Quelle: Bayerisches Landesamt für Statistik
Landräte in den Landkreisen
7%
Stark unterrepräsentiert Frauen in der bayerischen Kommunalpolitik
66 Männer
Frauenanteil: Frauenanteil:
5 Frauen
Oberbürgermeister in kreisfreien
Städten
12 %
22 Männer
3 Frauen
183
Frauen
Erste Bürgermeister und Ober-
bürgermeister in kreisangehö-
rigen Gemeinden
9%
1846
Männer
Stand: 1. Juli 2019 Stand: 1. Juli 2019 Stand: 1. Februar 2020
Frauenanteil:
V
erstopfte Straßen, überlastete Kin-
derkliniken, Mondpreise für Wohn-
raum. Der Münchner Kommunal-
wahlkampf bietet viele existenzielle The-
men. Doch den Kandidatinnen wird in
Wahlkampfveranstaltungen oft eine ganz
andere Frage gestellt, fast immer von ei-
nem Mann: »Können Sie das Oktoberfest-
fass mit einem Bierschlegel anzapfen, und
wenn ja: Wie viele Schläge brauchen Sie?«
Seit Jahrzehnten regieren SPD-Männer
die Landeshauptstadt, Dieter Reiter trat
2014 die Nachfolge von Christian Ude an.
Am 15. März sieht er sich zwei Herausfor-
derinnen gegenüber. Die Juristin Kristina
Frank ist Kommunalreferentin der Stadt
München. Sie tritt für die CSU an und
hat laut eigenem Bekunden bei manchem
Bierfass nur einen Schlag gebraucht. Die
Diplom-Betriebswirtin Katrin Habenscha-
den, Bewerberin der Grünen, versichert
auf Podiumsdiskussionen gern, auch um
ihre Anzapfkünste müsse sich niemand
Sorgen machen.
Die Kandidatinnen stehen für eine mög-
liche Zeitenwende. Bislang regieren Frau-
en nur in neun Prozent der bayerischen
Städte und in sieben Prozent der Land-
kreise. Nun haben Kandidatinnen in den
vier größten Städten sowie in vielen wei-
teren Kommunen gute Aussichten.
In Augsburg werden Eva Weber (CSU)
und Martina Wild (Grüne) sehr gute
Chancen eingeräumt, in Regensburg könn-
te sich die Wahl zwischen Gertrud Maltz-
Schwarzfischer (SPD) und Astrid Freuden-
stein (CSU) entscheiden. In Nürnberg ist
die grüne Landtagsabgeordnete Verena
Osgyan auf Augenhöhe mit männlichen
Bewerbern.
»Weibliche Kommunalwahlkandidatin-
nen sind wichtig, um Rollenklischees auf-
zubrechen«, sagt Helga Lukoschat, Vor-
standsvorsitzende der Europäischen Aka-
demie für Frauen in Politik und Wirtschaft
Berlin. Rathauschefinnen hätten es schwe-
rer als Rathauschefs. Der eh schon kriti-
sche Blick der Bürger auf Politiker sei bei
der Beurteilung von Politikerinnen noch
kritischer, sagt die Politologin.
Die Grünen haben traditionell mehr
Funktionsträgerinnen als andere Parteien.
Der Frauenanteil unter ihren Mitgliedern
im Landesverband Bayern ist im vorigen
Jahr noch einmal gestiegen, auf 41 Pro-
zent. Eine Frau als Führungsfigur sei »im
- Jahrhundert schlicht selbstverständ-
lich«, sagt Katrin Habenschaden, Frak -
tionsvorsitzende und OB-Kandidatin in
München. »Diesen jahrelangen Automa-
tismus in anderen Parteien, immer einen
Mann aufzustellen, stellen wir infrage.«
Die CSU geht diesmal mit 141 Bürger-
meisterkandidatinnen ins Rennen. »Es
sind viel mehr Frauen als früher am Start«,
freut sich Ulrike Scharf, die Chefin der
Bayerischen Frauen Union. Sie verteilt der-
zeit Postkarten, darauf steht vor pinkem
Hintergrund das Wort »Damenwahl«.
Auf dem CSU-Parteitag im Herbst ha-
ben die Delegierten eine verpflichtende
Frauenquote von 40 Prozent auch für
Kreisvorstände abgelehnt. Nun scheinen
viele Ortsvorsitzende beweisen zu wol-
len, dass Gremien und Wahllisten ohne
Zwangsmaßnahmen weiblicher werden.
»Früher hat sich keiner Gedanken ge-
macht, ob zwei oder zehn Frauen auf
der CSU-Liste kandidieren«, sagt Scharf.
»Das ist jetzt anders.«
Parteichef und Ministerpräsident Mar-
kus Söder hat im Februar mit einer Kabi-
nettsumbildung dafür gesorgt, dass erst-
mals so viele CSU-Ministerinnen wie
Minister an der bayerischen Staatsregie-
rung beteiligt sind.
In Augsburg will Eva Weber nun errei-
chen, dass eine CSU-Frau die drittgrößte
Stadt des Freistaats regiert. »Ich gehöre
zu einer Generation Frauen, für die Ge-
staltungswillen selbstverständlich ist,« sagt
die 42-Jährige, »und die mit einer Gene-
ration Männern zusammenlebt, die das
unterstützt.«
In einer Partei wie der CSU scheinen
Frauen allerdings noch immer auch an
ihren Qualitäten als Mutter gemessen zu
werden. Unvorstellbar, dass ein Mann öf-
fentlich fehlenden Nachwuchs mit Erek -
tionsstörungen rechtfertigen würde. Eva
Weber aber gab in ihrer Antrittsrede als
Oberbürgermeisterkandidatin bekannt,
keine Kinder bekommen zu können. »Ich
wäre sonst als Karrierefrau abgestempelt
worden«, sagt sie.
Das Bekenntnis war für Weber ein »per-
sönlicher Befreiungsschlag«. Aus Sicht der
Geschlechterforscherin Barbara Thiessen
von der Hochschule Landshut erklärt es
zugleich, warum Frauen vor politischem
Engagement zurückschreckten. Auf dem
Land sei der soziale Druck hoch. Die Fol-
ge, so Thiessen: »Je ländlicher die Region,
desto männlicher die gewählten Gremien.«
Im Rahmen eines Forschungsprojekts
habe sie viele Gespräche mit jungen Frau-
en vom Land über deren Verhältnis zur
Politik geführt. Die hätten sie »sehr nach-
denklich« gestimmt. »Aus Angst um ihren
guten Ruf schrecken viele davor zurück,
sich politisch zu äußern«, sagt Thiessen.
Traditionelle Rollenzuschreibungen be-
wirkten, dass viele ihre Heimat verließen.
Mit weitreichenden Folgen: »Wenn junge
Frauen wegziehen«, sagt Thiessen, »stirbt
der ländliche Raum.«
Bei der Befragung bayerischer Kommu-
nalpolitikerinnen sei ihr aufgefallen, dass
viele von ihnen zugezogen seien. »An mir
wird eh rumgemeckert«, habe eine der
Frauen gesagt. »Dann kann ich auch gleich
in die Politik gehen.« Anna Clauß
42 DER SPIEGEL Nr. 11 / 7. 3. 2020
Deutschland
TEAM M&M
Wahlkämpferin Weber
»Als Karrierefrau abgestempelt«
Damenwahl
BayernBei den Kommunalwahlen
kandidieren diesmal viele
Frauen. In den vier größten Städ-
ten könnten sie bald regieren.