Der Spiegel - 07.03.2020

(Ben Green) #1
Phase eins: Allegro-Turnhalle, 19.45 Uhr

»Die Form ist auf Rekord-Low«, hat Leif
Randt noch gewarnt, bevor er an einem
windigen Februarabend in der Sporthalle
der Allegro-Grundschule in Berlin-Tier -
garten mit seinem Spielpartner zum Bad-
minton antritt. Er schlägt dann doch sehr
schnell, sehr präzise, am Ende steht es in
Sätzen 2:2.
Genau wie der Schriftsteller Leif Randt
spielt auch eine der Hauptfiguren in sei-
nem neuen Roman Badminton. »Es würde
auf seine Weise zum Buch passen, das Ge-
spräch in Post-Badminton-Mood zu füh-
ren«, hatte Randt per Mail geschrieben.
Anders als Federball sei Badminton »einer -
seits filigran und andererseits ultraaggres-
siv«, und dieser vermeintliche Gegensatz
fasziniere ihn.
Leif Randts neuer Roman heißt »Alle-
gro Pastell«, und wenn man es ganz kurz
macht, dann ist es einerseits ein Berlin-
Roman und andererseits ein Liebesroman.
Beide Genres für sich genommen sind
schon gefährlich nah an der Kitsch- bezie-
hungsweise Belanglosigkeitsgrenze. Oder?
Aber Leif Randt spielt nicht Federball, son-
dern Badminton.
Es geht in diesem Roman um: Jerome
Daimler, 35, Webdesigner. Er lebt in Main-
tal bei Frankfurt und gefällt sich sehr in
der Rolle desjenigen, der zwar jederzeit
nach Berlin ziehen könnte, es aber nicht
tut. Ein typischer Jerome-Daimler-Satz
lautet: »Psychedelics sind die Leerstelle in
meinem Konsumportfolio.«
Und es geht um: Tanja Arnheim, wird
bald 30, Schriftstellerin. Sie wohnt in Berlin
und ärgert sich darüber, dass sie wohl doch
eher eine klassische monogame Beziehung
bevorzugt, obwohl doch Poly amorie gerade
ganz angesagt ist. Ein typischer Tanja-Arn-
heim-Satz lautet: »Faktisch lebe ich Dinge
aus, die ich ideell ablehne. Ich glaube, das
ist normal. Man muss in der Lage bleiben,
derartige Widersprüche zu genießen.«
Der Roman beginnt im Frühling 2018
und endet im Sommer 2019. Erzählt wird
eine Liebesgeschichte in drei Phasen. Pha-
se eins: frisch verliebt, Phase zwei: Zweifel,
Phase drei: Trennung. Die Figuren dieser
Geschichte könnten saturierter nicht sein.
Jerome hat sich gut eingelebt in Maintal,


Leif Randt: »Allegro Pastell«. Kiepenheuer & Witsch;
288 Seiten; 22 Euro.

lebt im anthrazitfarbenen Bungalow seiner
Eltern und baut ab und zu Websites für gut
zahlende Kunden. Wenn er Lust auf etwas
Besonderes hat, leiht er sich bei »Jenny
Köhler’s Electric Rental« einen Tesla, wo
er schon nach dem dritten Mal den Treue-
rabatt bekommt. Tanja hat einen sehr er-
folgreichen ersten Roman mit dem Titel
»PanoptikumNeu« geschrieben und arbei-
tet jetzt am zweiten. Im Rekordsommer
2018 versucht sie, nicht unter dem zu lei-
den, was man vielleicht »summer anxiety«
nennen könnte, also dem Druck, »mög-
lichst publikumswirksam eine gute Zeit zu
haben«. Tanja bleibt lieber zu Hause.
Tanja und Jerome haben vor allem eine
große Gemeinsamkeit: Sie betrachten sich
ständig selbst von außen. Alles, was sie tun,
tun sie bewusst und denken währenddes-
sen darüber nach, wie das, was sie tun, von

außen wahrgenommen werden könnte.
Die Dialoge zwischen Jerome und Tanja
sind kursiv geschrieben, als würden sie sich
schon im Moment des Sprechens wieder
vom Gesagten und sich selbst distanzieren.

Phase zwei: Kaplan-Döner, 21.30 Uhr

In einer Schlüsselszene im Roman geht
Tanja nach dem Badmintontraining einen
Döner essen. Bei Kaplan-Döner in Berlin-
Schöneberg bekommt sie einen Anruf von
Jerome, mit dem sie mittlerweile nicht
mehr zusammen ist. Jerome erzählt ihr,
dass er Vater wird, seine neue Freundin
ist schwanger. Der Endpunkt von Jeromes
und Tanjas Beziehung.
Auch Leif Randt bestellt einen Döner-
teller, Fleisch: gemischt. Soße: Kräuter und
scharf. Getränk: Cola Light. Er trägt eine

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Liebe in den Zeiten von Instagram


Literatur In seinem neuen Roman »Allegro Pastell« erzählt Leif Randt von jungen Menschen,
die ihr Leben kuratieren, als wär’s ein Social-Media-Kanal. Ein Treffen in drei Phasen.

GORDON WELTERS / DER SPIEGEL

DER SPIEGEL Nr. 11 / 7. 3. 2020
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