Frankfurter Allgemeine Zeitung - 06.03.2020

(sharon) #1

D


ie neue EZB-Präsidentin
Christine Lagarde hat ange-
kündigt, den Dialog zwi-
sche nder Be völkerungund de rNoten-
bank verbessernzuwollen.Wenn sie
das ernstmeint, kann sichdas nicht
darauf beschränken, sichdie Sorgen
der Bürgeranzuhören, und ansonsten
alles weiterzumachen wie bisher.
Wenn man mit Leutenredet, wassie
an der Geldpolitikder EZB stört,
dann taucht neben den niedrigen Zin-

sen für Sparer oftmals das Argument
auf, dassdie Niedrigzinsen die Immo-
bilienpreise so in die Höhegetrieben
hätten, dassdas kein gutes Ende neh-
men könne. Auch wennmancheÄngs-
te voreiner Immobilienblase übertrie-
ben sein mögen, tut die EZB gut dar-
an, diesemThemenfeld Aufmerksam-
keit zu schenken. Risiken für die
Finanzstabilitätkönnen durchaus Ne-
benwirkungen einer sehr lockeren
Geldpolitik sein. Kritik gibt es auch,
weil Leuteden Eindruckhaben, die In-
flationwerdenicht richtig gemessen.
Sie sei höher als behauptet. Als Bei-
spiel werden danngern die Immobi-
lienpreisegenannt, die nicht in die
Inflationsrateeinfließen.Nungibt es
durchaus gute methodische Gründe,
warumeine Änderung an diesem
Punkt nichtganz einfachist.Sie ist
aber auchnicht unmöglich.Wenn No-
tenbank undStatistikamt daetwasauf
die Menschen zugehen, istdas sicher
gut.Auchwenn niemand erwarten
sollte, dassdadurch die Inflation auf
langeSicht völlig andersausfällt.

Berlin hat soeben einen vorerst fünfjähri-
gen Mietendeckeleingeführt. Bricht
jetzt dieNachfrage nachWohnungen
ein?
In unseren Beratungsgesprächen mitge-
werblichenKunden spüren wirrund um
Wohnimmobilien eine deutlicheZurück-
haltung, zumal nochimmer nicht klar ist,
wie sichdas Gesetzkonkretauswirken
wird. Die Transaktionszahlen im Be-
standssegmentwerden absehbar sicher-
lichnicht wieder die Höhen der jüngeren
Vergangenheit erreichen. Gleichzeitig
herrschtzum Beispielgroße Unsicher-
heit, ob dieAusnahmeregelungen zum
Neubau dauerhaftbestehen bleiben oder
perspektivischgeändertwerdenkönnten.
So habenbeispielsweise Berliner Genos-
senschaften, die den eigenen Neubau
über Mieteinnahmenfinanzieren, bereits
den Ausstieg ausgeplantenNeubaupro-
jekten angekündigt.Wir stellen daherge-
rade Ausweicheffekte in andereNutzungs-
artenfest. Je unsicherer eine Investition
in Wohnimmobilien, desto stärkerrücken
Immobilienarten wie Bürooder Logistik
in das Interesse professioneller Investo-
ren.

Reagieren nationale undausländische
beziehungsweise institutionelle und pri-
vateInvestoren unterschiedlich auf den
Mietendeckel?
Werals Selbstnutzer eine BerlinerWohn-
immobilie erwirbt, demkann der Mieten-
deckelrelativegalsein. Mancher kann un-
terUmständen sogarvomaktuell zurück-

haltenderen Marktumfeld profitieren. Be-
trof fenist,wer dieImmobilievermieten
möchte–unabhängig davon, ob es um ein
institutionellesPortfolio oder um die per-
sönliche Altersvorsorge geht.Daher
macht eswenigUnterschied,obprofessio-
nelle Anleger oder Privatleuteinvestie-
ren. Ein Kriterium jedochist die räumli-
cheNähe zu Berlin. Jeweiter entfernt In-
vestoren vonder Hauptstadt sind, desto
zurückhaltender blickensie derzeit auf
den BerlinerWohninvestmentmarkt.In-
ternationale Anleger wieetwa Pensions-
und Staatsfonds oderVersicherungen ha-
ben Investments in BerlinerWohnungen
vorerstfastausnahmslos auf Eisgelegt.
Akteureaus demRest der Republikgehen
im Moment ebenfalls auf Distanz. Berli-
ner selbstsind da spürbargelassener.

Wiewirkt sich der Mietendeckel auf die
Beleihungswerte Berliner Immobilien
aus?
Die mit einer nicht selbstgenutzten Im-
mobilie zu erzielenden Mieteinnahmen
spielen bei derErmittlun gdes Beleihungs-
wertseine wichtigeRolle. Entsprechend
schwankt der Effekt des Mietendeckels
auf den Beleihungswertjenachdem, wie
groß dieLück ezwischen demgedeckel-
tenMietpreis und demvorInkrafttreten
des Deckels erzielbaren Mietpreis ist.

Wasfolgtdaraus fürbestehende und
künftigeImmobilienfinanzierungen?
BestehendeFinanzierungen managen wir
im Rahmen der gültigenVerträge.Wir

achten bei unseren Kreditnehmernohne-
hin auf eine sehr guteBonität und eine
guteIst-Kapitaldienstfähigkeit.Für die
künftig eNachfrageinsgesamt erwarten
wir grundsätzlichwenig Veränderungen.
Das historische Niedrigzinsumfeld wird
das Interesse der Investoren weiter stüt-
zen, dieNachfragevor allem institutionel-
lerAnleger im Immobiliensegment istun-
gebrochen hoch. Dochstatt zu mehr neu-
em und bezahlbaremWohnraumkönnte
der Mietendeckelvor allen Dingen zu ei-
nem größeren Anteil an Gewerbebau und
hochpreisigen Eigentumswohnungen füh-
ren. Bei Bestandsgebäuden imWohnseg-
ment wiederum sehen wir die Gefahr
starknachlassender Investitionen. Das
wirdsicheherlangfristig inFormvonSub-
stanzschädigungen niederschlagen, aber
bereits zeitnah Auswirkungen auf den
Bau und insbesonderedas Ausbaugewer-
be mit seinen zahlreichen Handwerkern
haben.

Ist dennbisher ausreichend gebaut wor-
den in Berlin?
Grundsätzlichgilt: Es muss das gemeinsa-
me Ziel sein, in einerwach sendenStadt
bezahlbarenWohnraum für alle zu schaf-
fen. Deshalb sindNeubau undAusbau der
richtigeWeg. Die Bautätigkeit in Berlin
reicht dabei jedochweiterhin nicht aus –
obwohl dieZahl derWohnungen 2018
um immerhin 4,1 Prozent zugenommen
hat.

Die Fragen stellteMichael Psotta.

Last der Hauspreise


VonChristianSiedenbiedel

FÜNF FRAGEN AN:HansJürgenKulartz, Berliner Sparkasse


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Servicetelefon: 0800-333 33 09 http://www.von-poll.com


B


undesbankpräsidentJens Weid-
mann hat sichdafür ausgespro-
chen. Es gebe zwar allerhand
nicht zu unterschätzendetechni-
scheHerausforderungen.UnddieErgeb-
nisse dürften nicht so aufsehenerregend
ausfallen,wie manchevielleicht meinten.
Aber man solle dochzumindestdarüber
„nachdenken“,die Preise für selbstgenutz-
tesWohneigentum bei der Inflationsmes-
sungfür die Geldpolitik der Europäischen
Zentralbank (EZB)künftig stärkerzube-
rücksichtigen,fordertWeidmann. In Euro-
pa fließe diese Größegarnicht in den
Harmonisierten Verbraucherpreisindex
(HVPI) ein, sondernnur Mieten–inden
VereinigtenStaaten mache diese Größe
dagegen 24 Prozent aus und in Deutsch-
land in der nationalenVerbraucherpreis-
statistik immerhin 10 Prozent.
Es geht um eine interessanteFrage: Die
EZB überprüftderzeitihreStrategie, da-
bei sollnicht nur über das Inflationsziel
der Notenbankdiskutiertwerden. Auch
derProzess, wie die Inflationgemessen
wird, kommt in den Blick. Kritiker sagen,
die in der Eurozonegemessene Inflation
falle künstlic hniedrigaus, ebenweil die
Preis efür selbstgenutztesWohneigentum
–und damit diegerade in Deutschland
zum Teil heftiggestiegenen Immobilien-
preise–nicht berücksichtigt würden.
Ausder EZBkommen bislangetwasge-
mischteSignale, wie man mit dem Thema
umgehen will.EZB-ChefvolkswirtPhilip
Lane und auchEZB-Präsidentin Christine
Lagarde haben signalisiert, dasssie die
Schwierigkeiten sehen und durchaus aner-
kennen.ZugleichdeuteteLagarde aber
auchan, dassesnicht ganz einfachund
schnell möglichsein wird, das zu ändern.
Schließlichwerden die Datenvonder Statis-
tikbehörde Eurostaterfasst,und die hatte
sichinder Vergangenheit durchaus schon
um Verbesserungen bemüht–wardabei
aber auf alle möglichen methodischen Pro-
blemegestoßen.Unlängstgab es schon Me-
dienberichte, die EZB habe das Themaals
„zu kompliziert“ zu den Aktiengelegt.Das
scheintabernicht zu stimmen. Nachallem,
wasman hört,steht die EZB mit demStrate-
gie-Überprüfungsprozessnoch am Anfang.
Entscheidungen seien noch nichtgefällt.
Die technischen Schwierigkeiten sind dabei
aber allesandereals trivial.ZumTeil sind
sie sogarfast grundsätzlich-systematischer
Natur.Und zumTeil resultieren sie daraus,
dasszur Eurozone19verschiedene Länder
gehören, in denenauchdas Wohneigentum
und die Mieteneine unterschiedlicheRolle
spielen.Das ganze Konzeptder Inflation

und der Geldpolitik in der Eurozone be-
ruht grundsätzlich auf einer Messungder
Verbraucherpreise.
Es gibt zwar immermal wieder auch
Forderungen, dieVermögenspreise zu be-
rücksichtigen. Ökonomenwie Frederik
Ducrozetvom Vermögensverwalter Pictet
halten das aber fürUnsinn:Eskönne
nichtAufgabe der EZB sein,Vermögens-
preise wie Aktienkurse, den Goldpreis
oder ebenauchdie Immobilienpreise „sta-
bil“ zu halten. Entsprechend könne es nur
darumgehen, dieAuswirkungen des Im-
mobilienbooms auf dieVerbraucherpreise
stärkerzuberücksichtigen, also ihreFol-
genauf dieregelmäßigenAusgaben eines
Haushalts. Man müsstealso dieVerände-
rung der Immobilienpreiseeigentlichinei-
nen Vermögensteil und einenWohnkos-
tenteil aufteilen. Wieman das misst,ist
nichtganz einfach. Aber es geht, wie die
DZ Bank in einerStudieschreibt.Entwe-
der mit sogenanntenMietäquivalenten,
das sind ausVergleichsmieten abgeleitete
Kosten. Oder über denNettoer werbsan-
satz, dergleichsam auf einer monatlichen
UmlegungvonKaufpreisen beruht.
Zu den weiteren technischenSchwierig-
keiten gehört, dassder Anteil der Miet-
wohnungeninden verschiedenen Euro-
staaten unterschiedlichist und damitauch
die Bedeutung des selbstgenutztenWohn-
eigentums. ZumTeil werden dieStatisti-
kendementsprechend unterschiedlich er-
hoben.Zudem werden dieImmobilienprei-
se bislang nicht monatlichabgefragt, son-
dernetwaquartalsweise, wie die Com-
merzbankineinerStudiehervorhebt.
Auch das müssteman ändern,wenn man
die Werteinder monatlichen Inflationsra-
te der Eurozone berücksichtigenwollte.

BundesbankpräsidentWeidmann argu-
mentiertjedoch, all diese technischen
Schwierigkeitengebe es sicherlich: „Für
michwäreaber der eine oder andereAb-
strich bei der Methodik hinnehmbar,
wenn wir dafür der Lebenswirklichkeit
der Menschen näherkämen.“
Allerdings gießt erWasser in denWein
derjenigen Leute, die meinen, damit wür-
de nun diegemessene Inflation in der Eu-
rozone deut lichhöher ausfallen undwo-
möglichsogar oberhalb des Inflationsziels
der EZBvon„unter ,aber nahe2Prozent“
landen.Weidmann sagteauf der Bilanz-
pres sekon ferenz de rNotenbank,Erhebun-
gender EZB hättengezeigt, dassdie Infla-
tion unter Berücksichtigung des selbstge-
nutzten Wohneigentums quartalsweise
zwischen 0,2 und 0,3 Prozentpunktehö-
her ausfallen würde als sonst.Das könnte
also schonetwasausmachen,wenn die In-
flationinmanchen Quartalenstatt bei 1,7
bei 2Prozentläge. Auflange Sichtaber
gehe er davonaus, soWeidmannweiter,
dasssichdie durchschnittliche Inflations-
rate des Harmonisierten Verbraucher-
preisindexdurch eine solcheUmstellung
„kaum ändern“würde.
Das mag zunächst vielleicht erstaunen.
Die Immobilienpreise steigen wie ver-
rückt, in manchen Regionen sogar mit
zweistelligenRaten, während die Inflati-
onund erst rechtdie vonstark schwanken-
den Preisen für Energie und Lebensmittel
befreite „Kerninflation“kaum vomFleck
kommt.Und da soll einestärkere Berück-
sichtigung der Immobilienpreiselangfris-
tig praktischkeine Auswirkung haben?
Zu ähnlichen Ergebnissen kommt aller-
dingsauchdie FondsgesellschaftDWS in

ihrer jüngsten Veröffentlichung zu diesem
Thema. Dabei spielt offenbar eineRolle,
dassdie Abweichung der Entwicklungder
Immobilienpreisevonden Mieten die In-
flation mal nachoben und mal nachunten
verschiebenwürde, wassichüber längere
Zeit aus gleichenkönnte. Unte rstelle man,
dassinder Eurozone Mieten undKosten
für selbstgenutztes Wohneigentum ein
Drittel desWarenkorbs ausmachten, hätte
die Inflationsrateseit 2010zwardeutlich

mehr geschwankt undteils 0,2 bis 0,5 Pro-
zentpunkteüber der amtlichen Inflations-
rategelegen, schreibt dieDWS. Von2011
bis 2013wäre sie jedochdrunter geblie-
ben. UndimSchnitt hättesie einen ähnli-
chen Wert produziert, meintDWS-Volks-
wirtin UlrikeKastens: „Ein solcher Index
würde also die Preisreali tätder Verbrau-
cher besser abbilden–hätteaber über die
vergangene Dekade nicht zwingend zu ei-
ner anderenGeldpolitikgeführt.“

Der Inflation fehlendie Immobilienpreise


Inflationstreiber?Wohnungen im MünchenerStadtteil Schwabing FotoPictureAlliance

Die Furchtvor brennenden
Fassaden.SeiteI3

„Substanz vonWohnungenwirdleiden“


Über den Berliner Mietendeckelund seine eher schädlichenFolgen


Die EZB disk utiert


darüber, das Wohnen in


derInflationstärkerzu


berüc ksichti gen.


Fachleute meinen


allerdings,auf Dauer


machedas nicht viel aus.


Wiekann dassein?


VonChristian


Siedenbiedel,Frankfurt


NR.56·SEITEI1

FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG Immobilien FREITAG,6.MÄRZ 2020

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