Der Spiegel - 07.03.2020

(Ben Green) #1
rend seiner Amtszeit Menschen er-
mordet wurden.
Fetterman, ein bulliger Mann
mit Glatze und Ziegenbart, gehört
eindeutig zum linken Flügel der De-
mokraten. Als er sich im Jahr 2018
für den Posten des Vizegouver-
neurs bewarb, unterstützte ihn San-
ders. Aber wenn man mit ihm in
seinem Eckbüro im State Capitol
von Harrisburg spricht, bekommt
man schnell den festen Eindruck,
dass er eine Kandidatur von San-
ders mit einer Jobgarantie für
Trump gleichsetzt.
»Bei den Demokraten gibt es das
Argument, dass man eine neue Wäh-
lerkoalition bilden müsse und es so
etwas wie Wechselwähler gar nicht mehr
gibt«, sagt Fetterman. »Aber das ist schlicht
und einfach nicht wahr.« Das, so Fetterman,
könne man allein daran ablesen, dass
Trump in Pennsylvania mit rund 44 000
Stimmen Vorsprung vor Hillary Clinton ge-
wann – und Fetterman selbst zwei Jahre
später 850 000 Stimmen mehr einsammelte
als die republikanische Konkurrenz.
Fetterman sieht mit Grauen, wie San-
ders die Fehler Clintons wiederholt. Clin-
ton hatte keinen Zweifel daran gelassen,
dass sie lieber heute als morgen die letzten
Kohlezechen in den USA dichtmachen
wolle. Es war eine verheerende Botschaft
für das ländliche Pennsylvania, das brutal
vom Niedergang der Montanindustrie in
den USA getroffen worden war.
Inzwischen hat sich die Wirtschaft in
Pennsylvania erholt, was auch am Fracking -
boom liegt. Aber nun will Sanders genau
jenen Unternehmen den Garaus machen,
die so viele gut bezahlte Jobs nach Penn-
sylvania gebracht haben. Fetterman hält
das für politischen Selbstmord – und oben-
drein für Heuchelei.
»Wie wollen wir unsere Wohnungen hei-
zen?«, fragt er. »Das ist ungefähr so, als
würde man das Schlachten von Rindern
verbieten und sich die Hamburger dann
von den Nachbarn liefern lassen.« Auch

Fetterman ist dafür, wegen des Klimaschut-
zes auf andere Energiequellen umzustei-
gen. Aber was ihn verrückt macht, ist der
ideologische Purismus vieler linker Demo-
kraten. Lieber verlören sie gegen Trump,
als Kompromisse zu machen. Und das ist
nicht nur Fettermans Eindruck. Sanders’
Kampagne lebt davon, dass sie ein klares
Feindbild kreiert: die gekauften Medien,
die gierigen Öl- und Pharmakonzerne und
nun eben auch Biden, der angeblich in der
Tasche der Superreichen steckt.
Schon seit vielen Jahren leiden die De-
mokraten darunter, dass sie im Grunde aus
zwei Parteien bestehen. Der letzte Kandi-
dat, der in der Lage war, den Graben zu
überbrücken, hieß Barack Obama. Im Jahr
2008 trat er mit einem Programm an, das
sehr moderat war, um auch wohlhabende
Wähler in den Vorstädten anzusprechen.
Aber Obama war gleichzeitig der erste
schwarze Präsidentschaftskandidat der De-
mokraten, was wiederum den progressi-
ven Parteiflügel begeisterte.
Im Zweikampf zwischen Clinton und
Sanders aber zerbrach diese Koalition. Die
Progressiven hielten Clinton für ein Ge-
schöpf der Wall Street; die Moderaten sa-
hen in Sanders einen durchgeknallten Re-
voluzzer. Der Streit wurde schnell unver-
söhnlich, der Profiteur hieß Trump.

DER SPIEGEL Nr. 11 / 7. 3. 2020

Ausland

Der Lagerwahlkampf


Zustimmung unter den demokratischen Anhängern für ihre beiden
führenden Präsidentschaftsbewerber, nach Bevölkerungsgruppen


Quelle: »Washington Post«,
Nachwahlbefragung zum »Super
Tuesday« am 3. März; Fehlende
an 100 Prozent: sonstige Kandidaten


60
17
41
23
20
43
15
50

ALTER

18- bis
29-Jährige

30- bis
44-Jährige

45- bis
64-Jährige

65 Jahre
und älter

27
35
17
58
35
26
42
17

ETHNIZITÄT

Weiße

Schwarze

Latinos

Asiaten

GESCHLECHT

25
37
32
36

Frauen

Männer


Q Bernie Sanders
Q Joe Biden

Die Demokraten werden den Prä-
sidenten nur dann schlagen können,
wenn sich sowohl das linke als auch
das moderate Lager hinter einem
Kandidaten versammeln. Das wird
nicht einfach für Biden. Laut einer
Umfrage würden 87 Prozent der Bi-
den-Anhänger auch einen anderen
demokratischen Kandidaten unter-
stützen – umgekehrt gilt das nur für
53 Prozent der Sanders-Sympathi-
santen. Trump wird versuchen, da-
raus Profit zu schlagen.
Er hat schon 2016 Krokodils -
tränen vergossen und erklärt, wie
furchtbar unfair Sanders angeblich
von der demokratischen Partei
behandelt worden sei. Diese Stim-
mung wurde von russischen Trollen im In-
ternet noch verstärkt. »Ich würde niemals
sagen, dass die Russen lieber einen Präsi-
denten Sanders als einen Präsidenten
Trump sehen würden«, sagt Darren Lin-
vill, der an der Clemson University in
South Carolina forscht und seit Jahren rus-
sische Manipulationsversuche im Netz
verfolgt. Aber seit der Wettstreit der de-
mokratischen Präsidentschaftsbewerber
läuft, beobachtet Linvill, wie erneut rus-
sische Accounts Stimmung für Sanders
machen.
Linvill hat keinen Zweifel daran, dass
Sanders eine wichtige Rolle in dem russi-
schen Versuch spielt, die Wahl zu beein-
flussen. Vor gut einem Monat wurde San-
ders vom US-Geheimdienst darüber infor-
miert, dass Russland wie schon 2016 zu
seinen Gunsten eingreift. Vielleicht stehe
Russland aufseiten Sanders’, weil er ein
Isolationist sei, sagt Linvill. »Aber viel-
leicht liegt es auch einfach daran, dass er
der extremste Kandidat ist und die Spal-
tung der amerikanischen Gesellschaft wei-
ter vertiefen würde. Genauso wie Trump
ein extremer Kandidat ist und so dafür
gesorgt hat, dass das Land kaum noch vo-
rankommt.«
Auf der Bühne in Los Angeles sagt Bi-
den: »Wir brauchen einen Präsidenten, der
das Land versöhnen kann. Ich werde das
tun, das schwöre ich.« Tatsächlich ist es sei-
ne Chance, dass das Land nach vier Jahren
Trump genug hat vom Drama in Washing-
ton. Eine Mehrheit der demokratischen
Anhänger schätzt sich selbst als moderat
oder konservativ ein, auch das hilft ihm.
Allerdings darf sich Biden gegen Trump
auch nicht viele Patzer leisten. Auf der
Wahlparty in Kalifornien greift er hinter
sich und sagt: Ȇbrigens, das ist meine
kleine Schwester Valerie.« Tatsächlich war
es seine Frau Jill. Ein harmloses Missver-
ständnis, aber Trumps »War Room« twit-
terte die Szene um die Welt, als hätte er
versehentlich den Atomknopf gedrückt.
Roland Nelles, René Pfister

JONATHAN ERNST / REUTERS
Sanders-Fans: Lieber verlieren, als Kompromisse zu machen

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