Der Spiegel - 07.03.2020

(Ben Green) #1

sengangs vor, in schwer zu durchschau-
ende Geschäfte mit »Drogen, Spiona-
ge, Cyberkrieg, Desinformation und
dem guten alten Gewaltverbrechen«,
wie es einmal heißt. Und er erfährt
nebenbei Verblüffendes über das Vor-
leben seiner Geliebten. Die einiger -
maßen wilde und zeitweise rätselhaft
abgetauchte Freundin des Ermittlers
Berger hat bereits im Vorgängerbuch
mitgemischt und trägt den Namen
Molly Blom: ein ziemlich dreister Ver-
weis auf die Heldin von James Joyces
Klassiker »Ulysses«, deren Name Mol-
ly Bloom lautet.
Der Autor Dahl ist ein gewitzter
Lite raturkenner. Das belegen nicht bloß
die Regale in seinem Wohnzimmer und
der Anspielungsreichtum seiner Bücher,
sondern auch seine inzwischen be -
endete Arbeit als Kulturjournalist. Dahl
hat viele Jahre lang für eine Zeitschrift
geschrieben, die vom Stockholmer Lite -
raturnobelpreiskomitee herausgegeben
wird. Vor zwei Jahren lieferten sich die
Nobelpreisjuroren einen bizarren Streit,
der sich unter anderem um Geheim -
nisverrat und Belästigungsvorwürfe
drehte; die fürs Jahr 2018 vorgesehene
Verleihung wurde aufs folgende Jahr
verschoben. Arne Dahl mag darüber
nicht im Detail reden. »Natürlich kenne
ich alle Beteiligten«, sagt er. »Es war
eine Katastrophe.«
Der Verlust alter Gewissheiten, eine
jäh eingetretene Verunsicherung seines
Gemüts verstört den Helden von Arne
Dahls neuem Buch. »Sam Berger hatte
es sich in einer Welt bequem gemacht,
in der er alles im Griff zu haben schien«,
heißt es da. Und: »Alles, was fest gewe-
sen war, verflüchtigte sich.« Spürt der
Schriftsteller Dahl eine ähnliche Irrita-
tion? Immerhin sagt er von sich, er wolle
mit seinen Berger-Büchern »eine andere
Art von Schreiben, eine andere Schreib-
energie« ausprobieren. Das hat mit der
Veränderung der eigenen Weltsicht zu
tun. Wenn man auf den Zustand der
europäischen Gesellschaften blicke,
müsse man zwangsläufig irritiert und
beunruhigt sein, findet er. »Es gibt in
vielen Ländern eine Vermischung von
Kriminalität, Mafia und staatlichen
Strukturen. Es gibt eine Bedrohung
durch rechtsextreme und religiöse Fana -
tiker. Und ich hätte noch vor ein paar
Jahren nicht mal im Albtraum gedacht,


dass es Politikern wie Viktor Orbán
oder Donald Trump gelingt, die Gren-
zen des moralisch Erlaubten so weit zu
verschieben, dass man um die Demo-
kratie fürchten muss.«
In den vergangenen Jahren habe er
manchmal darüber nachgedacht, ob er
sich statt an Krimis nicht mal wieder
energisch (und unter dem Namen Jan
Arnald) an einen literarischen Roman
machen sollte, wie er sie früher schon
geschrieben hat, »vielleicht an einen
großen historischen Stoff«. Doch nicht

zuletzt mit Blick auf die politische Welt-
lage hat er sich dann doch fürs Weiter-
machen entschieden. Kriminalromane,
so lautet eine Grundregel des Genres,
feiern den Sieg des Rationalen über das
Irrationale, sie betreiben das Geschäft
der Vernunft und der Aufklärung.
»An dieser Regel hat sich für mich
nichts geändert«, sagt Arne Dahl. »Ich
finde, es war nie so wichtig wie heute,
die Vernunft zu verteidigen.«

Wolfgang Höbel

14 Bestseller im Auftrag des SPIEGEL ermittelt vom Fachmagazin »buchreport«; Daten: media control


Bücher

Bestseller Paperback
Belletristik

Bestseller Paperback
Sachbuch

Bestseller Taschenbuch
Belletristik

Bestseller Taschenbuch
Sachbuch

1 Stefanie Stahl: Das Kind in
dir muss Heimat finden
Kailash; 14,99 Euro
Reicht ein schlichtes Buch
nicht, kauf ein zweites
(ebenfalls eine alte Lebensweisheit).
2 Sabine Bode: Älterwerden
ist voll sexy, man stöhnt mehr
Goldmann; 13 Euro

3 Giulia Enders: Darm mit Charme
Ullstein; 16,99 Euro

4 Albrecht Müller: Glaube wenig,
hinterfrage alles, denke selbst
Westend; 14 Euro

5 Klaus Bernhardt: Panikattacken und
andere Angststörungen loswerden
Ariston; 16,99 Euro

1 John Strelecky: Das Café
am Rande der Welt
dtv; 8,95 Euro
Das Geheimnis einer Lebens-
weisheit ist, dass sie schlicht
ist (alte Lebensweisheit).
2 Peter Wohlleben:
Das geheime Leben der Bäume
Heyne; 12 Euro

3 Yuval Noah Harari: Eine kurze
Geschichte der Menschheit
Pantheon; 14,99 Euro

4 John Strelecky: Auszeit im Café am
Rande der Welt
dtv; 9,90 Euro

5 Rutger Bregman: Utopien für
Realisten
Rowohlt; 10 Euro

1 Caroline Bernard:
Frida Kahlo und
die Farben des Lebens
Aufbau; 12,99 Euro
Selbstbestimmung ist der
neue Kitsch: Die Reihe heißt »Mutige
Frauen zwischen Kunst und Liebe«.
2 Jens Henrik Jensen: Oxen. Lupus
dtv; 16,90 Euro

3 Andrzej Sapkowski:
Der letzte Wunsch
dtv; 16 Euro

4 Lucy Foley: Neuschnee
Penguin; 15 Euro

5 Michael Tsokos: Abgefackelt
Knaur; 14,99 Euro

1 Sebastian Fitzek:
Der Insasse
Knaur; 11,99 Euro
Brutaler als das Buch selbst
sei, was bei der Lektüre im Kopf
geschehe, so der Autor im
SPIEGEL-BESTSELLER-Interview.
2 Klaus-Peter Wolf: Ostfriesenhölle
Fischer; 12 Euro

3 Michael Hjorth / Hans Rosenfeldt:
Die Opfer, die man bringt
Rowohlt; 12 Euro

4 Karsten Dusse: Achtsam morden
Heyne; 9,99 Euro

5 Juli Zeh: Neujahr
btb; 11 Euro
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