Süddeutsche Zeitung - 13.03.2020

(Elle) #1
Washington– DerLuftverkehr zwischen
den USA und Europa wird nach Einschät-
zung von Analysten in den nächsten Tagen
in weiten Teilen zum Erliegen kommen.
Die Entscheidung des amerikanischen Prä-
sidenten Donald Trump, die Einreise für
Passagiere aus dem Schengen-Raum we-
sentlich zu erschweren, „wird praktisch
den Luftverkehr zwischen Schengen und
den USA stoppen“, schreibt Bernstein-Re-
search-Analyst Daniel Röska. Die wirt-
schaftlichen Folgen für die Fluggesell-
schaften sind immens, denn auf den Nord-
atlantik-Routen verdienen viele Anbieter
am meisten Geld.
Trump hatte angekündigt, dass von Frei-
tagnacht an keine Ausländer mehr in die
USA einreisen dürfen, die sich in den vori-
gen zwei Wochen in einem der Schengen-
Länder aufgehalten haben. Amerikaner so-
wie ihre Angehörige sollen zurückkehren
dürfen, auch der Frachtverkehr soll fortge-
setzt werden. Das eine ist, was die Politik
noch erlaubt, das andere aber sind die Kon-
sequenzen, die Unternehmen daraus zie-
hen. Die Airlines werden es sich nicht leis-
ten können, praktisch leere Flugzeuge
über den Nordatlantik zu schicken, zumal
es unklar ist, ob es Ausnahmeregeln für die
Besatzungen geben würde. Ähnliche Res-
triktionen gelten bereits zwischen den
USA und China – derzeit finden nur noch
rund 20 Flüge pro Tag statt.
Lufthansa teilte am Donnerstag Abend
mit, dass trotz des Einreisestopps zu-
nächst weiterhin Ziele in den USA angeflo-
gen werden. Chicago, Newark bei New
York und Washington würden von den Ab-
flugorten Frankfurt, Zürich, Wien und
Brüssel bedient. Von dort könnten Fluggäs-
te über den Partner United Airlines weiter-
hin Ziele innerhalb der USA erreichen. Alle
anderen US-Flüge von Lufthansa werden

dagegen eingestellt, insbesondere auch al-
le von München. Ein Sonderflugplan für
die USA werde zeitnah erstellt. Betroffene
Passagiere können derzeit auch versu-
chen, Umsteigeflüge über Kanada, Mexi-
ko, Irland, Großbritannien oder andere
Staaten zu buchen. Allerdings ist unklar,
ob das US-Einreiseverbot auf weitere Län-
der ausgeweitet wird, wenn sich dort Coro-
navirus-Fälle häufen. Aktien europäischer
Fluggesellschaften verloren am Donners-
tag noch einmal drastisch an Wert, die Luft-
hansa-Aktie gab 14 Prozent nach.

Die Entscheidung betrifft insgesamt
3500 Flügepro Woche, die normalerweise
im März wöchentlich zwischen den USA
und Europa geplant sind. Bleibt es bei der
Begrenzung des Einreiseverbotes auf 30
Tage, geht es also um mehr als drei Millio-
nen Passagiere, die entweder nicht fliegen
dürfen oder deren Flug womöglich abge-
sagt wird. Da zunächst keine Details der
Trump-Verordnung bekannt waren, wa-
ren die Fluggesellschaften über Nacht da-
mit beschäftigt, sich ein Bild der Lage zu
machen. In den nächsten Schritten prüfen
die Airlines, welche Flüge noch stattfinden
und welche abgesagt werden. Dazu wollte
sich zunächst niemand äußern. „Wir arbei-
ten in vollem Notfall-Modus“, hieß es bei ei-
nem betroffenen Unternehmen.
Die am meisten betroffene Fluggesell-
schaft ist die Lufthansa. Die Gruppe, zu der
auch Swiss, Brussels Airlines, Austrian
und Eurowings gehören, kommt den Zah-
len von Bernstein Research zufolge auf ei-
nen Marktanteil von 21 Prozent bei Verbin-

dungen zwischen dem Schengen-Raum
und den USA. Hinzu kommen rund 15 Pro-
zent über ein Joint Venture mit United Air-
lines. Delta Air Lines hat einen Anteil von
17 Prozent, die mit ihr in einer Allianz ver-
bundene Air-France-KLM-Gruppe kommt
auf zwölf Prozent. American folgt mit sie-
ben Prozent Marktanteil.
Für Ferienfluggesellschaften wie Con-
dor hat das Trump’sche Einreiseverbot
überschaubare Konsequenzen. Condor
fliegt etwas mehr als zehn Flüge je Woche
in die USA. Die deutsche Fluggesellschaft
Tuifly führt derzeit sogar keine Flüge in
die USA durch. Erst von November an sol-
len Flüge nach Mexiko und in die Karibik
aufgenommen werden.
Dramatisch ist die Lage bei der Billig-
fluggesellschaft Norwegian. Sie hat in den
vergangenen Jahren stark auf dem Nordat-
lantik expandiert und wollte das Billigmo-
dell so auch auf der Langstrecke etablie-
ren. Mit fast 20 Prozent Umsatzanteil wa-
ren bislang die USA der wichtigste Markt
für die finanziell angeschlagene Airline.
Für mehr Asienverkehr fehlen ihr die Über-
flugrechte über Russland. Norwegian ist ei-
ner der größten ausländischen Anbieter in
New York und fliegt US-Ziele von mehre-
ren europäischen Flughäfen aus an.
Schon in den vergangenen Wochen hat-
ten die Airlines auf den Nordatlantik-Rou-
ten massive Buchungseinbrüche festge-
stellt und die Zahl der Flüge reduziert. Die
International Air Transport Association
(IATA) ging vor gut einer Woche davon aus,
dass in den größten Ländern Europas der
Luftverkehr im Jahr 2020 um 24 Prozent
einbrechen könnte und den europäischen
Airlines dadurch 44 Milliarden Dollar an
Umsätzen fehlen. Diese Prognose dürfte
nach den neuesten Entwicklungen nicht
mehr ausreichen. jens flottau

Ein Bild aus besseren Zeiten: Ein Lufthansa AirbusA380landet aufdem Flughafen in Los Angeles. Die Maschine ist das größte
Passagierflugzeug der Welt, genau das ist jetzt ein Problem. FOTO: MARKUS MAINKA / IMAGO

E


rstaunlich erschien es westlichen
Beobachtern, dass das Coronavirus
einzelne unbetroffene chinesische
Städte dazu bewog, sich präventiv abzurie-
geln. Das kann man auf zwei Weisen deu-
ten: Entweder zeigte sich da vorauseilen-
der Gehorsam gegenüber der Zentralregie-
rung in Peking, oder es geschah auf eigene
Initiative. Eine Betrachtung des Projekts
der „neuen Seidenstraße“, heute internati-
onal bekannt als „Belt and Road Initiative“
(BRI), gibt eine Antwort auf diese Frage.
Seitdem China ein weltweit führendes
Exportland geworden ist, seitdem die chi-
nesische Führung entsprechend selbstbe-
wusst auftritt und 2010 sogar erklärte, den
Dollar als globale Leitwährung zurückdrän-
gen zu wollen, sind die US-Regierungen
vergrätzt. Pekings Vorstellungen passen
nämlich gar nicht zu der in den 1990er-Jah-
ren üblichen Annahme, die von etlichen
Akademikern (vorneweg der vormalige US-
Sicherheitsberater Zbigniew Brzeziński)
wissenschaftlich unterstützt wurde: Der
Niedergang der Sowjetunion habe zur Fol-
ge, dass im Namen der Demokratie die He-
gemonie der USA im Westen nun auch in
andere Richtungen hin ausgebaut werden
könne und solle.
Schon bevor Donald Trumps chaotische
Vulgärpolitik den Eindruck erweckte, der
Präsident sei mit dem Klammerbeutel ge-
pudert, kursierten im Weißen Haus Bedro-
hungsszenarien. Chinas wirtschaftlicher
Aufstieg und daraus sich ergebende über-
zogene Forderungen an die Handelspart-
ner haben die Sorge geweckt, da werde an
der amerikanischen Führungsposition in


der Welt gekratzt. Weil Trump, anders als
seine Vorgänger, auf erfahren-kluge Diplo-
maten keinen Wert legt, ist von der US-Re-
gierung mittlerweile vor allem Klartext zu
hören. China wolle „ein Wirtschaftsimperi-
um werden“, sagte zum Beispiel der Außen-
minister Mike Pompeo, „und wir werden al-
les tun, das zu verhindern“. Das klingt so,
als sei Pompeo gegen die freie globale
Marktwirtschaft, beziehungsweise halte
sie nur dann für richtig, wenn die USA pro-
fitieren.
Nachdem die Vereinigten Staaten einen
Handelskrieg mit China begonnen hatten,
folgte die EU im Schlepp und veröffentlich-
te im März 2019 ein „Strategiepapier“, in
dem sie China zum „systemischen Riva-
len“ erklärte. Dergleichen ist hilfreich,
wenn man irgendwie Druck und schlechte
Stimmung machen will; ein weiterer Nut-
zen dieser Erklärung ist nicht ersichtlich.
Nötig erschien sie der EU nicht zuletzt an-
gesichts der Seidenstraßen-Vorhaben, die
bisher den Anschein erwecken, dass China
alles nach Möglichkeit allein machen will.
Eine Umfrage bei deutschen Unterneh-
men ergab: Die meisten, auch wenn inter-
essiert, erhalten kaum Kenntnis von ge-
planten Häfen, Eisenbahnlinien, Flughä-
fen, Kraftwerken, Staudämmen in Asien
und Afrika; sie werden außen vor gehal-
ten. Viele westliche Kommentatoren fürch-
ten zudem, Xi Jinpings China wolle nicht
bloß ökonomisch triumphieren, sondern
auch – in den weiten Ärmeln des Mantels
von Konfuzius versteckt – seine undemo-
kratische Ideologie in die Welt exportie-
ren.

Was zur Zeit des Kalten Krieges der zäh-
nefletschende russische Bär, ist heute der
sanft sein Gift verträufelnde chinesische
Drache, personifiziert von Xi? Nun ja – der
Bär wollte in den 1970er- und 1980er-Jah-
ren gar nicht beißen; und der Drache ist da-
mit beschäftigt, seinen eigenen Schwanz
einzufangen. Zu denen, deren Recherchen
die westlichen Ängste ein wenig mildern
könnten, gehören Lee Jones (Queen Mary
University of London) und Jinghan Zeng
(Lancaster University). Anfang 2019 haben
die beiden in der FachzeitschriftThird
World Quarterlyeinen exzellenten Aufsatz
veröffentlicht. Auf Deutsch heißt er: „Chi-
nas Road and Belt Initiative verstehen“.

Die BRI, schreiben die Autoren, werde
weithin betrachtet als klar umrissene Stra-
tegie mit einem Masterplan, der in Peking
entworfen und von dort in die Regionen
zur Umsetzung durchgestellt werde. Von
wegen, schreiben die Autoren: Sofern über-
haupt von einer Strategie die Rede sein
könne, sei sie in diesem Riesenreich not-
wendigerweise unklar. Nicht anders als sei-
ne Vorgänger gebe Xi vage Devisen aus, de-
ren Realisierung eine Frage der Auslegung
ist. Was im Westen als eine Reihe von
Kampfansagen aufgefasst wird, kommt in
Chinas Provinzen nicht selten bloß als
unverbindliche Empfehlung an. In Peking
ist man nachgerade daran gewöhnt, dass

Vorgaben der Zentralregierung bei allerlei
regionalen Instanzen versuppen: „Nachge-
ordnete Akteure können die Zentralpolitik
beeinflussen, interpretieren oder sogar
komplett ignorieren.“ Was schließlich ent-
steht, schreiben Jones und Zeng, habe mit
Pekings Absichten oftmals nicht viel zu
tun, bis dahin, dass die staatliche Außenpo-
litik „unterminiert“ werde.
Da sind die „leading small groups“
(LSG), kleine organisatorische Einheiten,
die von der KPCh oder vom Staatsrat einge-
setzt werden, um wolkige Worte des Staats-
präsidenten in die Praxis umzusetzen; im
Kampf um Bedeutung und Finanzierung
arbeiten diese LSG gern gegeneinander.
Das Gleiche gilt für die staatlichen Unter-
nehmen. Lokalregierungen wollen Arbeits-
plätze bewahren, weshalb sie von den loka-
len staatlichen Banken erwarten, dass die
auch noch das kaputteste Zombie-Unter-
nehmen über Wasser halten. Dann sind da
die Provinzgouverneure, die „quasi-auto-
nom“ internationale Verträge abschließen.
Wie um das Kompetenzgerangel abzurun-
den, verfügt auch die Armee über beachtli-
chen wirtschaftspolitischen Einfluss.
Wen will es da noch wundern, dass un-
ter dem Rubrum BRI mal hier ein Hafen ge-
baut wird und dort eine Eisenbahn, ohne
dass diese Projekte zum durchdachten Aus-
bau von Handelsrouten beitragen? Peking
ist nicht allmächtig, das gilt sogar für den
Umgang mit dem Coronavirus.
franziska augstein

von jan willmroth

V


on allen „gefallenen Engeln“ ist der
Ketchupkonzern Kraft Heinz der pro-
minenteste, und er ist seit Langem
die größte Firma mit diesem Etikett. Die re-
ligiöse Metapher steht am Kapitalmarkt
für Unternehmen, die den heiligen Kreis
der solventen Schuldner verlassen muss-
ten, bestraft wegen Schwächen in ihrer Bi-
lanz. Kraft Heinz war zu leichtfertig mit ge-
liehenem Geld umgegangen, befanden die
Richter: Mitte Februar ließen die Rating-
agenturen Fitch und Standard &Poor’s
den Konzern fallen. Anleihen des Lebens-
mittelherstellers gehören seither zum
Hochzinssegment, im Englischen heißen
solche Papiere auch „junk bonds“ –
Schrottanleihen. Viele Investoren fassen
solche Risikopapiere nicht mehr an.
Der Fall Kraft Heinz zeigt viel mehr auf
als eine Menge individueller Probleme
eines Konzerns. Er lässt erahnen, was in
diesem Jahr am Markt für Unternehmens-
anleihen bevorstehen könnte: Die Corona-
Krise bedroht rund um den Globus Liefer-
ketten, Geschäftspläne und in vielen Fäl-
len damit die ohnehin knappen Kalkula-
tionen von Unternehmen. Die drohende
Rezession gefährdet Bilanzen einer Viel-
zahl von Firmen vor allem in den USA, die
sich seit der Finanzkrise mit billigen Kredi-
ten vollgesogen haben. Was derzeit bei
Einzelfällen sichtbar wird, könnte flächen-
deckend gefährlich werden. „Das ist die
Sollbruchstelle der US-Wirtschaft“, sagt Ul-
rich Kater, Chefvolkswirt der Deka Bank.
„Wenn sich die Rezession ausbreitet, kann
das zum Brandbeschleuniger werden.“
Diese Sorge teilen viele. Mit der locke-
ren Geldpolitik seit der Finanzkrise wur-
den die Finanzierungsbedingungen von
Konzernen einfacher. Auf der Suche nach
Rendite floss immer mehr Geld in den
Markt für Unternehmensanleihen. Konzer-
ne verkaufen Schuldpapiere an Investo-
ren, so wie Staaten. Je mehr Geld zur Verfü-
gung steht, desto geringer die Zinsen für
die Schuldner, und desto einfacher fällt es
auch hoch verschuldeten Unternehmen,
sich am Kapitalmarkt Geld zu besorgen.
Die weltweit ausstehenden Unternehmens-
anleihen im Nicht-Finanzsektor summier-
ten sich laut OECD Ende 2019 auf 13,5 Billi-
onen Dollar – doppelt so viel wie im Dezem-
ber des Krisenjahres 2008.


Auf der Suche nach Rendite haben Inves-
toren Risiken ausgeblendet, die mit einer
unerwarteten Krise wie der Corona-Pande-
mie plötzlich wieder sichtbar werden; sie
haben leichtfertig Firmen mit geringer
Kreditwürdigkeit finanziert. „Viele Unter-
nehmen haben das billige Geld genutzt,
um Dividenden zu zahlen oder eigene Ak-
tien zurückzukaufen“, sagt Thomas Meiß-
ner, Chefanalyst der Landesbank Baden-
Württemberg. Das rächt sich nun.
Zuerst trifft es die sogenannten Schrott-
anleihen, die in den vergangenen Jahren
beliebt waren, weil sie in der Nullzinsära
auskömmliche Renditen versprachen. US-
Ölfirmen und deren Zulieferer etwa, die
mit sehr viel Fremdkapital arbeiten, hat
der Ölpreissturz Anfang der Woche in aku-
te Probleme gestürzt. Das weitaus größte
Problem liegt aber bei den Firmen, denen
es in einer Rezession so gehen könnte wie
Kraft Heinz. Jenen Firmen mit einem
schlechten Rating von BBB, eine Stufe
über Ramsch. Deren Schuldenquote ist in


vielen Fällen gerade so kalkuliert, dass sie
ihr Rating behalten können, solange das
Geschäft ungestört läuft. In den USA liegt
mehr als die Hälfte der Unternehmensan-
leihen außerhalb des Finanzsektors inzwi-
schen in diesem Marktsegment, Papiere
im Wert von 3,4 Billionen Dollar.
Werden diese Unternehmen auf Schrott-
niveau herabgestuft, löst das in der Regel
eine Verkaufswelle aus. Denn viele Fonds,
Versicherungen und Pensionskassen dür-
fen keine oder sehr begrenzt Ramschanlei-
hen halten. Hinzu kommen passive Anlei-
hefonds, die bestimmte Indizes nachbil-
den. Sie verkaufen automatisch, wenn eine
herabgestufte Firma zum „gefallenen En-
gel“ wird. Die Folge: Für manche Papiere
gibt es nicht schnell genug ausreichend
Käufer. Preisausschläge nach unten wer-
den dadurch extremer, und mit ihnen die

Verluste von Fonds. „Sollte das in größe-
rem Umfang passieren, hätte es auch nega-
tive Folgen für die Realwirtschaft“, sagt An-
drew Bosomworth, Deutschlandchef der
auf Anleihen spezialisierten Fondsgesell-
schaft Pimco: „Steigende Risikoprämien
am Anleihemarkt können eine Rezession
verstärken oder sogar mit auslösen.“
Nämlich dann, wenn die Refinanzie-
rungskosten von Unternehmen in größe-
rem Ausmaß steigen, wenn die Krise also
nicht nur einzelne Airlines, Reiseveranstal-
ter und Hotelbetreiber trifft, sondern gan-
ze Sektoren gefährdet. So trifft es die
Schuldner gleich doppelt: Die Umsätze bre-
chen weg, gleichzeitig entsteht die Gefahr
einer immer teureren Refinanzierung.
Die Analysten in den Forschungsabtei-
lungen der Banken passen gerade täglich
ihre Berechnungen an, viele Prognosen
werden in diesen Tagen schnell obsolet. Je
weiter sich das Virus verbreitet und mit
ihm die wirtschaftliche Dynamik ausge-
bremst wird, desto höher das Risiko für die
Unternehmensbilanzen. Einzelne Fälle
wie Kraft Heinz kann der Markt noch abfe-
dern. Ein globaler Abschwung mit Herab-
stufungen auf breiter Front könnte zum
Krisenherd werden – ein Szenario, vor
dem der Internationale Währungsfonds
(IWF) seit Jahren und jüngst im Oktober in
seinem aktuellen Finanzstabilitätsbericht
gewarnt hat. „Die Verschuldung von Unter-
nehmen kann Schocks verstärken“, warn-
ten die Forscher. Ihr damit verbundener
Rat, möglichst bald gegenzusteuern, lässt
sich jetzt aber nicht mehr umsetzen.
Wie schlimm es wird, hängt jetzt vor al-
lem von der Dauer der Krise ab, heißt es bei
der Ratingagentur Fitch. Dort sowie bei
den Wettbewerbern Standard &Poor’s
und Moody’s erhalten Firmen und Staaten
ihre viel beachteten Noten. „Wenn wir an-
nehmen, dass es einige Wochen dauert,
und es die Unternehmensbilanzen kurz
und hart trifft, dann kann der Corona-
Schock aufgefangen werden“, sagt Alex
Griffiths, Europachef für das Unterneh-
mensrating. Heißt im Umkehrschluss: Je
länger die Krise anhält, desto brenzliger
die Lage. „Es wird Verwerfungen geben“,
sagt Griffiths, „aber momentan sehen wir
keine großen systemischen Risiken im Be-
reich der Unternehmensschulden.“ Zumin-
dest nicht im regulierten Anleihemarkt.
„Unsere größte Sorge gilt vielmehr den Din-
gen, die wir nicht sehen, und das sind klei-
ne und mittelgroße Firmen“, sagt er. Jene
Firmen also, die viele Schlüsselpositionen
in der Wertschöpfung besetzen.

Leer über den Atlantik


Das Einreiseverbot für Europäer in die USA trifft den Luftverkehr, Lufthansa fliegt weiter


Carol Tomé,Jahrgang 1957, frühere
Finanzchefin der US-Baumarktkette
Home Depot, wird Chefin des Paket-
dienstes United Parcel Service (UPS).
Tomé(FOTO: AP)übernimmt den Chefpos-
ten am 1. Juni von David Abney, wie UPS
in Atlanta mitteilte. Abney werde den
Übergang begleiten, seine Aufgaben
schrittweise niederlegen und Ende 2020
nach 46 Jahren aus dem Konzern aus-
scheiden. Abneys Nachfolgerin Tomé sei
einer der talentiertesten Führungsköpfe
in der amerikanischen Wirtschaft, sagte
Verwaltungsratsmitglied William John-
son, der dem Nominierungsausschuss
von UPS vorsitzt und künftig Verwal-
tungsratschef des US-Paketdienstes
werden soll. Die neue Konzernchefin
Tomé gehört bereits seit 2003 dem Ver-
waltungsrat von UPS
an. Sie war seit 1995
als Vice President
für Strategie und
Finanzen von Home
Depot verantwort-
lich. Im August ver-
gangenen Jahres
war sie in den Ruhe-
stand gegangen.sz

Frank Weber, 53, bei BMW für Oberklas-
se-Baureihen und für Rolls-Royce verant-
wortlich, wird neuer Entwicklungsvor-
stand des Münchner Autoherstellers. Er
übernimmt zum 1. Juli den Posten von
Klaus Fröhlich, der das Ressort seit 2014
führt und vor der Berufung von Oliver
Zipse zum Konzernchef im vergangenen
August ebenfalls als Kandidat für die
Nachfolge von dessen Vorgänger Harald
Krüger galt. Fröhlich erreicht in diesem
Jahr die bei BMW für Spitzenmanager
übliche Altersgrenze von 60 Jahren und
scheidet damit aus dem Vorstand aus.
Der Maschinenbau-Ingenieur Weber
(FOTO:DPA)ist seit 2011 bei BMW, zuvor
arbeitete er beim US-Konzern General
Motors und dessen damaliger Tochter
Opel. Der 53-Jährige solle den BMW-Vor-
stand unter anderem mit seiner Kompe-
tenz im Bereich
Elektromobilität
verstärken, erklärte
Vorstandschef Oliver
Zipse am Donners-
tag. Zuvor hatte
dieser bereits die
Posten für Produkti-
on und Personal neu
besetzt.cku

Ingmar Hoerr, 51, Aufsichtsrat bei Cure-
vac, macht’s wieder selbst. Nach knapp
zwei Jahren kehrt er aus dem Kontrollgre-
mium zurück und löst Daniel Menichella,
50, als Vorstandschef von Curevac ab.
Hoerr(FOTO: OH)hatte das Tübinger Biotech-
nologie-Unternehmen 2000 mitgegrün-
det. Zu den Investoren zählen die Gates-
Stiftung und SAP-Mitgründer Dietmar
Hopp. Die Firma arbeitet an der Entwick-
lung eines Impfstoffes gegen das Corona-
virus. Deshalb saß Menichella Anfang
März mit Pharmamanagern bei US-Präsi-
dent Donald Trump im Weißen Haus, um
über Strategien gegen das Virus zu re-
den. „Ingmar Hoerr kennt das Unterneh-
men und dessen Identität durch und
durch. Als Gründungs-CEO, Wissen-
schaftler und Visionär ist er der Richtige,
Curevac in die Zukunft zu führen“, lobt
Jean Stéphenne, der
stellvertretende
Aufsichtsratschef,
den Wiederkehrer.
Manchmal ist das
Lob für den einen die
genaue Beschrei-
bung dessen, was
dem Vorgänger wohl
fehlte.etd

18 HF2 WIRTSCHAFT Freitag,13. März 2020, Nr. 61 DEFGH


Finanziers haben leichtfertig


Unternehmenmit geringer


Kreditwürdigkeit Geld gegeben


„Wir arbeiten in vollem
Notfall-Modus“, heißt
es bei einer Airline

„Systemischer Rivale“


Seitdem Chinawirtschaftlich bedeutsam geworden ist,
hegt man im Westen Befürchtungen: Xi Jinping
und seine Regierung würden übergriffige
Machtfantasien hegen. In der Wirklichkeit
hat die Zentralregierung schon im eigenen Land
weniger Einfluss, als man es sich im Westen vorstellt

AUGSTEINS WELT


Pekings Direktiven
werden in den Provinzen mitunter
schlichtweg ignoriert

Wie das Virus Unternehmen trifftDie Airlineskämpfen, andere Konzerne sind zu hoch verschuldet


Der Fluch des


billigen Geldes


Viele Unternehmen haben jahrelang niedrige Zinsen
genutzt und Schulden gemacht. Das wird jetzt zur Gefahr

„Die Verschuldung von
Unternehmen kann Schocks
verstärken“, warnt der IWF

An dieser Stelle schreiben jeden Freitag Franziska
Augstein und Nikolaus Piper im Wechsel.

Kurzer Ruhestand


NeuerChef-Entwickler


Selbst ist der Forscher


PERSONALIEN

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