Der Spiegel - 07.03.2020

(Ben Green) #1
22

Bafög

»Zahl der Berechtigten


sinkt seit Jahren«


Der Generalsekretär des
Deutschen Studenten-
werks, Achim Meyer auf
der Heyde, 67, über nicht
abgerufene Gelder
zur Studienfinanzierung

SPIEGEL: 1,56 Milliarden Euro wollte die
Bundesregierung 2019 mit dem Bafög an
Studierende ausschütten, geflossen sind
aber nur 989 Millionen Euro. Überrascht
Sie, dass so viel Geld übrig geblieben ist?
Meyer auf der Heyde: Das war leider zu
erwarten. Wir weisen schon lange darauf
hin, dass die Elternfreibeträge beim
Bafög höher ausfallen müssen. Weil die
Grenzwerte zu niedrig sind, sind immer
noch viele bedürftige Studentinnen und
Studenten vom Bafög ausgeschlossen.
Die Zahl der Berechtigten sinkt deshalb
schon seit Jahren.
SPIEGEL: Zum Wintersemester 2019 wur-
de das Bafög deutlich erhöht. Die Regie-
rung gab das Ziel aus, die Zahl der geför-
derten Studierenden um 100 000 zu erhö-
hen. Ist die Reform schon gescheitert?
Meyer auf der Heyde: Sagen wir so: Der
Rückgang bei den Bafög-Empfängern
wurde immerhin abgeschwächt. Aber die
neuen Zahlen zeigen, dass wir dringend
an den Stellschrauben der staatlichen Stu-
dienfinanzierung drehen müssen.
SPIEGEL: Was heißt das konkret?
Meyer auf der Heyde: Nach der Erhö-
hung von 2019 wird der monatliche
Grundbedarf für Studenten jetzt mit

427 Euro veranschlagt. Das ist noch deut-
lich zu wenig, zwischen 500 und 550 Euro
müssten es schon sein. Auch die Wohn-
pauschale wurde um 75 Euro auf 325 Euro
erhöht. Grundsätzlich ein richtiger
Schritt – aber eben doch zu wenig, wenn
Sie sich den Wohnungsmarkt in den
Hochschulstädten anschauen.
SPIEGEL: Können Sie Ihre Forderungen
mit Zahlen untermauern?
Meyer auf der Heyde: Wir haben mehre-
re Studien zum studentischen Finanzbe-
darf durchführen lassen. Die Ergebnisse
sind eindeutig: Die Bafög-Sätze sind
immer noch zu niedrig. Das zeigen auch
Vergleichszahlen: Die Wohnpauschale
des Bafög liegt noch 50 Euro unter dem
Satz in der »Düsseldorfer Tabelle«,
die familiäre Unterhaltszahlungen regelt.
Dort werden für studierende Kinder
375 Euro im Monat für die Wohnung
angesetzt. Die Familienrechtler sind offen-
kundig weiter als die Bundesregierung!
SPIEGEL:Könnte Desinteresse der Stu-
dierenden am Bafög auch ein Grund
dafür sein, dass die Fördergelder nicht
abgerufen werden?
Meyer auf der Heyde: Nein! Es fehlt
nicht an der Motivation, sondern an den
grundsätzlichen Voraussetzungen im Sys-
tem. Das betrifft einerseits die elterlichen
Einkommensgrenzen für die Förderung,
andererseits aber auch die Organisation
des Studiums. Oft ist es nämlich so: Wer
bei einer Prüfung durchfällt, kann sie
erst ein Jahr später wiederholen. Der Zeit-
plan des Studiums gerät durcheinander,
die Studierenden brauchen länger – und
dadurch fallen sie aus der Bafög-Berech -
tigung heraus. Auch die maximale Förder-
dauer ist zu kurz angesetzt. HIM

Botschaft
Polen baut neu in Berlin
 Eine Baulücke in Berlins Prachtmeile
Unter den Linden, das Gelände der
früheren Botschaft der Republik Polen,
soll wieder geschlossen werden. Vor
zwei Jahren wurde die zu DDR-Zeiten
errichtete diplomatische Vertretung –
schräg gegenüber der russischen Bot-
schaft – komplett abgetragen. Nach
langen Verzögerungen soll nun noch in
diesem Jahr der Bau eines neuen Bot-
schaftsgebäudes beginnen, wie ein
Sprecher der polnischen Botschaft auf
Anfrage mitteilt. Mitte 2022 soll der
Neubau fertig sein. »Wir befinden uns
in der Phase der Ausschreibung für
den Generalunternehmer«, so der
Sprecher. Mit der zuständigen Senats-
verwaltung für Bauen sei alles geklärt.
Zurzeit arbeiten Polens Vertreter vom
Westbezirk Grunewald aus. Mit dem
Neubau in der historischen City wollte
man ursprünglich 2015 beginnen;
40 Millionen Euro waren damals ver-
anschlagt. Doch die abgegebenen
Angebote sprengten offenbar das Bud-
get. Zu den aktuellen Baukosten will
sich die Botschaft nicht äußern. Im pol-
nischen Staatshaushalt seien aber
»ausreichende Mittel« dafür eingestellt,
hieß es. SEV

Bundespolizei
Grenzschützer gesucht
 Einem erneuten Ansturm von Mi -
granten auf die deutsch-österreichische
Grenze wäre die Bundespolizei kaum
gewachsen. Es fehle an Personal, sagt
Jörg Radek, stellvertretender Bundes-
vorsitzender der Gewerkschaft der Poli-
zei (GdP): »Der Auffüllungsgrad bei
der Bundesbereitschaftspolizei beträgt
derzeit knapp 70 Prozent, in einigen
Einheiten liegt er sogar darunter.« Die
Bereitschaftspolizei des Bundes unter-
stützt die Länder bei Fußballspielen,
Demonstrationen und sonstigen Groß-
veranstaltungen, gleichzeitig patrouil-
liert sie an Bahnhöfen und Flughäfen.
Hinzu kommen verstärkte Kontrollen
an den Grenzen zu Österreich, wo seit
2015 ständig vier Hundertschaften
bereitstehen, sowie Einsätze an den
Grenzen zu Frankreich und zur Schweiz.
Laut Personalplan soll die Bundes -
bereitschaftspolizei eine Stärke von
5800 Frauen und Männern haben. Der-
zeit fehlen laut GdP aber 16 Hundert-
schaften. Radek: »Die Bundespolizei
kann fast alles, aber sie kann nicht alles
gleichzeitig.« AUL

Chappattes Welt

KAY HERSCHELMANN
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