Kevin Knitterscheidt Düsseldorf
D
en Autobauer Fiat Chrysler traf es in
Europa als Ersten. Am Freitag teilte
der italienisch-amerikanische Her-
steller mit, dass eines seiner Werke
in Serbien mangels Lieferungen aus
China vorerst stillstehe. Es ist das erste Mal, dass
ein europäisches Unternehmen wegen des Virus
seine Produktion anhalten muss. Dass es das letzte
Mal sein wird, scheint unwahrscheinlich.
Ökonomen rechnen vielmehr damit, dass die
Folgen der Epidemie in den nächsten Wochen für
Europa deutlich spürbar werden. Das Virus trifft
Unternehmen zweifach: Zum einen fällt Nachfrage
aus China aus, weil dort die Produktion herunter-
gefahren werden musste und Einkommen stagnie-
ren. Zum anderen werden Produktionsketten un-
terbrochen, weil chinesische Zulieferungen ausfal-
len. „Es ist so, als ob jemand im ganzen Land den
Pause-Knopf gedrückt hätte“, beschrieb Fu Ying,
die Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im
Nationalen Volkskongress Chinas, auf der Münche-
ner Sicherheitskonferenz die Lage in ihrer Heimat.
Zwar wird die Produktion langsam wieder angefah-
ren. Doch die Spätfolgen dürften sich in einem ver-
langsamten Wirtschaftswachstum niederschlagen
- in China, Deutschland und dem Rest der Welt.
Timo Wollmershäuser, Konjunkturchef beim
Münchener Ifo-Institut, kündigte im Gespräch mit
dem Handelsblatt bereits an, seine Schätzung für
das deutsche Wirtschaftswachstum im laufenden
Jahr wegen des Virus zu senken. Wenn China um
einen Prozentpunkt langsamer wachse, koste das
Deutschland 0,06 Prozentpunkte Wachstum. „Da-
mit dürfte die deutsche Wirtschaft in diesem Jahr
nur noch höchstens um ein Prozent zulegen“, so
der Ökonom.
Auch andere Forscher warnen vor den Folgen ei-
ner anhaltenden Corona-Epidemie. Zwar werde
Deutschland allein wegen des Virus wohl nicht in
eine Rezession schlittern, schätzt etwa der Kon-
junkturexperte des RWI, Roland Döhrn. „Aber es
kommen weitere Belastungen dazu, wie der Brexit
und der Handelskonflikt mit den USA.“ Schließlich
sei schon das vierte Quartal schlechter ausgefallen
als noch vor Weihnachten prognostiziert. Döhrn
warnt: „Die Risiken sind also groß.“
Nachfrage bleibt aus
Schon jetzt macht sich die nachlassende Nachfrage
in den Unternehmenszahlen bemerkbar. So ver-
meldete Autobauer VW für Januar einen Rückgang
der chinesischen Verkäufe von elf Prozent. Und
schlägt sich damit noch besser als der Rest der
Branche. Denn wie beim chinesischen Verband der
Automobilhersteller (CAAM) zu hören ist, gingen
die gesamten Autoverkäufe in China in dem Monat
um 20 Prozent auf 1,6 Millionen Fahrzeuge zurück.
Das ist der größte Rückgang seit Januar 2012. Der
chinesische Verband für Personenwagenhersteller
(PCA) schätzt sogar, dass sich die Nachfragelücke
bis Ende Februar auf 30 Prozent vergrößert.
Auch die Fluggesellschaften rechnen mit milliar-
denschweren Umsatzeinbußen. So geht die Inter-
nationale Luftverkehrsvereinigung davon aus, dass
das Coronavirus die Airlines bereits im ersten
Quartal rund fünf Milliarden Euro kosten könnte.
Dazu kommen die Wirkungen über den März hi-
naus. Branchenexperten rechnen daher damit, dass
das Coronavirus die Airlines stärker treffen könnte
als der Ausbruch von Sars ab 2002. Damals schätzte
der Flugverband Iata die Schäden auf zehn Milliar-
den Euro.
Daniel Röska von Bernstein Research schätzt, dass
durch Corona rund 20 Prozent des Branchenumsat-
zes „ins Risiko gesetzt“ werden. In Europa seien vor
allem die großen drei Fluggesellschaften betroffen.
Hier erwartet der Experte eine sechsmonatige Nach-
frageschwäche. Am stärksten seien Lufthansa und
Air France-KLM im Chinageschäft tätig, die britisch-
spanische Airline-Holding IAG sei dort nicht so stark.
Auch der Präsident des Deutschen Instituts für
Wirtschaftsforschung (DIW), Marcel Fratzscher, sagt:
„Das Ausmaß der Ausbreitung des Coronavirus ist
noch nicht abschätzbar, aber die Folgen dürften
deutlich gravierender sein als beim Ausbruch von
Sars.“ Das verunsichere Unternehmen, Investoren,
aber auch Verbraucher. Und nicht nur in China.
Auch in Europa wurden bereits internationale Veran-
staltungen abgesagt, um Besucher vor Ansteckung
zu schützen. Die Mobilfunkmesse Mobile World Con-
gress in Barcelona ist das prominenteste Beispiel.
Aber auch der Uhrenkonzern Swatch hat seine Fir-
men-Messe in Zürich, die Ende Februar stattfinden
sollte, gestrichen. Andere, wie die Süßwarenmesse in
Ansteckungsgefahr
für die Märkte
Das Coronavirus erreicht die Wirtschaft: Firmen fürchten Produktions-
und Lieferausfälle. Gleichzeitig drücken Brexit und Handelskonflikte das
Wachstum. Ökonomen kürzen ihre Prognosen.
Desinfektionsschleuse:
Arbeiten in Zeiten
des Coronavirus.
dpa
Das
Coronavirus
trifft die
deutsche
Wirtschaft in
einem denkbar
schlechten
Augenblick.
Marcel Fratzscher
DIW-Präsident
Titelthema
Der Corona-Schock
MONTAG, 17. FEBRUAR 2020, NR. 33
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