Handelsblatt - 17.02.2020

(Ann) #1
Alexander Demling San Francisco

A


ls Michael Bloomberg
Mitte Januar vor Tech-
Milliardären in San
Francisco auftrat, war
deren Welt für ein
Abendessen lang wieder in Ordnung.
Endlich stand da wieder ein Präsi-
dentschaftskandidat, der den Grün-
dern und Risikoinvestoren die Ehre
erwies. Der in seiner kurzen Rede in
einer Galerie im hippen Stadtteil So-
Ma den optimistischen Pragmatis-
mus predigte, den die Bewohner des
Tech-Tals ein- und ausatmen. Der als
Gründer des Medienunternehmens
und Datendienstleisters Bloomberg
und ehemaliger New Yorker Bürger-
meister niemanden mehr von seinen
Macherqualitäten überzeugen muss.
Das Publikum um Salesforce-Grün-
der Marc Benioff, LinkedIn-Gründer
Reid Hoffman und Start-up-Investor
Ron Conway war entzückt. Jason Ca-
lacanis, ein früher Uber-Investor und
eifriger Twitter-Nutzer, tauschte sein
Profilbild auf dem sozialen Netzwerk
nach dem Auftritt gegen das Wahl-
kampflogo Bloombergs.
Er sei wohl der Erste, witzelte der
Multimilliardär, der vor dieser exklu-
siven Gruppe auftrete und keinen
Cent von ihnen wolle. Bloomberg fi-
nanziert seine Kampagne aus seinem
Privatvermögen.
Dabei sind Präsidentschaftskandi-
daten, die um Spenden bitten, das
geringste Problem für die Silicon-Val-
ley-Elite. Elizabeth Warren und Ber-
nie Sanders, die aussichtsreichen
Parteilinken im Rennen um die No-
minierung, nehmen auch kein Geld
von der kalifornischen Tech-Elite an


  • es würde ihre Glaubwürdigkeit ge-
    fährden. Sie ziehen vielmehr gegen
    den Einfluss reicher Großspender zu
    Felde. Google, Facebook und den an-
    deren Großkonzernen von der West-
    küste drohen sie mit Zerschlagung.
    Bloomberg oder Sanders – für das
    Silicon Valley geht es bei der Vor-
    wahl der Demokraten um mehr als
    bei jeder davor: In der Vergangen-
    heit konnte sich die Technologiein-
    dustrie darauf verlassen, dass der
    schlussendliche Kandidat ihnen
    vielleicht ihre Einkommensteuer er-
    höhen würde, aber ihre liberalen
    Werte teilen und ihr Geschäft in Ru-
    he lassen würde.
    Ungebremste Tech-Enthusiasten
    gibt es kaum noch unter den Demo-
    kraten. Der Coolness-Faktor der
    Branche ist einem Hautgout von Aus-
    beutung und Überwachungskapitalis-
    mus gewichen. Außer Bloomberg
    war da bislang erst nur der Ex-Start-
    up-Gründer Andrew Yang, der im
    Kampf um die Nominierung gerade
    aufgegeben hat.
    Besser sieht es für Pete Buttigieg
    aus. Auf den ersten Blick wirkt der
    smarte, ehemalige Kleinstadtbürger-


meister, der gerade die Vorwahl in
Iowa gewonnen hat, wie ein Verbün-
deter des Valleys. Buttigieg kannte
Mark Zuckerberg schon in Harvard,
sein Facebook-Profil war das 287.
überhaupt.
Der 37-Jährige ließ sich von Zucker-
berg zwei ehemalige, hochrangige
Facebook-Mitarbeiter empfehlen, die
nun in seinem Wahlkampfteam ar-
beiten. Eine Spendenveranstaltung in
einem Weinkeller in Palo Alto, bei
der der ehemalige McKinsey-Berater
Buttigieg den Netflix-Gründer Reed
Hastings oder die Frau von Google-
Gründer Sergej Brin umgarnte,
brachte ihm Kritik ein.
Doch selbst Buttigieg will die Bran-
che einschränken. Er will die US-
Wettbewerbsbehörde FTC stärken,
deren Zurückhaltung den Aufstieg
von Billionen-Dollar-Konzernen wie
Alphabet oder Apple erst möglich ge-
macht hat. Das US-Kartellrecht er-
kennt Wettbewerbsverstöße bisher
praktisch nur dann, wenn ein Mono-
polist Preise erhöht und dem Konsu-
menten direkter monetärer Schaden
entsteht.

Ungewohnter Liebesentzug
Schon jetzt dreht sich der Wind: In
dieser Woche kündigte die FTC an,
alle Akquisitionen der fünf großen
Tech-Konzerne seit 2010 zu überprü-
fen. FTC-Chef Makan Delrahim wird
in einem Porträt des „Hollywood Re-

porter“ zitiert, er erwarte in den
kommenden Monaten mindestens ei-
nen Strafprozess gegen einen Mana-
ger oder einen Konzern im Silicon
Valley wegen Wettbewerbsverstößen.
Buttigieg liegt voll auf dieser Linie.
Das Kartellrecht sei „nicht für einige
dieser Technologie-Unternehmen ge-
schaffen, die gar keine Preise verlan-
gen“, sagte der Kandidat schon früh
in seinem Wahlkampf. Ihr Produkt ist
kostenlos – oder jedenfalls scheinbar
kostenlos. Nach allem, was wir darü-
ber wissen, wie diese Firmen unsere
Daten verwenden, ist nichts wirklich
kostenlos.“
Buttigiegs Kritik an den Digitalrie-
sen kann Taktik sein oder nicht. Min-
destens aber ist seine Rhetorik ein
Zeichen, dass sich selbst ein gemä-
ßigter Demokrat nicht leisten kann,
als naiver Freund der Tech-Industrie
zu gelten.
Für die ist der Liebesentzug der
Politik völlig ungewohnt: „Ohne die
Unterstützung der Politik gäbe es das
Silicon Valley nicht. Auch wenn die
Leute dort sich den Erfolg gerne aus-
schließlich selbst zuschreiben“, sagt
Margaret O‘Mara. Die Historikerin
von der University of Washington in
Seattle hat vergangenes Jahr ein Buch
über die Geschichte des erfolgreichs-
ten Tals der Welt geschrieben.
Die Halbleiterhersteller wie Intel
oder Fairchild, die dem Valley in
den Sechzigerjahren seinen Namen

gaben, profitierten von der Nachfra-
ge nach Chips für die Raumfahrt
oder das Militär. Auch die heutige
Generation der IT-Giganten habe
stark von der öffentlichen Hand pro-
fitiert, glaubt O‘Mara. Die Stanford-
Universität, wo die Google-Gründer
Larry Page und Sergej Brin die ers-
ten Algorithmen für ihre Suchma-
schine entwickelten, sei stark von öf-
fentlichen Forschungsaufträgen ab-
hängig – häufig von Darpa, der
Forschungsagentur des US-Militärs.
„Das ist schließlich das Einzige, wo-
für in diesem Land genug Geld da
ist“, sagt O‘Mara.
Auch der Boom der selbstfahren-
den Autos, den Google, Uber und
Start-ups wie Argo oder Aurora aus-
fechten, geht auf die legendäre
„Grand Darpa Challenge“ im Jahr
2004 zurück.
„Die Chefs der großen Tech-Unter-
nehmen waren es gewohnt, in Wa-
shington Gehör zu finden“, sagt die
Historikerin. Und zu bekommen, was
sie wollen. Die Risikokapitalgeber
des Valleys lobbyierten erfolgreich
für niedrigere Kapitalertragsteuern,
dem kalifornischen Ex-Gouverneur
Ronald Reagan galt die zweite Gene-
ration der Valley-Unternehmer um
Apple-Gründer Steve Jobs als Muster-
beispiel amerikanischen Unterneh-
mertums. Santa Clara County, der
Landkreis des Silicon Valley, ist heute
eine Demokratenhochburg – in den

US-Präsidentschaftswahl


Das Valley verliert


seine Verbündeten


Fast jeder Kandidat der US-Demokraten will den Tech-Riesen


das Geschäft künftig schwerer machen. Die Politik markiert eine


Zeitenwende für die einst so umschmeichelten Konzerne.


Schilder und Sticker aus US-Wahlkämpfen: Die Tech-Konzerne bekommen von den demokratischen Kandidaten Gegenwind.

Ohne die


Unter-


stützung


der Politik


gäbe es das


Silicon Valley


nicht.


Auch wenn


die Leute dort


sich den


Erfolg gerne


ausschließlich


selbst


zuschreiben.


Margaret O‘Mara
Historikerin

Pete Buttigieg: Der Demokrat will
die Wettbewerbsbehörde stärken.

UPI/laif

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MONTAG, 17. FEBRUAR 2020, NR. 33
22
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