Berliner Zeitung - 17.02.2020

(coco) #1

P o litik


4 Berliner Zeitung·Nummer 40·Montag, 17. Februar 2020 ·························································································································································································································································································


NACHRICHTEN


Weidel führtdie AfD in


Baden-Württemberg


BundestagsfraktionschefinAlice
WeidelwurdeamSonnabendzur
neuenLandesvorsitzendenimba-
den-württembergischenLandesver-
bandderAfDgewählt.Die41-Jäh-
rigesetztesichaufeinemSonderpar-
teitaginBöblingenimerstenWahl-
gangmit54Proz entder Stimmen
gegendenbisherigenLandeschef
Dirk Spanielvomrechtsnationalen
„Flügel“durch.EineSpitzenkandi-
daturfürdieLandtagswahlinBa-
den-WürttembergimF rühjahr
schlosssieaus. (AFP)


Protestzüge gegen Neonazis


in Dresden


TausendeMenschenhabenam
SonnabendinDresdengegeneine
KundgebungvonNeonazisundei-
nensogenanntenTrauermarsch
zumGedenkenandieZerstörung
derStadtim ZweitenWeltkriegde-
monstriert.Gegendieausganz
Deutschlandundmehrereneuro-
päischenLändernangereisten
Rechtsextremenmachtennach
SchätzungenderOrganisatoren
deutlichmehrals 2000 Menschen
alleinindenbeidenProtestzügen
mobil.AnderrechtsextremenKund-
gebung,dieeinDresdnerNPD-
Funktionärangemeldethatte,nah-
menSchätzungenzufolgemehrals
tausendNeonazisteil. (dpa)


Fast 300 Millionen Euro


Dürrehilfe für Landwirte


Eine Sämaschine zieht in Sachsen eine
riesige Staubwolkehinter sich her. DPA


NachderextremenDürrevon
inmehrerenRegioneninDeutsch-
landsindknapp292MillionenEuro
anstaatlichenNothilfenausgezahlt
worden.Damitwurden7214land-
wirtschaftlicheBetriebeunterstützt,
wiedas Bundesagrarministerium
amSonntagmitteilte.Diegrößte
EinzelsummeausdemBund-Län-
der-P rogrammgingbiszumAb-
schlussderAuszahlungenEnde
nachBrandenburgmit72 Millionen
Euro. (dpa)


Israel reagiertauf Beschuss


aus dem Gazastreifen


IsraelischeKampfflugzeugeundHe-
likopterhabeninderNachtzum
SonntagmehrereZielederislamisti-
schenHamasim Gazastreifenange-
griffen. Unteranderemseieinmilitä-
rischerStützpunktderHamasim
ZentrumdesStreifensgetroffenwor-
den,teilteeinArmeesprecherauf
Twittermit.DieisraelischenStreit-
kräftehättendamitaufeinenRake-
tenangriffausdemGazastreifenge-
antwortet.ÜberOpferlagenzu-
nächstkeineAngabenvor. (dpa)


Raketen auf Grüne Zone


in Bagdad abgefeuert


DieirakischeHauptstadtistinder
Nachtzum SonntagvonExplosio-
nenerschüttertworden. NachAnga-
bendesUS-Militärsschlugenmeh-
rere RaketeninderGrünenZoneein,
indersichdashochgesicherteRe-
gierungsviertelundzahlreicheaus-
ländischeBotschaftenbefinden.
„Keine Opfer,Untersuchungdauert
an“,twitterteeinamerikanischer
Militärsprecher. (dpa)


Betriebsrentner


wartenauf


Entlastung


Krankenkassen-Freibeträge
nochnichtumgesetzt

H


underttausende Betriebsrent-
ner müssen voraussichtlich
nochMonateaufeineseitJahresan-
fanggeltendeEntlastungbeidenSo-
zialbeiträgen warten.Dasgeht aus
der Antwortdes Bundesgesund-
heitsministeriums auf eine Anfrage
der Linksfraktion hervor, die der
DeutschenPresse-Agenturvorliegt.
DabeigehtesumdenseitAnfang
2020 geltendenFreibetrag für Kran-
kenkassenbeiträgebei Betriebsren-
ten. Er beträgt 159,25 Euro.Seither
müssenrund vier Millionen gesetz-
lich krankenversicherte Betriebs-
rentner Beiträge nur noch für den
Betragbezahlen,dergegebenenfalls
darüberliegt.
DasProblem ist, dass das Gesetz
erst im Dezember beschlossen
wurde.WieetwaauseinemInforma-
tionsblatt der Kaufmännischen
Krankenkasse (KKH) hervorgeht,
„konntendie Kranken- und Versor-
gungskassenihretechnischenSys-
temenichtrechtzeitigumstellen,um
dieBeiträgeneuzuberechnen“.
Zu viel gezahlte Beiträge sollen
rückwirkend erstattetwerden.„Dies
kann jedoch noch einige Monate
dauern, vielleicht sogar bis zum
Ende des Jahres 2020“, so die KKH.
BeimGesundheitsministeriumstößt
so eine lange Umsetzungsfrist auf
Protest. „Eine Umsetzung erst zum
EndedesJahresistausSichtderBun-
desregierung nicht hinnehmbar“,
schreibtesinseinerAntwort.
Esseidavonauszugehen,dassdie
NeuregelungbeiBezugnureinerBe-
triebsrentezeitnaherfolgenkönne,so
dasMinisterium.„Davonsindcirca

zwei Drittelbetroffen.“DochbeiBe-
zug mehrererBetriebsrenten seien
gesonderteMeldungenvonderKran-
kenkasseanZahlstellen–etwaPensi-
onskassen–nötig. Demnach könnte
hiervondas weitereDrittel der Be-
triebsrentnerbetroffensein.
„Zur UmsetzungderRegelungbei
Bezug mehrererBetriebsrenten gibt
esder zeitvonSeitenderBeteiligten
nochunterschiedlicheEinschätzun-
gen“, so dasMinisteriumvonJens
Spahn(CDU).DasRessortwerdedie
Fortschritte genau und kritischver-
folgen und Maßnahmen zur Be-
schleunigungprüfen.
DerSpitzenverband der gesetzli-
chenKrankenversicherungen(GKV)
erklärte ,in460 00Zahlstellenwerde
mit Hochdruck an derUmsetzung
des Gesetzes gearbeitet.„AlleBetei-
ligtenwollen,dassdieEntlastungen
so schnell wie möglich bei den ein-
zelnen Beziehernvon Betriebsren-
tenankommen“,sagteSprecherFlo-
rianLanzamSonntag.Einautomati-
siertes Verfahren stelle sicher,dass
niemand einen Antrag stellen
müsse,ume ineErstattungzuerhal-
ten. Sobald die technischen Mög-
lichkeiten zur Umsetz ung fertig
seien, würden die einzelnen Be-
triebsrentneraktivinformiert.
DerLinken-Abgeordnete Mat-
thiasW.Birkwald,derdieAnfragege-
stellt hatte,sagte,das Gesundheits-
ministerium habe seit einerExper-
tenanhörung im Gesundheitsaus-
schuss AnfangDeze mber um die
technischenHerausforderungenge-
wusst. (dpa)

Die Hauptverwaltung der Kaufmänni-
schen Krankenkasse in Hannover. KKH

RechteTerrorzelleim Visier


DerGeneralbundesanwalterwirktHaftbefehlegegenzwölfMitgliederundUnterstützer


VonAndreas Förster

D


eutsche Sicherheitsbe-
hörden haben eine
rechte Terror zelle zer-
schlagen, die Anschläge
auf Politiker,Asylsuchende und
Muslimegeplanthabensollundda-
mit bürgerkriegsähnlicheZustände
herbeiführen wollte.AmWochen-
endeordnetederErmittlungsrichter
am Bundesgerichtshof gegen insge-
samt zwölfMitglieder undUnter-
stützer der Gruppe die Untersu-
chungshaftan.DieMännerimAlter
zwischen31und60Jahrenwarenam
verg angenenFreitag beiRazzien in
mehreren Bundesländernfestge-
nommen worden.Siesollen unter
anderemVerbindungenzurinterna-
tional vernetzten rechtsextremen
Gruppierung„Soldiers ofOdin“ un-
terhaltenhaben.
Laut Bundesanwaltschaft sollen
vierder Beschuldigteneineterroris-
tischeVereinigung mit demNamen
„DerharteKern“gebildethaben.An-
führerderZellewardemnachder53-
jährige WernerS.ausdemLandkreis
Augsburg. Beiden Behörden war S.
als rechtsextremerGefährder regis-
triert. Dasbedeutet, dass ihm
schwer eGewalttatenbishinzuTer-
roranschlägen zugetraut werden.
Eine fünftePerson, die derGruppe
ebenfalls angehören soll, bliebvor-
erstauffreiemFuß.Denachtweite-
renFestgenommenen wirddie Un-
terstützung der Terror zelle vorg e-
worfen –sie hätten derVereinigung
finanzielleHilfe,Waffenbeschaffung
und dieMitwirkung an geplanten
Anschlägenzugesagt.
DemSpiegel zufolge war es am
8.FebruarzueinemTreffenderTer-

rorzelle mit ihrenUnterstützernge-
kommen.DieZusammenkunft im
nordrhein-westfälischen Minden,
anderinsgesamtzehnPersonenteil-
nahmen, wurde vonden Sicher-
heitsbehördenmitgroßemAufwand
observiert.Zuvo rhattendieFahnder
bereitsdieelektronischeKommuni-
kationderBeteiligtenüberwacht,die
inihrenChatsauchFotosselbsther-
gestellterWaffen geteilt haben sol-
len. Beiden Razzien am Freitag
wurde dann auch bei einem der
mutmaßlichenUnterstützerinSach-

sen-Anhalt eine „Slam-Gun“ gefun-
den, ein imEigenbau hergestelltes,
großkalibrigesSchussgerät,dasauch
derAttentäterinHallebenutzthatte.
ImFacebook-Profildesmutmaßli-
chen Unterstützers ausSachsen-An-
haltwurdezudemeinFotogefunden,
das offenbar mehrereMitglieder ei-
nerBürgerwehrnamens„VikingsSe-
curity Germania“ zeigt. DieGruppe
siehtsichinderTraditionder2015in
FinnlandvonrechtenSkinheadsund
Nationalistengegründetenundmitt-
lerweile in mehreren europäischen
Ländernverbreiteten Bürgerwehr
„SoldiersofOdin“(S.O.O.).

Ende 2017 hatte der bayerische
Verfassungsschutz die „Soldiers of
Odin Germany Division Bayern“als
rechtsextremistischeBestrebung ins
Visier genommen.In mehreren bay-
erischenStädten wie Donauwörth,
München,Regensburgund Würz-
burgliefen die S.O.O.-Mitgliederre-
gelmäßigStreife,diesieals„Spazier-
gänge“ bezeichneten.Dabei trugen
die Teilnehmer einheitlich schwarze
Jacken,aufdenendasLogoderGrup-
pierungaufgedrucktwar–einWikin-
gerkopf, dermit einer deutschen

Andreas Förster
sieht in den Ermittlungen einen
wichtigen Schlaggege ndie
rechtsextreme Szene.

„ZielderVereinigungsollesgewesensein,die


Staats- undGesellschaftsordnung der


BundesrepublikDeutschlandzue rschüt tern


und letztlich zu überwinden.“


Der Generalbundesanwaltbeim Bundesgerichtshof in einer Pressemitteilung

Fahnevermummtist.Mitunterhatte
dieFlaggeauchdieFarbkombination
Schwarz-Weiß-Rot alsReferenz auf
dasDeutscheReich.ZudenAblegern
derbayerischenS.O.O.-Gruppeinan-
deren Bundesländerngehörenneben
der Vikings Security Germania und
Wotans Erben Germanien auch
Gruppen inDresde nund Mecklen-
burg-Vorpommern. S.O.O.-Mitglie-
der tauchten zudem wiederholt auf
rechten Demonstrationen inBerlin
auf. So beteiligten sie sich etwa an
rassistischen Aufmärschen am 9.
Novembe r2018 und am 3.Oktober
2019zum„TagderNation“.

Einer vomEuropäischen Anti-
Terror-ZentrumbeiEuropolverfass-
teninternen Studievon2019zufolge
gehören die „Soldiers ofOdin“ zu-
sammenmitdenHammerskinsund
der jüngst inDeutschlandverbote-
nenGruppierungCombat 18zu den
rechtsextremenGewaltgruppen, die
sich grenzübergreifend in zahlrei-
chenLändernorganisieren.Derver-
trau liche „StrategicReport“ stellt
dazufest,dassdieserechtsextremen
Gruppen ein anhaltendesInteresse
am Besitz undUmgang mitWaffen
undSprengstoffenzeigten.„Umihre
körperlichen Möglichkeiten und
Kampffähigkeiten an den Waffen
auszubauen“,heißtesindemPapier,
„versuchen Mitglieder rechtsextre-
mer Gruppen, erfahrenesPersonal
ausMilitärundSicherheitsbehörden
fürsichzugewinnen,umvonderen
Expertise imBereich der Überwa-
chungundKampffertigkeitenzuler-
nen.“Tatsächlichgehörtzud enjetzt
Festgenommenen auch einVerwal-
tungsmitarbeiterderPolizeiinNRW.
Erwurdesuspendiert.
DieBundestagsabgeordnete der
Linken, Martina Renner,begrüßte
die Ermittlungen.Nach allenErfah-
rungen mit Ermittlungsverfahren
gegenmutmaßlicherechtsterroristi-
sche Strukturen seiesn un aber
wichtig,Netzwerkeund Bezüge zu
allen Teilen der extremenRechten
bishinzurAfDindenBlickzuneh-
men und dieBedrohten schnell zu
informieren,mahntesie.

LaschetkritisiertdieKanzlerin


DerNR W-Ministerpräsidentverrätnochnicht,oberCDU-Chefwerdenwill.BisRosenmontagsolleseinenFahrplangeben


I


st dieses schwarz-grüneBild ein
Fingerzeigfürdenkünftigenbun-
despolitischen Alltag in Deutsch-
land? ZumEnde der MünchnerSi-
cherheitskonferenz diskutieren am
Sonntag CDU-VizeArmin Laschet
und Grünen-Chefin AnnalenaBaer-
bocküberdieLageEuropas.Esgeht
ummehrdeutschesGeldfür Europa,
denUmgangmitPopulistenundKli-
maschutz.KurznachderRückzugs-
ankündigungvonCDU-Chefin An-
negretKramp-Karrenbaueristesein
bemerkenswerterAuftritt -nichtnur
weil deutscheMinisterpräsidenten
undOppositionspolitikersonsteher
nicht auf der Bühnevorinternatio-
nalemPublikumstehen.
Zuallererst sind es dieAussagen
Laschets zur Regierungszeit von

Kanzlerin AngelaMerkel (CDU), die
aufhorchen lassen: DieRegierung
müssesichinihrerEuropapolitikwie-
der mehr zutrauen, so wie in den
80er-JahrenHelmutKohl:„Dasmuss
man sich malvorstellen, dass man
den Leuten gesagt hat:Gebt die D-
Markauf.SolchenMutbräuchteman
heute“,sagtLaschet.ErnenntMerkel
nicht namentlich, die Kritik ist ein-
deutig. Über demKoalitionsvertrag
der Bundesregierung stehe zwar das
Motto „Ein neuerAufbruch fürEu-
ropa“,„davonhatmanindenletzten
zwei Jahren aber nicht so viel ge-
merkt“.FürLaschetistklar:Deutsch-
landmussbeiderabSommeranste-
hendenEU-Ratspräsidentschaftwie-
dermit FrankreichInitiativenfürEu-
ropaentwickelnundumsetzen.

Seit Kramp-Karrenbauervorknapp
einer Woche erklärte,ihr Amt bis
zum Sommer abgeben zu wollen,
läuft hinter denKulissen längst die
Nachfolgersuche auf Hochtouren.
Neben Laschet, der sich zu seinen
Plänennochnichtgeäußerthat,wer-
den dem früherenUnionsfraktions-
chef Friedrich Merz und Gesund-
heitsministerJens Spahn die besten
Chanceneingeräumt.
In der kommendenWoche will
sich „AKK“ mit ihren potenziellen
Nachfolger treffen.Biszur Sitzung
des CDU-Vorstands amRosenmon-
tag soll dann derKorridor konkreti-
siertwerden –etwa zumTermin für
dennotwendigenParteitagzurNeu-
wahlunddamitverbundendaskon-
krete DatumihresRücktritts. (dpa)

AndersalsLaschetverzichtetBa-
erbock in ihrenBeiträgen auf der
Bühne auf direkte Kritik anMerkel
und aufKommentarezur Lage der
Union. Dass die Grünen dennoch
beste Chancen haben, dieOpposi-
tionzu verlassen,weißaucheinan-
derer Gast in München: AmFreitag
lud FrankreichsPräsident Emma-
nuelMacron BaerbockundMit-Grü-
nen-ChefRobertHabeck zumDin-
ner und in dessenVerlauf auch zu
sich nachParisein. Am Sonnabend
traf dann auch CSU-ChefMarkus
Söder mitMacron zusammen. AKK
gingdagegenleeraus.
In der Union wir dLaschets Rede
auch soverstanden:Da bringt sich
jemand interninS tellung für den
Kampf um den CDU-Chefposten.

Anhänger der rechtsextremistischen Gruppe „SoldiersofOdin“ wurden im Januar 2018 beobachtet, wie sie auf Bahnhöfen in München Streife liefen. IMAGO STOCK&PEOPLE
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