Die Zeit - 12.03.2020

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2018 präsentierte die Regierung nach vielen fehlgeschla-
genen Konzepten den NLTP, den Nationalen Nutztier-
transformationsplan. Bis 2027 sollen für 176 Millionen
Euro moderne Farmen aufgebaut werden. Die Nomaden
sollen sesshaft werden – nicht durch Verbote, sondern
durch Anreize. Die Anlagen sollen Zugang zu Wasser,
industriellem Tierfutter, Veterinären und Schulen ermög-
lichen. Bisher scheitert die Umsetzung am Widerstand der
Landbesitzer, der Gouverneure der Bundesstaaten und der
sesshaften Bevölkerung, die keine größeren Flächen an die
Fulani abgeben will. Viele Experten bezweifeln zudem,
dass sich die kapitalintensiven Ranches auf dem Markt
halten könnten. Und was ist mit den Hunderttausen-
den jungen Männern, die in ihren Familien nicht mehr
als Viehhirten gebraucht werden? Sie würden im Elend
enden und manche bei Boko Haram.
Die Fulani sind das letzte große Nomadenvolk der Welt,
mit 20 Millionen Menschen, die alle in Afrika leben. Die
Tage der letzten Nomaden scheinen gezählt. Zu groß ist
der Bevölkerungsdruck. Kain, der Bauer, verdrängt seinen
Bruder Abel, endgültig.
In Nigeria bleibt der Gewalt überlassen, was Technokraten
nicht schaffen. In Bare haben sie die Anila-Miliz gegrün-
det, eine Freiwilligentruppe aus derzeit 135 Männern, die
in zwei Schichten um das Dorf patrouilliert. Ein Polizist
im Ruhestand führt sie an. Bei ihren Wachgängen ums
Dorf blasen sie durch Rinderhörner. Ihre Bewaffnung ist
primitiv: Sie schießen mit Schrotflinten und Giftpfeilen,
die tödlich sein sollen. Die Anila-Männer behaupten, sie
hätten noch niemanden umgebracht. Die Fulani werfen
auch ihnen Massaker vor.
Der Schutz, den sich Father Moses von der Stationierung
des zwölfköpfigen Militärpostens versprach, wird unterdes-
sen zur Bedrohung. Die Soldaten logieren in einem Gebäude
gegenüber der Mission. Jeden Abend gegen 23 Uhr schlagen
die Hunde am Pfarrhaus an, wenn sich die oft minderjähri-
gen Mädchen zu den Soldaten schleichen. Die Hunde schla-
gen wieder an zwischen vier und fünf, wenn die Mädchen zu

ihren Familien zurückkehren. Zweieinhalb Euro zahlen die
Soldaten einem Mädchen für eine Nacht. Father Moses weiß
von ersten Schwangerschaften, sozialer Ächtung, er fürchtet,
dass es bald die ersten HIV-Fälle geben wird. »Ich habe die
Seuche nach Bare gebracht«, klagt er.
Alhaji Gagau hat mit seiner Herde nach einer weiteren
Woche Wurdyanka erreicht, wo seine Eltern leben, so
erzählt er uns am Telefon. Mit Tanten und Onkeln teilen
sie sich fünf allein stehende Rundhütten auf einem Hü-
gel. Die Regierung hat den Fulani dort eine grazing re serve
eingerichtet, ein Weide-Reservat. Dornbüsche, trockenes
Gras und Staub.
Wenn im März, dem Monat der größten Trockenheit und
Not, Kühe zu verenden drohen, wird Alhaji Gagau mit
seiner Herde wieder aufbrechen. Seiner Familie wird er
auf dem Hügel zwei Hütten bauen und sie dort zurück-
lassen. Er wird weitere Bewaffnete anheuern, dann an
Bare vorbei erneut nach Süden ziehen. Dieses Mal, fürch-
tet er, könnten Menschen sterben. »Ich muss den Weg
zum Gras finden. Ich habe keine andere Wahl«, hatte er
in der letzten Nacht unserer gemeinsamen Reise gesagt.
Über ihm leuchteten die Sterne, die den Fulani über Tau-
sende von Jahren in der Savanne die Richtung wiesen,
doch längst ihre Bedeutung verloren haben. Die Sterne
können Gagau keinen Ausweg mehr zeigen. Sie sind nur
winzige weiße Punkte, fern und kalt.

Hinter der Geschichte: Monatelang haben Wolfgang
Bauer, 49, und Andy Spyra, 35, diese Recherche vor-
bereitet. Ihnen halfen ein katholischer Bischof, ein
lokaler Fulani-Herrscher und Rinderzüchter-Organi-
sationen, die Fulani vertreten. Sie verbrachten drei
Wochen in Nigeria. Bauer ist Autor des Buchs »Die
geraubten Mädchen« (2 016) über die Terrorsekte
Boko Haram

Sexuell aufgeschlossen und aufgeklärt – so wirkt die Welt, in der wir heute leben.
Doch statt befreit und entspannt fühlen sich viele unter Druck, Erwartungen zu
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Die Sexualtherapeutin Dr. med. Melanie Büttner, die Wissenschaftsjournalistin
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