I
m Wahlkampfquartier des Mannes,
der Bürgermeister von Perpignan
werden will, deutet nichts, wirklich
gar nichts darauf hin, welcher Partei er
angehört. Louis Aliot, 50, ist Vorstands-
mitglied und einer der bekanntesten Ver-
treter des rechtspopulistischen »Rassem-
blement National« (RN).
Das aber verrät hier kein Plakat, kein
Schild, noch nicht einmal ein Flugblatt.
Selbst die Grünen könnten sofort ein -
ziehen, ohne irgendetwas umzudeko -
rieren. An den Wänden hängen bunte
Lichtergirlanden, weiße Holzfische und
Muschelrahmen.
Aliots Team hat seit Herbst mitten in
der Altstadt eine Etage in einem ehe -
maligen Adelspalast angemietet. Die
Räume des Büros sind sechs Meter hoch,
der Terrazzoboden stammt aus dem
- Jahrhundert. Es ist 8.30 Uhr am
Dienstag morgen, der Kandidat ist gerade
mit zwei Tüten Croissants für alle ins
Büro gekommen.
Noch sind es zwölf Tage bis zum ersten
Wahlgang am 15. März. Die letzten Um-
fragen sehen Aliot als Favoriten: Mit
30 Prozent liegt er vor dem amtieren-
den konservativen Bürgermeister, der
auf 19 Prozent kommt. Perpignan könnte
die erste Stadt mit mehr als 120 000 Ein -
wohnern werden, die von einem Bürger-
meister des Rassemblement National
übernommen wird. Auch wenn Aliot in
den letzten Wochen nur ungern seine
Partei erwähnt.
Das sei Teil seiner Strategie, erklärt er
an diesem Morgen. »Perpignan ist eine
in viele Lager gespaltene Stadt, eine Par-
tei allein kann hier nicht gewinnen. In
den vergangenen Jahren haben uns im-
mer neben den 30 bis 40 Prozent, die uns
sicher sind, die entscheidenden 5 bis 10
Prozentpunkte zum Sieg gefehlt. Deshalb
habe ich mich diesmal für einen Kurs
der Öffnung entschieden.«
Es ist nicht ohne Ironie, dass Aliot im
Wahlkampf maximale Distanz zu seinerPartei sucht. Nur wenige sind so mit ihr
verbunden wie er.
Seit 1990 Mitglied des damaligen »Front
national« (FN), leitete er 2002 die Präsi-
dentschaftskampagne von Jean-Marie Le
Pen. Von 2009 bis 2019 war er der Lebens-
gefährte von Marine Le Pen, mit der er in
dieser Zeit den FN entscheidend veränder-
te, die alten Haudegen rausschmiss und
die »dédiabolisation«, die Entteufelung
der Partei, in Angriff nahm. Der Verän -
derungsprozess endete mit einer Namens-
änderung und dem Parteiausschluss von
Jean-Marie Le Pen im Jahr 2015.
20 unabhängige Kandidaten stehen auf
Aliots Liste, ehemalige Sozialisten und
Gaullisten sind darunter; Personen, die
Einfluss haben und angesehen sind in der
Stadt. Als einer seiner größten Coups gilt,
den ehemaligen Präsidenten des Literatur-
zentrums in Perpignan, André Bonet, auf
seine Seite gezogen zu haben. Bonet ist in
der lokalen Kulturszene gut verankert, nie-
mand hatte damit gerechnet, dass er von84 DER SPIEGEL Nr. 11 / 7. 3. 2020
IDHIR BAHA / HANS LUCASAlles, nur nicht Paris
Frankreich Die klassischen Parteien sind so unbeliebt, dass bei den Kommunalwahlen viele Kandidaten
als Unabhängige antreten. Sie betonen, dass sie mit den nationalen Politikern nichts zu tun hätten.Wahlkämpfer Aliot (l.) in Perpignan: »Eine totale Missachtung der Demokratie«