ten, das Publikum verstand es nicht: Wie, ein Elsässer mit
Wiener Akzent? Erst in den Achtzigerjahren habe ich mich
geoutet und gesagt, wer ich bin.
Wie waren die Reaktionen des Publikums?
Das gefiel ihnen, sie konnten mir vergeben, es zeigte ihre
Großherzigkeit. Hahaha.
Jetzt spricht wieder der Zyniker Karl Kraus aus Ihnen.
Andererseits hatten auch viele junge Leute damals gar kei-
ne anti semi ti schen Untertöne mehr. Und dennoch wurde
nun fortan eine Frage gestellt, wieder und wieder: Was ist
denn nun Ihre Heimat? Ich habe damals angefangen, bei
meinen Lesungen keine Fragen aus dem Publikum mehr
zuzulassen.
Warum das?
Ich hatte ja keine Antwort auf diese Frage.
Vorhin haben Sie doch zugestimmt, als ich Sie gefragt habe,
ob die deutsche Sprache Ihre Heimat ist.
Ja. Aber kann man in einer Sprache beheimatet sein, ohne
dem Volk anzugehören, das diese Sprache spricht? Ich
weiß es nicht. Ich gehöre dem deutschen Volk nicht an,
auch nicht dem österreichischen. Ich gehöre vielleicht der
deutschen Literatur an.
Herr Troller, Sie sagen, dass es Ihnen immer um Liebe, Lust
und Abenteuer ging. Einmal wollten Sie Ihr Leben der Liebe
wegen be enden, Sie waren 40, Ihre Ehe war gescheitert.
Es ging um meine erste Frau, ja. Sie lebt noch, sie ist uralt
und hat alles vergessen. Ich besuche sie regelmäßig, und
manchmal sage ich mir dann: Also deinetwegen habe ich
versucht, mich umzubringen. So ist das Leben.
Stimmt die Geschichte, dass Sie, nachdem Sie gerettet
wurden und im Krankenhaus aufgewacht sind, feststellen
mussten, dass jemand Ihre Schuhe geklaut hatte?
Ja. Ich musste auf Socken nach Hause gehen.
Was ging Ihnen in diesem Moment durch den Kopf?
Belustigung. Selbstverspottung. So also siehst du aus: Der
Mann, der diese große Tat vollbringen wollte, geht jetzt auf
Socken durch den Regen nach Hause. Ich habe mich bei
meinem Selbstmordversuch auch an den Abschiedsbrief
von Stefan Zweig erinnert, der ja selbst seinen letzten Text
noch korrigiert und lektoriert hat.
Das haben Sie aber nicht gemacht?
Nachdem ich die Tabletten eingenommen hatte, habe ich
meinen Abschiedsbrief geschrieben. Ich merkte, dass ich
in riesigen Buchstaben schrieb und ganz außer mir war.
Da habe ich zu mir selbst gesagt: Jetzt schreib mal anstän-
dig, wie es sich gehört. Und habe mich gezwungen, den
Brief ganz normal zu Ende zu schreiben. Darauf bilde ich
mir was ein.
Worauf genau?
Sich auch in diesem Moment noch mit Humor zu be-
trachten.
Geht es am Ende darum?
Ja, und ich kann nur hoffen, dass ich es auch hinbekom-
me, wenn es auf mich zukommt. Übrigens ist aus der Kli-
nik von damals jetzt ein Altersheim geworden, man hat
mir gerade eine Broschüre zugeschickt, das Zimmer kostet
6000 Euro im Monat.
Aber Sie bleiben hier in Ihrer Wohnung im vornehmen- Arrondissement?
Ja.
Wann beginnt eigentlich Ihr Tag?
Spät. Ich muss Medizin einnehmen, die mich schläfrig
macht, bis zehn, manchmal elf Uhr morgens. Ein Frühauf-
steher war ich ohnehin nie. Meine Sachen sind alle nachts
entstanden, alle Texte für meine Sendungen, mir ist immer
erst abends etwas eingefallen, im Gegensatz zu Peter Handke.
Ich habe ihn vor ein paar Wochen getroffen und gefragt,
wann er schreibt. Seine Antwort: »Den ganzen Tag.«
Sie haben zwei Filme über ihn gemacht, einen kann man
bis heute im Internet anschauen.
Ein schlechter Film.
Warum schlecht?
Ich habe nichts von ihm verstanden. Und ich verstehe
noch immer nichts von ihm. Seine Fähigkeit, mit Sprache
Der Futterplatz
von Trollers Katze Strups21