaatsanwalt Irfan Fi-
dan gilt als deren Gewährsmann.
Im Fall Kavala kann sich die Pelikan-
Gruppe auf einen anderen Machtfaktor
verlassen: die nationalistischen Kräfte
des Ancien Régime in Militär und Ver-
waltung, gegen die Erdogan einst im
Bündnis mit der Gülen-Organisation zu
Felde zog, die aber seit dem Bruch mit
Gülen und spätestens und seit dem
Putschversuch 2016 seine neuen Bünd-
nispartner sind. Diese informelle Alli-
anz zeigt sich auch, aber keineswegs
ausschließlich in der Koalition mit der
rechtsextremen Partei der Nationalisti-
schen Bewegung (MHP). Für diese Leu-
te war der linksliberale Weltbürger Ka-
vala schon immer eine besondere Hass-
figur – er persönlich, aber auch alles,
wofür er sich einsetzt: offene Gesell-
schaft, Aussöhnung mit den Kurden,
Aufarbeitung des Völkermordes an den
Armeniern und vieles mehr. Dass sich
zuerst die eine Seite (Justizminister
Gül) und dann die andere Seite (Albay-
rak/Nationalisten) durchgesetzt hat, ist
möglich.
Nur wo steht Erdogan bei alldem? In
Anbetracht der Tatsache, dass er dieses
Verfahren stets aus der Nähe verfolgt
hat, ist es eher unwahrscheinlich, dass
der Präsident von dem ersten Frei-
spruch vorab nichts wusste – selbst
wenn er sich danach darüber echauffier-
te. Vielleicht hat man Erdogan zunächst
überzeugt, einem Freispruch zuzustim-
men; womöglich auch mit außenpoliti-
schen Argumenten.
In den letzten zwei, drei Jahren hat
sich die Türkei außenpolitisch sehr an
Russland angenähert. Doch der Kampf
um die syrische Rebellenenklave Idlib
gefährdet diese Allianz aktuell. Da
könnte es nicht schaden, sich wieder ei-
nen Schritt auf den Westen zuzubewe-
gen, der immer wieder Kavalas Freilas-
sung gefordert hatte. Auch die Bundes-
regierung begrüßte den Freispruch in
einer schriftlichen Erklärung. Und viel-
leicht hat dieser Freispruch ungute Er-
innerungen geweckt: So sehr Erdogan
auch versucht, die Gezi-Proteste als
Putschversuch zu deuten, waren sie tat-
sächlich ein breiter Widerspruch gegen
seine autoritäre Politik. Dieser Tage hat
sogar Abdullah Gül, damals immerhin
Staatspräsident, der inzwischen mit
der AKP gebrochen hat, erklärt, er sei
„stolz“ auf die Gezi-Proteste. Aber wie
hatte Erdogan diese Proteste überstan-
den? Mit dem Polizeiknüppel, Tränen-
gas und einer Politik der Polarisierung
nach innen. Und vielleicht wog am En-
de dieses Argument mehr als als alles
andere.
Rätsel um einen Weltbürger
Erst hatte ein Gericht in Istanbul den regierungskritischen Mäzen Osman Kavala nach zwei Jahren
Haft freigesprochen. Stunden später wurde er wieder festgenommen. Was steckt dahinter?
Der Mäzen und Intellektuelle Osman Kavala
auf einer Pressekonferenz im EU-Parlament.
Nach seiner Inhaftierung setzten sich zahlrei-
che ausländische Regierungen für ihn ein,
darunter die deutsche
DPA
/ WIKTOR DABKOWSKI
ERDOGAN HAT
HEUTE DIE
RICHTERROBE
ANGELEGT UND
MEINEN MANDATEN
VERHAFTEN LASSEN
ILKAN KOYUNCU,
Anwalt von Osman Kavala
,,
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