Der Stern - 04.03.2020

(C. Jardin) #1
FOTOS: REVIERFOTO/DDP; SVEN DARMER/DAVIDS

Der 29.Februar 2020 wird in die Geschichte der Bun-
desliga eingehen. Weil Bayern-Fans beim Spiel in
Hoffenheim Dietmar Hopp, den milliardenschweren
SAP-Mitgründer und langjährigen Besitzer des Bun-
desliga-Klubs TSG Hoffenheim, auf Plakaten beleidigt
hatten, waren zunächst Funktionäre und Spieler der
Bayern wütend in die Kurve gerannt. Und nach zweima-
liger Unterbrechung durch den Schiedsrichter hatten
sich die Spieler beider Mannschaften rund um den Mit-
telkreis den Ball zugekickt, ohne aufs Tor zu schießen,
während draußen am Spielfeldrand Bayern-Boss Karl-
Heinz Rummenigge Dietmar Hopp ergriffen seine
uneingeschränkte Solidarität versicherte.
Wenn es nach den Funktionären des DFB und der
Klubs geht, war dieser Moment eine Zäsur für den
Profifußball, ein Fanal der Zivilcourage, die Stunde null
im Kampf gegen Hass und Gewalt. Flugs wurden die
Schmähbanner in einen größeren gesellschaftlichen
Zusammenhang gestellt, vermengt mit den Morden von
Hanau – als Beleg für die unaufhaltsame Verrohung
der Gesellschaft. „Jetzt muss durchgegriffen werden“,
polterte der DFB-Präsident Fritz Keller abends im
ZDF-„Sportstudio“ und gab damit all jenen Büchsen-
spannern eine Stimme, die von jeher in mehr Kontrol-
len, mehr Strafverfahren und mehr Stadionverboten
den richtigen Weg sehen, um renitente Fans zum
Schweigen zu bringen.
Doch je mehr sich die Vereinsbosse auch Mühe
gaben, die Sinsheimer Ereignisse als nie zuvor dage-
wesenen Zivilisationsbruch und Verbrechen gegen
die Menschlichkeit zu etikettieren, desto mehr fiel
auf, dass der deutsche Profifußball in den vergangenen
Jahren weit weniger moralischen Rigorismus an den Tag
gelegt hat, wenn es darum ging, rassistische Rufe oder
sexistische Banner zu verurteilen. Als Mesut Özil nach
der verkorksten WM 2018 von rechtsaußen attackiert

wurde, schwiegen die DFB-Würdenträger beharrlich.
Als Hoffenheimer Fans den Leipziger Stürmer Timo
Werner als „Hurensohn“ attackierten, ermittelte
kein Sportgericht. Und als Hertha-Spieler Jordan Toru-
narigha neulich beim Pokalspiel auf Schalke rassis-
tisch angepöbelt wurde, geriet der Kicker beinahe noch
in Beweisnot, sich nicht verhört zu haben. Ganz zu
schweigen von den zahlreichen homophoben Ban-
nern, die immer mal wieder von Fankurven präsen-
tiert werden.
Das alles nährt den Verdacht, dass die Schnappat-
mung, die weite Teile des Fußballestablishments befiel,
auch etwas damit zu tun hatte, wer da attackiert wurde.
Wäre Hopp kein mächtiger Klubboss und Sponsor,
hätte sich die Entrüstung der Bayern-Funktionäre
womöglich in engeren Grenzen gehalten.
Wobei ja der Treppenwitz dieses Konflikts ist, dass es
den Anhängern längst nicht mehr um Dietmar Hopp
geht. Auch in den Fankurven ist es längst Konsens, dass
die Plakate mit Hopps Konterfei nicht akzeptabel sind,
selbst dann nicht, wenn man sich die Interpretation des
Fadenkreuzes als „Aufforderung zum Mord“ nicht zu
eigen macht. Hopp ist zum Symbol für einen anderen
Kampf zwischen den Kurven und dem Verband gewor-
den, nämlich darum, wer in Zukunft überhaupt noch
ins Stadion gehen soll.
Es ist kein Geheimnis, dass die Atmosphäre, wie sie
bei der TSG Hoffenheim oder beim Getränke-Franchise

D


Bayern-Fans schmähten


Dietmar Hopp. Warum taten sie das?


Und wie geht es weiter im


deutschen Fußball? Ein Lagebericht


AUS-


GESPIELT


Von Philipp Köster


SPORT


52 5.3.2020
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