Der Spiegel - 07.03.2020

(Ben Green) #1

Butin, 55, wird von Sammlern, Galeristen,
Auktionshäusern und Landeskriminal -
ämtern regelmäßig als Gutachter beauf-
tragt. In seinem Buch »Kunstfälschung«
schildert er Geschichte und Gegenwart des
Geschäfts mit gefälschter Kunst.


SPIEGEL: Herr Butin, Fälschungen sind
das große Tabuthema der Kunstwelt. Wer-
den Sie sich mit Ihrem eher indiskreten
Buch viele Feinde machen?
Butin: Gut möglich. Tatsächlich reagieren
viele Menschen vom Fach auf das Thema,
als würde man einem Vampir eine Knob-
lauchknolle vor die Nase halten. Etliche
Auktionshäuser und Museumsdirektoren
wollen am liebsten überhaupt nichts
davon hören – obwohl sie zwangsläufig
damit zu tun haben.
SPIEGEL: Warum haben sie das?
Butin: Jedes größere Museum hat Fäl-
schungen in seiner Sammlung, jedes Auk-
tionshaus bekommt welche angeboten,
manche sogar täglich. Sicherlich sind nie
so viele falsche Bilder produziert worden
wie heute. Das betrifft etliche Stilrichtun-
gen, im Bereich der russischen Avantgarde
ist es beispielsweise besonders schlimm.
SPIEGEL: Sie erwähnen in Ihrem Buch die
Malerin Natalja Gontscharowa, die Jahr-
zehnte nach ihrem Tod von den großen
Museen wiederentdeckt wurde. Von ihr
kommen nun posthum erstaunlich viele
bisher unbekannte Bilder auf den Markt.
Butin: Von ihr, aber auch von anderen
russischen Künstlern des frühen 20. Jahr-
hunderts, wie etwa Alexej von Jawlensky.
Gerne heißt es dann, es handle sich um
Werke, die lange verschollen waren.
SPIEGEL: Waren sie aber nicht?
Butin:Leider ist das Risiko, auf eine Fäl-
schung zu treffen, höher als die Chance,
es mit einem Original zu tun zu haben. Ein
Pariser Experte für russische Avantgarde-
kunst hat schon vor ein paar Jahren gesagt,
Fälscherbanden hätten eine regelrechte
Industrie aufgebaut, vergleichbar mit


Hubertus Butin: »Kunstfälschung«. Suhrkamp; 476 Sei -
ten; 28 Euro.
Das Gespräch führte die Redakteurin Ulrike Knöfel
in Berlin.


der für nachgemachte Louis-Vuitton-Hand-
taschen.
SPIEGEL:Wo sitzen diese Banden?
Butin:In Russland, Asien, Südamerika,
eigentlich überall. Und wenn die Fälschun-
gen einmal im Umlauf sind, wird es schwer,
sie dem Markt wieder zu entziehen. Vor
allem in Deutschland besteht dieses Pro-
blem der ewigen Wiederkehr.
SPIEGEL:Was meinen Sie damit?
Butin:Der Besitz einer Fälschung ist hier-
zulande nicht strafbar, wenn sie vom
Eigentümer im guten Glauben erworben
wurde. Entdeckte Fälschungen können in
Deutschland selten beschlagnahmt und in
die Asservatenkammer verbannt werden.
Wenn ein Sammler sie behalten will, darf
er das. Zu oft gelangen die enttarnten Stü-
cke irgendwann wieder in den Marktkreis-
lauf.
SPIEGEL: Wie das?
Butin: Manchmal spazieren die Eigen -
tümer direkt zum nächsten Auktionshaus
und versuchen ihr Glück dort. Oder die
nichts ahnenden Erben verkaufen es Jahre
später. In Frankreich werden solche Ob-
jekte eingezogen ...

SPIEGEL: ... so eine umstrittene »Venus«,
angeblich von Lucas Cranach.
Butin: Oft werden derartige Fälschungen
sogar vernichtet. In Deutschland hat da-
gegen das Recht auf Besitz Vorrang und
nicht der Schutz vor möglichen zukünfti-
gen Straftaten.
SPIEGEL:Vom großen Publikum werden
Kunstfälscher für die Mischung aus Unver-
frorenheit und malerischem Können durch-
aus bewundert. Ergeht Ihnen das ähnlich?
Butin: Überhaupt nicht.
SPIEGEL:Wenn es ein Betrüger schafft,
mit einem Porträt im Stile des Nieder -
länders Frans Hals erst die Fachleute im
Louvre und dann Sotheby’s zu täuschen,
spricht das nicht für sein enormes künstle-
risches Talent?
Butin:Im Falle der 2016 aufgedeckten
Frans-Hals-Fälschung muss ich wohl doch
sagen, da war ein Meister am Werk. Eine
solche Qualität war auch für mich eine
Überraschung, der Fälscher hat den Maler
nicht nur oberflächlich imitiert, er hat sich
in dessen Ausdrucksweise perfekt einge-
fühlt. Und doch ärgert es mich maßlos, wie
Fälschungen verharmlost werden, wie sehr
Fälscher hofiert werden. Das geschieht
auch mit dem rechtskräftig verurteilten
Straftäter Wolfgang Beltracchi. Ihn laden
Talkmaster in ihre Shows ein, und der
Kultursender 3sat hat ihm eine ganze
Reihe namens »Der Meisterfälscher« ge-
widmet. Kein seriöser Künstler würde im
Fernsehen je eine 15-teilige Serie bekom-
men, ein Fälscher schon. Für mich ist das
ein Skandal.
SPIEGEL:Beltracchi hat – zuerst noch in
Haft und als Freigänger – Prominente wie
Gloria von Thurn und Taxis oder Otto
Waalkes im Stil anderer Maler porträtiert.
Ist das nicht eine Form der Resozialisie-
rung und außerdem amüsant?
Butin: Das war eher banal, er und seine
Modelle hatten sich im Grunde nichts zu
sagen. Beltracchi ist auch kein großer
Künstler, er hatte als Maler keinen Erfolg,
erst als Fälscher machte er Karriere. Da
konnte er in Saus und Braus leben. Er war
nie der Robin Hood, als der er bis heute
gefeiert wird. Und er erzählt Geschichten,

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Kultur

»Ich sehe jede Woche eine


neue Fälschung«


SPIEGEL-GesprächMuseen und Auktionshäuser hängen voller
gefälschter Werke, sagt der Kunsthistoriker Hubertus Butin. Nachlässige Händler,
reiche Käufer und unfähige Experten befördern den Boom.

HERMANN BREDEHORST / DER SPIEGEL
Wissenschaftler Butin
»Mitverantwortung des Kunstbetriebs«
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