Focus - 22.02.2020

(Sean Pound) #1
WIRTSCHAFT

54 FOCUS 9/2020

G


ut 20 Kilometer
südwestlich der
Pariser Stadt­
mitte, unweit des
Schlosses von
Versailles, liegt
das Technocentre
Renault. Ein mo ­
numentaler Bau aus Stahl, Be­
ton und Glas, der 1998 ein­
geweiht wurde und in dem 12 000
Menschen arbeiten, da runter
Renault­Vorstand Laurens van
den Acker, 54.
Offiziell benannt ist der Kom­
plex nach dem Renault­Logo
„Losange“ (Raute); 2006/2007
kam das Entwicklungszen­
trum nach drei kurz aufein­
anderfolgenden Selbstmorden
unter seinen Angestellten in
die Schlagzeilen. Aktuell plant
der Autohersteller einen lichten
Holzbau auf dem Gelände des
Zentrums.
In den Räumen des Design­
Teams, das im Technocentre
untergebracht ist, geht es im
Gegensatz zum ersten Ein­
druck von außen unprätentiös,
kleinteilig und heimelig zu. Die
Einrichtung ist farbenfroh. Das
Büro von van den Acker ist rund
20 Quadratmeter groß. Der Nie­
derländer hat bei Audi, Ford
und Mazda gearbeitet, spricht
fließend Französisch, Englisch
und Deutsch. Seit zehn Jahren ist er
für das Design des französischen Auto­
bauers verantwortlich.
Bevor van den Acker seinen Posten
antrat, hatte Renault mit extravaganten
Modellen wie dem kantigen Avantime
oder dem volumigen Vel Satis Fehl­
schläge hingelegt. Die Ideen des frühe­
ren Chefdesigners Patrick Le Quément
erregten Aufsehen und polarisierten.
Gut für den Messestand auf der Auto­
show, schlecht für die Verkaufszahlen.
Laurens van den Acker dagegen sieht
sich weniger als Vordenker denn als
Dienstleister innerhalb des Konzerns.
Er vereinheitlichte das Design der
Renault­Modelle und rückte ihr Mar­
kenzeichen, den Rhombus, prominent in
die Mitte der Front. Sein Serien­Debüt
als Chefdesigner gab er 2012 mit der
vierten Generation des Clio – im Ver­
gleich zum Vorgänger ein sinnliches,
optisch gefälliges Auto, das auf harte

Linien und Kanten verzichtete. Van den
Ackers Botschaft: Autos sollen den Alltag
ihrer Besitzer nicht dominieren, sondern
sich den Bedürfnissen der Menschen
unterordnen.

Herr van den Acker, ich wüsste zu-
nächst gern mehr über den Geschmack
und den Lifestyle des Mannes, der über
das Design von Millionen Autos ent-
scheidet. Welche Musikinterpreten
liegen Ihnen mehr – U2 oder Beyoncé?
U2.
Rennrad oder Mountainbike?
Mountainbike.
Herkömmliches Mountainbike oder Pedelec?
Mit Muskelkraft. Ich bin Holländer!
Bei uns fährt man selbst.
Stadtwohnung oder Haus auf dem Land?
Stadtwohnung.
Lassen Sie uns mit automobilen Design-
Ikonen weitermachen:
NSU Ro 80 oder Opel GT 1968?

NSU Ro 80. Ich habe bei Audi
gearbeitet. Claus Luthe hat das
Ding entworfen. Es war einfach
visionär.
Audi 100 Avant oder BMW Z1?
Audi 100 Avant. Wir reden
über den ersten Avant, richtig,
den Ferdinand Piëch entwickel­
te? Das Auto war damals ein
aerodynamisches Wunder.
Audi e-tron oder Toyota Mirai II?
Entschuldigen Sie, aber das
Design des Mirai ist so speziell,
dass sich diese Frage von allein
beantwortet. Also Audi e­tron.
Die nächste Frage – nämlich ob
Nike oder Adidas eher die
Marke Ihrer Wahl ist – brauche
ich eigent lich gar nicht zu
stellen, wenn ich einen Blick
auf Ihre Schuhe werfe.
Stimmt, ich habe mir diese
Sneakers von Adidas indivi­
duell herstellen lassen. Leider
haben sie „miadidas”, mit dem
der Kunde seine Schuhe perso­
nalisieren konnte, eingestellt.
Deswegen habe ich mich nach
einer anderen Marke umgese­
hen und setze für meine Schuhe
jetzt auf Le Coq Sportif, eine klei­
ne französische Firma, die auch
in der Formel 1 aktiv ist. Renault
arbeit mit dem Hersteller beim
Autodesign zusammen. Sie kön­
nen sich den neuen Twingo als
Le ­Coq ­Sportif­Modell bestellen.
Bei welchem der aktuellen Renault-Modelle
fiel Ihnen das Design am schwersten?
Beim Twingo, wegen der schwierigen
Vorgaben durch die Technik des Fahr­
zeugs. Ursprünglich war der Twingo
ja schon vor Jahren auch als Stromer
geplant. Deswegen sollte er einen dop­
pelten Boden für eine Batterie bekom­
men. Letztendlich haben wir ihn aber
zunächst als Verbrenner, also ohne Akku,
gebaut. Deswegen konnten wir die ur­
sprünglich angedachten Proportionen
im Design nicht umsetzen. Kleine Autos
sind ja immer schwierig. Sie sollen Cha­
rakter zeigen, gleichzeitig müssen wir
viel in ihnen unterbringen. Bei großen
Autos hat man im buchstäblichen Sinn
mehr Raum, um mit Formen zu spielen.
Auf welches Auto sind Sie am meisten stolz?
Auf den Clio 4, mein erstes Auto, nach­
dem ich zu Renault gekommen war. Wir
mussten ein völlig neues Kapitel eröff­
nen und haben ein emotionales, rotes,

Renaults Chefdesigner


Laurens van den Acker über bullige


Autos, moderne Ästhetik und die Frage,


was ein Fahrzeug sexy macht


Was kommt


nach dem SUV?


Gefällt ’s?
Die Modelle von Laurens
van den Acker, 54, meiden
die Provokation
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