Der Spiegel - 07.03.2020

(Ben Green) #1

Fotos: Robbie Lawrence, Caterina di Perri / ECM Records 37


KLASSIK I
Dirigent mit Trompete
Wiener Philharmoniker: Neujahrskonzert
mit Andris Nelsons.
Sony Classical.

Walzer, Polkas, Ländler und öster-
reichische Marschmusik können die
Wiener Philharmoniker quasi im
Schlaf spielen. Aber für das Neujahrs-
konzert, alljährlich perfekt vorberei-
tet, weltweit ausgestrahlt und dann in
Rekordzeit auf CD erhältlich, laden
sie trotzdem einen großen Dirigenten
ein. Er darf als Stargast ein paar
Programmvorschläge machen; am
Konzertabend selbst beschränkt sich
seine Rolle weitgehend auf elegantes
Taktgeben. Andris Nelsons freilich
wollte doch auch einen eigenen Ak-
zent setzen: Zur Freude des Publi-
kums lieferte der sonst recht
bescheidene Lette im »Postillon-Ga-
lopp« des Dänen Hans Christian
Lumbye (1810 bis 1874) vom Pult aus
ein paar kecke Trompeteneinlagen.
Gleich neun Stücke waren neu im tra-
ditionellen Reigen; neben ein paar
Kontretänzen von Ludwig van Beet-
hoven als Hommage zu dessen 250.
Geburtstag und etlichen Werken der
Walzerdynastie Strauß war auch eine
Gavotte von Josef Hellmesberger zu
genießen. Den Schluss des Konzerts
bildete das traditionelle »Prosit Neu-
jahr« von Dirigent und Orchester, wie
üblich gefolgt von zwei Strauß-Ever-
greens: dem Donauwalzer und dem
Radetzkymarsch – bei dem das be-
geisterte Publikum dann ausgelassen
mitklatschte. Johannes Saltzwedel

JAZZ I I
Aus dem Fotoalbum
Jeff Parker: Suite for Max Brown.
International Anthem.
Manchmal müssen Künstler in ihre
eigene Musik erst hineinwachsen. Als
der Gitarrist Jeff Parker Mitte der
Neunziger mit seiner Band Tortoise
den sogenannten Postrock begründe-
te, wurde er dafür zwar von vielen
Kritikern bejubelt – im Nachhinein
muss man jedoch sagen, dass die da-
zugehörige Musik natürlich gut ge-
macht war, dabei zugleich so spaßbe-
freit, wie junge Leute nur sein kön-
nen, die reifer klingen wollen, als sie
sind. Mittlerweile ist Parker aber
53 Jahre geworden, und als mittelalter
Mann klingt er glaubwürdig und
vom Leben geprägt. Dabei hat seine
Musik noch die gleichen Grundlagen
wie damals. »Suite For Max Brown«
heißt sein neues Album, und so wie
Tor toise damals versuchten, als Band
mit der neuen Ästhetik des Samplings
umzugehen, so spielt Parker nun
wieder mit anderen Musikern zusam-
men – und mit verschiedenen
Maschinen. Die titelgebende »Max

Brown« ist Parkers Mutter (sie ist
auch auf dem Cover zu sehen), und
die Stücke sind oft melancholische,
mit leichter Hand hingeklöppelte
Klangminiaturen, die weniger
Geschichten erzählen, als dass sie
Stimmungsbilder erzeugen. Hip-Hop-
Rhythmen verbinden sich mit Jazz-
Klavierlinien, dazwischen taucht im-
mer mal wieder Parkers Gitarre auf.
Es sind Stücke wie leicht verblichene
Aufnahmen aus einem Fotoalbum:
damit so etwas interessant wird, muss
man eben ein paar Jahre gelebt
haben. Tobias Rapp

Weitere Alben


JAZZ I


Später Jubel


Carla Bley:Life Goes On.
ECM.


Im Heftchen zum Album findet sich
ein Foto, Carla Bley und ihr Mann
Steve Swallow, von hinten, Hand in
Hand, in Schwarz-Weiß. Es ist der
kleine Text daneben, der das Bild so
rührend wirken lässt. Carla sei von ei-
nem Kübel Scheiße getroffen worden,
steht da auf Englisch, doch die Band
spielte weiter. Es ist eine Metapher:
Bley war schwer krank. Sie fragte
sich: Ist das jetzt das Ende? Doch die
Band spielte weiter. Die Band, das
sind Carla Bley, die Pianistin, Steve
Swallow, der Bassist, Andy Sheppard,
ihr Triopartner am Saxofon. Ihr neues
Album heißt »Life Goes On«. Formal
erklingt Blues, doch dieser Blues ist
heiter gelassene Kammermusik,
getragen von der Melodie und der
Meisterschaft an den Instrumenten.
Die Kalifornierin Carla Bley ist 83
Jahre alt, sie macht seit Jahrzehnten
Musik – und jetzt dieses wundervolle
Alterswerk: ein Jubilieren über das
Leben.Sebastian Hammelehle


Pianistin Bley
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