Die Zeit Wissen - 01.2020 - 02.2020

(Barry) #1




Mein Wille geschehe, wenn deiner auch geschieht?
Fast, sagt der Sozialpsychologe Roman Trötschel. Es
gehe nicht darum, genau das zu bekommen, was man
fordert, also seine ursprüngliche Position durchzusetzen.
Viel wichtiger sei es, die hinter den Positionen liegen-
den Interessen im Blick zu behalten. Das Wochenende
zu zweit zu Hause oder die Fahrt zur Familie – da wird
der Streit bald feststecken. Ein Kompromiss ist kaum
möglich. Werden jedoch Interessen in den Vorder-
grund gestellt – Entspannung und Ruhe auf der einen
und Wiedersehen mit der Schwester auf der anderen
Seite –, ist mit etwas Kreativität eine Lösung möglich:
Die Schwägerin könnte Sonntag auf dem Heimweg
bei uns haltmachen und einen Kaffee trinken.
Die eigenen Interessen herauszufinden ist nicht
immer einfach, aber hilfreich. Wer kein Ziel hat, kann
sich nur schwer durchsetzen. Verhandlungstrainer Ulrich
Brock nutzt in seinen Trainings Erkenntnisse aus der
Kommunikationspsychologie: Er visualisiert seine Ziele
mit möglichst vielen Sinnen. Brock beschreibt diese
Technik am Beispiel seiner Zukunftsplanung: »Nach
Beendigung meiner Berufstätigkeit als Rechtsanwalt
möchte ich Menschen in schwierigen Verhandlungs-
situationen beistehen und dafür viel reisen. Ich sehe
mich in meinem offenen Cabrio mit meiner Frau an
meiner Seite gemütlich durchs Rheintal fahren. Ich
schaue nach links und blicke auf den Rhein. Die Sonne
scheint. Ich atme diesen warmen Nachmittagsduft ein
und sehe vor mir die Kongress-Location, in der ich
später eine erfolgreiche Verhandlung führen und danach
einen kalten Weißwein trinken werde.« Das Ziel muss
so klar sein, dass man sich genau vorstellen kann, wie

man es erreicht. Man muss es sehen, schmecken, riechen,
erfahren können. Um die Visualisierung für Verhand-
lungen zu vervollständigen, sucht Brock oft vorher im
Internet nach möglichst vielen Informationen.
Interessen verhandeln, Ziele visualisieren – das
klingt nach viel Arbeit. Und einem Haufen Vorberei-
tung. Irgendwie anstrengend. Doch die Forschung gibt
den Experten recht. Nach der von dem italienischen
Ökonomen Vilfredo Federico Pareto geprägten
80-20-Regel ist die Vorbereitung viermal so wichtig für
den Ausgang einer Verhandlung wie die Taktik am Ver-
handlungstisch selbst. In einer Studie der Negotiation
Academy an der Universität Potsdam unter Leitung der

Betriebswirtschaftsprofessorin Uta Herbst sagte jeder
fünfte befragte Manager, dass eine schlechte Vorberei-
tung der Hauptgrund für gescheiterte Gespräche sei.

Mein Wille geschehe mit genug Vorbereitung. Die
Mietrechtsanwältin Melanie Ramm verdient mit Ver-
handlungsgeschick ihren Lebensunterhalt. Sie leitet
eine Kanzlei in Hamburg und vertritt Mieter und Ver-
mieter aus Deutschland und Dänemark. Gerade im
Mietrecht sind die Streitereien für beide Parteien oft
schmerzhaft, denn an Wohnungen und Häusern hängt
nicht nur Geld, sondern hängen oft auch Emotionen.
»Ich gehe nirgendwohin ohne Vorbereitung«, sagt Me-
lanie Ramm. »Man kann Verhandlungen nicht genau
planen, es ist wie eine Blackbox. Daher muss man sich
auf Alternativen vorbereiten. Wo will ich hin? Welche
Möglichkeiten habe ich?« Man solle nicht nur eine
Minimalerwartung formulieren, sondern auch ein ho-
hes, aber realistisches Maximalziel festlegen. Wer das
nicht macht, gibt sich vorschnell zufrieden, fand eine
Studie der Universität Hohenheim heraus. Melanie
Ramm sagt: »Selbst wenn ein Mandant anruft und ich
sofort losfahren muss, lege ich mir unterwegs immer
noch schnell einen Plan, eine Marschroute zurecht.«
Vor einem Gespräch ist es zudem hilfreich, nicht
nur eine Start-, sondern auch eine End-Uhrzeit der Ver-
handlung zu bestimmen. So wissen alle, worauf sie sich
einzustellen haben, und es bricht nicht plötzlich Hektik
aus, weil jemand gehen muss. Und: Verhandler sollten
stets pünktlich sein. Sonst fangen die anderen schon an,
Informationen auszutauschen – oder sich zu verbünden.
Vorbereiten, freundlich sein, pünktlich antreten.
Das klingt alles so – brav. Die Erfahrungen der Theo-
logiestudentin Rebekka Hanf sind etwas anders. Sie
wuchs als achtes von insgesamt zehn Geschwistern auf.
Wer sich da durchsetzen wollte, musste nicht freundlich
sein, sondern vor allem: laut. »Wenn sich bei so vielen
Geschwistern alle unterhalten, dann muss man lauter
reden«, sagt sie. »Man braucht ein gutes Organ, dann
wird man auch gehört.« Und man muss ein bisschen
tricksen: »Gut ist es immer, sich Verbündete zu suchen.
Bei uns in der Familie, aber auch sonst im Leben.« Zu
We i h n a c h t e n , we n n a l l i h re Ge s c h w i s t e r z u s a m m e n-
kamen und etwas unternehmen wollten, lief das unge-
fähr so: »Ich wollte unbedingt ins Schwimmbad fahren
und wusste: Wenn mein Bruder Friedemann mitkommt,
kommt mein nächstälterer Bruder auch mit. Also ging
ich zu Friedemanns Frau, weil ich mich mit ihr gut ver-
stehe, und die überzeugte dann Friedemann. Dann
musste ich nur noch ein oder zwei mehr überreden, und
der Rest kam wegen des Herdentriebs mit.« Dafür sollte
man wissen: Wer hört auf wen? Wer schaut zu wem auf?
Das ist in der Familie nicht anders als auf einem
Parteitag, auf dem über die neue Vorsitzende abge-
stimmt wird. Auch dort werden vorher die wichtigsten
Meinungsführer überzeugt und die einflussreichen

Das Spiel zum Titelthema:
24 Karten und die eine
entscheidende: die »Mein
Wille geschehe!«-Karte.
Bringt garantiert Stimmung
in die Bude – in der Familie,
mit Freunden oder Kollegen
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