dauern. Mein Sohn guckt flirtend, Warren kichert, er ki-
chert auch und würde nun Warren wählen. Ich nicht.
Denn Pete Buttigieg, im Sommer 2019 erst 37 und Bürger-
meister der 100.000-Einwohner-Stadt South Bend in In-
diana, beeindruckt mich stärker: Er ist der perfekte Redner,
mit mildem Lächeln und ruhigem Bariton, klare und kurze
Sätze in kunstvoll geflochtene webend. Mit hochgerollten
Hemdsärmeln und ohne Jackett steht Buttigieg auf der
Bühne, mit durchgedrückten Knien auch, ganz gesund
kann seine Körperhaltung nicht sein.
Wir treffen ihn im Rex-Theater von Manchester, einer die-
ser grauen Arbeiterstädte New Hamp shires, und fahren mit
ihm durch die Gegend. Und Buttigieg, der der erste offen
homosexuelle Präsident der USA wäre, spricht ständig von
Heilung: dem Versöhnen, dem Zusammenführen dieser
durch Trump und die Seinen aufgehetzten Nation.
Er würde hierher passen.
Heilung nämlich funktioniert in New Hampshire bestens,
Beruhigung auch. Das gemächliche Atmen, die Konzentra-
tion auf die Gegenwart, also beispielsweise das Verarbeiten
von Wut und Trauer und sinnlich leichte Neuanfänge lehrt
Ankati Day, Dichterin und Trainerin (oder wie sagt man?)
bei »Yoga smith« im Zentrum von Portsmouth. Yoga zählt
zu jenen Dingen, die ich in Hamburg, Berlin oder New
York mutmaßlich niemals entdeckt hätte, viel zu unmänn-
lich und ganz ohne Segel. Aber Yoga passt an diesen Ort.
Noch wichtiger aber: Der Kittery Point Yacht Club trägt zu-
sammen mit den anderen Segelclubs der Gegend dienstags
und donnerstags stressfreie Regatten aus, derart stressfrei,
dass es Skipper gibt, die vor dem Start schon vier Biere in
Kopf und Magen haben und die Kollision dann wirklich
nicht vermeiden können, wie auch.
Chris Snow, Commodore des Clubs, mag Donald Trump,
hält den Präsidenten für exakt jenen »ground breaker«,
»Veränderer«, der Trump sein wollte; und Chris mit seinem
lauten Lachen ist dennoch ein herzensguter Kerl. Dass dies
zusammengeht – Trump zu wählen und kein bisschen ver-
rückt zu sein –, auch das lernen wir in New Hamp shire. In
diesem Staat nämlich segeln Waffennarren und Waffengeg-ner und sogar Demokraten und Republikaner noch immer
auf einem Boot, kommen besser mit ein an der klar als die
geschlossenen Gruppen anderer Bundesstaaten.
Ja, das hier ist ein besseres Amerika. Ein letztes Idyll, alt-
modisch und darum zugleich ein Modell für die Zukunft.
Einiges, was in Washington oder in so vielen Bundesstaa-
ten längst als normal gilt, gilt hier schlicht nicht. Die Leute
reden noch mit ein an der: Auch Republikaner kamen zu
Buttigieg, fragten den Kandidaten nach seiner Wirtschafts-
politik. Sie brüllen nicht. Sie sprechen manchmal über
Donald Trump, aber nicht zuerst und nicht ständig.
Vielleicht liegt das daran, dass hier die Hektik New Yorks
oder Washingtons endlos weit weg ist, der ganze Schlachten-
lärm. Auf die Frage, welchen Fernsehsender sie mögen (Fox
oder CNN, das ist ein Glaubensthema für die restlichen
USA, da Fox die konservative Bastion ist und CNN der
liberale Feindessender), antworten die Menschen in New
Hamp shire: »PBS.« Auf PBS, einem öffentlichen Rundfunk-
sender, laufen um 18 Uhr eine Stunde lang Nachrichten, er-
klärend und analytisch und minutenlang aus dem Ausland;
das Studio sieht aus wie jenes der Tagesschau von 1985.
»Sieh dich um«, sagt nun Chris, »du findest im ganzen Staat
vielleicht eine Handvoll eingezäunter Grundstücke, alle
leben ganz normal zusammen, denken an ein an der, helfen
ein an der.« Der Commodore denkt einen Moment lang
nach, erzählt dann, dass er um die Welt gereist ist, natürlich
Florida, Kalifornien, New York, Boston kennt, »und nach
New Hamp shire zurückzukommen fühlt sich jedes Mal an,
wie mein allerliebstes Paar Jeans anzuziehen«.
Er ist noch nicht fertig, sagt nun, er könnte uns Deutschen
so viele Orte empfehlen, wie es Rolling-Stones-Songs gibt:
»Ich liebe die Berge, hoch und kraftvoll. Die Seen, klar und
tief. Die Landschaft, mit Farmen und Wäldern. Natürlich,
das weißt du ja, den Atlantik. Aber auch die Städte mit den
alten Mühlen an den Wasserfällen. Dass das alles so perfekt
verbunden ist, liebe ich – komm, wir springen in meinen
911 und fahren an alle vier Ecken des Staates, und zum
Abend essen sind wir zurück.«
Stattdessen gehen wir segeln, denn der Atlantik vor Neu-
england leuchtet, und der Wind verschwindet nur Ende
Juli, Anfang August für ein paar Tage, und es gibt im ame-
rikanischen Sommer keinen schöneren Flecken Erde als
diesen hier, vom Wasser aus betrachtet.
Der Ingenieur Paul Smith, der mich seine Anjuca durchs
nüchterne und weniger nüchterne Regattafeld lenken lässt,
erzählt von zwei New Hamp shires. Im Süden ist Boston
nahe; im Norden ist Wildnis. Paul besaß einst ein Haus in
Amherst, das heute 380.000 Dollar wert ist; er spürte recht-
zeitig, wie der Markt sich wandelte, und besitzt heute ein
Haus in Winchester, gleich groß, 1,4 Millionen Dollar wert.
Der Unterschied: Amherst liegt in der Nähe von Manches-
ter, Winchester in der Nähe von Boston. »New Hamp shire
ist ein Wochenendfreizeitstaat für die Reichen aus Massa-
chusetts geworden«, sagt Paul, »darum haben wir unsere
Grenzen mit Mautstationen auf den Freeways bewaffnet.«VERMONTMAINEMASSACHUSETTSNEW YORKKANADA
NEW
HAMPSHIRENew York CityMontrealBostonPortsmouthConcordNew Hampshire liegt wie ein Keil eingeklemmt zwischen den Bundesstaaten Vermont und Maine