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bschottung ist die neue Strategie in
Zeiten des Coronavirus. US-Präsident
Donald Trump hat einen 30-tägigen
Einreisestopp für alle Europäer bis
auf die Briten verhängt. Damit sind
zusätzlich zu den Flügen aus China und dem Iran
auch alle Flüge aus Europa betroffen – mit Ausnah-
me der aus Großbritannien und Irland. Als Grund
nannte Trump die unvorsichtige Reisefreiheit der
Europäer. Die Corona-Fälle in den USA gingen auf
Auslandsreisende zurück, argumentierte er.
Isolation oder Bewegungsfreiheit? Stillstand ris-
kieren oder den Handel aufrechterhalten? Das sind
die Optionen, die die Regierungen weltweit abwä-
gen. Geografisch unabhängigere Länder wie die
USA oder Japan tendieren zur Abschottung. Län-
der mit viel Grenzverkehr und Handel wie
Deutschland, Frankreich oder die Schweiz setzen
weiter auf offene Grenzen.
Die EU-Spitze reagierte verärgert über den Al-
leingang Trumps: „Die Europäische Union miss-
billigt die Tatsache, dass die US-Entscheidung ei-
nes Einreisestopps einseitig und ohne Rückspra-
che getroffen wurde“, erklärten
EU-Kommissionspräsidentin Ursula
von der Leyen und Ratspräsident
Charles Michel. Das Coronavirus
sei eine globale Krise, die nicht
auf einen Kontinent begrenzt
sei und Zusammenarbeit
statt einseitiger Aktionen er-
fordere. Auch Trumps Vor-
wurf, die Europäer täten zu
wenig gegen die Pandemie,
wiesen von der Leyen und
Michel zurück.
Der CSU-Europaabgeordnete
Markus Ferber kritisierte, der US-
Präsident interessiere sich nicht für
das Virus, sondern nur für den Wahlkampf.
„Das Virus wird zum Staatsfeind erklärt, das aus
China kommt und von Europäern verbreitet wird“,
sagte er dem Handelsblatt: „Das passt in Trumps
Weltbild, wird das Virus aber nicht aufhalten.“
CDU-Gesundheitspolitiker Peter Liese kritisierte,
Trump versuche, von seinem Versagen bei der Be-
kämpfung des Coronavirus abzulenken.
In der Bundesregierung herrschte regelrechtes
Entsetzen über die Entscheidung von Donald
Trump. Die Maßnahme lasse das Schlimmste be-
fürchten, hieß es in Regierungskreisen. Dass sich
die US-Regierung nicht mit ihren europäischen
Partnern vorab abgestimmt habe, sei genau das fal-
sche Signal. Zudem sei irritierend, dass Trump
Großbritannien von der Maßnahme ausnehme.
Das lasse befürchten, dass es ihm auch darum ge-
he, die Krise politisch zu nutzen, um Druck auf die
Europäer zu machen, etwa in den laufenden Ver-
handlungen zu Handelsfragen.
Die Welt
schottet sich ab
Angesichts des Coronavirus setzt US-Präsident Trump
auf Isolation. Damit sind die USA nicht allein.
Nur wenige Länder lassen ihre Grenzen noch offen.
Reisefreiheit zunehmend eingeschränkt
Ausgewählte Staaten mit Einreise- bzw. Reisebeschränkungen zur Eindämmung der Pandemie
Bei Einreise aus einem
Risikogebiet gilt u. a.
für Peking u. Schanghai
eine 14-tägige
Quarantänepflicht.
Als solche stufen die
Städte derzeit Iran,
Italien, Japan u. Süd-
korea ein. Es muss
damit gerechnet
werden, dass lokale
Behörden auch Ein-
reisende aus anderen
Staaten zur Einhaltung
der Quarantäne ver-
pflichten. In Einzelfällen
betraf das auch
Einreisende aus
Deutschland.
HANDELSBLATT Quelle: Auswärtiges Amt
Einreiseverbot oder Quarantänepflicht Meldepflicht oder Ähnliches/vereinzelte Quarantänepflicht Keine Beschränkung
Deutschland
Zielland:
1) 1) 1)
4) 4) 4)
1)
1) 1) 1) 1) 1) 1) 1) 1)
6) 6) 6)
5) 5) 5) 5) 5) 5) 5) 5)
6) 6) 6) 6)
2)
6)
Frankreich 2)
Italien3)
Frankreich
Japan
Kanada
USA
Großbritannien
China
Israel
Indien
Russland
Deutschland
Herkunftsland:
Frankreich Italien Japan Kanada USA Großbritannien China Russland Israel
1)
6)
Indien
1) Aussteigekarten bei Flügen; 2) Verstärkte Kontrollen und Empfehlung einer 14-tägigen Aktivitätsbeschränkung; 3) Reisebeschränkung innerhalb Italiens;
4) Häusliche Quarantäne empfohlen; 5) Für Peking und Hongkong Pflichtquarantäne; 6) Beschränkung der Stadtverwaltung Moskau
Auf dem Flughafen in Pittsburgh: Die USA würden das Virus gern aussperren. Doch dafür ist es zu spät.
imago images/ZUMA Wire [M]
Die EU missbilligt, dass
die Entscheidung eines
Einreisestopps einseitig
getroffen wurde.
Ursula von der Leyen &
Charles Michel
Kommissionspräsidentin und
Ratspräsident der EU
Wirtschaft
& Politik
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WOCHENENDE 13./14./15. MÄRZ 2020, NR. 52
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Bundesgesundheitsminister Jens Spahn äußerte
Zweifel an der Wirksamkeit von Grenzschließun-
gen im Kampf gegen die Ausbreitung des Coronavi-
rus. „Zu sagen, wir machen jetzt alle Grenzen
dicht, und dann geht das Virus an uns vorbei, das
wird nicht funktionieren“, sagte Spahn. „Das Virus
ist in Deutschland, das ist der Gedanke, an den wir
uns gewöhnen müssen.“ Auch für Kanzlerin Angela
Merkel sind Grenzschließungen „keine adäquate
Lösung der Herausforderung“. Bundesinnenminis-
ter Horst Seehofer (CSU) jedoch wies am Donners-
tag den Präsidenten der Bundespolizei, Dieter Ro-
mann, an, die Kontrollen an allen Binnengrenzen
Deutschlands zu intensivieren.
Abgeschottetes Italien
In Europa ist Italien bislang am stärksten betrof-
fen. Die Liste der Länder, die Italien nicht mehr
anfliegen oder Italiener bei der Ankunft automa-
tisch in eine vierzehntägige Quarantäne schicken,
wird immer länger. Dabei war es Italien, das sei-
nerseits als erstes Land in Europa drastische Maß-
nahmen gegen China ergriffen hatte. Schon am 31.
Januar wurden alle Flüge von und nach China ein-
gestellt. In den anderen Ländern entschieden die
Fluggesellschaften, nicht die Regierungen. Doch
die Verbreitung des Coronavirus in Italien konnte
das nicht aufhalten.
Der Tourismus ist zum Erliegen gekommen.
Flugverbindungen werden eingestellt, und Italie-
nern wird die Einreise verboten. In Spanien sitzen
600 Italiener fest, die nicht zurückkönnen. Auch
Polen, Österreich, Dänemark und Albanien, Ma-
rokko, Tunesien, die Türkei und Kanada haben
die Flüge annulliert. Auch viele Fluggesellschaften
haben die Flüge von und nach Italien eingestellt
oder planen dies.
Österreich hatte die Grenzen zu dem Nachbar-
land geschlossen. Die italienische Wirtschaft sorgt
vor allem die Schließung des Brenners. Der Indus-
trieverband Confindustria richtete am Donnerstag
einen Appell an die Regierung in Rom und die EU-
Kommission, auf die österreichische Regierung ein-
zuwirken, die Schließung aufzuheben. „Alle An-
strengungen, die die Firmen in Italien machen, um
weiterhin zu produzieren und die Wirtschaft nicht
zum Erliegen zu bringen, werden von opportunis-
tischen Pseudo-Vorsichtsmaßnahmen zunichtege-
macht, die die Regionalregierung von Tirol be-
schlossen hat“, schreibt der Verband.
Schweiz und Frankreich bleiben offen
Die Schweiz und Frankreich halten Grenzen weiter
offen. Von Einreiseverboten will die Eidgenossen-
schaft bislang nichts wissen, auch die Grenze zu
Italien bleibt durchlässig. Zwar wurden einzelne
Übergänge geschlossen, um den Verkehr zu len-
ken. An großen Knotenpunkten bleibt die Einreise
aus dem südlichen Nachbarland aber erlaubt – und
das, obwohl die italienische Nachbarregion Lom-
bardei ein Corona-Hotspot ist.
Das Problem: Vor allem das Südschweizer Kan-
ton Tessin pflegt einen regen Austausch mit dem
Nachbarland. Täglich pendeln rund 78 000 Italie-
ner in die Schweiz. Viele Italiener arbeiten auch im
Gesundheitssektor. Die Regierung fürchtet deshalb,
dass die ohnehin angespannte Situation in den Tes-
siner Krankenhäusern bei einer Grenzschließung
verschärft werden könnte. Zwar gibt es auch in der
Schweiz immer mehr Stimmen, die sich für eine
Schließung der Grenzen aussprechen. Aber Exper-
ten glauben, dass es dafür ohnehin zu spät ist.
Frankreich hat von Anfang an auf eine Strategie
gesetzt, die darauf abzielt, die wirtschaftlichen und
gesellschaftlichen Abläufe möglichst nicht zu beein-
trächtigen. Folgerichtig zählt die französische Re-
gierung zu den ersten und schärfsten Kritikern von
Trump, der Flüge aus Europa verboten hat.
Angesichts der italienischen und US-Tendenz zur
Isolation hatten Emmanuel Macron und seine Re-
gierung allerdings zuletzt Probleme, ihre liberale
Linie zu verteidigen. Auch die britische Regierung,
die trotz Trumps Segen bislang lediglich zum Hän-
dewaschen riet, wollte am Donnerstag ihre Maß-
nahmen gegen die Epidemie verschärfen. Die Kri-
sensitzung dauerte bei Redaktionsschluss noch an.
Das Land zählt in Europa zu denen, die am spätes-
ten reagieren.
Israel und Indien schirmen sich ab
Deutlich drastischer geht Israel die Pandemie an.
Das Land hat sich von der Außenwelt fast gänzlich
abgeschirmt. Alle ankommenden Passagiere sind
zwei Wochen lang zur Heimquarantäne verpflich-
tet. Um einreisen zu dürfen, müssen Touristen mit
einem Dokument nachweisen, dass sie für die Iso-
lation in einer Wohnung vorgesorgt haben. Nur
noch wenige Airlines fliegen Israel überhaupt noch
mangels Nachfrage an. Sogar die nationale Airline
El Al hat ihren Flugplan so stark verdünnt, dass 80
Prozent der Arbeitnehmer einen unbezahlten
Zwangsurlaub antreten müssen. Die Maßnahmen
zur Eindämmung des Coronavirus treffen die israe-
lische Tourismuswirtschaft kurz vor Ostern und
dem jüdischen Passahfest massiv.
Indien hat ebenfalls drastische Reisebeschrän-
kungen ergriffen: Premierminister Narendra Modi
riegelt sein Land für Reisende aus dem Ausland na-
hezu vollständig ab – Asiens drittgrößte Volkswirt-
schaft stellt sich damit de facto selbst unter Qua-
rantäne.
Auch Japan und Südkorea verschließen sich mitt-
lerweile. Japan ließ lange lediglich Chinesen aus
dem Epizentrum der Pandemie, der Provinz Hu-
bei, und der Provinz Zhejiang nicht mehr ins
Land. Doch inzwischen hat sich die Lage geändert.
Die zweitgrößte Volkswirtschaft Asiens verhängte
vergangene Woche härte Einreisebestimmungen
für Reisende aus China oder Südkorea. Die Gren-
zen sind zwar theoretisch weiter für viele Länder
offen. Aber die Regierung hat drei Millionen Visa
und die Visabefreiung für koreanische Kurzzeittou-
risten aufgehoben. Zudem werden alle Personen,
die aus diesen Ländern einreisen, unabhängig von
ihrer Nationalität seit Montag aufgefordert, freiwil-
lig erst einmal 14 Tage in Quarantäne zu gehen.
Außerdem lässt Japan inzwischen keine ausländi-
schen Staatsbürger ins Land, die in den vergange-
nen 14 Tagen die südkoreanische Stadt Daegu,
Norditalien inklusive San Marino sowie eine Reihe
iranischer Provinzen besucht haben.
Südkorea hat sich mit ähnlichen Maßnahmen für
japanische Staatsbürger revanchiert. Ansonsten
sind die Grenzen weiterhin offen, auch für alle Chi-
nesen, die nicht aus Hubei kommen. In Taiwan
dürfen chinesische Staatsbürger generell nicht
mehr einreisen, es sei denn als Ehepartner eines
taiwanischen Bürgers. Auch alle anderen Perso-
nen, die in den vergangenen 14 Tagen in China wa-
ren, müssen draußen bleiben.
M. Brächer, P. Heumann, J. Hildebrand, T. Hoppe,
K. Kort, R. Krieger, M. Peer, T. Hanke, T. Sigmund,
C. Volkery.
AFP, US-Präsident Donald Trump: Unklar, wie ernst er die Situation nimmt.
Laurence Boone
„Alles tun für
den Erhalt
der Firmen“
E
rst vor zehn Tagen warnte die
OECD vor einem Dämpfer für die
Weltkonjunktur. Sie sei da wohl
noch zu optimistisch gewesen, sagt
Chefökonomin Laurence Boone heute.
Frau Boone, wie sähe Ihre Wirt-
schaftsprognose heute aus?
Wir hatten ja in unserem Wirt-
schaftsausblick zwei Szenarien
beschrieben. Und leider müs-
sen wir feststellen, dass wir
inzwischen sehr viel näher
am pessimistischeren Szena-
rio sind, bei dem sich das Co-
ronavirus nicht nur in Asien,
sondern auch in Europa und
Amerika ausbreitet.
In diesem Szenario halbiert sich das
Weltwirtschaftswachstum. Was müssen
die Regierungen tun?
Es muss alles getan werden, Unterneh-
men in dieser Krise am Leben zu erhal-
ten. Es ist wichtig, Kreditlinien bereitzu-
stellen und Bürgschaften. Steuerstun-
dungen könnten ebenfalls dazu beitra-
gen, dass die Firmen liquide bleiben.
Und für die Beschäftigten sind Kurzar-
beitsregeln enorm wichtig. Ich freue
mich, dass viele Staaten bei der Kurzar-
beit dem deutschen Vorbild aus der Fi-
nanzkrise von 2009 jetzt folgen.
Bisher handelt jede Regierung natio-
nal. Was könnte die EU übernehmen?
Sie könnte vor allem die nationalen
Maßnahmen koordinieren, sowohl im
Gesundheitswesen als auch für die Wirt-
schaft. Ich würde es aber auch begrü-
ßen, wenn diese nationalen Maßnah-
men durch europäische Maßnahmen er-
gänzt würden.
Darauf können sich die EU-Regierungs-
chefs ja meist nicht einigen ...
Deshalb wäre es jetzt als Erstes ein
wichtiges Signal, wenn die EU-Kommis-
sion höhere Defizite im Rahmen des Sta-
bilitätspakts zuließe. Hilfspakete sollten
nicht an Schuldenregeln scheitern. Das
würde die Rezessionen nur verstärken.
Was wir jedenfalls aktuell nicht brau-
chen, ist ein die Nachfrage stimulieren-
des Konjunkturprogramm.
Was wäre denn besser?
Die Regierungen sollten nicht vergessen,
dass nach der Pandemie die Wirtschaft
möglichst schnell wieder auf den
Wachstumspfad kommen muss. Es wäre
gut, für diese Zeit ein großes europäi-
sches Investitionspaket zu schnüren,
das schnell genutzt werden kann.
Die Fragen stellte Donata Riedel.
Die OECD-Chefökonomin
empfiehlt den EU-Regierungen,
mit Hilfen zu klotzen und
Schuldenregeln zu lockern.
Bloomberg
Wirtschaft & Politik
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WOCHENENDE 13./14./15. MÄRZ 2020, NR. 52
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