Der Spiegel - 07.03.2020

(Ben Green) #1

nicht ausbreitet. Aber sie schüren das Ge-
fühl eines Ausnahmezustands.
Auch Spahn begrüßt Besucher nicht
mehr mit einem Händedruck, sondern per
»Ebola-Check«, wie die Gesundheitspoli-
tiker das in Berlin nennen: Arm anwinkeln,
mit dem Ellbogen anstoßen.
Beim Gespräch am Dienstag läuft im
Fernseher hinter dem Besprechungstisch
ein Nachrichtensender in Dauerschleife.
Als CSU-Chef Markus Söder im Bild er-
scheint, blickt Spahn kurz auf. Als es um
Corona geht, schaut er länger hin.
Spahn spricht jetzt von »den beiden C«.
C wie CDU. Und C wie Coronavirus.
»Wenn ich mich mit derzeit knappen Zeit-
ressourcen zwischen den beiden C ent-
scheiden muss, dann kümmere ich mich
zuerst um das Coronavirus«, sagt er.
Dazu passt, dass er eigene Ambitionen
auf den Parteivorsitz eben erst aufgegeben
hat und sich damit begnügt, Vize von Ar-
min Laschet werden zu wollen. Er hat Zeit,
er ist erst 39. Wie er es findet, als oberster
Krisenmanager in Sachen Corona zu gel-
ten? Liegt darin auch eine Gefahr für ihn?
Die spontane Antwort fällt westfälisch
kurz aus. Die druckfähige, längere lautet:
Er wolle seine Sache gut machen. Seine
Rolle in der Partei sei dabei erst mal zweit-
rangig. »Die Sicherheit der Bürgerinnen
und Bürger geht jetzt vor.«
Vor diesem Gespräch hatte er Besuch
von einem Mann in Soldatenuniform, auf
den Schulterklappen ein goldener Stern
mit Eichenlaub. Seit Montag arbeitet Ge-
neralarzt Hans-Ulrich Holtherm als obers-
ter Infektionsschützer im Ministerium. Er
leitet die neue Abteilung »Gesundheits-
schutz, Gesundheitssicherheit, Nachhaltig-
keit«. Diese Neuerung hat Spahn schon
im November angestoßen, weil der Um-
gang mit Pandemien internationale Ab-
sprachen erfordert.


In der Hauptstadt wird nun gefrotzelt,
Spahn wolle sich mit der neuen Abtei -
lung in der klassischen Sicherheitspolitik
breitmachen. Dass der Umbau des Res-
sorts mit der Coronakrise zusammenfällt,
ist für Spahn ein Glücksfall. Aber ist ein
glück licher Zufall auch eine gute Stra -
tegie?
Es ist nicht so, als hätte Spahn die Pan-
demie nicht kommen sehen. Nachdem das
Virus Deutschland erreicht hatte, flog er
zu seinen Amtskollegen nach London und
Paris. Er beriet sich mit seinem US-Kolle-
gen und berief mit ihm eine Telefonschalte
der G 7 ein. Auch die EU-Gesundheits -
minister setzten ein Treffen an.

Zu Hause allerdings konzentrierte er
sich zunächst darauf, vor Panik zu warnen.
Noch Ende Januar, als der erste Fall in
Deutschland bekannt wurde, argumentier-
te Spahn, die Grippe bekomme weniger
»mediale Aufmerksamkeit« als Corona,
fordere aber viele Todesopfer. Damals sag-
te er auch, das Gesundheitssystem sei gut
vorbereitet. Die Lage könne sich ändern,
aber nach allem, was bekannt sei, empfeh-
le er »aufmerksame Gelassenheit«.
Es ist eine ikonische Aussage, die in ei-
nem Politikerleben lange nachhallen kann.
Angela Merkel hat das erlebt. Ihr Satz:
»Wir schaffen das«, im Sommer 2015 in
der Flüchtlingsdebatte fallen gelassen, hat
sie über Jahre verfolgt.
Heute hätte Spahn das etwas anders for-
muliert. »Im Nachhinein würde ich das

Wort Gelassenheit vielleicht häufiger
durch Besonnenheit ersetzen«, sagt er.
Aber gemeint sei das Gleiche. »Unüber-
legtes Handeln bringt nichts.«
Von Anfang an stand die deutsche Re-
aktion in krassem Gegensatz zu anderen
Ländern. China stellte Millionenstädte
unter Quarantäne. Italien stoppte Direkt-
flüge nach China. Frankreich verbot Groß-
veranstaltungen. Deutschland empfahl das
Händewaschen – und konzentrierte sich
zunächst darauf, Infizierte und potenzielle
Kontaktpersonen zu isolieren.
In Berlin erklärte Spahn beinahe täglich,
was die Bundesregierung alles nicht tun wer-
de, weil es unverhältnismäßig und ohnehin
sinnlos sei. Schlösse man die Grenzen, wür-
de das auch Arbeitspendler aus Medizin -
berufen aussperren – mit unvorhersehbaren
Folgen für Kliniken und Praxen. Dass ein
Landeverbot für Flugzeuge aus China nichts
bringe, zeige das Beispiel Italien, das seine
Flughäfen für Flüge aus China sperrte und
doch wie kein anderes europäisches Land
mit dem Virus zu kämpfen hat. Flächen -
deckende Schulschließungen lehnt Spahn
ebenfalls ab, obwohl erste Epidemiologen
auch in Deutschland dazu raten.
Allerdings steht der bedächtige, der
überlegte Spahn der Coronakrise im merk-
würdigen Widerspruch zum Spahn der
Vorjahre. Zum Minister, der vor Dirigis-
mus nicht zurückschreckte und auf Stim-
mungen reagierte. Der in rasanter Ge-
schwindigkeit eine Impfpflicht gegen Ma-
sern durchsetzte, die seit März in Kraft ist.
Spahn erklärt das so: Die Masern seien
gefährlicher für den Menschen. Aber Co-
rona sei gefährlicher für das Zusammen -
leben. »Eine Gesellschaft, die unter Stress
steht, lässt sich emotional leicht entflam-
men«, sagt er. Das beginne bei Hamster-
käufen und ende beim Umgang mit asia-
tischstämmigen Mitbürgern. Die AfD ver-
sucht längst, mit der Angst vor dem Virus
Stimmung gegen Zuwanderer und Ge-
flüchtete zu machen.
Am Montag, einen Tag vor dem Ge-
spräch in seinem Büro, sitzt Spahn zwi-
schen sechs Experten auf dem Podium der
Bundespressekonferenz. Es redet Christian
Drosten von der Berliner Charité, ein welt-
bekannter Virologe, der den ersten Corona -
test mitentwickelt hat. Drosten erklärt, es
sei »fast unmöglich zu sagen, wie gefähr-
lich das Virus ist«. Er wolle da nicht vor-
greifen. Es folgt eine etwas umständliche
Wissenschaftlerantwort.
Spahn an seiner Seite wird unruhig. Er
will an diesem Tag mit Fakten gegen Panik -
mache kämpfen und hätte es gern etwas
griffiger. Von der Seite raunt er Drosten
etwas zu. »Gut, wenn der Minister möchte,
dass ich noch was sage«, reagiert Drosten
leicht amüsiert und erklärt dann die Sache
mit der Fallsterblichkeit. Nur etwa 0,3 bis
0,7 Prozent der Infektionen verliefen töd-

28 DER SPIEGEL Nr. 11 / 7. 3. 2020

LEIF-HENDRIK PIECHOWSKI / IMAGO IMAGES
Rotkreuzhelferin bei Krisenvorbereitung in Stuttgart:Krasser Gegensatz zu anderen Nationen

»Eine Gesellschaft, die
unter Stress steht,
lässt sich emotional
leicht entflammen.«
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