Der Spiegel - 07.03.2020

(Ben Green) #1

U


m kurz nach zwei Uhr am Diens-
tagnachmittag klopft es an der
Tür zu Jens Spahns Ministerbüro.
Eine Mitarbeiterin steckt den
Kopf herein. »Telefon«, flüstert sie. Spahn
rührt sich nicht, er sitzt an seinem Be -
sprechungstisch und steckt mitten in einem
Gespräch.
»Die Bundeskanzlerin«, sagt die Mitar-
beiterin, jetzt etwas lauter.
»Aha«, sagt Spahn, streicht sein blaues
Hemd glatt und steht auf. Die Geste ist
nicht misszuverstehen. Der Besuch muss
das Büro verlassen. Es telefoniert sich
nicht gut, wenn eine SPIEGEL-Redakteu-
rin im Raum sitzt. Schon gar nicht, wenn
Angela Merkel in der Leitung wartet.
Das Telefonat wird fast zehn Minuten
dauern, für eine Bundeskanzlerin ist das


ziemlich viel Zeit. Es kommt derzeit fast
täglich vor, dass Merkel sich bei ihrem Ge-
sundheitsminister meldet, um den aktuel-
len Stand in Sachen Corona zu erfragen.
Spahn ist der oberste Krisenmanager der
Bundesregierung. Und die Lage wirkt alles
andere als beruhigend.
An diesem Dienstag laufen Corona -
meldungen in Serie über den Ticker: Das
Robert Koch Institut meldet 188 bestätigte
Fälle in Deutschland. Die Zahl ist mit
dem Hinweis »10 Uhr« versehen, weil sie
beharrlich steigt. In Leipzig sagen die Ver-
anstalter die Buchmesse mit 280 000 er-
warteten Besuchern ab. In Thüringen
steht ein Abgeordneter der CDU-Fraktion
vorübergehend unter Quarantäne. In
Berlin empört sich die Kassenärztliche
Bundesvereinigung über fehlende Schutz-
masken für Praxen. Im Regierungsviertel
fordert der Bundestagspräsident alle
Abgeordneten auf, Dienstreisen »auf
das zwingend notwendige Maß zu be-
schränken«.
Und Spahn? Hat das Jackett ausgezogen
und sieht nicht aus wie ein Mann, der un-
ter der Last der Verantwortung nicht mehr
schlafen könnte. Die Planungen laufen,
das gilt auch für diesen Nachmittag. Weni-
ge Stunden später wird der Krisenstab der
Bundesregierung beschließen, Schutzaus-
rüstung für Mediziner und Pfleger im gro-
ßen Stil bereitzustellen und den Verkauf
ins Ausland zu verbieten. Es ist ein Signal,
auf das die Ärzte seit Tagen warten. Auf
Spahn war man in den Praxen nicht be-
sonders gut zu sprechen.
Kaum jemand steht in der Hauptstadt
derzeit so unter Beobachtung wie der Bun-
desgesundheitsminister. Seitdem sich das
Coronavirus über den Globus ausbreitet,
erklärt Spahn fast täglich die aktuelle Lage.
Der Minister ist zum Gesicht der Krise ge-
worden, schon deshalb, weil sein Ressort
die »Gesundheit« im Namen trägt.
Allerdings ist mit dem neuen Virus auch
der Zweifel in das Land gezogen. Ist das

Gesundheitssystem vorbereitet? Tut die
Bundesregierung genug? Das Thema »Si-
cherheit« ist meistens mit dem Innenminis -
ter verknüpft, manchmal mit dem Außen-
und dem Verteidigungsminister. Derzeit
aber ist Spahn der oberste Sicherheits -
minister. Eine komplizierte Rolle, ein po-
litisches Dasein auf dem Pulverfass.
Wie es mit dem Covid-19-Ausbruch wei-
tergeht, ob Kliniken und Praxen gewapp-
net sind oder nicht, kann über Spahns
Schicksal entscheiden. Seine Umfragewer-
te steigen. Ist er als Krisenmanager erfolg-
reich, kann er sich endgültig für Größeres
empfehlen – für das Kanzleramt sogar, ir-
gendwann. Scheitert er, kann seine politi-
sche Karriere schnell beendet sein.
Für beides gibt es Vorbilder in der deut-
schen Geschichte. Helmut Schmidt, da-

Deutschland

Das Gesicht


der Krise


Karrieren Die Corona-Epidemie rückt Bundesgesundheits-
minister Jens Spahn ins Rampenlicht. Doch die Rolle
als oberster Virenbekämpfer der Regierung ist tückisch:
Der CDU-Politiker kann sich damit auf
Dauer unverzichtbar machen – oder aber scheitern.

sehr
groß

groß weniger
groß

klein

6

17

37 39 %

Überwiegend gelassen
»Wie groß ist Ihre Sorge, dass Sie selbst oder Mit-
glieder Ihrer Familie sich mit dem neuen Corona-
virus anstecken?«


Hohes Vertrauen
Deutsche Behörden und Gesundheitseinrichtungen ...


Zufriedenheit mit der Arbeit von Jens Spahn
Angabe »zufrieden« oder »sehr zufrieden«


... haben die Situation unter Kontrolle


... haben die Situation nicht unter Kontrolle


an 100 fehlende Prozent: »weiß nicht«, keine Angabe
Quelle: Infratest dimap für ARD-Deutschlandtrend;
1002 Befragte am 2. und 3. März


66 %

51 %

28

+7 Prozentpunkte seit Anfang Februar:

26

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