Süddeutsche Zeitung - 21.02.2020

(Barré) #1
Szilveszter Ókovács, Direktor der ungari-
schen Staatsoper, dürfte ein gern gesehe-
ner Gast gewesen sein, als Ungarns Minis-
terpräsident Viktor Orbán am Mittwoch
zur Gründungssitzung des Nationalen Kul-
turrats ins Budapester Karmelitenkloster
bat. Ókovács hat die Opernsaison unter das
Thema „Christlichkeit“ gestellt. Am Sams-
tag wird die georgische Opernsängerin Ni-
no Machaidze unter dem Titel „Christli-
cher Karneval“ zu hören sein. Im Mai been-
den Mozarts „Entführung aus dem Serail“,
Poulencs „Dialoge der Karmeliterinnen“
und Bachs „Christliche Kantaten“ als „Fes-
tival christlicher Themen“ die Saison. Dies
dürfte nach dem Geschmack Orbáns sein,
der in Ungarn christliche und nationale
Werte pflegen will.
Am 11. Dezember beschloss Ungarn ein
Gesetz, um „die Interessen des Wohler-
gehens der Nation aktiv zu verteidigen“.
Das Gesetz verpflichtet selbst lokale und
regionale Theater, der Regierung vor
Zuschüssen ihre Pläne zur faktischen Ge-
nehmigung vorzulegen. Und es schuf den
Nationalen Kulturrat: In dem sitzen neben
Operndirektor Ókovács die Chefs vom Nati-
onaltheater und Nationalen Museum,
Nationalbibliothek und Staatsarchiv.
Insgesamt sind 18 „strategisch wichtige
Kulturinstitutionen“ vertreten, bis hin
zum Zentrum für Akrobatik und Zirkus-
kunst. Der Rat soll nun „fachliche Grundla-
gen für die einheitliche Regierungsstrate-
gie zur Lenkung der kulturellen Zweige“
bieten.
Gesetz und Kulturrat kamen trotz Pro-
testen von Kulturschaffenden, die genau
dies fürchten: eine einheitliche Lenkung
der Kultur. Ungarns autoritär regierender
Ministerpräsident wettert gern gegen eine
angebliche linksliberale, gar marxistische
Dominanz in der Kultur. Schon im Juli
2018 gab Orbán vor, in Ungarn „das politi-
sche System in eine kulturelle Ära einzu-
betten“.

Kostproben gab es schnell. Die Regie-
rung strich Zuschüsse für Genderstudien.
Eine Ausstellung der Malerin Frida Kahlo
wurde als „Propagierung von Kommunis-
mus mit Staatsgeldern“ diffamiert. Auch
die Staatsoper wurde zum ideologischen
Schlachtfeld. So kam Direktor Ókovács
unter Feuer, weil er es wagte, Elton Johns
Musical „Billy Elliot“ aufzuführen.
Die Kritikerin Zsófia Horváth schimpfte
über die „skandalöse Aufführung“, da sie
„in einem Land mit einer schrumpfenden
und alternden Bevölkerung, und bedroht
von fremder Invasion“, offen Homosexuali-
tät propagiere. Nach weiterer Kritik setzte
Ókovács 15 Vorstellungen ab – und ging
auf Nummer sicher. George Gershwins
Oper „Porgy and Bess“ ließ er mit aus-
schließlich weißen Sängern aufführen. Die
Opernsaison 2019/20 stellte er ins Zeichen
der Christlichkeit. Welche Themen Orbán
mit Ókovács und Kollegen nun im neuen
Kulturrat besprach, wollte die Regierung
auf Anfrage nicht präzisieren.
Auch Ungarns Lehrer sollen auf natio-
nalen Kurs gebracht werden: Der am 31. Ja-
nuar beschlossene Nationale Rahmenlehr-
plan legt etwa fest, der Geschichts-
unterricht solle die nationale Identität stär-
ken. Kritische Geister wie Literaturnobel-
preisträger Imre Kertész stehen nicht
mehr im Lehrplan, klagte Ungarns Schrift-
stellerverband in derBudapester Zeitung.
Der Lehrplan sei von Ideologie und Indok-
trination geprägt.
Die EU-Parlamentarierin Katarina
Barley glaubt, dass Orbán nach der Kontrol-
le über andere Institutionen nun auch ein
„Ende der freien, kritischen Kulturland-
schaft in Ungarn“ durchsetzen will. Der
Kulturrat mache die Vergabe von Förder-
geldern und Intendanten von Regierungs-
treue abhängig. Dazu kämen Nationalis-
mus in Ungarns Schulen, Hofberichterstat-
tung in den Medien und das Fehlen kriti-
scher Theaterstücke. „Das hat totalitäre
Züge und greift unsere gemeinsame
europäische Wertebasis an.“ EU-Parlamen-
tarier haben die EU-Kommission am 20. Ja-
nuar gefragt, ob Ungarns Kulturgesetz den
in Artikel elf und 13 der EU-Grundrechte-
charta festgelegten Grundsätzen künstle-
rischer und wissenschaftlicher Freiheit
widerspreche und ob sie dagegen vor-
gehen wolle. Eine Antwort der Kommis-
sion steht trotz Ablauf der dreiwöchigen
Antwortfrist immer noch aus.
florian hassel

Joanna, die Heldin im Film „My Salinger
Year“, dem Eröffnungsfilm der Berlinale,
will nach New York City. Sie will dort
Schriftstellerin werden und in einem her-
untergekommenen Apartment leben am
Anfang des Films, und manchmal will sie
ein Dessert für zwölf Dollar essen im Wal-
dorf Astoria, wie sie es manchmal als Kind
getan hat mit ihrem Vater, wenn er mit ihr
nach New York fuhr. Als sie ganz allein den
teuren Käsekuchen isst, erklingt im Hinter-
grund „Moon River“, als wäre sie Holly
Golightly.


Der Film spielt 1996, also nicht ganz so
weit zurück wie „Frühstück bei Tiffany“,
aber ein Kostümfilm ist er dennoch. Seit
einer Weile spielen alle New-York-Filme in
der Vergangenheit, als hielte die Gegen-
wart keinerlei Inspiration mehr parat. War-
um ist das eigentlich so? Als wäre New York
ein verlorener Ort. Vielleicht spricht dar-
aus auch nur eine Sehnsucht nach über-
sichtlicheren, hoffnungsvolleren Zeiten.
Ob es die je gegeben hat? Wenn Holden
Caulfield in „Der Fänger im Roggen“ unbe-
dingt wissen will, was aus den Enten auf
dem See im Central Park im Winter wird,
dann hat auch er Angst davor, dass er nicht
weiß, was die Zukunft bringt.


Philippe Falardeaus Film erzählt eben-
falls von zeitlosen Emotionen – von den
Ängsten und der Orientierungslosigkeit
auf dem Weg zum Erwachsenwerden. Wie
die Literaturagentin Margaret (Sigourney
Weaver) und ihre neue Assistentin Joanna
umeinander herumschleichen und sich
dann doch annähern, das wirkt ein biss-
chen so, als habe Falardeau die Konstellati-
on von „Der Teufel trägt Prada“ mit Wär-
me und ein paar klügeren Menschen aus-
statten wollen.
Margaret Qualley spielt Joanna, die wie-
derum eine reale Figur ist: „My Salinger
Year“ basiert auf einem Buch von Joanna
Rakoff, so einer Art Erinnerungsroman:
1996 heuerte Rakoff, frisch von der Uni, bei
einer Literaturagentin an. Ein Traditions-
betrieb, der sich auch um die Angelegenhei-
ten eines Klienten kümmerte, der zu die-
sem Zeitpunkt bereits seit mehr als vierzig
Jahren nichts mehr veröffentlicht hatte:
Kultautor J. D. Salinger. Sein einziger Ro-
man, „Der Fänger im Roggen“, war schon
1951 erschienen, und Salinger blieb bis zu
seinem Tod ein unzugänglicher Kauz, der
nur gelegentlich veröffentlichte und für
kaum jemanden zu sprechen war. Die Be-
antwortung von Leserpost stellte er 1963
ein – so erzählt es zumindest Joanna Ra-
koff, deren Job es im Film nun wird, die
Post zu lesen, mit Standardbriefen zu be-
antworten und dabei die Augen aufzuhal-
ten, ob irgendetwas gefährlich klingt.
Joannas Tage drehen sich nun um all die
Menschen, die in Salinger einen Seelenver-
wandten vermuten, der sie aber nie anhö-
ren wird, bis ein Junge, der Briefe schreibt,
Holden Caulfield und Salinger, mit dem sie
gelegentlich telefoniert, in eine einzige
Fantasiefigur zusammenfließen. Marga-
rets Agentur ist ein Schrein für frühere Kli-
enten, Agatha Christie und F. Scott Fitzge-
rald, vor allem aber für Salinger. Dessen Fo-
to hängt im holzgetäfelten Gang – das eine,
das auch auf allen Büchern hinten drauf ist


  • und wird sogar mit einem Lämpchen bis


in den Abend erleuchtet, während im Off
die Schreibmaschinen klappern. Dass die-
ser eine Klient wichtiger ist als alle ande-
ren, passt ganz gut zu dem Retrogefühl,
das „My Salinger Year“ beherrscht: Die
Mission ist es, von Salinger alles fernzuhal-
ten, was andere Schriftsteller wollen – An-
gebote von Verlegern und Filmproduzen-
ten, Interview-Wünsche, Aufmerksam-
keit.
„My Salinger Year“ wirft nicht mit Ver-
weisen auf „Der Fänger im Roggen“ um
sich, aber Joanna, die den halben Film
über das Buch noch gar nicht gelesen hat,
empfindet, was daran beschrieben wird:
die jugendliche Zerrissenheit zwischen Ver-
zweiflung und Aufbruchsstimmung. Joan-
na will schließlich Schriftstellerin werden


  • aber sie weiß nicht, wie sie es anfangen
    soll; oder wie sie ihrem Freund Karl erklä-
    ren soll, dass sie in New York jetzt mit
    einem sozialistischen Buchhändler zusam-
    menlebt, statt weiterhin mit Karl in Berke-
    ley auf die Uni zu gehen.


Als Eröffnungsfilm ist „My Salinger Ye-
ar“ eine ganz gute Wahl, ein wenig senti-
mental, aber nicht tieftraurig, und vor al-
lem nicht so nah dran an den Ängsten von
heute, als dass es den Premierengästen die
Partylaune verderben könnte. Es regnet in
Berlin zur Eröffnung der Berlinale, und auf
einer Sandfläche am Rand des Potsdamer
Platzes hat sich eine Pfütze gebildet, in der
etwa zwanzig Tauben fröhlich baden, als
wär’s ein heißer Sommertag. Wahrschein-
lich halten es die Enten im Central Park ge-
nauso, wenn der Winter kommt – sie rich-
ten sich darauf ein, dass jetzt vielleicht
bald der See gefriert. Und vertrauen dar-
auf, dass irgendwann wieder Sommer ist.
susan vahabzadeh

von lothar müller

M


anchmal gefällt sich der Zufall
darin, Parallelaktionen zu insze-
nieren. In Thüringen macht er
das derzeit ziemlich gut. Im Landtag in Er-
furt wird ein konfuses politisches Drama
gegeben, voller Intrige und Verrat, düpier-
ten und erfolgreichen Strippenziehern.
Die ganze Nation schaut den Rochaden zu,
und während ein Jungpolitiker der CDU,
die in Erfurt den tragikomischen Part gibt,
in Berlin anregt, man solle mal wieder über
die Leitkultur – Goethe? Schiller? – reden,
lädt die Klassik-Stiftung Weimar zu Jahres-
pressekonferenz und Jahresempfang ein.
Die Stiftung ist von der Haupt- und
Staatsaktion in Erfurt betroffen. Am 5. Fe-
bruar ist ihr der Vorsitzende des Stiftungs-
rates abhandengekommen, Benjamin-Im-
manuel Hoff von der Linken, bis dahin
Minister für Kultur-, Bundes und Europa-
angelegenheiten in der Regierung Rame-
low.Während aber in Erfurt die Regierungs-
krise immer neue Sackgassen ansteuert,
herrscht in Weimar Aufbruchstimmung.
Der Grund dafür ist Ulrike Lorenz, die neue
Präsidentin der Stiftung. Sie hat als Nachfol-
gerin von Hellmut Seemann ihr Amt im Au-
gust 2019 angetreten und steht für die stra-
tegische Neuausrichtung der Stiftung, für
den „Auszug aus dem Elfenbeinturm“, die
Öffnung der Bewahrung und Erschließung
hin zu größerer Aktualität, hin zu Debatte
und Diskurs, hin zu „Partizipation, Inklusi-
on, Diversität und Internationalität“. Kurz,
die Klassik-Stiftung Weimar soll zum Pilot-
projekt werden, zum Lehrstück, wie eine
der großen Kulturinstitutionen des Lan-
des auf den digitalen Wandel und die Verän-
derung des politischen Klimas in der Bun-
desrepublik reagiert und – vor allem – ein
neues Publikum erschließt.


Die Stiftung umfasst insgesamt 25 Ein-
richtungen, die im vergangenen Jahr gut
eine Million Besucher anzogen, fast dop-
pelt so viel wie im Vorjahr. Weimar, Ur-
sprungsort des Bauhauses, profitierte vom
Bauhaus-Jahr, allein das im April 2019 er-
öffnete Bauhaus-Museum hatte aller Fach-
kritik an seiner Architektur zum Trotz
268000 Besucher. In den Projekten der
Präsidentin spielt denn auch die Koppe-
lung der „Weimarer Klassik um 1800“ an
die „Moderne um und nach 1900“ eine
Schlüsselrolle. Unschwer ist darin das Kon-
zept zu erkennen, die näher an der Gegen-
wart liegenden Attraktionen Weimars als
Türöffner für die ferngerückte Klassik zu
benutzen. „Nietzsche Superstar. Ein Par-
cours der Moderne“, mit einem Henry van
de Velde nachempfundenen Logo in Bau-
haus-Farben, ist denn auch das erste Groß-
projekt des Jahres 2020.
Ein regionales Projekt ist die Neuaus-
richtung der Klassik-Stiftung Weimar
nicht. Thüringen, aktuell politische Krisen-
landschaft, ist zugleich alte deutsche Kul-
turlandschaft. So wie die Weimarer Stif-
tung ein Gegenüber der Stiftung Preußi-
scher Kulturbesitz in Berlin ist, sind ihre
beiden großen restauratorischen Projekte
ein Gegenüber zum Humboldt-Forum in
Berlin, das demnächst eröffnet wird. So-
wohl die Restaurierung des Weimarer
Stadtschlosses wie die Restaurierung des
Goethe-Hauses am Frauenplan sind nicht
lediglich architektonische Projekte.
Das Humboldt-Forum setzt, bei aller
konzeptionellen Vagheit und trotz des
Kreuzes, das auf der Kuppel des neuerrich-


teten Schlossgebäudes stehen wird, auf die
Vorstellung des kosmopolitschen Deutsch-
lands, das sich im Zentrum seiner Haupt-
stadt als Gastgeber der Weltkulturen insze-
niert. In Weimar mag sich die Präsidentin
der Stiftung auf einen Termin für die Fer-
tigstellung der Projekte „Neue Mitte
Schloss Weimar“ und „Ensemble Goethe-
Nationalmuseum“ mit der Formel „weni-
ger als zehn Jahre“ nicht festlegen. Der
Bund hat 50 Millionen Euro für die Schloss-

sanierung zugesagt. Die fließen aber erst,
wenn das Land Thüringen die Komplemen-
tärmittel in gleicher Höhe freigibt. Der
Landtag, der das beschließen könnte, ist
derzeit nicht handlungsfähig.
Der offene Zeithorizont der Weimarer
Großprojekte muss aber kein Nachteil
sein. Denn nicht anders als beim Hum-
boldt-Forum gibt es in Weimar neben den
physischen auch konzeptionelle Baustel-
len. Das zeigte am Abend der Pressekonfe-

renz der Jahresempfang. Statt eines Fest-
vortrags war in Reaktion auf die Haupt-
und Staatsaktion im Landtag in Erfurt eine
Podiumsdiskussion zum Thema „Demo-
kratie, Krise und Kultur – Ein Gespräch
über Verantwortung, Haltung und Metho-
den“ angesetzt worden.
Ulrike Lorenz konnte dabei der politi-
schen Krise und zumal der Rolle, die in ihr
die AfD spielt, durchaus etwas Positives ab-
gewinnen, nämlich die Bekräftigung ihrer

strategischen Neuausrichtung und des da-
mit verbundenen Anspruchs, der Gesell-
schaft „Orientierung“ zu bieten. Eine alte
Sehnsucht der Deutschen, die derzeit neu
aufflammt, steckt in diesem Anspruch der
Stiftungspräsidentin. Sie erhofft von der
Kultur die Heilungsenergien für alle politi-
schen Pathologien, die in der Gesellschaft
erzeugt werden.
Günter Winands aus dem Hause der
Staatsministerin für Kultur und Medien,
im Weimarer Stiftungsrat Stellvertreter
des durch die politischen Turbulenzen ab-
handengekommenen Vorsitzenden, stellte
sich vorbehaltlos hinter die Hoffnung,
„dass Kunst und Kultur zum Gelingen von
Demokratie beitragen“, die Energien von
Hass und Ausgrenzung in Schach halten.
Tilman Reitz, Professor für Wissenssoziolo-
gie und Gesellschaftstheorie an der Univer-
sität Jena, fragte, wie es ein Soziologe tun
muss, woher in unserer Gesellschaft die
Frustrationserfahrungen kommen, als de-
ren Repräsentantin die AfD den Thüringer
Landtag aufmischt.
Jan Philipp Reemtsma engagiert sich in
Weimar vor allem für die Gestaltung des
Gutes Oßmannstedt, wo Christoph Martin
Wieland wohnte, ein politisch sehr wacher
Kopf. Ihm blieb es vorbehalten, Wasser in
den Wein der strategischen Neuausrich-
tung zu gießen. Den Schlüsselbegriffen
„Öffnung“, „Spannung“, „Distinktionsab-
bau“ sah er ihre Vieldeutigkeit und den De-
finitionsbedarf im Bezug auf konkrete Pro-
jekte an der Nasenspitze an: „Es sind Mode-
begriffe, ich halte es für sehr fraglich, dass
dahinter irgendetwas steckt, was eine er-
freuliche Realität sein könnte.“

Für den Prozess der Konkretisierung
der Absichtserklärungen aber gelte: „Sie
können nicht die Türen öffnen und den
Marktplatz partizipieren lassen an diesem
Prozess, das ist notwendigerweise ein Eli-
tenprojekt, wo Leute, die entweder dafür
bezahlt werden oder die Zeit haben, ohne
dafür bezahlt zu werden, sich daran beteili-
gen. Und das ist ein elitäres Geschäft, da
beißt die Maus keinen Faden ab.“
Das darin angesprochene Problem lässt
sich in die Frage umformulieren: In wel-
chem Verhältnis steht das Ziel, die Klassik-
Stiftung zu einem Forum aktueller Debat-
ten und zur Instanz gesellschaftlicher Ori-
entierung zu machen, zum Kerngeschäft
der Bewahrung, Erschließung und Präsen-
tation ihrer spezifischen Bestände? Es ist
unzweifelhaft, dass die Stiftungspräsi-
dentin auf eine Balance der Pole hofft.
Aber ebenso unzweifelhaft gibt es konzep-
tionelle Lücken. Eine ist im Themenkom-
plex „Weimar um 1800“ zu finden.
Die Klassik-Stiftung Weimar setzt wie
alle großen Kulturinstitutionen darauf, zu
einer „Marke“ zu werden. Der „Markenpro-
zess“, definiert als „Einheit der Stiftung
nach innen und außen“, steht aber in Span-
nung zur polyzentrischen Struktur des kul-
turellen Raums, in den „Weimar um 1800“
eingebettet war.Sehr wenig war im Pro-
spekt der Neukonzeption von den Nachbarn
in Thüringen, etwa von Gotha, die Rede,
sehr wenig von den europäischen Netzen, in
die Weimar eingebunden war. Und sehr we-
nig vom Forschungsverbund Marbach-Wei-
mar-Wolfenbüttel, der mit großen Ambitio-
nen angetreten ist, von dem aber nun ledig-
lich eine Sommerschule geblieben zu sein
scheint. Sie wäre eine Chance, dem Reemts-
ma-Vorbehalt Rechnung zu tragen und die
Allgemeinbegriffe zu schärfen.

DEFGH Nr. 43, Freitag, 21. Februar 2020 HF2 11


Noch gibt es konzeptionelle
Lücken und Baustellen bei der
Neukonzeption der Stiftung

„Das hat


totalitäre Züge“


In Ungarn bestimmt ein Kulturrat,
was erlaubt ist und was nicht

Feuilleton
Geschenk der Götter:
Eine Begegnung mit dem
Schauspieler Jonas Dassler 13

Literatur
Wütende Väter: Ocean Vuongs
Gedichtband „Nachthimmel
mit Austrittswunden“ 14

Wissen
Die Stare sind schon da:
Zugvögel kehren früher
als sonst zurück 16

 http://www.sz.de/kultur

An einem verlorenen Ort


Hach, dieses sanfte Retrogefühl: Philippe Falardeaus „My Salinger Year“ ist ein unverdächtiger Berlinale-Eröffnungsfilm


Moden und Marken


Die Kultur als Retterin der Politik: Die Klassik-Stiftung Weimar


setzt auf Öffnung, Aktualität und Diskurs


Der Film ist ein wenig
sentimental, aber nicht tieftraurig,
und weit weg von der Gegenwart

Ein Generalangriff auf die
europäische Wertebasis

„Nietzsche Superstar“


ist eines der ersten Großprojekte


in diesem Jahr


FEUILLETON

Sigourney Weaver spielt die Literaturagentin Margaret in „My Salinger Year“, ei-
ne Figur aus dem New York der Neunzigerjahre. FOTO: BERLINALE

HEUTE


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Der Bücherkubus im Studienzentrum der Anna-Amalia-Bibliothek, Ort der Versenkung und zugleich Schauplatz für
Debatten über die Neuausrichtung der Klassik-Stiftung Weimar. FOTO: MAURITIUS IMAGES / HARALD WENZEL-ORF
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