Frankfurter Allgemeine Zeitung - 18.02.2020

(Jacob Rumans) #1

FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG Politik DIENSTAG, 18.FEBRUAR2020·NR.41·SEITE 3


Die Bosbach-Kommission der nord-
rhein-westfälischen Landesregierung
hat einestaatstragendeAufgabe. Seit
Ende 2017 befasst sichdas Gremium,
dem 16Fachleutewie der früherePrä-
sident des Bundesnachrichtendiensts
Hansjörg Geiger,der Kr iminologeRu-
dolf Egg, oder der LondonerTerror-
forscher PeterR.Neumann angehö-
ren, mit nichtsweniger als einer Ge-
neralrevision der gesamten nord-
rhein-westfälischen Sicherheitsarchi-
tektur.InwenigenWochen will die
Regierungskommission Ministerprä-
sident Armin Laschet(CDU) ihren
vermutlichmehr als 100 Seitenstar-
kenBerichtvorlegen. Dochwenn das
Gremium an diesem Dienstagzusei-
ner nächstenSitzung zusammen-
kommt, wirdessichersteinmal mit
einerboule vardeskenPosseihres Vor-
sitzenden befassen: MehrereMitglie-
der erwarten vonWolfgang Bosbach
(CDU)Auskunf tüber den merkwür-
digen Privatkredit, den er seinem
Talksho w-Bekannten Werner
Hanschgewährte.
Nach allem,wasbisher bekannt
ist, bat der Fußballkommentator
Hanschden Politiker BosbachEnde
2018 nacheiner gemeinsamenVeran-
staltung in SchwäbischGmünd drin-
gendumGeld.Hansch,dermittler-
weile 81 Jahrealt istund reiferenFuß-
ballfans nochals sonore„Stimme des
Ruhrgebiets“ bekannt ist, soll behaup-
tethaben, amVortag einenAutoun-
fall unter Alkoholeinflussverursacht
zu haben. Daswolle derUnfallgegner
ausnutzen,der 20 000 Eurovon ihm
verlange. Im Gegenzugbleibe diePo-
lizei außenvor. BosbachhatteMit-
leid und überwies seinem Bekannten
ein zinsloses Darlehen über 5000
Euro.Weil Hanschauchweit nach
Rück zahlungsfristlediglich
Eurozurückgezahlt hatte, zeigteihn
BosbachimOktoberwegenBetrugs
an. Bosbach, der erst seit einigenTa-
genwieder im Besitz der Gesamtsum-
me ist,vermutet,dassesden Unfall
nie gegeben hat.
Als dieverquereCausa vergangene
Wochedurch einen Bericht der„West-
deutschen AllgemeinenZeitung“ öf-
fentlichwurde, sah dierot-grüne Op-
position umgehend politischesPoten-
tial in derPosse.Egal, ob es denUn-
fall gegeben habe oder nicht, ent-
scheidend sei, dassBosbachimGlau-
ben gehandelt habe, esgehe darum,
einenUnfall unter Alkoholeinfluss
an derPolizei vorbei zuregeln. Wer
sichauf soetwaseinlasse, sei nicht
mehr glaubwürdi gals Vorsitzender ei-
ner Kommission zurStärkung der Si-
cherheit in Nord rhein-Westfalen,
hieß esvonden Grünen.Ministerprä-
sident Laschetmüsse Bosbachvon
dem Posten abberufen,forderte die
SPD.
SPD und Grüne halten das Bos-
bach-Gremium ohnehin für politi-
schen Mumpitz. In der Endphase des
nordrhein-westfälischen Landtags-
wahlkampfs2017hatteCDU-Spitzen-
kandidat Armin Laschetseine Kom-
missions-Idee mit dem Hinweis be-
gründet, nachsieben Jahren Rot-
Grün sei die SicherheitslageinNord-
rhein-Westf alen so desaströs, dass
tiefgreifendeReformen nötig seien.
DassLasche tvor gut drei Jahren sei-
nen Parteifreund Bosbach als
Wunsch-Kommissionsvorsitzenden
präsentierenkonnte,warein kleiner
Coup. Der CDU-Politiker,der vorein
paar JahrengerneBundesinnenminis-
ter gew ordenwäre,war zwar schon
im September 2015vomAmt desVor-
sitzenden des Bundestagsinnenaus-
schusses zurückgetreten, und zwar
aus Protestgegen die Griechenland-
rettungs-Politik derRegierung Mer-
kel. DerPopularität desstetsfröhlich
plaudernden Rheinländershattedas
aber keinen Abbruc hgetan. Im Ge-
genteil: Sein Ruf alsglaubwürdiger in-
nerparteilicher Merkel-Kritiker,als
Mann derTacheles redet, verfestigte
sichnoch. Der treue Merkel-Unter-
stützer Laschetwollte sichdas zu Nut-
ze machen, um das Profil seinerKam-
pagne an einerentscheidendenStelle
nachzuschärfen. Zudem warBosbach
ein Angebotandie Konservativen in
der CDU.
Ausder Bosbach-Kommission
heißt es, die Kritik der Opposition sei
übertrieben, juristischkönne man
Bosbachaus derPossekeinenStrick
drehen. Erstaunlichsei aber,dassdas
politische „Urgestein“ Bosbach nicht
gemerkt habe, wie gefährlic hdie
Strafanzeigefür seine Reputation
werden könnte. Es bleibe einRätsel,
wie man für 2500 Eurosoein Risiko
eingehenkönne. Bosbach sei sympa-
thisch, umgänglichund unterhaltend,
aber auchsehr eitel. Sonderlichausge-
prägteFührungsqualitäten habe der
CDU-Politiker an der Spitze derKom-
mission übrigens nicht bewiesen,
sagt ein Mitglied.Kanzlerin Merkel
habe offensichtlichganz genau ge-
wusst,warumsie ihrenParteifreund
nie mit der Leitung eines Ministeri-
ums betraute.

D


ie Zukunftder französischen
Hauptstadt sei ihr eine Her-
zensangelegenheit, sagtAgnès
Buzyn, dochdann kommen ihr
Tränen. Die 58 Jahre alteMedizinerin
und Tochter eines Holocaust-Überleben-
den hat sichander Spitze des französi-
schen Gesundheitsministeriums denRuf
erarbeitet,besonderszäh undtapfer zu
sein. Deshalb hat Präsident Emmanuel
Macron ihr jetzt diefast unmögliche Mis-
sion anvertraut, als neue Spitzenkandida-
tin dasRathausvonParis zu erobern. Sie
hat die Herausforderung angenommen,
aber bei ihrer Amtsübergabe im Gesund-
heitsministerium weint sie am Montag
vorlaufendenKameras. Die Szene zeugt
vompolitischen Chaos, das derSturzvon
Macrons ursprünglichem Kandidaten für
das Amt desPariser Bürgermeisters,Ben-
jamin Griveaux, einen Monatvordem
Wahltermin hinterlassen hat.Parisbilde-
te eine Hochburgvon MacronsPartei La
République en marche. 89,7 Prozent der
Wählerstimmten hier in derStichwahl
2017 fürMacron.Dochnunsiehtesganz
so aus, als solle dasRathausvonParis
Sinnbild für den Machtverfall Macrons
werden.
Um die Entmachtung Macrons und sei-
ner „Oligarchie“ geht es denjenigen, die
hinter derVerbreitungprivaterSexaufnah-
men in den sozialenNetzwer kenstehen,
die zumRücktritt Griveauxs alsKandidat
für dasPariser Bürgermeisteramt führten.
Griveaux, der mit einer erfolgreichen An-
wältin verheiratet istund sichimWahl-
kampfals treusorgender Familienvater
mit seinen drei KinderninSzene setzte,
soll in seinerZeit als Regierungssprecher
intimeAufnahmen mit einer Jurastuden-
tinübersein Mobiltelefon ausgetauscht ha-
ben. In denvergangenenTagensind im-
mer neue Details bekanntgeworden, wie
aus einem virtuellen Seitensprung–Gri-
veaux hattenach derzeitigemKenntnis-
stand keinen physischenKontakt zu der
Adressatin seinerVideos, die ihn bei der
Masturbation zeigen–ein politisches De-
stabilisierungsmanöverwurde.
Eine Schlüsselfigurstellt Rechtsanwalt
Juan Branco dar,der in der linken Szene
viel Einflussgenießt. Er hatteKontakt zu
der französischen Jurastudentin Alex-
andradeTaddeo, an die Griveaux seine
Videos schickte, und zu demrussischen
Aktionskünstler PjotrPawlenskij, der die
kompromittierendenAufnahmenvonGri-
veaux auf seiner Internetseiteveröf fent-
lichte. Der 29 JahrealteFrankospanier
mit dem braunenWuschelkopf hat sich
mit demPamphlet„Crépuscule“(sinnge-
mäß: „Untergang“) einen Namen ge-
macht.Inseinem Bestseller beschreibt
Branco Präsident Emmanuel Macron als
Frontfigur einer gierigen, sittenlosen Eli-
te,die es zu entmachtengelte, um die
„wahre“ Demokratie zuretten. Griveaux
porträtierterindem Buchals besonders
hassenswerte Gestalt, die sichauf Staats-
kosten bereichereund keinerlei Moral
kenne.
AlsAnwaltdes Linkspopulisten Jean-
LucMélenchonund mehrererWortführer
der„Gelbwesten“-Bewegungistderumtrie-
bige Brancobestens vernetzt.Sohatteer
sichauchunte rdie „Gelbwesten“ge-

mischt, di evor gu teinem Jahr denSturm
aufdie hohenTore derMacht mit einem
Gabelstapler probten. Mit demGefäh rt,
dassie zuvor aufeinerBaustelleentwendet
hatten,rammten siedie Pforte des Gebäu-
desein, in dem Regierungssprecher Benja-
minGriveaux arbeitete.Die Journalisten
von„Le Monde“,die dur ch denGabels tap-
ler-Angriffam 5. Januar2019 auseinemIn-
terviewmit Griveauxgerissen wurden, ha-
bendie Rolle Brancosweiter verfolgt.
Als Teil einerweltweiten„Widerstands-
bewegung“gegenkorrupteMachthaber
knüpfte BrancoKontakt zuPawlenskij,
dem inFrankreichAsylgewährt wird.
Den Silvesterabend zur Jahreswende
2020 verbrachtenPawlenskijund seine
neueFreundin, die 29 JahrealteAlex-
andradeTaddeo, mit Branco und ande-

renRevoluzzernineiner großbürgerli-
chen Wohnung über dem CafédeFlore
am Boulevard Saint-Germain, die den El-
ternvonBrancos Freundingehört .Erzähl-
teAlexandra nachein paar Gläsern
Champagner schon an dem Silvester-
abend, dasssie zu Griveaux eine virtuelle
Beziehung unterhielt?Noch am Silvester-
abend schlugPawlenskijeinem anderen
Gastmit derFaustins Gesicht undstach
mit einem Messer einemweiteren in den
Oberschenkel. Er hättesichüber Bemer-
kungenvonihnengeärgert,hieß es. Als
die Polizei anrückte, warenPawlenskij
und seineFreundin bereitsverschwun-
den. Branco hat in Interviews gesagt, dass
Pawlenskijihn insVertrauenzog und um
Rechtsbeistand in der Affäre bat.„Ich
habe ihmgesagt, dassich an seiner Seite

stehen werde“, sagteBranco am Montag.
Er sei aber nichtverantwortlich für die
Entscheidung, die privatenAufnahmen
weiterzuverbreiten. InFrankreich istes
strafbar,Mitschnittesexuellen Charak-
ters ohne Einverständnis der Beteiligten
zu veröffentlichen.Pawlenskij und seine
Freundinwerden seit demWochenende
in Polizeigewahrsamverhört, ihnendroht
ein Strafverfahren.
In Pawlenskijs Heimat nutzteDmitrij
Kisseljow, des Kremls wichtigsterStaats-
fernsehmann, denFall, um denFranzosen
und den Europäernallgemein Doppelzün-
gigkeit vorzuwer fen. InRussland habe
Pawlenksi jmachenkönnen,waserwollte,
und ihm sei dafür in Europa applaudiert
worden, sagteKisselj ow in seiner Sonntag-
abendschau „Nachrichten der Woche“.

Aber wenn Pawlenskijdann auchinEuro-
pa keine Grenzenkenne, empöreman
sich. InWirklichkeit hattePawlenskijfür
seine „politischeAktionskunst“ zunächst
in Russland selbstAnerkennung erhalten,
dann imWesten. Zudem zieltePawlenskij
damals nicht nur auf einen anderen Staat,
auchseine Mittelwarenandere: Derkahl-
geschorene Mann in Schwarzbenutzte
nicht andere, wie jetzt denPolitiker Gri-
veaux, sondernseinen eigenen Körper,
um denStaat, so seine Logik,zuzwingen,
sichzudemaskieren. Der Petersburger
nähtesichdie Lippen zu, wickelte sichin
Stacheldraht, trieb einenNageldurch sein
Skrotum, schnitt sichein Ohrläppchen ab,
um gegenRepression,Verbote oder Apa-
thie der Gesellschaftanzugehen.Pawlens-
kijsucht eden Är germit der Justiz–die Re-
aktiondes Staats istfür ihnTeil politischer
Aktionskunst–und bekam ihn, erhielt für
russische Verhältnisse aber mildeStrafen:
Pawlenskijkam in Unte rsuchungshaft,
aber nicht ins Gefängnis, wurde psych-
iatrischuntersucht, aber fürgesund befun-
den.
Für seineletzte Aktion inRuss land,
das Anzünden einerTürder Moskauer
GeheimdienstzentraleLubjanka2015, er-
hielt er nur ein Bußgeld, das er nicht ein-
mal bezahlte.Auffällig mildwarauchdie
Reaktion der Justiz, als eine Schauspiele-
rinPawlenskijund dessen Lebenspartne-
rinEnde 2016wegensexueller Misshand-
lung anzeigte: Die beiden wurdenver-
hört, voreinem künftigenStrafverfahren
gewarntund laufengelassen, konnten
dann mit ihren beidenTöcht ernungehin-
dertRussland verlassen, fuhren über
Weißrussland in die Ukraine und nahmen
dortein Flugzeug nachFrankreich. Die
Misshandlungsvorwürfe wies Pawlenskij
zurückund erhielt imFrühjahr 2017 nicht
nur Asyl, sondernauchden bestmögli-
chen Leumund inFrankreich:verfolgter
Künstler ausRussland. InPariswiederhol-
te er seineLubjanka-Tür-Aktiongegen
eine Filiale der Banque deFrance amre-
volutionshistorischaufgeladenen Bas-
tille-Platz und erhielt dafür drei Jahre
Haft, vondenen das Gericht zwei zur Be-
währung aussetzte.
Dabei bedientesichPawlenskijmit den
Videoaufnahmen, die angeblichHeuche-
lei und DoppelmoralinFrankreichoffen-
legen sollen, auf sehr schlichteWeise der
in Russ landverbreit eten Technik des
„Kompromat“, derVeröffentlichungvon
belastendem,peinlichem Material. Oft
sind russische Oppositionelle Zielvon
Ausspähaktionen ihrer Intimsphäreund
anschließenden Hetzfilmen in kremltreu-
en Senderngeworden. Nicht nur in der
Wahl der Methoden, auchmit Blickauf
die Zielpersonkann sichder Kreml nun
an Pawlenskijerfreuen: Griveaux hatte
einstals Regierungssprecher den Aus-
schlussder Kreml-MedienRT und Sput-
nik aus dem Elysée-Palastverteidigt, weil
sie staatsfinanzierte „Propaganda“ betrie-
ben. Kisseljowkündigtenun an, das
Schic ksal Pawlenskijs inFrankreichge-
nau zuverfolgen, der sei schließlich „ei-
ner vonuns“.

Tränenreicher Anfang:Agnès Buzyn, die neueKandidatinvonPräsident Macron für dasPariser Rathaus Foto Imago

Seltsamer


Kredit


Bosbachverlieh Geld


an Werner Hansch


VonReinerBurger,


Düsseldorf


Michael Bloombergmacht keine halben
Sachen. Vorden Wänden der großen
Brauereihalle in Richmond sind Bierfäs-
ser aufeinandergestapelt, die mit den Ban-
nernder „Mike2020“-Kampagne beklebt
wurden. An einemStand werden T-Shirts
und Tassen im „Mike“-Designvergeben,
an der Thekegibt esFreibier.Vorwahlen
in Amerikaleben eigentlichvonImprovi-
sation: kleine Kundgebungen in alten
Sporthallen, in derverstaubteWimpel an
den vergilbtenWänden hängen, die an die
letzten Erfolgeder örtlichen Highschool-
Basketball-Mannschafterinnern. Ein paar
zusammengenagelteBretterdienen als
Bühne, und die Akustik isthäufig misera-
bel. Dafür bietetdas EreignisNähe zum
Kandidaten: Hier wirdein Foto gemacht,
dortein Autogrammgegeben. So jeden-
falls sieht es bei den anderen Bewerbern
der Demokraten um die Präsidentschafts-
kandidatur in Amerikaaus. Bei Bloom-
bergist es umgekehrt: SeineWahlkampf-
kundgebung in der Hauptstadt Virginias
istein durchgestyltes Event.Dafür will es
mit derNähe nicht sorech tklappen.
62 Städteimganzen Land habe er seit
November besucht, sagt Bloombergam
Samstaginder Brauerei. Im Herbsthatte
er nachträglichseine Kandidatur bekannt-
gegeben. Inkeinem Bundesstaat sei er
seither so häufiggewesen wie inVirginia.
Bloomberg hatviel in denBundesstaatin-
vestiert: Er sei sehr frohgewesen, den hie-
sigen Demokraten dabeigeholfen zu ha-
ben, imvergangenen Herbst zum ersten
Mal seit 26 Jahren die Mehrheit in beiden
Parlamentskammernzuerringen,ruft er
den Leuten zu. In umkämpftenWahlkrei-
sen hatteerdemokratischeKandidaten
mit Spenden unterstützt.Viele vonihnen
sitzen nun imKapitol des Bundesstaates.
Aufderen Unterstützungkann er bauen.
Während die anderen Bewerber durch
Nevada und South Carolina ziehen, die
nächsten beiden Vorwahlstaaten,steigt
Bloombergerstmit dem „SuperTuesday“
ins Rennen ein. Am 3. Märzwirdgleichzei-
tig in 14 Bundesstaatengewählt, unter an-
derem inKalifornien undTexas, wo viele
Delegiertenstimmen für den Nominie-
rungsparteitag im Sommer in Milwaukee
vergebenwerden. UndinVirginia.Weil

Bernie Sanderssichinden beiden ersten
„Primaries“ in Iowa und NewHampshire
als Kandidat des linken Lagersetablieren
konnte, herrschtimmoderatenParteiflü-
gelNervosität.
VomAbstur zJoe Bidenskonntesoauch
jenerKandidat profitieren, der nochgar
nicht auf demWahlzettelsteht.Bloom-
bergist mittlerweile angesichts einerWer-
bekampagne, in die der Milliardär bisher
beispiellose 380 Millionen Dollar aus der
eigenenTasche steckte, allgegenwärtig: in
den großenFernsehsendern, auf Face-
book und aufYoutube. In den nationalen
Umfragenkonntesichder langjährige Bür-
germeisterNewYorks so gleichsam aus
dem Nichts insvordereFeld katapultie-
ren. In den Spots wirderals pragmati-
scher Problemlöser und unideologischer
Brückenbauer porträtiert: Er habe die Ge-
sundheitsversorgung für dieNewYorker
verbessert, sichmit der Waffenlobbyange-
legt und dieStadt nicht zuletzt durch die
Finanzkrisevon2008 gebracht.
Bloombergzitiertinder Brauerei sei-
nen Slogan „Mikewill getitdone“ –Mike
erledigt das. Er soll nicht nur auf seinVer-

mächtnis als Bürgermeisteranspielen,
sondernauchheißen:Nurerkönne Do-
nald Trumpschlagen. „Siewerden den
Slogan vielleicht schon malgehörtha-
ben“, sagt der 78 JahrealteMann. „Wenn
nicht,verschwende ichgerade einen Hau-
fenGeld.“ Das istsein kühler Humor,der
eine Prise Selbstironie enthält.Erträgt
den Witz aber nicht pointiertvor,son-
dernratter tihn herunter,wie denRest sei-
ner Rede. Die Interaktion mit dem Publi-
kumist nicht seineStärke. Während ande-
re Bewerber auf ihrenKundgebungenAn-
hänger direkt ansprechen,redeterüber
die Köpfeder Leutehinweg.
Bloombergund die Demokraten–das
istkeine vonEnthusiasmusgeprägte Be-
ziehung, sondernAusdruck eines nüchter-
nen Pragmatismus.Traci undFrank Mu-
nyan sind zwei typische Bloomberg-An-
hänger.Sie, 59 Jahrealt, wareigentlich
für ElizabethWarren, er ,62Jahrealt, für
Biden. Sie sagt:„Am Endegeht es darum,
Trumpzuschlagen. Das traue ichMike
eher zu.“ Er sagt:„Biden istaus demTritt
geraten.“ Undwenn er sichinseinem Be-
kanntenkreis umhöre, in dem es einige
Vertreterder aussterbenden Spezies der
moderatenRepublikanergebe, dann be-
stärke ihn das in dem Glauben,nur
Bloombergkönnegenügend Wähler aus
dem Trump-Lager abziehen. Beunruhigt
es sie nicht, dasssichein Milliardär die
Präsidentschaftskandidaturder Demokra-
tenzuerkaufenversucht? „Ichbin bereit,
darüber hinwegzusehen.WegenTrump“,
sagt Traci. UndFrank er gänzt:Zumindest
sei Bloombergnicht durch Konzerninter-
essen beeinflussbar.
Es gehörtzuden Kuriositäten des
Wahljahres 2020, dassesbei den Demo-
kratentatsächlichauf einen Zweikampf
zwischen einemNewYorkerMilliardär
aus einer jüdischen Familie und einem
aus NewYorkstammenden Sozialisten
mit jüdischen Wurzeln hinauslaufen
könnte. SollteBloomberg am Ende die
Kandidatur erringen, stünden sichim
Hauptwahlkampf dann zwei Superreiche
aus dergrößtenStadt des Landesgegen-
über:Bloomberg, der Demokrat, der frü-
her Republikanerwar, undTrump,der Re-
publikaner,der früher Demokratwar. Al-

les is tfreilichoffen. BloombergsKampa-
gne kann auchgenauso schnell in sichzu-
sammenfallen,wie sie aus dem Bodenge-
stampf twurde. Dochder Präsident
nimmt Bloombergernst,was d aran zu er-
kennen ist, dassergleicheinen spötti-
schen Namen für ihn gefunden hat:
„Mini-Mike“ nennt er ihnwegenseiner
Körpergröße. UndBloombergkonter te:
„Donald,wo ichherkomme, misst man
die Größe einerPerson vomNackenauf-
wärts.“ Der Schlagabtauschsagt alles
über dasVerhältnis der beiden aus. In den
Jahren imRathausvonNew York hatte
Bloomberghäufiger mit demImmobilien-
investor zu tun. Man lobteeinander auch
gelegentlich.
Doch Bloomberg, Gründer desgleich-
namigen Informationsdienstleisters,hat
es zu einemVermögen vonsechzi gMilli-
arden Dollargebracht,Trumphingegen
nurzudreiMilliarden.Der feingliedrige
Selfmade-Mann Bloomberg hat dem
plumpen Trumpimmerzuverstehen ge-
geben,dassdiesernicht zumwahren
Establishmentgehört .Dieser Tage nann-
te TrumpBloombergauf Twitter „einen
totalen Rassisten“, löschteden Tweet
aberkurzdarauf wieder. Anlasswaren
Berichte über dieVergangenheitdesBür-
germeisters. Bloombergwirdangesichts
seines gegenwärtigen Umfrageerfolges
genau durchleuchtet.
Die vonihm inNewYorkvertr etene Po-
lizeitaktik namens „Stop-and-frisk“, mit
der vornehmlichVertr eter sichtbarerMin-
derheitenvonStreifenpolizistenangehal-
tenwurden,warschon früher Anlassfür
Kritik.Nun taucht eein altes Zitat auf, in
dem Bloombergdie hohePolizeipräsenz
in schwarzenWohngegendenrechtfertig-
te:Dafänden dieVerbrechen nun einmal
hauptsächlichstatt, sagteer2015. Um
den „Kids“ dieWaffen wegzunehmen,
müsse man sie „gegen dieWand schubsen
und filzen“. InRichmond spricht Bloom-
bergdas Themavonsich aus an.Erb edau-
re diese Kommentare. Sie spiegelten
nicht dieWertewider,für die erstehe.
DassTrump sein en Tweetsogleichwie-
der löschte,könntenicht nur allgemein
damit zusammenhängen, dassaucher
sichbekanntermaßen nicht immer sensi-
bel geäußerthat, wenn es um das multi-

kulturelleZusammenleben ging.Erhat
früher auchexplizi tdie „S top-and-frisk“
-Taktik verteidigt.
Bloombergs Problem istaber garnicht
Trump, sondernseine Partei. Die Basis
sieht,dassTeile des Establishments der
Demokraten in Ermangelung eines mode-
ratenZugpferdes auf ihn setzen.Folglich
wirdinseinerVergangenheitgegraben.
Fündig wurde man nicht nur bei Bloom-
bergs Bemerkungen über Afroamerikaner
und Latinos, sondernauchbei seiner Hal-
tung zuFrauen. ImFokusstehen die Jah-
re,ind enen er die „BloombergL.P.“ opera-
tiv führte.FrühereMitarbeiterinnen be-
schreiben das Betriebsklima als frauen-
feindlich. Der Chef habe dabei mitchauvi-
nistischen Sprüchen denTonvorgegeben.
Bloomberg, der aus seiner 1993geschie-
denen Ehe zweiTöchter hat, machtein
den neunziger Jahrenkein Geheimnis aus
seinem promiskuitiven Lebenswandel. In
einem Interviewsagteerseinerzeit:Er
mögees, Frauen hinterherzujagen. „Sa-
genwir mal so: Ichbin he terosexueller
Singleund Milliardär in Manhattan.Was
glauben Sie denn? Es istein feuchter
Traum.“ ÖffentlicheÄußerungen wie die-
se offenbaren, dassBloomberg, der inzwi-
schenseit zwanzig Jahren einefestePart-
nerin hat, langeZeit nichtvorhatte, in die
Politik zugehen.
Irgendwann aber langweilteihn das
Businessund das Geld. Dakamder Ge-
dankeauf, in der Hauptstadt regieren zu
wollen. Für dasWeiße Haus zukandidie-
renhatteerschon mehrfach erwogen.
Am Ende hatteerden Gedanken immer
wiederverworfen, zuletzt Anfang 2019,
als auchernochanBiden glaubte.Nun
will er die DemokratenvorSandersund
Amerikavor Trumpretten. Das Establish-
ment schlägt zurück. Die Konkur renz
wehrtsich: Biden, AmyKlobuchar und
Pete Buttigieg, die sichals moderate Kan-
didatenanp reisen,heben hervor,dass Me-
dienpräsenz einenWahlkampf am Boden
nicht ersetzenkönne. Sandersfreilich
spielt Bloombergs Erscheinen ohnehin in
die Hände. Er präsentiertsichals wahre
AlternativezuBloombergund Trump
und sagt:„Das amerikanischeVolk hat
die Nase voll vonMilliardären, die sich
Wahlen kaufen.“

Der Untergang


Der allgegenwärtige, unnahbareKandidat


Istder Milliardär Michael Bloombergdie letzteHoffnung für die moderaten Demokraten? /VonMajidSattar, Richmond/Washington


Hoffnungsträger:Bloomberg FotoReuters

WieMacronsKandidat für dasPariser Rathaus über ein Sexvideo


stürzt eund wasein russischer Aktionskünstler damit zu tun hat.


VonFriedric hSchmidt, Moskau, und MichaelaWiegel, Paris

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