Die Zeit - 12.03.2020

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WISSEN


A


uf den Wiesen landen die
Störche, im Berliner Hinter-
hof blühen Veilchen, der
Winter ist vorbei, bevor er
begonnen hat, es war der
wärmste seit Beginn der Auf-
zeichnungen. Nun also Früh-
ling. Fremdheit liegt in der nassen Luft. Ist das
Wetter, ist es Klima? Eine traurige Verunsicherung
wächst. Für eine Wetterkapriole, die natürlich
jederzeit möglich ist, hält die winterliche Wärme
heute kaum noch ein Mensch. Es fehlt an Worten
für das Gefühl, das um sich greift, oder sie klin-
gen sperrig und ungewohnt. Sie lauten: Klima-
trauer, Umweltdepression oder Ökoangst.
Auf seiner Jahrestagung im Mai wird sich der
Deutsche Ärztetag erstmals dem Thema Klima-
wandel und Gesundheit zuwenden, ein vorberei-
tender Arbeitskreis ist mit drei Landesärztekam-
mer-Präsidenten hochrangig besetzt. Auch der Arzt
und Psychotherapeut Martin Herrmann gehört
ihm an, der Vorsitzende der 2017 gegründeten
Deutschen Allianz für Klima und Gesundheit
interessiert sich für seelische Klimafolgen. »Was
die empirische Forschung betrifft, stecken wir
noch weitgehend im Unklaren«, sagt Herrmann,
»doch wir beobachten, dass der Klimawandel
viele Menschen berührt und traurig stimmt. Ich
kenne diese Traurigkeit von mir selbst. Viele spü-
ren eine Re si gna tion, man könne ohnehin nichts
mehr machen, sie haben mit Ohnmachtsgefühlen
und Handlungshemmungen zu tun. Andere
wehren die Realität ab, wieder andere entwickeln
Angststörungen.«
Künstler und Forscher berichten schon län-
ger davon: Der Tod des isländischen Gletschers
Okjökull wurde im Herbst mit einem Trauerakt
begangen. Der Schriftsteller Jonathan Franzen
fordert, zutiefst ernüchtert, einen neuen Reali-
tätssinn ein, angesichts von Emissionen, die seit
Jahrzehnten steigen. Forscherinnen und For-
scher bekennen sich öffentlich zur Trauer um
ihre Forschungsobjekte, die durch die Erderwär-
mung und deren Beitrag zum Artensterben ver-
schwinden: Korallen. Schneefelder. Riesenmam-
mutbäume. Heimische Wiesen. Der Sumatra-
Orang-Utan. Alle Arbeit wirkt vergeblich (siehe
Protokolle auf der folgenden Seite).
Die Traurigkeit treibt nicht nur einzelne For-
scher und Intellektuelle um, sie greift auch in der
Bevölkerung um sich. Der Guar dian berichtet
über seelische Erkrankungen in den Regionen
der australischen Buschbrände, die deutsche Fri-
days-for-Future-Wortführerin Luisa Neubauer
erzählt von der Begegnung mit Schülern, die sa-
gen, es sei eh zu spät für sinnvolles Handeln.
Und unter Eltern ist der Umgang mit kindlicher
Klimawandelangst zu einem Thema geworden:
Was sagt man dem Kind, wenn der übliche Trost
glatt gelogen wäre, nämlich, dass auf drei Tage


Regen drei Tage Sonnenschein folgen und dann
alles wieder in Ordnung ist?
Die Suche nach Möglichkeiten, wie sich der
Traurigkeit begegnen lässt, hat begonnen. Erste
Studien entstehen, die American Psychological
Association hat schon 2017 eine Untersuchung
vorgelegt, die am Beispiel des Hurrikans Katrina
nachwies, wie Suizidneigung und Depressionen aus
Angst um die Natur zunehmen. Eine Studie der
Psychologin Maxie Bunz vom Umweltbundesamt
zu den seelischen Folgen des Klimawandels folgte.
In Sydney wurde ein eigener Lehrstuhl für Klima-
wandel und psychische Gesundheit eingerichtet.
Für den französischen Philosophen Bruno Latour
liegt der Zusammenhang ohnehin auf der Hand:
Die Klimakrise manifestiere sich für den Menschen
als radikaler, äußerst schmerzlicher Heimatverlust.
Das Vertraute schwindet.
Doch die Traurigkeit gilt nicht nur der Zerstö-
rung von Ökosystemen oder dem Verlust von
Handlungsmöglichkeiten. Auch ein vertrautes
Menschenbild ist an seine Grenze gelangt: das west-
liche Selbstbild des autonom handlungsfähigen
Menschen, der sein Schicksal zum Besseren wenden
kann. Es entstammt der Moderne, jener Epoche
also, die um 1750 mit der Aufklärung begann und
an deren Ende wir leben.
In einer Hinsicht waren sich Aufklärungsbe-
fürworter und Skeptiker damals einig: Die Zu-
kunft, das Morgen liegt in der Verantwortung
der Menschen. Der französische Philosoph Denis
Diderot polemisierte im Artikel »Enzyklopädie«
seines gleichnamigen Nachschlagewerks von 1751
gegen seine engstirnigen Zeitgenossen, sie seien zu
vernagelt, um zu sehen, »dass sie nur einen Punkt
auf dieser Erde einnehmen und nur einen Augen-
blick leben. Diesem Punkt und diesem Augen-
blick opfern sie das Glück der kommenden Jahr-
hunderte und der ganzen Gattung.« Der briti-
sche Konservative Edmund Burke wiederum ar-
gumentierte nach der Französischen Revolution,
es mache im Kern den Konservativen aus, die
Verantwortung für die kommenden Generationen
zu übernehmen.
In der Epoche von 1789 bis 1989, so fasst es
heute der Historiker François Hartog zusammen,
herrschte die Zukunft. Dann aber habe eine
Fixierung auf die Gegenwart die alte Zukunfts-
hoffnung ersetzt. Das Vertrauen in den Fort-
schritt weiche der Sorge um das Bewahren und
das Retten des Vorhandenen im Hier und Jetzt.
Doch nun scheint auch diese Ausrichtung auf
die Gegenwart schon wieder überholt. Sie wirkt
illusionär, wenn drei Jahrzehnte Klimapolitik das
Ansteigen aller Kurven nicht bremsen. Vieles,
was die Gegenwart bietet, von den Korallen bis
zu den Gletschern, wird sich nicht mehr retten
lassen, es kann nur noch betrauert werden.
Die Hilflosigkeit der Demokratie trägt zur
Traurigkeit bei: Mit ihren Institutionen repräsen-

Fortsetzung auf S. 40

tierte sie das Versprechen für »morgen«, dass dem Leid
abgeholfen werden kann, weil die Schwachen im po-
litischen Prozess ebenso gehört werden wie die Starken.
Die Schwachen, das sind heute allerdings auch die
verendenden Vögel, die verbrennenden Kängurus und
die brandenburgischen Wälder. Das Selbstbildnis des
westlichen Menschen gerät damit gleich zweifach ins
Schlingern: Er hätte zuständig sein müssen für die
Gestaltung der Zukunft, doch er ist bisher politisch
gescheitert. Nun kriegt er offenbar nicht mal das

Retten hin. Diese Kränkung ist gewaltig. Kein Wun-
der, dass sie krank machen kann. »Wo Thier vnd
Vögel waren trauert jetzt die Einsamkeit. Wie ist die
Zeit ver than!«, dichtete Andreas Gryphius um 1650.
Es klingt wie ein Satz aus dem 21. Jahrhundert. Und
es mehren sich die Neu erschei nun gen von Büchern
über die geologische und die kosmische Zeit, in denen
die Menschenzeit nur ein kurzes Kapitelchen ist.
Man könnte nun beklagen, dass aus dem selbst-
bewussten Individuum der alten Aufklärung ein armes

Würstchen geworden sei, das sich traurig nach Schutz
und Trost umsieht. Doch angemessener wäre es, wenn
die Trauer dafür sorgte, die Blickrichtung zu ändern.
An Sigmund Freuds klassische »Trauerarbeit« lässt sich
dabei kaum anschließen. Er lehrte, Abschied zu neh-
men von einem Verlust, um sich der Realität neu zu
öffnen. In der Klimakrise begegnen wir aber einer Ver-
gänglichkeit ganz eigener Art: Die Traurigkeit wird

Quellen


Links zu den Quellen, die diesem und weiteren
Texten zugrunde liegen, finden sich bei
ZEIT ONLINE unter zeit.de/wq/2020-12

Werden unsere
Kinder noch
echte Eisbären
zu sehen
bekommen?

Schnee


war


gestern


In der Klimakrise greift


ein beklemmendes Gefühl um sich:


Die Traurigkeit über das,


was verloren geht


VON ELISABETH VON THADDEN

KLIMAWANDEL • LEBEN


Foto: Eva O’Leary

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  1. MÄRZ 2020 DIE ZEIT No 12 39

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