Neue Zürcher Zeitung - 27.01.2019

(Sean Pound) #1

Montag, 27. Januar 2020 ∙ Nr. 21 ∙ 241. Jg. AZ 8021Zürich∙ Fr. 4.90 ∙ €4.


Iran: Die Künstlerin Parastou Forouhar übt harte Kritik am Regime in Teheran Seite 27


Trump erneut


der Lüge überführt


Handy-Aufnahme belastet den US-Präsidenten


Der Impeachment-Prozess
gegen DonaldTrump ist übers
Wochenende ausgesetzt worden.
Just in diesePause hinein platzte
ein Tondokument, das frühere
Aussagen des Präsidenten in der
Ukraine-Affäre widerlegt.

PETER WINKLER,WASHINGTON

Das amerikanische Publikum ist am
Wochenende in den Genuss einesrela-
tiv normalen Programms in den Medien
gekommen.Auf vielen Kanälen war es
zuvor nicht einfach gewesen, dem wich-
tigsten Ereignis inWashington zu ent-
gehen: derVerhandlung im Impeach-
ment gegen Präsident DonaldTrump.
Doch am Samstag beliessen es dieVer-
teidigerTrumps bei einer kurzenVor-
schau ihrerkommenden Argumenta-
tion.Trump machte auch klar, warum er
dies wünschte – weil am Samstagmorgen
kaum jemand fernsieht.
Nach der fast 24 Stunden langen,
über dreiTage verteilten und von häufi-
genWiederholungen geprägtenVorstel-
lung der Anklagedurch die sieben demo-
kratischen «Impeachment-Manager» des
Repräsentantenhauses wirkte derAuf-
tritt derVerteidiger energischer, weil sie
es zunächst bei groben Pinselstrichen be-
lassenkonnten. Ob das auch am Schluss
ihres Plädoyers noch so sein wird, wird
sich zeigen. Bisher ist nicht bekannt, wie
viel Zeit sie von den ihnen zugestande-
nen 24 Stunden nutzen wollen.

Attacke der Republikaner


Die kurze Ouvertüre am Samstag hatte
offensichtlich vor allem einen Zweck:
di e Darstellung der Demokraten von
Trumps Erpressungsmanöver gegen-
über der Ukraine und vomVersuch,
das Ganze durchVerweigerung der Zu-
sammenarbeit auszusitzen, nicht unwi-
dersprochen stehen zu lassen.Darum
brachten dieVerteidiger gleich zu Be-
ginn ihr schwerstes Geschütz in Stellung.
Das Impeachment sei eine Schmieren-
komödie, in der eine politische Mei-
nungsverschiedenheit zu einem Skan-
dal aufgebauscht werde.
Im Grunde gehe es darum, nicht nur
die Wahl von 2016 zu annullieren, son-
dern auch jene von 2020 zu stehlen,rief
derRechtsvertreter desWeissen Hau-
ses, Pat Cipollone, den Senatoren zu.
Die Demokraten wollten sie dazu an-
stiften,«dieWahlzettel im ganzenLand
zu zerreissen». Der einzige Zweck des
Impeachments sei es, «die grösste Ein-
mischung in eineWahl in der amerikani-
schen Geschichte zu inszenieren». Cipol-
lone nahm damit einen zentralen Begriff
aus den Anschuldigungen gegenTrump
im Zusammenhang mit derRussland-
Affäre auf und schleuderte ihn auf seine
Gegner zurück.Inwieweit es für Ameri-
kaner überhaupt möglich wäre, sich in
ihre eigeneWahl «einzumischen», blieb
indes ungeklärt.
Dass Trump von zwei Dritteln der
Senatoren abgesetzt werdenkönnte, ist
sogar dann praktisch auszuschliessen,
wenn noch die sprichwörtliche Leiche

im Keller gefunden würde. Der Kampf
dreht sich im Moment nur noch darum,
ob vierrepublikanische Senatoren für
das Vorhaben der Demokraten gewon-
nen werden können,neue Zeugen auf-
zubieten und Dokumente anzufordern.
Gleichzeitig müssen die Demokraten
verhindern, dass bei ihnen jemand von
der Abwehrfront gegenTrump abspringt.
Es war si cherlichkein Zufall, dass ge-
nau in dieseVerhandlungspause hinein
ein Tondokument platzte, das Trump bes-
tenfallseiner weiteren Lüge überführt.
Es handelt sich um eine Handy-Auf-
nahme vom April 2018, als die beiden
sowjetischstämmigen Amerikaner Lev
Parnas und IgorFruman in einer priva-
ten Suite desTrump International Hotel
in Washington mit dem Präsidenten und
anderen Geldgebern dinierten. Die bei-
den spielten eine wichtigeRolle als Ge-
hilfen desTrump-AnwaltsRudy Giuliani,
der wiederum als persönlicher Abge-
sandter des Präsidenten das Erpressungs-
manövergegen Kiew dirigierte. Trump
hatte immer behauptet, erkennePar-
nas undFruman nicht, obwohl klar war,
dass die beiden auch in seinerWinterresi-
denz Mar-a-Lago zu Gast waren. Inter-
essant amTondokument ist, dassParnas
darin offenbar zum ersten Mal davon
spricht, die Botschafterin in Kiew, Marie
Yovanovitch, mache den Präsidenten in
ihrenKommentaren schlecht.Trump ist
zu hören, wie er sofort mehrmals barsch
fordert:«Werdet sie los.»
DerVorfall zeigt, wie diskreteTreffen
mit Geldgebern dazu dienen, den Präsi-
denten zu bestimmten Handlungen zu
verleiten. Es wird verschiedentlich be-
hauptet,dass der wahre Grund fürYo-
vanovitchs Entlassung der Umstand ge-
wesen sei, dass sie die Pläne vonParnas,
Fruman und Giuliani für eine Über-
nahme des staatlich dominierten Erd-
gassektors in der Ukraine gestört habe.

Lügen ohne Folgen?


Eine weitere nachweisbare Lügewird
dem Präsidenten aber nicht schaden,
so viel stehtbereits fest. Er hatin d en
vergangenen dreiJahren sorgsam Mass-
stäbe für ein präsidialesVerhalten ge-
setzt,in dem weder dieWahrheit noch
ein Anschein von AnstandeineRolle
spielen. Stattdessen führt er sich auf
Twitter und in seinenWahlveranstal-
tungen gern auf wie ein Pubertieren-
der. Sein täglicherDurchschnitt an Lü-
gen und Unwahrheiten beträgt22, wie
die «WashingtonPost» akribisch doku-
mentiert. Zusammengenommen seit sei-
nem Amtsantritt sind es mehr als16 000.
Das alles spielt insofernkeine Rolle,
als Trump seinePartei im Griff hat. Die
meisten republikanischen Senatoren
brauchen auch nicht zu befürchten, dass
die Wähler in ihren Heimatstaaten sich
darüber aufregen. Nachdem landesweit
rund 11 Millionen denAuftakt des Pro-
zesses am Dienstag mitverfolgt hatten,
sank die Quote am Mittwoch, als die
Demokraten die Präsentation der An-
klage begannen, deutlich auf knapp 9
Millionen. ZumVergleich: Die Montag-
abendspiele im AmericanFootballkön-
nen jeweils auch rund 11 Millionen Zu-
schauer vor die Mattscheibe locken.

GEORGE RINHART / CORBIS / GETTY

Als das Radio


die Welt eroberte


Vor hundertJahren ging dasRadio auf Sendung. Fast alle europäischenLänder nutz-
ten die drahtloseTechnik für kulturelle Zwecke. Und sie vergaben Sendelizenzen,
etwa, um die Bevölkerung zum «Staatsvolk» zu formen, wie es in den deutschen
Rundfunkrichtlinien von1932 heisst. Doch auch Diktatoren begriffen schnell die ge-
waltigeWirkungsmacht des neuen Mediums. Meinung& Debatte , Seite 8

«Die Universität Zürich muss zulegen»


Der abtretende Rektor Michael Henga rtne r will Professoren mit Führungsqual itäten


R. Sc.· Übernommen hat er die Lei-
tung der grössten Hochschule desLan-
des in einer Krisenphase, seinVorgänger
war vorzeitig zurückgetreten. Nun, sechs
Jahre nach den grössten Erschütterun-
gen der «Affäre Mörgeli», tritt Michael
Hengartner ab: DerRektor der Uni-
versität Zürich wird imFebruar neuer
Präsident desETH-Rats. Im Interview
mit der NZZ blickt der 53-Jährige zu-
rück auf seine Amtszeit – und zeigt sich
du rchaus selbstkritisch.Das Vertrauen
in die Universitätsleitung habe zwar
bald wiederhergestellt werden kön-
nen. Dies vor allem deshalb, weil er seit


2014 viel in dieKommunikation inves-
tiert habe, sowohl gegen innen als auch
gegenüber der Öffentlichkeit.
Doch es gebe noch einiges zu tun.
Handlungsbedarf sieht der abtretende
Rektor zum Beispiel bei der Gleichstel-
lung oder bei denPerspektiven fürjunge
Wissenschafter – wenngleich die Uni-
versität bei beidenThemen einenKul-
turwandel angestossen hat, wie Hen-
gartner weiter ausführt. Zürich habe für
Forscherinnen undForscher viel zu bie-
ten, auch im weltweitenVergleich.Umso
wichtiger sei, dass in Berufungsverfah-
ren nicht nur der wissenschaftliche Leis-

tungsausweis, sondern auch dieFüh-
rungsqualitäten der Kandidatinnen und
Kandidaten berücksichtigt würden.«Da
muss die Universität Zürich noch einen
Zacken zulegen.»
Von seiner neuenAufgabe alsETH-
Rats-Präsident hat Hengartner klare
Vorstellungen: DerETH-Bereich und
die kantonalen Universitäten müssten
geeint auftreten. Denn:«Wir müssen
unsereForschungspartner in der EU
vermehrt dazu bringen, dass sie ihren
Politikern sagen: ‹Die Schweiz, die brau-
chen wir!›»
Zürich und Region, Seite 12

Corona-Verdachtsfälle in der Schweiz


Zwei Personen im Zürcher Triemlispital in Quarantäne – Bund verschärft Meldepflicht


R. Sc./(sda)· Die Sorge wegen des
Coronavirus zieht weitere Kreise. Im
Triemlispital in Zürich befinden sich
zweiPersonen, die nach einemAufent-
halt in ChinaSymptome eines Infekts
aufweisen.Wie das Spital am Sonntag-
abend mitteilte, kommt als Ursache
der Beschwerden der beidenPatien-
ten neben herkömmlichen Erregern
auch das Coronavirus infrage. Sie sind
in Quarantäne. Für anderePatienten
oder für Spitalangestellte bestehekein
Risiko, heisst es in einer Stellungnahme
der Spitaldirektion. Die Proben der bei-
denVerdachtsfälle werden derzeit am
NationalenReferenzzentrum für neu


auftretendeViruserkrankungen in Genf
untersucht. In dem Zentrum sind in den
vergangenen dreiWochen Proben von
mehrerenDutzend weiteren Fällen ein-
gegangen, ohne dass sich derVerdacht
auf eine Infektion mit dem Coronavirus
bestätigt hätte, wie eine Infektiologin
des Genfer Universitätsspitals gegen-
über der Nachrichtenagentur SDAsagte.
Das Bundesamt für Gesundheit
(BAG) hat derweil präventive Mass-
nahmen gegen das Coronavirus ergrif-
fen.Verschärft wird unter anderem die
Meldepflicht. Ab sofort müssen Ärzte
undLaboratorienVerdachtsfälle inner-
halb von zwei Stunden den Kantonen

und dem Bund melden. Zudem steht
dasBAG nach Angaben der SDA mit
Tourismusveranstaltern inKontakt, die
Gruppenreisen mit Gästen aus Asien in
der Schweiz organisieren. Massnahmen
bei der Einreise gibt es nochkeine. Laut
dem Eidgenössischem Departement für
auswärtige Angelegenheiten sind der
Schweizer Botschaft acht Schweizer
Staatsangehörige bekannt, die inWuhan
leben, dem Brennpunkt der mysteriö-
sen Epidemie in China.Vier seien nicht
mehr vor Ort, dieVerbliebenen wollten
die Stadt nicht verlassen.
Panorama, Seite 16
Finanzen, Seite 21

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