WIRTSCHAFT
- MÄRZ 2020 DIE ZEIT No 12
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Foto: Alessandra Benedetti/Corbis/Getty Images; ZEIT-GRAFIK/Quelle: NYSE
Angesteckt!
Das Virus bedroht die Weltwirtschaft. Können die Regierungen die Krise eindämmen? VON HEIKE BUCHTER UND MARK SCHIERITZ
W
enn die These stimmt, dass
an den Finanzmärkten die
Zukunft gehandelt wird,
dann ist die Zukunft düs-
ter. Der Deutsche Aktien-
index brach an der Frank-
furter Börse zu Wochen-
beginn um bis zu 8,4 Prozent ein, in New York
ging es mit dem Dow Jones um 7,7 Prozent nach
unten, in London mit dem FTSE um 7,7 Prozent.
Die Welt erlebte den heftigsten Einbruch der
Aktien kurse seit der weltweiten Finanzkrise 2008,
einen Schwarzen Montag, der in die Geschichts-
bücher eingehen dürfte.
In dieser Woche ist damit endgültig klar geworden:
Das Coronavirus bedroht nicht nur die Gesundheit,
sondern den Wohlstand. Die meisten Experten gehen
nun davon aus, dass die Weltwirtschaft in eine Rezes-
sion abgleiten könnte. Er sei »sehr besorgt«, sagt
Philipp Hildebrand, Vizechef des weltgrößten Ver-
mögensverwalters BlackRock, der ZEIT (siehe Inter-
view Seite 27). Er erwartet »im ersten Halbjahr einen
scharfen Einbruch beim Wachstum« und fordert ein
»entschiedenes Eingreifen« der Staatengemeinschaft.
Es sieht so aus, als würde Hildebrand erhört wer-
den. In Brüssel hielten die Staats- und Regierungs-
chefs der Europäischen Union am Dienstag dieser
Woche einen Krisengipfel ab (per Videoschalte wegen
der Ansteckungsgefahr), in Washington stellte Prä-
sident Donald Trump Steuersenkungen in Aussicht,
die italienische Regierung hat das Land abgeriegelt
und plant mil liar den schwe re Konjunkturhilfen – und
auch der deutsche Bundesfinanzminister Olaf Scholz
(SPD) kündigte an, er werde »alles tun, was not-
wendig ist«, um die Wirtschaft zu stabilisieren. Die
Formulierung ist angelehnt an eine berühmte Äu-
ßerung von Mario Dra ghi, der sie als Präsident der
Europäischen Zentralbank auf dem Höhepunkt der
Euro-Krise benutzte, um die Panik an den Finanz-
märkten zu be enden. Man kann davon ausgehen,
dass sich Scholz über diese Bedeutung im Klaren war.
All dies wirft zwei Fragen auf: Wie kann ein
biologisches Virus die Wirtschaft infizieren? Und
gibt es ein Gegenmittel?
Genau genommen infiziert nicht das Virus die
Weltwirtschaft, sondern die Angst davor. Veranstal-
tungsabsagen, Reisestornierungen, Quarantänean-
ordnungen. Wenn niemand zur Arbeit kommt, wird
nichts produziert. Wenn niemand einen Flug bucht,
wird nicht geflogen. Das Wirtschaftswachstum geht
zurück, die Gewinne der Unternehmen ebenfalls –
wenn das eine Weile so läuft, dann streichen sie Ar-
beitsplätze. In international vernetzten Volkswirt-
schaften macht die Krise nicht an Landesgrenzen halt.
So häufen sich die Meldungen über gestrichene
Stellen und Gewinnwarnungen selbst dort, wo bis-
lang nur relativ wenige Menschen erkrankt sind.
Der Kristallkonzern Swarovski hat angekün-
digt, an seinem Stammsitz in Tirol Personal abzu-
bauen. Wegen Corona stockt der Absatz in China.
Die Fluggesellschaft Norwegian will einen »si gni-
fi kan ten Teil« ihrer Belegschaft vorübergehend nach
Hause schicken. 3000 Flüge mussten mangels
Nachfrage gestrichen werden.
Der weltgrößte Bierbrauer Anheuser-Busch hat
den größten Gewinnrückgang seit zehn Jahren
vermeldet. Weil die Leute weniger ausgehen, wird
weniger Bier getrunken.
Der Flughafenbetreiber Fraport bietet seinen
Mitarbeitern an, unbezahlten Urlaub zu nehmen,
um die Personalkosten zu senken.
Doch so dramatisch die Lage ist, die Stimmung
könnte sich auch schnell wieder drehen. Wenn das
Virus eingedämmt ist und in den Betrieben die
Bänder wieder anlaufen, dann kommt normaler-
weise das Wachstum zurück, mit Gewinnen und
Arbeitsplätzen. Der Konjunkturverlauf nimmt in
diesem Fall die Form eines V an – es geht schnell
abwärts und auch schnell wieder aufwärts.
Selbst die Spanische Grippe des Jahres 1918,
die weltweit rund 40 Millionen Menschen das
Leben kostete, war vor allem eine humanitäre Ka-
tastrophe. Das weltweite Wachstum brach nach
einer Studie der Ökonomin Sherry Cooper vom
kanadischen Finanzkonzern Bank of Montreal um
schätzungsweise sechs Prozentpunkte ein und er-
holte sich dann wieder.
Viele Investoren an den Börsen zweifeln allerdings
daran, dass es diesmal wieder so kommt. Denn es ist
derzeit vollkommen unklar, wie lange es dauert, bis
die Epidemie auch tatsächlich eingedämmt ist.
Als Risikofaktor gilt ausgerechnet das mächtigste
Land der Welt: die USA. Der Gang zum Arzt ist für
viele Amerikaner nicht selbstverständlich. Von den
rund 320 Millionen Einwohnern sind etwa 28 Mil-
lionen nicht krankenversichert, weitere 44 Millionen
haben nur eine ungenügende Versicherung. Mehr als
30 Prozent der Arbeitnehmer erhalten keine Lohn-
fortzahlung im Krankheitsfall. Falls sie sich angesteckt
haben, müssen sie sich entscheiden, ob sie zu Hause
bleiben oder ob sie arbeiten gehen und ihre Familie
weiter versorgen. Im zweiten Fall werden sie zu wan-
delnden Infektionsherden.
Hinzu kommt: Die Krankheit verschont auch
die Mächtigen nicht. In dieser Woche wurde be-
kannt, dass sich ein Mitarbeiter der Europäischen
Zentralbank angesteckt hat, der Präsident des
Euro päi schen Parlaments befindet sich in Quaran-
täne, mehrere Mitglieder des iranischen Parlaments
sind an den Folgen des Coronavirus gestorben, und
auch Donald Trump hatte möglicherweise Kontakt
mit einem Infizierten. Sein neuer Stabschef hat
sich in Quarantäne begeben. Allein die Möglich-
keit, dass das Virus die politische und ökonomische
Führungselite lahmlegen könnte, dass es sich mög-
licherweise in den Armeen, Geheimdiensten oder
Polizeidienststellen verbreitet, sorgt für Unsicher-
heit und ist Gift für die Wirtschaft.
Es ist tatsächlich schwer vorherzusagen, welche
Folgen diese Krise noch haben wird. Möglicherweise
kostet sie Trump sogar die Wiederwahl, weil sein
Krisenmanagement in weiten Teilen der Bevölkerung
als unzureichend wahrgenommen wird und weil es
für Politiker in den USA besonders schwer ist, Wah-
len zu gewinnen, wenn die Konjunktur nachlässt.
Vielleicht aber werden wegen der Ansteckungsgefahr
auch die Wahlen verschoben, sodass sich die Amtszeit
des Präsidenten erst einmal verlängert. In beiden
Fällen hätte das erhebliche Folgen für die Wirtschafts-
beziehungen und den Wohlstand.
Wie sehr die Epidemie bereits die politökono-
mische Dynamik beschleunigt, zeigt das Beispiel
Erdöl: Weil die chinesische Wirtschaft wegen des
Virus schwächelt, wird weltweit weniger Treibstoff
nachgefragt. Um den resultierenden Preisverfall
aufzuhalten, wollten die Ölländer die Produktion
drosseln. Doch Russland und Saudi-Arabien konn-
ten sich nicht einigen, Saudi-Arabien brachte sogar
mehr Öl auf den Markt.
Das Ergebnis: Der Preis kollabierte (siehe Seite
32). Das trifft auch die amerikanischen Erdölpro-
duzenten, die ihre Anlagen teilweise mit hohen
Schulden finanziert und mit einem höheren Öl-
preis kalkuliert haben. Wenn sie ihre Kredite dann
nicht mehr bedienen können, trifft das auch ame-
rikanische Banken, was wiederum die Kreditver-
sorgung anderer Unternehmen erschwert.
Panikreaktionen haben in solchen Situationen
reale Folgen, die Krise nährt sich selbst. Aus dem V
wird womöglich ein U – oder vielleicht sogar ein L,
eine lang anhaltende Phase mit rückläufigen oder
niedrigen Wachstumsraten. Eine Volkswirtschaft ist
ein komplizierter sozialer Organismus. Ein Unter-
nehmen, das Insolvenz angemeldet und seine Mit-
arbeiter entlassen hat, wird nicht wie von Zauberhand
wiederauferstehen, wenn das Virus besiegt ist.
Deshalb werden weltweit Maßnahmen vorberei-
tet, die die Zeit bis zum Wiedereinsetzen des Wachs-
tums überbrücken sollen. Dass das in der Praxis
leichter gesagt als getan ist, musste die amerikanische
Notenbank Federal Re serve in der vergangenen
Woche erfahren. Sie hat die Zinsen gesenkt, in der
Hoffnung, dadurch die Wirtschaft zu stützen. Es ging
aber danach an den Börsen weiter bergab. Billiges
Zentralbankgeld allein ist offenbar noch keine
Lösung, was auch die Handlungsoptionen der Euro-
päischen Zentralbank einschränkt.
Man müsse stattdessen die »Zahlungsströme an
private Haushalte und Unternehmen« stabilisieren,
sagt BlackRock-Mann Hildebrand. Was er damit
meint: Staatshilfen, damit die Firmen den Betrieb
aufrechterhalten können und die Arbeitnehmer nicht
ohne Lohn dastehen. Auch das wirft allerhand Fragen
auf: Wie lässt sich vermeiden, dass marode Unter-
nehmen die Krise als Vorwand nutzen, um sich auf
Staatskosten zu sanieren? Und wie kommt überhaupt
das Geld an den Mann beziehungsweise die Frau?
Die Antworten auf diese Fragen fallen von Land
zu Land unterschiedlich aus. Trump will in republi-
kanischer Tradition die Steuern senken, in der Hoff-
nung, dass dann die Unternehmen mehr investieren
und die Arbeitnehmer mehr Geld ausgeben. Die
Demokraten sind allerdings dagegen. Sie wollen vor
allem diejenigen finanziell unterstützen, die gerade
ihren Job verloren haben oder wegen Krankheit nicht
zur Arbeit gehen können. Die italienische Regierung
dagegen prüft Staatsgarantien für die Banken des
Landes. Die Idee: Die Kreditinstitute sollen in die
Lage versetzt werden, ihren von der Krise betroffenen
Kunden einen vorübergehenden Zahlungsstopp für
fällige Darlehensraten anzubieten.
Die deutsche Bundesregierung wiederum hat sich
für ein abgestuftes Verfahren entschieden. In einem
ersten Schritt werden schon in dieser Woche die
Regeln für den Bezug des Kurzarbeitergelds gelockert.
Die Bundesagentur für Arbeit übernimmt damit 60
Prozent des ausgefallenen Lohns und die Sozial-
beiträge, wenn ein Unternehmen die Arbeitszeit re-
duzieren muss. Dazu gibt es Bürgschaften und Dar-
lehen für Unternehmen. Sie sollen über die staatseige-
ne Kreditanstalt für Wiederaufbau vergeben werden.
Voraussetzung ist eine Art Bedürftigkeitsprüfung: Die
Betriebe müssen also nachweisen, dass sie tatsächlich
wegen des Virus in Schwierigkeiten sind. Auch Ent-
lastungen für die Banken sind im Gespräch, damit
diese ihre Kreditvergabe nicht einschränken.
Für den Fall, dass sich die Krise verschärft, wird in
der Regierung auch über Konjunkturprogramme
nachgedacht, wie sie in der Finanzkrise zur An-
wendung kamen. Damals gab es unter anderem
eine Abwrackprämie für Autos und Steuererleich-
terungen für Unternehmen. Rechtlich wäre das
möglich: Sowohl die Schuldenbremse im Grund-
gesetz als auch die europäischen Budgetregeln er-
lauben in Krisensituationen zusätzliche Kredite.
Das von der Regierung ausgegebene Ziel eines aus-
geglichenen Staatshaushalts ist allerdings nach Ein-
schätzung aus Koalitionskreisen angesichts der zu
erwartenden Mehrausgaben voraussichtlich nicht
mehr zu halten. Auch die schwarze Null ist damit
ein Opfer dieser Krise.
Die führenden Wirtschaftsforschungsinstitute
des Landes gehen in einer diese Woche veröffent-
lichten gemeinsamen Erklärung sogar noch einen
Schritt weiter. Sie argumentieren, dass sich der
Staat als »Ultima Ratio« vorübergehend an den be-
drohten Unternehmen beteiligen solle. Zu den
Unterzeichnern gehören traditionell eher konser-
vative Häuser wie das Institut für Weltwirtschaft
in Kiel und das Münchner Ifo-Institut – aber auch
das gewerkschaftsnahe Institut für Makroökono-
mie und Konjunkturforschung in Düsseldorf. Es
gehe darum, »zu verhindern, dass aus einem ein-
maligen Einbruch ein dauerhafter Abschwung
wird«, sagt dessen Chef Sebastian Dullien.
Im Angesicht der Gefahr rücken die ideologi-
schen Differenzen in den Hintergrund. Das ist
eine der positiven Überraschungen dieser Krise.
Und so manche schlechte Nachricht ist bei näherer
Betrachtung auch eine gute. Der niedrigere Ölpreis
etwa schadet zwar den amerikanischen Ölprodu-
zenten, er entlastet aber die Verbraucher, die weni-
ger Geld für Diesel und Benzin ausgeben müssen.
Das hilft der Konjunktur, weil die Menschen dann
mehr Geld übrig haben für den Kauf von Waren
aus heimischer Produktion.
Anders gesagt: So düster, wie sie an den Finanz-
märkten gemalt werden, sind die Aussichten viel-
leicht in Wahrheit doch nicht.
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