Die Zeit Wissen - 01.2020 - 02.2020

(Barry) #1


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as hat es mit Ihnen als
weißer Person zu tun,
dass es noch immer Ras-
sismus gibt? Wie können
Sie als weiße Person mit
daran arbeiten, dass die
Welt weniger rassistisch wird? Die Antworten
auf diese Fragen haben sehr viel mit Sprache
und Begriffen zu tun. Sprache ist nie nur
einfach so da, nie neutral oder unschuldig.
»Auf Worte folgen Taten«, ist in diesen
Ta g e n o f t z u h ö r e n. A b e r Wo r t e sind Ta-
ten. Sprache ist Handeln. Um dieses
»Sprachhandeln« geht es hier. Sensibles
Sprachhandeln ist eine alltägliche Möglich-
keit, sich einzusetzen gegen Rassismus.
Die Gewöhnung an Gewalt ist subtil,
findet in langsamen Steigerungen statt, auch
durch eine Gewöhnung an bestimmte Ar-
gumentationen und Begriffe. Viele Äuße-
rungen waren vor zehn Jahren in Bezug auf
muslimische Menschen und Menschen, die
nach Deutschland flüchten mussten, in der
deutschsprachigen Öffentlichkeit undenk-
bar. Heute werden sie von MinisterInnen
und Parteien ausgesprochen, ohne dass dies
allgemeines Entsetzen auslösen würde.
Respektvoll zu sprechen ist eine Form
politischen Widerstands gegen zunehmend
normalisierte rassistische Verhältnisse. Dis-
kriminierungskritisch »sprachzuhandeln«
ist eine Strategie, die alle jederzeit anwenden
können. Da Diskriminierungen so allge-
genwärtig sind, können sie auch ständig
verändert werden. Sie finden sich in hundert
alltäglichen Situationen: Als beschädigend
angesprochene Benennungen wie »Farbige«
oder »Dunkelhäutige«, das »N-Wort« oder
das »Z-Wort« (für Sinti und Roma) werden
dauernd wiederholt. Sie werden hingenom-
men in Zeitungen und Romanen. Exotisie-
rende Bilder und Skulpturen von Schwarzen
Personen finden sich in Wohnzimmern. Die
Beschreibung »Möbel im Kolonialstil« zeigt,
wie unkritisch Kolonialismus noch heute
besetzt ist. Diskriminierende Kinderlieder
wie Drei Chinesen mit dem Kontrabass wer-
den als deutsches Kulturgut verteidigt. Was
dies für die so aufgerufene »Kultur« heißt,
wird nicht weiter reflektiert.
Rassistische Bemerkungen und An-
rempelungen werden ignoriert, kleingeredet
oder übergangen. Bei diskriminierenden
Witzen wird mitgelacht. Rassistische Me-
taphern wie »Schwarzfahren« und »Schwarz-
sehen«, »schwarzmalen« und »schwarze


Schafe« bleiben unhinterfragt. Auf diese
Weise werden rassistische Vorstellungen ge-
nährt und bestätigt, weitergeführt und flie-
ßen als subtile Gewalt ins eigene Leben ein.
Privilegiert zu sein in Bezug auf Rassis-
mus bedeutet, durch all dies nicht persönlich
beschädigt zu werden. Es bedeutet, die Op-
tion zu haben, sich nicht mit Rassismus zu
beschäftigen, da das eigene Leben nicht in
hundert verschiedenen Formen davon ge-
prägt ist. Privilegiert zu sein bedeutet, sich
normal fühlen zu können. Angesprochen
zu sein von Geschichtsdarstellungen, Ro-
manen, Filmen, Schulbüchern, Werbun-
gen, Museen, medizinischen Ratgebern
und so weiter. Sich als Individuum erleben
zu können und nicht primär als Mitglied
einer diskriminierten Gruppe.
Privilegiert zu sein ist auch eine Res-
source. Sind Sie – wie ich – privilegiert in
Bezug auf Rassismus, haben Sie die Mög-
lichkeit, gesellschaftliche Verantwortung zu
übernehmen. Sie können sich für eine dis-
kriminierungsfreie Gesellschaft einsetzen.


  1. Benennen Sie Diskriminierungen
    als gewaltvolle Handlungen
    Diskriminierungen sind Handlungen. Sie
    sind keine Identität. Ein häufig zu finden-
    der Satz, der die Diskriminierung als Iden-
    tität der diskriminierten Person zuschiebt,
    lautet: »Er musste Ende der Dreißigerjahre
    Deutschland verlassen, weil er Jude war.«
    Keine Person musste aus dem Grund, dass
    sie jüdisch war, fliehen. Sondern jüdische
    Menschen mussten fliehen, weil Deutsch-
    land antisemitisch war und als jüdisch ka-
    tegorisierte MitbürgerInnen brutal verfolgt
    hat. Dies so zu sagen benennt Diskriminie-
    rungsstrukturen. Es fokussiert die Verant-
    wortung für strukturelle Gewalt auf die
    Menschen und Instanzen, die sie ermögli-
    chen und ausüben. Menschen mussten und
    müssen sich nicht als JudeJüdin verstehen,
    um antisemitisch diskriminiert zu werden.
    Genauso wenig werden Menschen diskri-
    miniert, weil sie Frauen oder Trans
    sind,
    sondern weil die Gesellschaft sexistisch oder
    genderistisch ist.
    Nehmen Sie Menschen als Individuen
    wahr, und definieren Sie Menschen nicht
    über Diskriminierung: »Die Person, die an
    der Bushaltestelle rassistisch-genderistisch
    angepöbelt wurde ...« statt »Die Kopftuch-
    trägerin/Ausländerin/Schwarze Frau, die an
    der Bushaltestelle angepöbelt wurde ...«.


Die einfachste Methode, Rassismus im ei-
genen Denken und Sprechen zu bemerken
und zu überwinden, ist, Menschen in den-
selben Kategorien wahrzunehmen, in denen
auch privilegierte Personen sich selbst wahr-
nehmen können: als einzigartig, mit per-
sönlichen Vorlieben und Fähigkeiten. Jeder
Mensch hat einen Namen.
Machen Sie keine Pauschalzuschrei-
bungen, wenn Sie eine Person als Individu-
um wahrnehmen können: »Ismail B. hat
einen Asyl antrag gestellt und darf deshalb
gerade keiner bezahlten Arbeit nachgehen«
statt »Die Flüchtlinge liegen uns auf der
Tasche – sie arbeiten ja nicht mal«.
Schreiben Sie Menschen nicht grup-
penbezogene Eigenschaften zu. Schlussfol-
gern Sie nicht von einzelnen Personen und
Schlagzeilen in den Medien auf riesige
Gruppen wie »Hartz-IV-Empfäng*erin-
nen«, »Flüchtlinge«, »die Dunkelhäutigen«,
»Frauen«. Lassen Sie Kollektivbewertungen
los: »so gewaltbereit wie Muslime ...«,
»klatschsüchtig wie Frauen ...«.


  1. Beobachten Sie, statt zu
    interpretieren
    Versuchen Sie nicht, Menschen ihre Her-
    kunft, Geschichte und Zugehörigkeit an-
    zusehen – denn das ist unmöglich. Hinter
    einer Frage wie »Wo kommst du her?« liegen
    stillschweigende Annahmen wie: Du bist
    fremd, nicht von hier, gehörst nicht zu
    »uns«, gehörst hier nicht hin. Sie macht
    diese Menschen zu Fremden. »Das wur zel-
    freie Dasein ist ein Privileg von weißen
    Deutschen«, sagte die Autorin und Journa-
    listin Ferda Ataman in einem Interview mit
    der ZEIT. »Ein Michael Müller neben mir
    wird nicht mit Wurzeln oder Hintergrün-
    den vorgestellt, sondern nur mit seinem
    Beruf und seinen Kompetenzen.«
    Vielleicht denken Sie jetzt: »Ich inte-
    ressiere mich nun mal für andere – was ist
    daran denn schon wieder falsch?« Eine mög-
    liche Faustformel: Menschen in Deutsch-
    land sind deutsche Menschen. Die Wahr-
    scheinlichkeit, dass dies stimmt, ist sehr viel
    höher als alle selbst erlebten oder medial
    dramatisierten Ausnahmen. Sie können sich
    immer fragen, ob Sie sich selbst dieselbe
    Frage mit derselben Absicht stellen würden.
    »Ich komme aus Altötting in Bayern.« –
    »Nein, ich meine, woher kommst du wirk-
    lich? Bei deiner dunklen Hautfarbe/deinen
    krausen Haaren/deinem dunklen Teint und

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