Die Zeit Wissen - 01.2020 - 02.2020

(Barry) #1


ewigen Leben träumen, zieren Zweige der
Palme häufig Todesanzeigen, Trauerschleifen
und Grabsteine. Auf Stadtemblemen und
Landeswappen symbolisieren Palmwedel
hingegen Frieden, Ehre und Triumph.
Manchmal finden sich auf ihnen sogar ganze
Palmen wieder, wie etwa auf der National-
flagge Haitis oder dem Wappen des Land-
kreises Anhalt-Bitterfeld.
Doch nicht nur als Motiv dienen Pal-
men, sämtliche Teile der Pflanze werden ge-
nutzt: Aus ihren Wedeln lassen sich Hütten,
Matten und Körbe flechten, aus den Stiel-
fasern Säcke und Seile herstellen. Der Stamm
kann als Feuerholz oder als Baumaterial für
Häuser, Brunnen und Boote verwendet
werden. Aus den Früchten der Ölpalme wird
heute sogar Treibstoff hergestellt. Und Speise-
fett, das sich in vielen Lebensmitteln ver-
steckt. Da für den Anbau Regenwald gero-
det wird, gilt Palmöl als umweltschädlich.
»So viele Verwendungen, wie es Tage
im Jahr gibt«, bescheinigt eine arabische
Redewendung der Dattelpalme. Seit mehr
als 4000 Jahren wird sie kultiviert. Ihre
Früchte werden als »Brot der Wüste« be-
zeichnet, sind nicht nur nahrhaft, sondern
lassen sich dank ihres hohen Zuckergehalts
einfach konservieren. Die Bewohner Sri
Lankas nennen die Palme den »Baum des
Lebens«. Auch wenn sie in der Botanik nicht
als Baum verstanden wird, sondern eine
eigene Pflanzengattung bildet.
Auf seiner Italienreise 1786 besuchte
Johann Wolfgang von Goethe den berühm-
ten Botanischen Garten von Padua. Der An-
blick einer Fächerpalme begeisterte ihn so
sehr, dass er sich vom Gärtner verschiedene
Blattstadien abschneiden ließ: von der ein-
gezogenen Blattlanze bis zum aufgefalteten
Hochblatt, Spatha genannt, welches die
Palmenblüte umschließt. Zwischen Pappen
gepresst trug Goethe sie bei seiner Rückkehr
in Weimar mit sich. Die Wandelbarkeit der
Palmenblätter veranlasste Goethe zu seiner
botanischen Schrift Versuch die Metamor-
phose der Pflanzen zu erklären. Er gilt damit
als Mitbegründer der Vergleichenden Mor-
phologie, der Lehre von den organischen
Formen und Strukturen. Die »Goethe-Palme«
steht noch heute in Padua.
Fast 2600 verschiedene Palmenarten
gibt es. Auch wenn wir eine klare Vorstellung
davon haben, wie die Palme aussieht, gibt
es erstaunliche Unterschiede zwischen den
einzelnen Arten. Die Doumpalme zum

Beispiel hat einen verzweigten Stamm. Die
Zwergpalmettopalme wächst unterirdisch,
sodass nur ihr Blatt fächer wie ein Strauch
aus dem Boden ragt. Rattanpalmen winden
sich an Wirtsbäumen in die Höhe. In Mada-
gaskar wächst eine Art, deren Keimlinge
mithilfe von Schwimmblättern während
der Regenzeit mehrere Monate unter Was-
ser überleben, bis ihr Stamm von dort aus
20 Meter in die Luft strebt.
In einem Wettstreit der Pflanzen wür-
den Palmen gleich mehrere Siege feiern: mit
dem längsten Blatt (bis zu 25 Meter), den
größten Samen (bis zu 22 Kilo) und dem
längsten Blütenstand (bis zu 7,5 Meter, mit

zehn Millionen Blüten). Die kolumbiani-
sche Quindio-Wachspalme ist die größte
aller Palmenarten: Schwindelerregende 60
Meter kann sie hoch werden. Die Sagopalme
passt als Bonsai hingegen auf jeden Schreib-
tisch. Aber Vorsicht: Für Haustiere ist sie
giftig. Und auch andere Arten schützen sich
gegen Fraßfeinde, etwa indem sie Dornen
oder mehrere Zentimeter lange Stacheln
tragen, so wie die südamerikanische
Macauba- Palme (siehe auch »Welche Waf-
fen haben Blumen?« auf Seite 11).
In der westlichen Welt denken wir bei
dem Anblick einer Palme heute eher an das
süße als an das ewige Leben. Sie ist die

Gewachsen aus einem 2000 Jahre
alten Samen: Die Dattelpalme
Methuselah im Süden Israels

Pflanze der Sehnsucht, der grüne Gegenent-
wurf zum grauen Alltag. Kaum ein Reisean-
bieter, der nicht mit Plakaten wirbt, auf denen
Palmen an weißen Stränden über türkis-
farbenes Wasser ragen. Wer sich zu Hause an
einen einsamen, sorglosen Ort träumt, den
erwartet dort sicher auch eine Palme.
Palmen sind deshalb ein beliebtes
Tattoo motiv. Sie schmücken Bademode
und Accessoires. Hollywoodfilme, wenn
auch nicht immer mit der Goldenen Palme
von Cannes prämiert, haben sie zum Symbol
Kaliforniens gemacht. Auch die bildende
Kunst hat ihren Anteil am Pal men- Hype der
amerikanischen Westküste: »Ich erinnere
mich, dass jemand mir mal sagte, die Palmen
hier seien ihm nie aufgefallen, bis ich sie
gemalt hätte«, so der britische Maler David
Hockney. Sie ist die Pflanze der Schönen
und Reichen und ein Statussymbol: Wer
unter Palmen liegt, der hat es geschafft. Auf
In sta gram finden sich 8,9 Millionen Beiträge
mit dem Hash tag #palm trees. Palmen ver-
körpern Freiheit und Hedonismus und sind
doch manchmal nichts als schöner Schein:
Trotz seines Namens wurden die Palmen in
Palm Springs, ebenso wie in Los Angeles,
nur zur Zierde gepflanzt.
Dank des Golfstroms wachsen Palmen
selbst an den Steilküsten Irlands und der
britischen Region Cornwall. Die Hanfpalme
fühlt sich inzwischen sogar in Österreich
wohl – laut einer Forschergruppe der Uni-
versität Wien eine Folge des Klimawandels.
Dieser gefährdet hingegen die Palmen ent-
lang der europäischen Mittelmeerküste. Die
Ursache: der aus Asien stammende Rote
Rüsselkäfer, der die steigenden Durch-
schnittstemperaturen schätzt. Wird es wär-
mer, fressen sich seine Larven tiefer in die
Palmspitzen und schädigen die Pflanzen ir-
reversibel. Eine halbe Mil lion Palmen sollen
dem Vielfraß schon zum Opfer gefallen sein.
Dass Methuselah in der Wüste Israels
einmal ein ähnliches Schicksal blühen könn-
te, ist so gut wie ausgeschlossen. »He’s a big
fella now«, sagt die Botanikerin Solowey, ein
großer Kerl. Bis 2011 hat die antike Palme
in Quarantäne verbracht, um sich nicht bei
anderen Pflanzen mit modernen Krankheiten
anzustecken. »Aber Methuselah scheint
robuster zu sein als die meisten Palmen, die
wir kennen.« Geht der Plan auf, wird hier
bald ein Hain aus antiken Dattelpalmen
entstehen. »Ich bin sehr zuversichtlich«, sagt
Fotos Solowey. Der Mythos der Palme, er lebt. —


Nele Gülck, aus dem Buch »Der Baum des Paradieses«, erschienen bei Kerber; Dr Elaine Solowey, Ketura, Israel, 17.






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