Handelsblatt - 17.02.2020

(Ann) #1
Jan Mallien Frankfurt

E


ine beliebte Erfolgsfor-
mel am Kapitalmarkt lau-
tet: The Trend is your
friend, der Trend ist dein
Freund. Ein aktuelles
Beispiel dafür ist der US-Dollar. Er
hat bereits 2018 und 2019 im Ver-
gleich zu anderen wichtigen Währun-
gen zum Teil deutlich zugelegt.
Obwohl viele Analysten für dieses
Jahr eher skeptischer sind, steigt und
steigt er. Diese Woche erreichte der
Dollar im Vergleich zum Euro den
höchsten Stand seit 2017.
Er profitiert unter anderem von
der robusten Wirtschaft in den USA
und der Konjunkturschwäche in
Europa. Aber auch von vergleichswei-
se hohen Zinsen in den USA und der
Unsicherheit um Sars-CoV-2, die dazu
führt, dass Anleger Risiken meiden.
Aus Sicht von Analysten birgt der ak-
tuelle Höhenflug jedoch Risiken.
Commerzbank-Devisenexperte Ul-
rich Leuchtmann warnt in einem ak-
tuellen Kommentar vor einer speku-
lativen Blase. „Anleger sollten sich
der Gefahr bewusst sein, dass es,
wenn die Party mal vorbei ist, schnell
in die andere Richtung gehen kann“,
schreibt er.
Aktuell profitiert der Dollar unter
anderem von der Nervosität rund um
Sars-CoV-2. In Zeiten hoher Unsicher-
heit meiden Investoren Risiken und
bringen ihr Kapital in sogenannte si-
chere Häfen, die als besonders risiko-
arm gelten. Dazu zählt am Devisen-
markt neben dem japanischen Yen
und dem Schweizer Franken auch
der US-Dollar. Dieser hat jedoch auch
in Phasen zugelegt, in denen die
Furcht vor Sars-CoV-2 an den Märk-
ten eher abgenommen hat.

Carry-Trades als Treiber
Einen Grund für den Aufwärtstrend
beim Dollar sieht Leuchtmann in der
aktuell sehr geringen Schwankungs-
intensität des Wechselkurses zum
Euro. Dies führt dazu, dass sich die
Zinsdifferenzen zwischen dem Euro-
Raum und den USA stärker bemerk-
bar machen. Im Euro-Raum liegt der
derzeit entscheidende Einlagezins bei
minus 0,5 Prozent – in den USA dage-
gen ist der Leitzins zwischen 1,5 und
1,75 Prozent festgelegt.
Dadurch wird eine besondere
Form von Währungsgeschäften at-
traktiver: sogenannte Carry-Trades.
Dabei verschulden sich Investoren in
einem Währungsraum, wo die Zin-
sen niedrig sind, und legen das Kapi-
tal dort an, wo sie höher sind. Sol-
che Geschäfte funktionieren dann
am besten, wenn die Währung, in
der man sich verschuldet, abwertet
und keinen allzu großen Schwan-
kungen unterliegt. Auch für Unter-
nehmen aus anderen Währungsräu-
men wie den USA ist es derzeit at-
traktiv, sich in Euro zu verschulden.
Wenn sie sich in Euro verschulden
und das Kapital in andere Wäh-
rungsräume verschieben, schwächt
das tendenziell den Euro-Kurs und
stärkt den Dollar.
Ein weiterer wichtiger Grund für
die aktuelle Schwäche des Euros sind
schlechte Konjunkturdaten für den
Euro-Raum. So erlitt die Industrie-
produktion in Deutschland nach neu-
en Zahlen im Dezember 2019 den
stärksten Einbruch seit der Finanz-
krise. Auch in anderen Euro-Ländern

wie etwa Italien war der Rückgang
beträchtlich. Ohnehin gehen die
Prognosen für dieses Jahr nur von ei-
nem sehr geringen Wachstum im
Euro-Raum aus. Dadurch ist der
Währungsraum besonders anfällig
für wirtschaftliche Schocks wie aktu-
ell Sars-CoV-2. Dagegen hängt die US-
Wirtschaft viel weniger vom Export
ab und zeigt sich daher robuster.
Bayern-LB Devisenexperte Manuel
Andersch führt die aktuelle Dollar-
Stärke daher vor allem auf die Kon-
junktursorgen im Euro-Raum zurück.
„Die Stärke des Dollars hängt auch mit
der Schwäche des Euros zusammen“,
sagt er. Schwächt sich die Konjunktur
in Europa wegen der Folgen des gras-
sierenden Virus noch stärker ab,
könnte der Druck auf die Europäische
Zentralbank (EZB) zunehmen, geldpo-
litisch noch einmal nachzulegen.
Zwar sind die Hürden dafür hoch,
aber allein die Spekulation darüber
reicht, um den Euro-Kurs zu schwä-
chen. Sinken die Zinsen im Euro-
Raum noch weiter, würde es für inter-
nationale Investoren attraktiver, ihr
Kapital in anderen Währungsräumen
zu investieren – was tendenziell den
Euro schwächt und den Dollar stärkt.

Widerstand überwunden
Andersch verweist zudem auch auf
charttechnische Gründe für die Dol-
lar-Stärke. Anhänger dieser Lehre
versuchen mehr oder weniger mit
dem Geodreieck künftige Kursent-
wicklungen vorherzusagen – und lie-
gen damit oft gar nicht weit daneben.
Sie orientieren sich an bestimmten
Signalmarken. Eine solche Marke hat
der Dollar in dieser Woche über-
schritten, als er über den alten
Höchststand im September gestiegen
ist. „Damit ist ein wichtiger Wider-
stand gefallen“, sagt Andersch. „Man
kann diskutieren, wie sinnvoll die
Charttechnik ist, aber viele Händler
orientieren sich daran.“
Trotz des aktuellen Aufwärtstrends
warnt auch Andersch vor den länger-
fristigen Risiken für den Dollar. Er
fürchtet, dass die US-Regierung ange-
sichts des starken Dollars einschrei-
tet. „Der Markt unterschätzt aktuell
das Risiko, dass die Trump-Regierung
den Dollar schwächen könnte“, sagt
Andersch. Ähnlich äußert sich
auch der Devisenstratege
der US-Großbank Citi,
Ebrahim Rahbari. „Wir
erwarten, dass die US-Re-
gierung auf die weitere Dol-
lar-Stärke achtet“, schreibt er in
einem Kommentar.
US-Präsident Donald Trump hat
sich mehrfach für einen schwäche-
ren Dollar ausgesprochen. Bislang
hat er damit noch nicht viel bewirkt.
Seine Versuche scheiterten vor allem
daran, dass sich die US-Notenbank
Federal Reserve (Fed) von ihm nicht
in die Geldpolitik hineinreden lässt.
Zuletzt hat die US-Regierung jedoch
versucht, sich anderweitig Spielraum
zu verschaffen. Sie hat ein Gesetz fi-
nalisiert, das es ihr erlaubt, Strafzölle
gegen Staaten zu verhängen, denen
sie vorwirft, ihre Währung zu mani-
pulieren. „Die US-Regierung könnte
eine Vielzahl von Instrumenten nut-
zen, um mit Zöllen zu reagieren“,
schreibt Rahbari.
Zudem könnte Trump seinen Ein-
fluss auf die Notenbank deutlich

Devisen


Die unheimliche


Stärke des Dollar


Viele hatten einen schwächeren Dollar in


diesem Jahr erwartet. Doch er steigt und


steigt. Analysten warnen vor den Risiken


des Höhenflugs


Stone/Getty Images [M]

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MONTAG, 17. FEBRUAR 2020, NR. 33
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