Die Zeit - 12.03.2020

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Frau Albus, Sie entstammen einer Che-
miker-Dynastie. Ihr Vater war auf Farben


spezialisiert, damit waren Sie also ver-
traut. Warum war die Küche Ihrer Mut-


ter genauso wichtig, wie Sie mal sagten?
Meine Eltern hatten eine sehr schlechte Ehe


und haben sich nur darin verstanden, dass
sie beide gerne gut gegessen haben. Meine


Mutter hat hauptsächlich gekocht, die et­
was diffizileren Sachen wie eine Sauce béar­


naise machte jedoch mein Vater. Als Paar
haben sie sich sonst immer furchtbar ge­


stritten, aber beim Essen herrschte Frieden.
Das ist mir wie ein Wunder vorgekommen,


und auch deswegen habe ich selbst immer
gerne gekocht. Es ist eine besonders schöne


Erfahrung, wenn ich gekocht habe, und
die Gäste essen, und es herrscht Schweigen.


Das ist das schönste Kompliment.
Ihre Familie war vermögend, sind Sie


großbürgerlich erzogen worden?
So würde ich das nicht nennen. Meine Mut­


ter stammte eher aus dem aufgestiegenen
Kleinbürgertum, und mein Vater war zwar


mit einer Gouvernante aufgewachsen, aber
das hat auf die Art, in der ich erzogen wur­


de, nicht mehr abgefärbt. Zumal da mein
Vater sich herausgehalten hat. Als einsames


Kind hatte ich zu kleinen Tieren, die ich
aufgegabelt und großgezogen habe, ein be­


sonders inniges Verhältnis. Ich habe sie als
Geschwister betrachtet, wie im Märchen.


In Ihren Bildern ist immer Schönheit zu
sehen, aber auch Vergänglichkeit. Wie


kommt es zu dieser Kombination?
Es erscheint mir ganz selbstverständlich,


nicht nur die ideale, schöne Form zu zei­
gen, sondern auch Stellen, an denen man


sieht, dass das Leben auch in der Vergäng­
lichkeit besteht. Ich fühle mich meiner Zeit


nicht sehr zugehörig, und doch sind meine
Arbeiten nur als Antwort auf die heutige


Zeit zu verstehen. Ich mache darauf auf­
merksam, dass wir durch die schiere Über­


zahl der Menschen die Erde unbewohnbar
machen. Es ist zeitgemäß, auf die Schön­


heit der Dinge hinzuweisen, die wir im Be­
griff sind, zu zerstören und zu verlieren.


Im Sommer bewohnen Sie ein Schloss in
Burgund. Jetzt müssen Sie es verkaufen.


Liegt das an den hohen Kosten?


Das ist auch ein Grund, aber ich kann al­
lein die Fahrt dahin von meiner Konstitu­
tion her nicht mehr bewältigen. Es ist wie
ein vorgezogener Tod, dass ich mich von
einem Ort trennen muss, an dem ich gute
Luft und Stille gefunden habe und mich
optimal auf meine Arbeit konzentrieren
konnte. Der Abschied ist sehr schmerzhaft.
Claude Lévi­Strauss lebte in der Nähe, ich
hatte ihm zu seinem 70. Geburtstag im
Jahr 1978 Bilder geschickt, und er hat mir
mit einem begeisterten Brief geantwortet
und mich eingeladen. Durch ihn und seine
Frau fand ich das Schloss.
Der Anthropologe Lévi-Strauss war einer
der wichtigsten Denker Frankreichs. Be-
vor Sie Schlossbesitzerin wurden, waren
Sie Mitglied des Sozialistischen Deut-
schen Studentenbunds, Ihre Tochter war
in einem antiautoritären Kindergarten.
Asche auf mein Haupt. Es war im Grunde
mit Händen zu greifen, was daran grund­
sätzlich falsch war: dass in dem Kinder­

garten nämlich nichts anderes herrschte
als das Recht des Stärkeren. Die stärksten
Kinder haben die anderen gnadenlos un­
terdrückt. Ich habe eine Weile gebraucht,
zu erkennen, dass die Ideen der 68er nicht
der richtige Weg waren. Ich selbst bin ja
eigentlich unmöglich erzogen worden und
habe mir eingebildet, dass ich es bei mei­
nem Kind besser machen würde.
Was hat diese Erkenntnis ausgelöst?
Dass ich durch Lévi­ Strauss das Schloss
fand, war ein ganz entscheidender Moment
meines Lebens, der mich vollkommen ver­
ändert hat. Ich war oft bei ihm eingeladen.
Die Begegnung mit ihm und seiner gro­
ßen Strenge und seiner Integrität war eine
wichtige Lebenserfahrung. Das war meine
Rettung, denn dieser Moment war auch der
Abschied von dem, was noch verblieben ge­
wesen sein mag von meinem Achtundsech­
zigertum. Es brachte die Erfahrung, dass
ich eben auch ganz anders leben und andere
Prioritäten setzen kann. Nämlich meine
Zeit ganz der Arbeit zu widmen, so wie er
es tat. Seine Haltung war, Nachdenken und
Schweigen, sich nicht anzumaßen, über
Dinge zu reden, die nicht das eigene Gebiet
sind. Wollte Gott, ich hätte das immer be­
folgt. Jedenfalls habe ich mich durch diese
Begegnung noch weiter zurückgezogen und
mich ganz konzentriert meiner Malerei und
meinem Schreiben zugewandt.
Sie schreiben auf einer elektrischen
Schreibmaschine und haben kein Inter-
net. Empfinden Sie das als angenehm?
Ja, sehr. Es gibt zwar Menschen, die mir
immer einreden, ich müsse unbedingt ein
iPad haben, aber erstaunlich viele sagen
auch, dass sie mich beneiden.
Sie haben gerade ein neues Buch über
Schmetterlinge beendet. Die verkörpern
ja etwas Farbenfrohes und Leichtes.
Würden Sie gern auch so leicht sein?
Ich bin, was ich bin, einfach ein Mensch,
der ein gewisses Gewicht hat, ich kann
nicht leichter sein, als ich bin. Das kann
ich auch nicht wollen, wie ich sowieso ganz
wenig wollen kann. In der Hauptsache
muss ich müssen. Foto

Herlinde Koelbl

Die Künstlerin freundete sich mit einem Philosophen an und änderte ihr Leben


Das war meine Rettung ANITA ALBUS


Anita Albus, 77, studierte Grafik in
Essen. Ihre Naturzeichnungen,
die sie mit Erzählungen kombiniert,
wurden vielfach ausgezeichnet.
Bekannt wurde sie durch ihr Buch
»Von seltenen Vögeln« (2 0 05), zuletzt
veröffentlichte sie »Sonnenfalter
und Mondmotten« (beide S. Fischer)

Das Gespräch führte Herlinde Koelbl

Im nächsten Heft: Sophie Passmann erklärt, warum sie lustige Tiervideos nicht ausstehen kann.


Und Tillmann Prüfer erzählt, wie seine älteste Tochter Luna in Berlin nach einer neuen Wohnung sucht


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