Süddeutsche Zeitung - 21.02.2020

(Barré) #1
interview: boris herrmann
und robert roßmann

SZ: Herr Brinkhaus, Sie scheinen ja der
einzige Nordrhein-Westfale zu sein, der
nicht für den CDU-Vorsitz kandidiert.
Brinkhaus: Zumindest der einzige Mann
über 50, der nicht kandidiert. Aber Scherz
beiseite. Für mich als Fraktionsvorsitzen-
den geht es darum, dafür zu sorgen, dass
wir Stabilität in das Auswahlverfahren
kriegen. Auch wenn das wenig spektakulär
klingt, aber: Wir stehen vor wichtigen Sach-
entscheidungen. Wenn eine Führungsfra-
ge offen ist, dann balgt sich natürlich alles
um die Führungsfrage. Es ist aber wichtig,
dass man nebenbei nicht vergisst, das
Land zu regieren.


Inzwischen haben Armin Laschet, Jens
Spahn, Friedrich Merz und Norbert Rött-
gen Interesse am Vorsitz signalisiert.
Über das Regieren spricht niemand.
Deshalb kann ich nur dafür werben, jetzt
Dampf aus diesen Personaldiskussionen
zu nehmen. Wir haben viel zu tun: Auf dem
EU-Finanzgipfel geht es um viel Geld, dem-
nächst kommen die Ergebnisse der Renten-
kommission. Und wenn ich mich so um-
schaue, dann fallen mir noch einige ganz
andere Herausforderungen ein. Deshalb
wäre es grob fahrlässig, sich jetzt den gan-
zen Tag darüber zu unterhalten, wer mit
wem Kaffee trinkt und dann CDU-Chef
werden könnte.


Aber was halten Sie denn von den bisheri-
gen Bewerbern?
Mit den Eigenschaften, die sie zusammen
haben, sind sie gut. Deshalb ist der Team-
gedanke ja auch nicht so schlecht. Aber
Team bedeutet eben auch, zusammenzu-
arbeiten – da muss man nicht unbedingt
immer selber den Hut aufhaben.
Sind die vier Kandidaten dazu in der Lage?
Ich setze da auf menschliche Einsicht und
Lernfähigkeit.
Bei den Gedankenspielen über eine Team-
lösung beziehen manche Ihren Fraktions-
vorsitz mit ein, einige sehen schon Jens
Spahn auf Ihrem Posten. Machen Sie sich
Sorgen um Ihren Job?
Nein, ich bin da sehr entspannt. Ich bin bis
zum Ende der Legislaturperiode gewählt.
Können Sie sich auch ein Ministeramt
statt des Fraktionsvorsitzes vorstellen?
Als Ostwestfale bin ich konservativ: Wenn
ich etwas angefangen habe, führe ich das
auch zu Ende. Fraktionsvorsitzender zu
sein, ist außerdem fast genauso schön wie


Papst, um mit Franz Müntefering zu spre-
chen: Man kann mehr entscheiden, als
viele denken – und steht trotzdem nicht so
im Scheinwerferlicht.

War es nicht ein Fehler von Annegret
Kramp-Karrenbauer, ihren Rückzug be-
reits jetzt anzukündigen? Der nächste
CDU-Chef wird deshalb bis zur Bundes-
tagswahl sehr lange im Fokus der politi-
schen Konkurrenz stehen.
Rational betrachtet haben Sie recht. Aber
wir unterschätzen oft, dass Politiker auch
Menschen sind. Und dass man manchmal
für sich persönlich einen Punkt erreicht, an
dem man sagt, es geht nicht mehr. Wir ha-
ben das auch bei Andrea Nahles und deren
Rücktritt gesehen, irgendwann ist es ein-
fach zu viel für einen Menschen.
Ist der Politikbetrieb zu hart geworden?
Bei allen Fehlern, die sicherlich gemacht
werden: Wir müssen uns überlegen, wie ge-
hen wir mit unseren Führungskräften um?
Jetzt könnte man einen alten Helmut-Kohl-
Spruch zitieren: Wem es in der Küche zu
heiß ist, der soll draußen bleiben. Politik
wird oft nicht differenziert, sondern mit
der Holzhammermethode betrieben.
Wenn wir das nicht ändern, werden wir
irgendwann keine guten Leute mehr krie-
gen. Weil sich dann nur noch Leute für
solche Ämter bewerben, von denen wir als
Demokraten sagen, die wollen wir eigent-
lich nicht haben. Wir erleben jetzt schon
auf kommunaler Ebene, dass es immer
schwieriger wird, gute Kandidaten zu fin-
den. Wenn wir nicht lernen, mit Politikern
anständig umzugehen, bekommen wir ein
Problem.

Woran ist Annegret Kramp-Karrenbauer
gescheitert?
Ich glaube, es gibt mehrere Gründe für ih-
ren Rückzug. Sie hat keine Zeit bekommen,
in dieses Amt hineinzuwachsen. Schauen
Sie sich mal an, wo Angela Merkel nach der
Bundestagswahl 2005 gestanden hat, gera-
de mal so dem politischen Ende von der
Schippe gesprungen. Ein zweiter Punkt ist:
Es war immer eine große Stärke der CDU,
dass sie zu 95 Prozent loyal war mit denen,
die an der Spitze standen. Das war jetzt
nicht mehr so. Annegret Kramp-Karren-
bauer hätte intern mehr Loyalität verdient
gehabt.
Gab es nicht noch viel mehr Probleme?
Dass Parteivorsitz und Kanzleramt nicht in
einer Hand gelegen haben, hat die Sache
nicht leichter gemacht. Da müssen wir uns
für die nächsten 18 Monate viel besser ab-
stimmen. Vielleicht wäre es im Nachhinein
besser gewesen, wenn Annegret Kramp-
Karrenbauer gleich nach ihrer Wahl zur
CDU-Chefin ins Kabinett gegangen wäre.
Als reine Parteivorsitzende hatte sie nur
eine sehr limitierte Plattform. Sie hatte
kein Rederecht im Bundestag. Und sie hat-

te kein Ministerium im Rücken. Dabei sind
der Bundestag und die Bundesregierung
die Machtzentren, und nicht das Willy-
Brandt- oder das Konrad-Adenauer-Haus.

Welcher Kandidat ist der Favorit der
Unionsfraktion?
Ich beteilige mich nicht an der öffentlichen
Debatte, was für welchen Kandidaten
spricht. Eines ist aber auch klar: Die Frakti-
on wird bei diesen Machtfragen mitreden.
Es kann nicht sein, dass außerhalb des Bun-
destages festgelegt wird, wie der Rest der
Legislaturperiode auszusehen hat. Das wer-
de ich als Fraktionsvorsitzender sicherlich
nicht mitmachen.
Wie soll das Verfahren jetzt laufen?
Wir müssen zunächst gucken, wie das
Kandidatenfeld am Ende aussieht: Kommt

noch jemand dazu, wer fällt vielleicht wie-
der weg? Und dann muss mit aller Kraft
verhindert werden, dass es einen kontro-
versen, verletzenden Vorwahlkampf zwi-
schen den Kandidaten gibt. Denn das
würde niemandem helfen.

Kann man die verschiedenen Gruppen in
der Union überhaupt noch zusammenhal-
ten? Die Unterschiede zwischen CDU und
CSU oder zwischen ost- und westdeut-
schen Landesverbänden sind gewaltig.
Das Zusammenhalten ist tatsächlich nicht
einfach. Das ist auch ein Hauptteil der Ar-
beit eines Fraktionsvorsitzenden. In unse-
rer Fraktion sitzen ja Abgeordnete aus Ost
und West, aus Stadt und Land und von CDU
und CSU. Und auch zwischen der Unions-
fraktion und dem Kanzleramt ist nicht im-

mer nur Sonnenschein. Wenn man etwas
erfolgreich zusammenbinden will, muss
man sich persönlich zurücknehmen. Ich
werde ja hin und wieder dafür kritisiert,
dass ich zu wenig auf die Pauke hauen wür-
de. Die Unterschiede immer wieder ausglei-
chen kann man aber nur, wenn man auch
mal zurücksteckt. Das ist übrigens auch
die zentrale Herausforderung für den
nächsten CDU-Chef: Er muss derjenige
sein, der alles zusammenbinden kann.
Ist das jetzt doch eine Bewerbung für den
Parteivorsitz?
Wie Sie ja schon festgestellt haben, es be-
steht im aktuellen Bewerberfeld kein Man-
gel an männlichen, katholischen NRWlern.
Deswegen: Nein.
In den Umfragen liegt derzeit meistens
Friedrich Merz vorne. Sind Umfragewerte

ein wichtiges Kriterium bei der Auswahl
des neuen Chefs?
Ich werde zu keinem möglichen Kandida-
ten etwas sagen. Aber es geht nicht nur dar-
um, wer am besten in der Lage ist, die
nächste Wahl zu gewinnen. Es geht auch
darum, dass die CDU als Volkspartei in
zehn Jahren noch existiert. Und noch mal:
Ein Vorsitzender muss immer wieder in
der Lage sein, das Verbindende zu finden.

Sie haben trotz dieses Appells gerade ein
Buch mitherausgegeben, in dem Philipp
Amthor eine Neuauflage der Debatte über
eine deutsche Leitkultur verlangt.
Das ist eine Sammlung von Aufsätzen zu
Zukunftsfragen von Mitgliedern unserer
Jungen Gruppe, zu der auch Philipp Am-
thor zählt. Ja, ich bin gewarnt worden,
dieses Buch mitherauszugeben. Ich finde
aber, Debatten müssen möglich sein.
Wenn es die jungen Leute nicht machen,
wer dann? Und dass die Jungen etwas griffi-
ger formulieren, war auch schon immer so.
Und da muss ich nicht alles zu 100 Prozent
gut finden, was darin steht. Aber dass wir
über die Wertegrundlage unseres Zusam-
menlebens reden müssen, ist nicht so
falsch. Da hat der Philipp eine richtige Dis-
kussion aufgemacht.

Aber passt das zu Ihrem Lob des Ver-
bindenden?
Ja. Wir müssen uns mehr Raum geben für
Kontroversen, aber dabei müssen wir uns
dann auch zuhören, wir dürfen unsere eige-
ne Position nicht moralisch überhöhen
und müssen zum Schluss wieder alles zu-
sammenbinden. Deswegen habe ich mich
über das Buch gefreut, gerade auch weil es
an einigen Stellen Reibung erzeugt.
Sie sind – wie Kramp-Karrenbauer – nur
mit knapper Mehrheit gewählt worden.
Warum sitzen Sie anders als die CDU-Che-
fin noch fest im Sattel?
Ich habe auch Fehler gemacht. Aber meine
Fraktion hat mir Zeit gegeben, um in meine
Aufgabe hineinzuwachsen. Und letztlich
habe ich das auch meinem Vorgänger Vol-
ker Kauder und seinen Unterstützern zu
verdanken. Sie haben akzeptiert, dass ich
gewonnen habe, und sich nie illoyal verhal-
ten. Dafür bin ich sehr dankbar.
Merz hat sich anders verhalten ...
Das sagen Sie. Ich glaube, das sollte man
nicht so bewerten. Grundsätzlich finde ich
aber: Man kann um Personalentscheidun-
gen ringen. Aber wenn sie gefallen sind,
dann sollten alle loyal dahinterstehen.

Markus Söder verlangt eine Kabinettsum-
bildung. Sie auch?
Ich darf als Fraktionschef viel, neue Minis-
ter darf ich aber nicht ernennen.
Aber was wünschen Sie sich?
Ich kann den Ansatz von Söder gut verste-
hen. Aber man sollte die Wirkungskraft
von Kabinettsumbildungen nicht über-
schätzen. Denn in erster Linie kommt es
darauf an, dass man die besten Inhalte hat,
sich einig ist und das auch ausstrahlt.

„Irgendwann ist es


zu viel für einen“


Ralph Brinkhaus über den Rückzug Kramp-Karrenbauers,
die vier Nachfolgekandidaten – und eigene Ambitionen

„Kramp-Karrenbauer
hätte intern mehr Loyalität
verdient gehabt.“

Der Fraktionschef widerspricht
Spekulationen, auch er wolle
CDU-Vorsitzender werden

München –Das überraschende Urteil des
Europäischen Gerichtshofs für Menschen-
rechte (EGMR), der vergangene Woche so
genannte „heiße“ Abschiebungen von Afri-
kanern an der spanischen Grenze als recht-
mäßig beurteilte, hat in Spanien eine er-
hitzte Debatte über den Umgang mit
Flüchtlingen in Gang gesetzt. Es ist die ers-
te Zerreißprobe der links-linken Koalition
aus Sozialisten und Podemos. Innenminis-
ter Fernando Grande-Marlaska, ein Sozia-
list, ließ erkennen, er fühle sich durch das
Urteil bestätigt in seiner Praxis, Migranten
ohne viel Aufhebens abzuschieben, die auf
die Kanaren oder die spanischen Exklaven
in Nordafrika gelangen. Podemos hingen
findet, diese Praxis der „heißen“ Abschie-
bungen verstoße gegen den Koalitionsver-
trag.

„Heiß“ bedeutet in diesem Fall: Die Leu-
te werden nicht lange nach ihren Flucht-
gründen befragt oder registriert. Solche
Rückführungen oder Deportationen nach
Marokko, Mali oder Mauretanien sind seit
vielen Jahren üblich, alle linken und rech-
ten Regierungen der vergangenen 15 Jahre
sind in etwa so verfahren. Marokko zum
Beispiel erhält Geld, im Übrigen auch von
der EU, um Flüchtlinge aufzuhalten. Pode-
mos hingegen will einen gänzlich anderen
Umgang mit den Migranten. Regierungs-
nahe Parteimitglieder sagten zur Zeitung
El País:„Die Praxis, die Gesetze für Migran-
ten zu verschärfen, die vor Hunger oder
Krieg fliehen, um bei uns zu arbeiten, oder
Urteile zu loben, die Menschenrechtsverlet-
zung ermöglichen, verstößt nicht nur ge-
gen unsere Abmachungen, sondern auch
gegen den Willen der meisten Wähler, die
Podemos oder der PSOE ihre Stimme gege-
ben haben.“ Zwar wird an einem neuen
Asylgesetz gearbeitet, doch würde das die
Anforderungen eher verschärfen, kritisie-
ren Mitglieder der Linksalternativen.
Der Andrang bleibt indes groß. Immer
wieder rettet die spanische Küstenwache
Menschen, erst am Dienstag wurden 24 Mi-

granten vor den Kanaren aus Booten geret-
tet, darunter neun Frauen und ein Baby.
Nach 53 Menschen wird noch gesucht. Auf
die besonders gefährliche Atlantikroute
weichen immer mehr Migranten aus, seit
die Zäune von Melilla und Ceuta in die Hö-
he wachsen. Zwischen dem 1. Januar und
dem 15. Februar haben mehr als 1000 Men-
schen so die Kanaren erreicht, im Vorjah-
reszeitraum waren es laut spanischem In-
nenministerium lediglich 66 gewesen.
Doch auch wenn Flüchtlinge auf spani-
sches Territorium gelangen, heißt das
nicht, dass sich jemand um die Menschen
kümmert. Nach kurzem Aufenthalt in Auf-
nahmelagern werden vor allem Afrikaner
meist auf die Straße gesetzt, wandern wei-
ter oder versuchen, in Spanien irgendwie
zu Geld zu kommen. Sie verkaufen in den
Fußgängerzonen gefälschte Brillen und Ta-
schen oder verdingen sich für wenig Geld
in den Gemüse- und Obstplantagen. Dort
siedeln sie in provisorischen Camps. Die
Zustände in dem Lager Lepe bei Huelva,
wo die Erdbeeren herkommen, die die
Deutschen gerne im Winter essen, haben
nun besonders viel Abscheu erregt. Der UN-
Berichterstatter für Armut und Menschen-
rechte, Philip Alston, besuchte das Lager
und sagte danach, solche Zustände gehör-
ten zu den schlimmsten, die er überhaupt
auf der Welt gesehen habe. Die Menschen
lebten „wie die Tiere“, ohne Toiletten,
Strom und fließendes Wasser, in einer im-
provisierten Zeltstadt, wie man sie eher
aus Syrien kenne denn aus der EU.
El Paísberichtete ausführlich über Al-
stons Einschätzung. 300 Menschen lebten
in Lepe in Hütten aus Plastikfolie und Pap-
pe, die meisten seien aus Mali. Aber es gibt
noch weitere Lager, laut Caritas leben rund
um Huelva an die 3000 Menschen so. Um
Wasser zu holen müssen sie zwei Kilome-
ter laufen, der Müll stapelt sich, die Ge-
meinde weigert sich, ihn abzuholen. „Das
ist der übelste Ort, an dem ich je gelebt ha-
be“, sagte ein Flüchtling aus Elfenbeinküs-
te zuEl País.Er kam 2016 über Ceuta und
spricht fließend Spanisch. „Meiner Fami-
lie darf ich nicht sagen, dass ich so lebe.“
Die Caritas fordert, die Gesetze flexibler zu
gestalten, damit die Leute einen Arbeits-
vertrag und Sozialleistungen bekommen
können. Doch dazu scheint die Regierung
nicht bereit zu sein. „Wann immer ich je-
manden frage in der Regierung, schieben
sie die Schuld jemand anderem zu“, berich-
tet Philip Alston. Die Behörden ließen es
einfach laufen. sebastian schoepp

Washington –Man ahnt jetzt, wie Gaius
Julius Cäsar sich gefühlt haben könnte, da-
mals vor zweitausend Jahren. Wenn er in
Rom im Senat saß – er, der Held von Galli-
en, der die gefürchteten Belger bezwungen
hatte. Und der sich dann anhören musste,
wie mindere, eifersüchtige Politiker an
ihm herumkrittelten. Man ahnt, was Cäsar
da gedacht haben mag, weil man es am
Mittwoch am Gesicht von Michael Rubens
Bloomberg ablesen konnte.
Vielleicht ist dieser Vergleich nicht ganz
fair. Vielleicht aber doch. Bloomberg ist na-
türlich kein gewalttätiger Putschist, aber
dass er sich als eine Mischung aus Erobe-
rer und Retter sieht, ist unbestreitbar. Er-
obern will er die Präsidentschaftskandida-
tur der Demokratischen Partei, nicht mit
Soldaten, aber mit Geld; retten will er die


USA, und zwar vor dem gefürchtetsten al-
ler Belger – Donald Trump. Das wäre aus
seiner Sicht auch kein Problem, wenn da
nicht diese fünf impertinenten Gestalten
wären, die ihm im Weg rumstehen.
Das war die Lage, als sich die verbliebe-
nen Präsidentschaftsbewerberinnen und
-bewerber der Demokraten am Mittwoch
in Las Vegas zu ihrer x-ten Kandidaten-
debatte trafen: Auf der einen Seite: zwei
Frauen und drei Männer, die schon seit
mehr als einem Jahr Wahlkampf machen,
die in Iowa und New Hampshire angetre-
ten sind und auch bei der Vorwahl in Neva-
da am Samstag antreten werden. Auf der
anderen Seite: Gaius Julius Bloomberg,
der Milliardär, der erst seit Kurzem im Ren-
nen ist, der bisher an keiner Debatte und
keiner Wahl teilgenommen hat und sich
jetzt erstmals vor einem großen Fernseh-
publikum mit seinen Gegnern streiten
musste. Und es war offensichtlich, wie sehr
ihn das nervte. Die meiste Zeit über lächel-
te er zwar nur fein. Aber mindestens ein-
mal verdrehte er die Augen, und einmal
brach sein Unmut aus ihm heraus: „Das ist
doch alles lächerlich“, schnauzte er.
Das mit den Augen war, als Elizabeth
Warren ihn traktierte, was sie an diesem
Abend oft tat. Die Senatorin, die die Umfra-
gen zeitweilig angeführt hatte, kämpft in-
zwischen um ihr politisches Überleben. Sie
stört es gewaltig, dass Bloomberg sich
unter Einsatz von 400 Millionen Dollar aus


seinem Privatvermögen ins Bewerberfeld
gedrängelt hat. Seit Wochen bombardiert
er Amerika mit teurer und erstklassig ge-
machter Wahlwerbung. Er – und zwar nur
er und er allein – könne Trump schlagen,
so seine Botschaft. Nehmt mich und meine
Milliarden, oder geht gegen Trump unter.
Alles andere? „Lächerlich!“
Dieser Dauerbeschuss hat dazu geführt,
dass Bloomberg zumindest in den Umfra-
gen nach oben geschossen ist. Ob seine
guten Werte ein Zeichen von echter Wähler-
unterstützung sind oder nur von großer
Bekanntheit zeugen, ist nicht ganz klar.
Warren und die anderen Kandidaten ver-
suchten in Las Vegas trotzdem alles, um
Bloomberg auf den Boden zu holen, oder
besser noch: tief im Keller zu versenken.
Bloombergs Vergangenheit als Investor,
Unternehmer und New Yorker Bürgermeis-
ter bot dafür jede Menge Angriffspunkte.
Bloomberg war berüchtigt für sexistische
Sprüche, mit etlichen Frauen, die er belei-
digt hat, hat er für viel Geld Schweigever-
einbarungen geschlossen. In seiner Zeit als
Bürgermeister stoppte und filzte die New
Yorker Polizei millionenfach und willkür-
lich junge Schwarze und Latinos – eine Pra-
xis, die vom Verfassungsgericht als rassis-
tisch verworfen wurde. „Ich will mal klar-

stellen, gegen wen wir hier kämpfen“, be-
gann Elizabeth Warren eine ihrer vielen At-
tacken. „Gegen einen Milliardär, der Frau-
en ,fette Schlampen‘ und ,pferdegesichtige
Lesben‘ nennt.“ Und damit meine sie nicht
Trump, sondern Bloomberg.
So ging es den ganzen Abend. Bernie
Sanders, der 78 Jahre alte Altachtundsech-
ziger, der jüngst einen Herzinfarkt hatte,
wies spitz darauf hin, dass Bloomberg,
ebenfalls 78 Jahre alt, ja auch nur Dank
zweier Stents noch lebe. Ansonsten kochte
er vor Wut über den kapitalistischen Aus-
beuter Bloomberg, der sich die Kandidatur
kaufen wolle, wofür dieser sich mit dem
Vorwurf revanchierte, Sanders sei „Kom-
munist“. Joe Biden, zarte 77 Jahre alt, warf
Bloomberg (zu Recht) vor, sich in seinen
Werbespots mit Lügen an den Altpräsiden-
ten Barack Obama ranzuwanzen und sich
zu dessen legitimem Erben zu stilisieren.
Diese Rolle freilich beansprucht Biden für
sich. Er war Obamas Vizepräsident, darauf
gründet seine Kandidatur, das lässt er sich
von Bloomberg nicht klauen.
Pete Buttigieg, 38 Jahre alt und einst
ebenfalls Bürgermeister, wenn auch nicht
von New York, sondern von South Bend,
Indiana, schlug vor, die Demokraten soll-
ten doch einen Demokraten als Präsident-

schaftskandidaten nominieren. Also ihn,
nicht den früheren Republikaner Bloom-
berg oder den parteilosen Sanders. Da ki-
cherte das Publikum.
Ansonsten zoffte sich Buttigieg, der in
Iowa gewonnen hatte und in New Hampshi-
re immerhin Zweiter wurde, über den seit
Bloombergs Aufstieg aber keiner mehr re-
det, den halben Abend mit Amy Klobuchar.
Er verpasste ihr ein paar Hiebe, sah aber
blass aus und war schlecht rasiert – kein
überzeugender Anblick. Klobuchar wieder-
um, die Senatorin aus Minnesota, träumt
zwar vom großen Durchbruch. Doch das
wird wohl ein Traum bleiben. „Willst du et-
wa sagen, dass ich dumm bin?“, fragte sie
Buttigieg einmal empört. Aber ihre Stim-
me zitterte dabei doch etwas zu sehr.
Ob die Debatte an der grundsätzlichen
Lage im Vorwahlkampf viel geändert hat,
ist daher offen. Sanders hat seine Stellung
als Anführer des linken Flügels gegenüber
Warren vermutlich verteidigt. Warren hat
Bloomberg zwar recht wirkungsvoll ange-
griffen. Doch der ringt eher mit Biden, But-
tigieg und Klobuchar um die Gunst der mo-
deraten Mitte-Demokraten, nicht um die
Stimmen der Linken. Biden, der große Ver-
lierer von Iowa und New Hampshire, hat
überraschend lebhaft debattiert. Ob ihn
das rettet? Wer weiß.
Insofern hat Warren, indem sie Bloom-
berg gestutzt hat, vielleicht ihren Rivalen
mehr geholfen als sich selbst. Dass Bloom-
berg sich mit seinem ersten Debattenauf-
tritt nicht geholfen hat, war dagegen offen-
sichtlich. Er war unvorbereitet, defensiv
und hatte selbst auf absehbare Vorwürfe
keine überzeugenden Antworten.
Ist es also Zeit für den Abgesang auf Mi-
chael Rubens Cäsar? Sind die Iden des
März nahe? Man wird sehen. Bloomberg be-
sitzt 60 Milliarden Dollar. Er hat genug
Geld, um die Wunden zu verpflastern, die
ihm in Las Vegas geschlagen wurden. Die
Vorentscheidung fällt – reiner Zufall – am


  1. März, am „Super Tuesday“, dann finden
    in einem guten Dutzend Bundesstaaten
    Vorwahlen statt. Und dann entscheiden die
    Wähler über Bloomberg. Normalerweise
    würde man einen arroganten New Yorker
    Milliardär, der ein Frauen- und Rassismus-
    problem hat, der eine widerwillige Partei
    zu entern versucht, um Kandidat zu wer-
    den, und der seine erste Debatte vergeigt,
    nicht so ernst nehmen. Gäbe es da nicht ne-
    ben Michael Bloomberg einen anderen,
    der genau das geschafft hat. Und der ist
    heute Präsident. hubert wetzel


Elend am Erdbeerfeld


Spanien debattiert über den Umgang mit Flüchtlingen


Erstklassige Wahlwerbung hat


Bloombergs Umfragewerte


nach oben schießen lassen


Er, nur er allein


Michael Bloomberg präsentiert sich bei den Demokraten als der Mann, der Donald Trump besiegen kann


Innenminister Gran-
de-Marlaska fühlt
sich in seiner Ab-
schiebepraxis bestä-
tigt. Er hält sich
häufig in Nordafrika
auf, um mit den Re-
gierungen Rücknah-
me-Deals auszuhan-
deln.FOTO: REUTERS

DEFGH Nr. 43, Freitag, 21. Februar 2020 (^) POLITIK HF2 7
Wahlkampf in Las Vegas: Die demokratischen Bewerber Michael Bloomberg, Eliza-
beth Warren und Bernie Sanders (von links) bei der TV-Debatte. FOTO: JOHN LOCHER/DPA
Als Chef der Unionsfraktion im Bundestag gehört Ralph Brinkhaus, 51, zu den Mächtigen in der CDU. FOTO: C. YUNCK / IMAGO

Free download pdf