Süddeutsche Zeitung - 21.02.2020

(Barré) #1
Hamburg– Jetzt soll der geheimnisvolle
Patient aus Montenegro also Niedersach-
sens Hauptstadt und auch gleich Deutsch-
land verlassen, er macht ja seit zwei Wo-
chen Ärger. Am 7. Februar traf Igor K. in
der Medizinischen Hochschule Hannover
(MHH) ein, lebensbedrohlich verletzt
durch mehr als 20 Schüsse. Er soll in seiner
Heimat in einen Hinterhalt geraten sein,
ein Privatjet und ein Fahrzeug mit Polizei-
eskorte brachten ihn dann in diese renom-
mierte Klinik, wo ihn bis zuletzt Spezialein-
heiten bewachten. Nun wird der Mann aus-
gewiesen, denn der mutmaßliche Boss ei-
nes Clans bringt dieses Krankenhaus eini-
germaßen durcheinander.
Am Donnerstag stellte Hannovers Aus-
länderbehörde dem Schwerverletzten eine
Ausweisungsverfügung zu und ordnete de-
ren sofortigen Vollzug an, offenbar am
Krankenbett. „Der Ausländer ist somit ver-
pflichtet, das Bundesgebiet umgehend zu
verlassen“, erläutert das niedersächsische
Innenministerium. Vom Aufenthalt in der
MHH gehe „eine Gefahr für die öffentliche
Sicherheit und Ordnung“ aus. Reist er
nicht freiwillig aus, werde er abgeschoben.

Von Anfang an machten Meldungen die
Runde, wonach Igor K. der organisierten
Kriminalität nahestehe. Dann behaupte-
ten seine Ehefrau, die in einem Hotel in
Hannover ebenfalls unter Polizeischutz
steht, und deren Anwalt, es handele sich
um eine Verwechslung. Igor K. sei Unter-
nehmer, der Anschlag auf ihn nicht zu er-
klären. Die Polizei allerdings hält K. weiter
für einen besonderen Unternehmer. Mann-
schaftswagen wurden vor der Klinik pos-
tiert, durch die Unfallchirurgie patrouillier-
ten schwer bewaffnete SEK-Beamte – ein
Hospital im Ausnahmezustand.
„Schutzmaßnahmen“ nennt es die Poli-
zei. Das Attentat „gegen eine der Schutz-
personen, die als Angehöriger einer Groß-
familie gilt, reiht sich in eine Serie von Ta-
ten seit 2014 ein, bei denen unter anderem
Schusswaffen und Sprengmittel zum Ein-
satz gekommen sind“. Deshalb müssten
„solche Arten von Anschlagsszenarien mit-
einbezogen werden“, und so gelten die
Schutzmaßnahmen auch für Personal und
übrige Patienten und deren Besucher.
Das ist alles nicht gerade beruhigend
für einen Klinikbetrieb. Auch wird aktuell
ermittelt, ob die dem Vernehmen nach be-
reits überwiesenen 100 000 Euro für die Be-
handlung des Schussopfers aus Geldwä-
schebeständen stammten. Über die öffent-
lichen Kosten für den Polizeieinsatz wird
ebenfalls gestritten, Niedersachsens Land-
tag will sich in einer Sondersitzung mit
dem Fall befassen. Auch aus dem MHH
dringt Kritik, Angestellte fühlen sich un-
wohl. Ein Chirurg räumt ein, die Sache un-
terschätzt zu haben. Medizintourismus ist
lukrativ und beliebt, aber hier geht es um
einen komplizierten Privatpatienten. Der
Antrag, Igor K. an einen sicheren Ort zu ver-
legen, wurde abgelehnt, stattdessen soll er
jetzt schleunigst verschwinden. Am Mitt-
woch, so heißt es, wurde er noch einmal
operiert. peter burghardt

von clara lipkowski

A


ls die Richterin den Saal betritt, erhe-
ben sich die vier jungen Männer –
dunkelhaarig und leger gekleidet –
schwerfällig aus ihren Stühlen. Ihnen wird
einer der spektakulärsten Diebstähle der
jüngeren Geschichte zur Last gelegt, doch
es wirkt nicht so, als gehe sie das folgende
Urteil etwas an. Sie bleiben auch bei der
Verkündung reglos, starren in ihre Hände,
blicken nur hin und wieder zur Richterin.
Hinter ihnen liegt gut ein Jahr „Gold-
münzen-Prozess“. Die beiden Cousins Ah-
med, 21, und Wissam R., 23, werden zu vier
Jahren und sechs Monaten Haft verurteilt,
weil sie 2017 eine Hundert-Kilo-Goldmün-
ze aus dem Berliner Bode-Museum ge-
klaut und weggeschafft haben. Sie müssen
3,3 Millionen Euro zurückzahlen, den Gold-
wert der gestohlenen Münze.
Denis W., 21, der als Wachmann im Bode-
Museum arbeitete, mit Ahmed befreundet
ist und für die Diebe offenbar ein entschei-
dender Informationsgeber war, bekommt
eine Haftstrafe von drei Jahren und vier
Monaten. Der Sicherheitsmitarbeiter, der
eingestellt worden war, um die wertvolle
Kunst zu schützen, wurde offenbar mit
100 000 Euro an der Beute beteiligt. Die
Summe muss er nun zurückzahlen.
Und da ist ein vierter Angeklagter, Way-
ci R., 25, Bruder von Ahmed. Dessen Tatbe-
teiligung kann nicht nachgewiesen wer-
den. Er wird freigesprochen.
Noch ist das Urteil nach Jugendstraf-
recht nicht rechtskräftig. Der Staatsanwalt
kündigt noch im Gerichtsgebäude an, un-
ter anderem wegen des Freispruchs eine
Revision „prüfen“ zu wollen. Er hatte für al-
le Angeklagten Gefängnisstrafen von fünf
bis sieben Jahren gefordert. Mit der Höhe
der Zahlungen aber zeigte er sich zufrie-
den. Die Verteidiger hatten auf Freispruch
plädiert. Kritik kam von der Berliner Poli-

zeigewerkschaft. Das Urteil sei zu niedrig
und offenbare, dass die gesetzlichen Mög-
lichkeiten im Kampf gegen die organisier-
te Kriminalität nicht ausreichten.
Ahmed, Wissam und Wayci gehören zur
polizeibekannten arabischstämmigen
Großfamilie R., auch deshalb war das Ur-
teil mit großer medialer Aufmerksamkeit
verfolgt worden. Die Familie, auch die An-
geklagten, waren in der Vergangenheit mit
Diebstählen aufgefallen, Ahmed R. etwa,
war dabei auch bewaffnet vorgegangen.
Im Fall der gestohlenen Goldmünze wird
auch vermutet, dass weitere Familienmit-
glieder Hilfe geleistet haben.
Das Vorgehen zeige „Dreistigkeit und Ri-
sikobereitschaft besonderer Güte“, sagte
Richterin Dorothee Prüfer, der Diebstahl
geschah mitten im Stadtzentrum, zu einer
Zeit, in der ein Wachmann gerade in einem

anderen Gebäudeteil seinen Rundgang
machte. Die Diebe drangen über ein entrie-
geltes Fenster in das Gebäude ein, zerschlu-
gen die Ausstellungsvitrine mit einer Axt
und hievten die waschmaschinenschwere
Münze mit einem Rollbrett davon. „Wel-
cher Einbruchsdiebstahl kann noch gravie-
render sein?“, fragte die Richterin.
In vielem musste sich das Gericht auf In-
dizien stützen, an echten Beweisen mangel-
te es bis zuletzt. Doch die Richterin war
überzeugt, dass es Denis W. war, der ein
Fenster im Umkleideraum der Sicherheits-
mitarbeiter im Museum so entriegelte,
dass seine Komplizen in das Gebäude ein-
steigen konnten, ohne dass der Alarm los-
ging. Denis W. sei nicht nur Tippgeber, son-
dern „Achse“ der Tat gewesen, sagte die
Richterin. Er hatte den Ort ausgekund-
schaftet und die anderen wohl erst auf die

Idee gebracht, die Münze zu stehlen. Ihren
Wert konnte Denis W. von einem Schild am
Exponat ablesen.
Das riesige Goldstück bleibt verschwun-
den. Zwar ist die Rede von einer Münze, tat-
sächlich ähnelt sie mit einem Durchmes-
ser von 53 Zentimetern und drei Zentime-
tern Dicke aber eher einer Platte. Bei den
Angeklagten der Familie R. waren Goldspä-
ne gefunden worden, die eine besonders
hohe Reinheit aufwiesen – wie die der ge-
stohlenen Münze. „Wir wissen, dass die
Münze in den Bereich der Familie R. ge-
langt ist“, sagte die Richterin. DNA-Spuren
auf einem Seil, aber auch GPS-Daten und
Handydaten hatten die Ermittler zu den
jungen Männern geführt. Sie schwiegen
im Prozess, nur einmal äußerten sie sich
kurz, um ihre Schuld zu bestreiten.
Der Goldanteil der Münze liegt bei
99,999 Prozent. Ihr Objektwert von 3,3 Mil-
lionen Euro dürfte noch einmal deutlich
steigen, sollte die Münze jemals auf dem
Markt auftauchen. Wahrscheinlicher ist,
dass sie mithilfe der Familie R. zerstückelt
und eingeschmolzen wurde. Die „Big Ma-
ple Leaf“ stammt aus Kanada und wurde
seit 2010 im Museum gezeigt, ein privater
Sammler hatte sie dem Museum geliehen.
Dass er sie je wiedersieht, ist sehr unwahr-
scheinlich.
Die Diebe waren in der Tatnacht im
März 2017 wohl über S-Bahn-Gleise zum
Gebäude gelaufen, mit einer Leiter an das
entriegelte Fenster geklettert, eingestie-
gen und durch den Personaltrakt zur Mün-
ze gelaufen. Mit der Beute liefen die Män-
ner zurück ans Fenster und warfen sie auf
die Gleise, ließen sich hinunter und trans-
portierten die Münze per Schubkarre zum
Fluchtauto.
Den Gerichtssaal verließen alle vier Män-
ner am Donnerstag eilig im Schutz ihrer An-
wälte und von Pappordnern, die sie sich
eng vor die Gesichter hielten.  Seite 4

„Keine Chance“, sagt der Schaffner und schüttelt mitlei-
dig den Kopf. Dabei ist es sein ÖBB-Zug, der mit 14 Minu-
ten Verspätung in Bologna-Centrale eintuckert. Es blei-
ben 60 Sekunden zum Umsteigen Richtung Florenz, von
Gleis 7 auf 19. Dem österreichischen Bundesbahner wol-
len wir’s zeigen und stürmen los. Orientierungslos. Ein
Mann fällt in unseren Sprint ein. „Firenze? Ich bring
euch“, ruft er auf Englisch und übernimmt, ohne eine Ant-
wort abzuwarten, die Führung. Wie ein Footballspieler
räumt er alles und jeden aus dem Weg. Es geht durch Tun-
nels und über Rolltreppen hinunter zum roten schicken
Sprinterzug. Wir springen mit Puddingbeinen auf. Der
Mann fordert nun energisch seinen Sold, gierig greifen
seine Finger nach dem Schein. No, no, zu wenig! Da schlie-
ßen die Türen. Und unser Retter steht draußen vor dem
Fenster, zeternd, mit geballter Faust. jutta czeguhn

Zwischenstopp in Köln. Der Anschlusszug fährt erst in ei-
ner Dreiviertelstunde weiter, es bleibt also noch Zeit für
einen Kaffee. Mit der Rolltreppe runter vom Bahnsteig,
rein ins Getümmel. Und tatsächlich ist einiges geboten:
Schneewittchen bestellt sich gerade einen Kaffee bei
Starbucks, Superman läuft mit einer Hexe im Schlepp-
tau Richtung Gleis und Pippi Langstrumpf steht etwas
verloren vor dem Rewe To Go. Was ist denn da los? Ach
ja, es ist ja Karneval, und man befindet sich in Kölle, der
Hauptstadt der Narren. Nachdem man sich selbst mit
Proviant eingedeckt hat, geht es mit der Rolltreppe wie-
der hoch zum Gleis. Dort steht ein kleiner, dicker Mann
mit einem imposanten Schnauzer, in seiner Hand ein
riesiger Käfig. Darin: mindestens 20 Tauben. Das auf-
wendigste Karnevalskostüm? Ach was! Wohl eher: der
ganz normale Wahnsinn. jacqueline lang

Was muss man anstellen, um es sich mit
seiner Großmutter so richtig zu verscher-
zen? Prinz Harry hat als Enkel die Nach-
sicht seiner Großmutter schon vielen Pro-
ben unterzogen. Doch nun scheint es Eliza-
beth II. zu reichen. Britische Medien berich-
ten, Harry und seine Frau Meghan sollen
auf Beschluss des Buckingham Palastes
den Begriff „royal“ nicht in ihrem Marken-
namen führen dürfen. Der Name ihrer Fir-
ma („Sussex Royal“) müsse „überprüft wer-
den“. Das wäre dumm für das Paar, das
doch lediglich ein bisschen Geld verdienen
möchte. Aber keine Angst: Wir hätten da
ein paar Alternativ-Vorschläge.


„Bye Grandma Lizzy“:Als Firmenname
sehr geeignet, da sich Accounts mit „by”
im Namen derzeit großer Beliebtheit auf
Instagram erfreuen. Um sprachlich ver-
spielt und etwas jugendlicher als das ange-
staubte Königshaus rüberzukommen aber
gleichzeitig auf die Tradition zu verweisen,
einfach noch ein „e“ anfügen und Groß-
mutter Elizabeth beim Kurznamen nen-
nen. Da läuft das Geschäft!


„Harry in the Sky with Diamonds“:
Wenn man schon nicht mehr den einen glo-
bal etablierten Namen verwenden darf,
dann eben auf den anderen umschwenken
und sich nach einemBeatles-Klassiker be-
nennen. Gut für Harry: Durch sein H läuft
er nicht Gefahr, dass sein Firmenname als
Drogen-Referenz missgedeutet wird.
Denn „Lucy in the Sky with Diamonds“,
das las sich lange so: LSD.


„The R-Team“:Erinnert das nicht an eine
Fernsehserie? Dort werden ehemalige Sol-
daten von der Militärpolizei gejagt. Hier
sind es Harry und Meghan (von Paparazzi).
Und auch sie wollen Menschen helfen, die
in Not sind. Also wenn Sie mal ein Problem
haben und nicht mehr weiter wissen, so ru-
fen Sie doch das „R-Team“!


„Aristo Sex“:Auch ein toller Firmenname.
Angelehnt an den Walt-Disney-Film „Aris-
tocats“ über die blaublütige Angorakatze
Duchesse, die im Haus einer alten Dame
lebt, das nicht in Sussex, dafür in Paris
steht. Aus Angst um sein Erbe verjagt der
Butler die Katze, doch sie kehrt zurück –
mit einem attraktiven Straßenkater. Bis
auf das Geschlecht stimmt also alles. Man
zieht einfach zusammen, und wenn sie
nicht gestorben sind, so haben sie bis heu-
te: tollen Aristo-Sex.


„Archie Noah“:Bei dem Trubel um Harry
und Meghan sollte man Sohn Archie nicht
vergessen. Kaum ein Jahr gehört er zur
„Royal Family“, schon nehmen sie ihm das
„Royal“ wieder weg. Eine Spielzeug-Marke


mit Symbolcharakter nach ihm zu benen-
nen, wäre da wohl das Mindeste: Die „Ar-
che Noah“ nahm dereinst jene auf, die vom
Aussterben bedroht waren. So wie heute
die Königshäuser. „Archie Noah“, das wäre
bald ein Topseller in den Spielzeugregalen.


„#SSSXRYL“: Billiger, weil einfacher Fir-
menname: Vokale weglassen, Hashtag da-
vor – und schon wirkt’s modern. Als Vor-
bild dient die deutsche Fußball-National-
mannschaft (#ZSMMN), da hat’s aller-
dings zum #ZSMMNBRCH geführt.


„Sussex Squad“: Wie im US-Blockbuster
„Suicide Squad“ (2016): Eine geheime Ab-
teilung einer Regierung ruft ein brisantes
Projekt ins Leben. Eine Truppe aus Super-
helden – hier: Harry, Meghan und der ar-
me unbeteiligte Archie – sollen Ländereien
erobern. Das könnte firmenstrategisch
durchaus sinnvoll sein und hat auch eine
gute Tradition, für die britische Krone.


„Megha“: Die Models Cara Delevigne und
Kendall Jenner haben es vorgemacht: Un-
ter dem Firmennamen „CaKe“ (englische
Aussprache!) drängten sie auf den Kleider-
markt. Also wird es auch Zeit für „Megha“.
Dass man Harrys Anfangsbuchstaben „h“
darin übersehen kann? Umso besser. Das
gibt Lästerern, die behaupten, Meghan ha-
be den Herzog gänzlich vereinnahmt, neu-
es Futter – und Provokation ist die beste
Werbung. Außerdem klingt es mega.


„Came off Thrones“: Alle Throne haben
sie weit hinter sich gelassen. Ob hier „to co-
me off“ im Sinne von „abspringen“, „herun-
terfallen“ oder „Erfolg haben“ gemeint ist,
ist flexibel interpretierbar. Und – so viel ist
der Marketingmaschine Meghan und Har-
ry zuzutrauen – spätestens in einem hal-
ben Jahr wird Google beim Suchen einer ge-
wissen Serie vorschlagen: „Meintest du: Ca-
me off Thrones“?
f. müller, v. simon, m. sprick, v. wulf


Die Berlinale gilt als das politischste unter
den größeren Filmfestivals weltweit. Das
ist auch ein Verdienst des lang jährigen Fes-
tivalleiters Dieter Kosslick, der die Berlina-
le in 13 Jahren in verschiedene Richtungen
gleichzeitig weiterentwickelte: Sie orien-
tierte sich mehr als zuvor am Publikum
statt am Ideal selbstgenügsamer Film-
kunst; an der Welt des Glamours, wo Gla-
mour zu kriegen war, und an politischer Re-
levanz, wo kein Glamour zu kriegen war.
Dieses Jahr hat nun ein Führungsduo
übernommen: der Cineast Carlo Chatrian
für das Künstlerische und die Filmprodu-
zentin Mariette Rissenbeek für das Kauf-
männische, und nun fürchten einige Kriti-
ker um den Glamour auf der Berlinale und
möglicherweise auch um ihr politisches
Profil – also um das Erbe Kosslicks.
So richtig beruhigt dürften diese Kritiker
nicht sein, nachdem bei einer Pressekonfe-
renz am Eröffnungstag die Jury für den
Wettbewerb um die Goldenen Bären vorge-
stellt wurde. Deren Präsident ist der Schau-
spieler Jeremy Irons. 1991 gewann er den Os-
car für die Hauptrolle in „Die Affäre der Sun-
ny von B.“, zuletzt war es ruhiger um ihn ge-
worden, wie man so sagt. Gesprächsthema
war er nun trotzdem, weil wenig progres-
sive Äußerungen aus der Zeit vor der „Me
Too“-Debatte von ihm aufgetaucht waren.
Ein Klaps auf den Hintern einer Frau sei ja
nicht gleich eine strafbare Belästigung. So
was hört man auf der recht sozialdemokra-
tisch gewirkten Berlinale nicht gern.
Also ergriff Irons das Wort und erklärte
in royalem British English, bevor es an die
„ernsthafte Arbeit“ gehe, sehe er sich genö-
tigt, sich einiger Bemerkungen anzuneh-
men, „die ich Berichten zufolge in der Ver-
gangenheit gemacht habe“, da diese ja nun
„in einigen Teilen der Presse“ wieder aufge-
taucht seien, und zwar obgleich er sich ja
bereits davon distanziert und entschuldigt

habe. Eigentlich wünsche er sich, keine
Zeit darauf verwenden zu müssen, aber er
wolle auch nicht, dass es weiterhin als Ab-
lenkung von der Berlinale im Raum stehe.
Also machte er seine Ansichten nochmal
„entirely clear, once and for all“: Er stehe
voll hinter gleichen Rechten für Frauen, ge-
gen sexuelle Belästigung, für die gleichge-
schlechtliche Ehe und dass Frauen abtrei-
ben dürfen, „should they so decide“.

Wie er das sagte, in einer olivgrünen Ja-
cke, mit einem dunkelblauen Seidenschal,
einem goldenen Ring und silbernen Arm-
reifen, klang das ziemlich genervt und ab-
gehoben – als ginge es nicht um ihn, son-
dern als redete da der Pressesprecher sei-
ner beleidigten Lordschaft. Die meiste Zeit
blickte er somnambul und melancholisch
im Raum umher, so düster wie viele der Fil-
me des diesjährigen Programms sind. Cha-
trian, der für die Filmauswahl letztverant-
wortlich ist, war auf Jeremy Irons gekom-
men, weil dieser neben Rollen in populä-
ren Produktionen auch eine Hauptrolle in
einem Film des von Chatrian verehrten Re-
gisseurs David Cronenberg spielt – des be-
rühmtesten, vielleicht einzig echten Vertre-
ters des Genres „Body Horror“, wo ständig
Fleisch mutiert, wo alles dampft und brü-
tet, bis zum finsteren Ende.
Vergangenes Jahr saß auf dem Stuhl der
Jury-Präsidentin Juliette Binoche, strah-
lend, geheimnisvoll, ein echter Star – und
außerdem eine Frau. Kosslick wuselte sich
derweil schon mal warm hinter den Kulis-
sen, um später auf dem roten Teppich alles
anzuknuddeln, was nicht bei drei auf den
Bäumen war. philipp bovermann

Drei Haftstrafen und ein Freispruch


Wegen des spektakulären Diebstahls einer 100 Kilogramm schweren Goldmünze aus dem Berliner Bode-Museum
sind drei junge Männer verurteilt worden. Zudem müssen sie den Wert der Münze zurückzahlen – und der ist enorm

Köln


Die Wintersonne scheint auf das türkisfarbene Wasser,
das von Palmenhainen und Felswänden umgeben ist. Das
Wadi Shab in Oman ist umwerfend schön. Verständlich,
dass die mehrheitlich europäischen Touristen die Kame-
ras zücken. Oh, ein Wasserfall, schau mal nach rechts,
und, wow, der Feigenbaum da links! Hier ein Schnapp-
schuss, da ein Selfie. Als ein einsamer Greis gesenkten Bli-
ckes auf die Gruppe zuschreitet, halten sie kurz inne. Al-
les an ihm ist strahlend weiß: das Gewand, der Turban,
der lange Bart. Da halten es die Urlauber nicht länger aus,
er passt einfach perfekt in die Kulisse. Ohne zu fragen,
richten sie ihre Kameras auf ihn, die französische Rentne-
rin ist kurz vorm Abdrücken, als der alte Mann wortlos,
aber entschieden die Hand hebt. Die Französin steckt die
Kamera weg. Irritiert blicken ihm die Touristen nach. So
viel Macht in einer kleinen Geste. dunja ramadan

MITTEN IN ...


DEFGH Nr. 43, Freitag, 21. Februar 2020 (^) PANORAMA HF2 9
Sehnsucht nach gestern
Bei der Vorstellung der Berlinale-Jury kommt Wehmut auf
Jeremy Irons gewann 1991 einen Oscar, in diesem Jahr verteilt er Goldene Bären. FOTO: MICHELE TANTUSSI/REUTERS
100 Kilo schwer, 3,3 Millionen Euro wert, Goldanteil 99,999 Prozent: Die gestohlene
Münze aus dem Bode-Museum, die wohl zerstückelt wurde. FOTO: MARCEL METTELSIEFEN/DPA
Nur noch Sussex, nicht mehr royal: Harry
und Meghan scheiden aus dem Inner Circle
der Königsfamilie aus. FOTO: D. LEAL-OLIVAS/AFP
ILLUSTRATIONEN: MARC HEROLD
Durch die Unfallchirurgie
patrouillierten schwer
bewaffnete SEK-Beamte
Bologna Wadi Shab
Hospital im
Ausnahmezustand
Schwerverletzter Clanchef muss
trotz Behandlung ausreisen
Meghan-
Seller
Nicht ganz ernste Alternativen
zum Firmennamen „Sussex Royal“
So manch einer vermisst schon
Dieter Kosslick, der einfach
alles niederknuddelte

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