Der Spiegel - 07.03.2020

(Ben Green) #1
Wirtschaft

dass die Corona-Epidemie zu einer Welle
von Herabstufungen hoch verschuldeter
Unternehmen führen könnte.
Burkert plädiert dafür, die in der Finanz-
krise bewährten Instrumente staat licher
Liquiditätshilfen und Bürgschaften einzu-
setzen. So ließe sich verhindern, dass sich
der Corona-Schock zur Finanzkrise aus-
weitet. Viele Banken wären womöglich
nicht stark genug, um eine Welle von Kre-
ditausfällen zu verkraften.
Eine weitere Zinssenkung durch die
EZB hält Burkert für wenig hilfreich. Diese
würde den Banken, die bereits unter den
Negativzinsen leiden, eher schaden und
damit auch den Unternehmen.
Im Gegensatz zur Fed hat die EZB oh-
nehin wenig Spielraum. Doch je mehr die
Krise sich zuspitzt, desto stärker wird der
Druck auf die neue EZB-Chefin Christine
Lagarde werden, etwas zu unternehmen.
Von geldpolitischen Maßnahmen profi-
tieren in der Regel vor allem die Börsen.
Doch meist gehen die Kurse nach einer
starken Korrektur erst noch einmal nach
unten, bevor sie wieder dauerhaft zu stei-
gen beginnen.
Das könnte auch dieses Mal so sein,
wenn sichtbar wird, wie sehr der Corona-
Schock auf die Wirtschaft durchschlägt.
»Die Unsicherheit bleibt bestehen«, sagt
der Kölner Vermögensverwalter Bert
Flossbach. Aber er sagt auch: »Der Markt
neigt in solchen Phasen zu Übertreibun-
gen, die kann man nutzen.« In seinen bei-
den großen Mischfonds verwaltet er
26 Milliarden Euro. Einen Teil des Invest-
ments hat er abgesichert, aber er hat auch
bereits begonnen, wieder in »robuste Un-
ternehmen« zu investieren.
Besonders heftig abgestraft haben die
Anleger Unternehmen, die ein »schwaches
Immunsystem« (Flossbach) haben, weil
sie durch Schocks besonders gefährdet
sind, etwa Airlines oder Touristikunter-
nehmen.
Der Touristikkonzern TUI etwa profi-
tierte in guten Zeiten von seinem hoch-
rentablen Kreuzfahrtgeschäft, doch jetzt
gelten die schwimmenden Urlaubsdomizi-
le als potenzielle Brutstätten für das Co-
ronavirus. Innerhalb einer Woche sank der
Kurs der TUI-Aktie von zehn auf etwas
über sieben Euro.
TUI-Chef Fritz Joussen nutzte die
Gelegenheit, um Zuversicht in die Zukunft
des Unternehmens zu demonstrieren. Er
kaufte rund 100 000 TUI-Aktien zum
Kurs von 7,78 Euro. Die Börsianer teilen
seine Zuversicht offenbar nicht. Zum Han-
delsschluss am Donnerstag stand der Kurs
bei 6,33 Euro.


David Böcking, Dinah Deckstein,
Martin Hesse, Armin Mahler,
Martin U. Müller, Michael Sauga,
Gerald Traufetter

D


en 21. März sehnen sie in der Deut-
schen Bank regelrecht herbei. Für
übernächsten Samstag hat der Kon-
zern ins Konzerthaus am Berliner Gendar-
menmarkt geladen, in jene Stadt also, in
der die Bank vor 150 Jahren gegründet
wurde, um Preußens Aufstieg zur Indus-
trie- und Handelsmacht zu finanzieren.
1200 Gäste aus Politik, Wirtschaft und Ge-
sellschaft sind geladen, der Bundespräsi-
dent soll die Festrede halten, die örtlichen
Philharmoniker spielen auf.
Doch das wohlige Gefühl wird nicht
lange anhalten. Trotz renovierter Strate-
gie – der vierten seit der Finanzkrise – und
runderneuertem Vorstand kommt Deutsch-
lands größte Bank aus dem Krisenmodus
nicht heraus. Vorstandschef Christian Se-
wing spricht gern von »Aufbruch«, die
Realität ist dagegen trist: der zweitgrößte
Jahresverlust der Firmen geschichte, Ori-
entierungslosigkeit in der Belegschaft und
ein Spardiktat, dem rund 14 000 Arbeits-
plätze zum Opfer fallen sollen.
Wie die Deutsche Bank bis 2022 ihre
ehrgeizigen Ziele bei den Kosten (sie sol-
len von 21,5 Milliarden Euro auf 17 Mil -
liarden sinken) und der Kapitalrendite
(8 Prozent statt zuletzt -10,9 Prozent)
erreichen will, ist schleierhaft. Zumal
nun auch noch die Coronakrise die Aus-
sichten verhagelt. Die Aktie ist bereits
im Sinkflug.

Die Bankvolkswirte rechnen für 2020
mit einer Rezession in Deutschland, Euro -
pa und der Welt. »Das wäre meine maxi-
malwahrscheinlichste Vorhersage«, sagt
Chefökonom David Folkerts-Landau. Kä -
me es so, stiege die Zahl der Firmenplei-
ten, die Bank müsste mehr Kredite ab-
schreiben, was ihren Gewinn schmälern
und am Eigenkapital zehren würde.
Bislang hatte die Deutsche Bank, bei al-
len sonstigen Schwächen, ihr Kreditbuch
im Griff. Aber eine Wirtschaftskrise träfe
sie zum denkbar schlechten Zeitpunkt.
Denn während sich Auslandsrivalen wie
ING oder HSBC bei Krediten zurückhalten,

vergeben die Frankfurter kräftig Darlehen.
2019 bekamen Firmen fünf Prozent mehr
Geld als im Vorjahr, Privatkunden vier Pro-
zent. Der Indien-Ableger der Bank kündig-
te jüngst sogar an, klamme Immobilien -
tycoons als Kunden gewinnen zu wollen.
Hinzu kommt, dass die Deutsche Bank
im Handel mit speziellen, riskanten Kre-
diten noch immer eine große Nummer ist.
Diese »Leveraged loans« werden von hoch
verschuldeten Unternehmen oder Finanz-
investoren aufgenommen, um Übernah-
men zu finanzieren; die Banken kassieren
stattliche Zinsen. Das klappt, solange die
Konjunktur brummt. Die kreditgebenden
Banken verkaufen die Darlehen an andere
Investoren. Inzwischen ist der Markt rund
drei Billionen Dollar und damit doppelt
so groß wie vor der Finanzkrise.
Doch kippt die Wirtschaft und können
Schuldner plötzlich nicht mehr zahlen,
wird es gefährlich – so wie 2008, als »Le-
veraged loans« reihenweise platzten und
Banken umfielen. Zwar sind die Kredite
mit Vermögenswerten besichert; die aber
lassen sich in einer Wirtschaftskrise nur
schwer versilbern. Erst im Herbst war die
Deutsche Bank auf einem Kredit über 425
Millionen Dollar sitzen geblieben, den der
Finanzinvestor HGGC aufgenommen hat-
te, um eine Übernahme zu finanzieren.
Letztlich konnte sie das Darlehen zwar
verkaufen, aber mit heftigem Abschlag.
Auch bei der Finanzierung des Verkaufs
von ThyssenKrupps Aufzugsparte ist die
Deutsche Bank dabei. Zusammen mit an-
deren Kreditinstituten haben die Frankfur-
ter den Finanzinvestoren Advent und Cin-
ven sowie der RAG-Stiftung eine Kredit -
linie bis zu elf Milliarden Euro eingeräumt.
Für Sewing ist die Aussicht auf eine Re-
zession ein Dilemma. Der Angriff im Kre-
ditgeschäft ist Teil seines Sanierungsplans.
Zum Amtsantritt hatte er seiner Truppe
»Jägermentalität« verordnet, um zu signa-
lisieren, dass die Deutsche Bank wieder
wachsen will, statt sich klein zu sparen.
Inzwischen bereut er den Begriff, weil
er an die wilden Zeiten im Investmentban-
king erinnert. Dessen Auswüchse haben
die Bank rund 18 Milliarden Dollar Straf-
und Vergleichszahlungen gekostet, der Re-
putationsschaden ist kaum bezifferbar.
Selbstzweifel plagen Sewing, der seit
1989 fast ununterbrochen im Sold der
Deutschen Bank steht, augenscheinlich
aber nicht. Wer ihm begegnet, erlebt einen

70 DER SPIEGEL Nr. 11 / 7. 3. 2020


Riskante Attacke


FinanzindustrieNach Jahren der Krise fährt die Deutsche Bank
ihr Kreditgeschäft hoch, doch das Coronavirus
gefährdet die Pläne von Vorstandschef Christian Sewing.

Unstrittig ist, dass Sewing
den Konzern fürs Erste
befriedet hat, die Großak-
tionäre stehen hinter ihm.
Free download pdf