Die Zeit - 12.03.2020

(backadmin) #1

WISSEN


Der


Zweifel


Gib mir


Musik!


Wenn Maschinen so vieles besser kön-
nen als Menschen – was sollen Kinder
in der Schule dann lernen? Jene Dinge,
die sie von Maschinen unterscheiden,
befand der Internetmilliardär Jack Ma
in einem weltweit beachteten Gespräch
auf dem Weltwirtschaftsforum 2018:
Teamarbeit, unabhängiges Denken,
Sport, Kunst – und Musik.
Wie es um die Musik an den Schu-
len steht, zeigt nun erstmals eine Studie
der Bertelsmann-Stiftung; sie liegt der
ZEIT vorab vor. 23.000 ausgebildete
Musiklehrer fehlen in den Grund-
schulen. Jede zweite Musikstunde wird
fachfremd erteilt, also von der Mathe-
lehrerin oder dem Kunstlehrer, in
manchen Bundesländern sogar noch
deutlich mehr. Sieben Prozent des Un-
terrichts fallen ganz aus.
Dabei ist Musik ureigener Teil des
Bildungsauftrags der Schulen: Musik
eröffnet Welten; sie spricht Bereiche des
Gehirns an, die andere Fächer brach-
liegen lassen (obwohl man nicht schlau-
er wird, nur weil man ein Instrument
spielt, siehe ZEIT Nr. 53/19). Musik
lässt einen zu sich selbst finden, »um die
dunklen Tiefen meiner Seele zu ergrün-
den«, wie Reinhard Mey einmal sang.
Töne und Melodien sind für alle da –
nicht nur für Bürgerkinder, die ohnehin
in dritter Generation Klavier spielen.
Nach den Ergebnissen der Ber-
telsmann-Studie muss man daran
zweifeln, dass Bildungspolitiker sich
ernsthaft darum bemühen, Schulen
auf die Herausforderung durch intel-
ligente Maschinen vorzubereiten. Sie
geben die Musik preis, statt sie zu
fördern. Will die Politik verhindern,
dass dieser bedeutsame – der mensch-
liche – Teil des Lehrplans erodiert,
muss sie handeln. In keinem anderen
Fach wären Seiteneinsteiger ein so
großer Gewinn – weil es im Musik-
unterricht um mehr als Fakten geht.
Konzertcellist oder Drummerin, ge-
rade sie könnten Schüler mit ihrer
Begeisterung für Musik anstecken.
MANUEL J. HARTUNG

WISSENSCHAFTLERINNEN • CORONA • TECHNIK • PALÄONTOLOGIE


Hannah
Arendt,
Philosophin

Illustration: Oriana Fenwick für DIE ZEIT

E


s gibt 121 Universitäten in
Deutschland, und keine einzige
von ihnen trägt den Namen einer
Frau. Manche sind nach der Stadt
benannt, in der sie stehen, andere
bezeichnen sich als Freie, Techni-
sche oder Bergische Universität.
22 Universitäten indes sind nach Menschen be-
nannt, genauer: nach Männern. Otto, Friedrich,
Georg August, Ruprecht, Karl. Große Männer,
große Hochschulen: Zehntausende Studierende,
Millionenbudgets, Innenstadtlage.
Nur eine der 216 Fachhochschulen beruft sich
auf eine Frau: die Alice Salomon Hochschule am
Berliner Stadtrand, mit 3800 Studierenden.
Die Fast-100-Prozent-Quote wurde lange als
Traditionsvermächtnis hingenommen. Jetzt aber ent-
brennen allerorten Debatten: Wer sind die Personen,
in deren Tra di tion geforscht und gelehrt wird? Stehen
wir noch hinter ihnen – oder ist es Zeit, auch Frauen
ein akademisches Denkmal zu setzen?
Die ehemalige Ernst-Moritz-Arndt-Universität
Greifswald und die Beuth Hochschule in Berlin ha-
ben sich vor Kurzem von ihren Namensgebern ge-
trennt. Der Dichter und Politiker Ernst Moritz Arndt
war ein glühender Nationalist und Anti semit, wes-
halb Hermann Göring ihn 1933 zum universitären
Namenspatron erkor. Auch Chris tian Peter Beuth,
ein Wegbereiter der Ingenieurwissenschaften, war
Anti semit. Die Diskussionen um die Umbenennun-


gen waren emotional aufgeladen, politisiert – vor
allem in Greifswald, wo sich die Universitätsleitung
scharfen Angriffen insbesondere der AfD ausgesetzt
sah, die vom »Bildersturm« sprach.
Die Beuth Hochschule ist nun auf der Suche nach
einem neuen Namen – möglicherweise dem einer
bedeutenden Frau. Auch die Universität Passau dis-
kutiert darüber. Das ist schon lange keine feministi-
sche oder aktivistische Debatte mehr. »Mir persönlich
würde es gefallen, wenn wir in Bayern eine Univer-
sität hätten, die nach einer geeigneten Frau benannt
wird«, so ließ sich Bayerns Wissenschaftsminister
Bernd Sibler (CSU) zitieren. In einer Umfrage der
ZEIT unter den Spitzen der deutschen Wissenschaft
(siehe nächste Seite) sprudelten die Vorschläge für
Namensgeberinnen eignen würde: Hannah Arendt!
Emmy Noe ther! Christiane Nüsslein-Volhard!
Namen sind nicht unabänderlich. Aber Namen
zu ändern ändert etwas. Wer sind wir, wenn wir nicht
mehr heißen wie einst? Diese Frage rührt dort tief,
wo die Universitäten seit Jahrhunderten in ihren
Städten verwurzelt sind. Heidelberg: seit 1386.
Greifswald: seit 1456. Bamberg: seit 1647. Eine
Umbenennung ändert das Lebensgefühl von Stu-
dierenden und Lehrenden – aber auch einer ganzen
Bürgergemeinschaft. Eine Universität, die einen
neuen, weiblichen Namen annähme, bekäme des-
wegen nicht nur feministischen Applaus, sondern
würde auch kritisiert von jenen, die sich auf Tradi-
tionen berufen, auf institutionelle Langlebigkeit.

Denn einige Universitäten heißen nach großen
Geistern: Der Freiheitsdichter Friedrich Schiller
schmückt die Universität in Jena, seiner Wirkungs-
stätte. Sein Kompagnon Johann Wolfgang wurde in
Frankfurt am Main geboren, wo heute die Goethe-
Universität steht. Und – »denk ich an Deutschland« –
Heinrich Heine, nach ihm heißt die Universität
Düsseldorf. Ihren Erfolg verdanken diese Dichter
nicht zuletzt Johannes Gutenberg, der einst das er-
folgreichste mediale Start-up aller Zeiten gründete
und an den bis heute die Universität Mainz erinnert.
Diese Namen umhüllen die akademischen In-
stitutionen mit der Aura des Historischen: Wer hier
studiert, rufen Schiller, Goethe, Heine, Gutenberg
uns zu, steht in einer Tra di tion, die mehr als ein paar
Semester hält. Geistige Freiheit, Größe, mutiger
Widerspruchs- und Erfindergeist sind auch heute
noch überzeugende Grundfesten der Wissenschaft.
Und sie wirken zudem über die enge akademische
Gemeinschaft hinaus. Goethe – kennt ja jeder.
Gutenberg – irgendwie immer noch genial.
Aber wer war noch gleich Ruprecht Karl?
1386 gründete Ruprecht I. die Universität in Heidel-
berg; 1803 organisierte der badische Markgraf Karl
Friedrich sie neu. Die Georg-August-Universität
Göttingen heißt nach dem Kurfürsten und König
von England Georg II. Die Universität in Bamberg
nennt sich nach Fürstbischof Otto und den Fürst-
bischöfen Friedrich Karl und Adam Friedrich: Uni-
versitas Ottoniano-Fridericiana.

Wenn man solche Namen erst bei Wikipedia
nachschlagen muss, ist der Aura der Saft ausgegan-
gen. Für heutige Studierende klingen die Namen
dieser Herren einfach nur alt. Vor allem aber sind
sie ebendies: Herrschaftsnamen. Sie erinnern an
Zeiten, in denen sich Autokraten ihre Denkmäler
setzten und Gelehrte vom politischen Willen ein-
zelner Machthaber abhängig waren. Heute sind
ihre Namen samt verschnörkelten Siegeln auf
Kapuzenpullis gedruckt, und sie erklingen in ge-
täfelten Hörsälen, gern auf Lateinisch: Ruperto
Carola, Georgia Augusta, Alberto-Ludoviciana.
An diesen Namen festzuhalten, nur weil die Tradi-
tion es so gebietet, ist ein schwaches Argument –
gerade jetzt, wenn akademische Institutionen ihre
Relevanz für die Gegenwart – vielleicht sogar ihre
Chuzpe – neu beweisen müssen.
Gegenwärtig sind 24 Prozent aller Professuren
von Frauen besetzt, nur ein Viertel aller Hochschu-
len wird von einer Frau geleitet. Das ist kein Zufall,
aber ein Treppenwitz angesichts der Metapher, die
Europas Universitäten seit Jahrhunderten vor sich
hertragen, wenn sie sich als »Alma Mater« bezeich-
nen, als nährende Mutter. Neue Namen müssen
nicht zwangsläufig eine Tilgung der eigenen Ver-
gangenheit bedeuten. Sie können auch ein Zeichen
sein, dass Universitäten nicht Verwalterinnen, son-
dern Gestalterinnen ihrer eigenen Historie sind.

A http://www.zeit.de/audio

Wa r u m


nicht sie?


Keine deutsche Universität


ist nach einer Frau benannt.


Jetzt diskutiert die Wissenschaft,


ob sich das ändern sollte


VON ANNA-LENA SCHOLZ

Die Namensvorschläge von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern finden Sie auf der folgenden Seite

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  1. MÄRZ 2020 DIE ZEIT No 12 33


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hatten sie, diese eine verletzlicheStelle.


Selbst Helden sind verwundbarwie du


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