Handelsblatt - 17.02.2020

(Ann) #1

D


ie Umweltministerin
will mit dem Vorwurf
aufräumen, ihr Haus
missachte die Belange
der Industrie. Darum
stellt sie für den Einstieg in die Was-
serstoff-Wirtschaft Hilfen für energie-
intensive Branchen in Aussicht.

Frau Schulze, alle Welt redet von
Wasserstoff. Warum?
Wasserstoff leistet den entscheiden-
den Beitrag, um industrielle Produk-
tion im postfossilen Zeitalter zu er-
möglichen. Wir müssen daher die
Produktion und den Einsatz von Was-
serstoff so schnell wie möglich voran-
treiben. Es geht darum, dass deut-
sche Anlagenbauer ihre Technologie-
führerschaft bei der Herstellung von
Wasserstoff und den Folgeproduk-
ten, also etwa synthetischen Kraft-
stoffen, halten und ausbauen kön-
nen. Wichtig ist mir, dass wir Wasser-
stoff dort einsetzen, wo er am drin-
gendsten benötigt wird.

Bei welchen Anwendungen wollen
Sie den Fokus setzen?
Etwa bei der Stahlindustrie. Die
Branche hat gar keine Alternative,
wenn sie klimaneutral werden will.
Sie muss auf Wasserstoff setzen, und
zwar sehr schnell. Aber die Stahlun-
ternehmen sind nicht die Einzigen.
Auch die Zementindustrie und die
Chemieindustrie sind auf Wasserstoff
angewiesen. Im Luft- und im Seever-
kehr ist Wasserstoff ebenfalls der zen-
trale Baustein auf dem Weg zur Kli-
maneutralität. Ohne Wasserstoff wer-
den wir diese Bereiche nicht CO 2 -frei
bekommen.

Warum geht es dann nicht richtig
vorwärts?
Im Moment sehe ich ein Henne-Ei-
Problem. Die Stahlbranche sagt, dass
sie möglichst rasch Wasserstoff
braucht. Das ist für die Branche die
Basis für die Umstellung der Produk-
tionsprozesse und damit auch Vo-
raussetzung für Milliardeninvestitio-
nen. Es gibt aber noch keine großin-
dustrielle Produktion von grünem
Wasserstoff, weil es dafür kurzfristig
noch keine gesicherten Abnehmer
gibt. Das heißt, gerade warten alle ab.

Was schlagen Sie vor?
Dass wir für feste Abnehmer sorgen.
Nur dann entsteht ein Markt. Für
mich ist von zentraler Bedeutung,
dass wir hier in Deutschland so
schnell wie möglich einen Markt-
hochlauf von Wasserstoff organisie-
ren.

Wie soll das gelingen?
Ich habe konkrete Maßnahmen ent-
wickelt, die man allesamt rasch um-
setzen kann. Der Faktor Zeit ist ent-
scheidend. Wir können nicht weiter
nur verkünden, dass wir beim The-
ma Wasserstoff etwas erreichen wol-
len. Jetzt gilt es, die entsprechenden
Schritte einzuleiten. Wir brauchen
den großindustriellen Maßstab, und
zwar so schnell wie möglich. Wir
müssen zeigen, dass wir das selber
können.

Mit welchen Instrumenten?
Ich schlage für den Flugverkehr eine
Quote für synthetische Kraftstof-
fe vor, die auf der Basis von grünem
Wasserstoff hergestellt werden. Das
sichert eine garantierte Abnahme zu
stabilen Preisen.

In welcher Größenordnung?
Ich setze mich für die zügige Einfüh-
rung einer aufsteigenden Quote für
Kerosin in Höhe von zwei Prozent bis
2030 ein.

Das wird die Kerosinpreise in die Hö-
he treiben.
Der Preiseffekt dürfte überschaubar
sein. Die Herstellungskosten sind im
Moment noch hoch. Mit der Skalie-
rung erreichen wir aber eine Kosten-
degression. Und ein Anteil von zwei
Prozent am Kerosin hat einen über-
schaubaren Preiseffekt. Ich halte das
für vertretbar.

Okay, aber das wird nicht reichen.
Aber es wird schon eine beachtliche
Menge bringen. Zusätzlich schlage
ich Förderprogramme vor. Wenn
Wasserstoff in der Industrie wirklich
ankommen soll, braucht beispiels-
weise die Stahlindustrie Unterstüt-
zung. Die Unternehmen werden
das allein im Wettbewerb nicht hin-
bekommen. Um es konkret zu ma-

chen: Wir schreiben ab 2021 jährlich
die Produktion von 5 000 Tonnen
grünem Wasserstoff aus.

Und dann?
Wer den Wasserstoff zu den niedrigs-
ten Kosten herstellt, bekommt den
Zuschlag. Die ausgeschriebene Men-
ge können wir Jahr für Jahr bis 2030
um jeweils 5 000 Tonnen steigern,
um einen Markthochlauf und Skalen-
effekte zu erzeugen. Dadurch entste-
hen bis 2030 bis zu fünf Gigawatt
Elektrolyseleistung. Ein solches Aus-
schreibungsprogramm könnte die
Programme des Umweltministeri-
ums zur Dekarbonisierung sinnvoll
ergänzen.

Die Verfügbarkeit von Wasserstoff ist
nicht das einzige Problem. Die be-
troffenen Branchen stehen vor Milli-
ardeninvestitionen.
Das stimmt. Und darum plädiere ich
für projektbezogene Zuschüsse. Sie
sollen die Mehrkosten von Dekarbo-
nisierungstechnologien ausgleichen.

Wir zahlen den Unternehmen einen
CO 2 -Preis, der deutlich über den
CO 2 -Preisen im europäischen Emissi-
onshandel liegen kann. Dieser Preis
gleicht die Differenz zwi-
schen dem Zertifikatepreis im Emissi-
onshandel und den tatsächlichen
Vermeidungskosten aus. Solche „Car-
bon Contracts for Difference“-Model-
le geben den Anreiz, in großtechni-
schem Maßstab in Wasserstofftech-
nologien zu investieren. Da muss der
Staat gezielt helfen.

Die Mineralölwirtschaft fordert seit
Langem, dass der Einsatz von grü-
nem Wasserstoff auf die Treibhaus-
gasminderungsquote angerechnet
wird. Wie stehen Sie dazu?
Die Anrechenbarkeit von grünem
Wasserstoff in Raffinerien ist nach
meiner Überzeugung eine attraktive
Option zur Quotenerfüllung. Das
reizt die Herstellung von Anlagen
und die Produktion von Wasserstoff
an. Das sollten wir rasch umsetzen.

Der Bund könnte nicht nur finan-
ziell fördern, sondern selbst als Ab-
nehmer auftreten.
Stimmt. Darum schlage ich vor, dass
die öffentliche Hand ihre Beschaf-
fung entsprechend ausrichtet. Der
Bund sollte als zuverlässiger Abneh-
mer den Markthochlauf mit anschie-
ben.

An welche Anwendungen denken
Sie dabei?
Schon allein in der Bundeswehr gibt
es bei der Luftwaffe oder in der Mari-
ne große Anwendungsmöglichkeiten.

Sie sprachen eben von grünem Was-
serstoff, der mittels Strom aus erneu-
erbaren Quellen durch Elektrolyse
hergestellt wird. Wie stehen Sie zu
blauem Wasserstoff, bei dessen Her-
stellung aus Erdgas CO 2 anfällt, das
unterirdisch gespeichert werden
muss?
Warum sollten wir in Zukunft blauen
Wasserstoff nutzen, wenn die Klima-
bilanz schlecht ist und die Kosten zur
Herstellung hoch sind? Zudem ha-
be ich bei blauem Wasserstoff eine
große Sorge: Er bringt sofort eine De-
batte über CCS, also die unterirdi-
sche Speicherung von CO 2 , die in
Deutschland überwiegend abgelehnt
wird. Die Gefahr ist groß, dass das
Thema Wasserstoff dann von einer
Debatte über CCS überlagert wird.
Die Diskussion hatten wir vor ein
paar Jahren bereits. Danach sehnt
sich niemand.

Selbst wenn man ausschließlich grü-
nen Wasserstoff in der Industrie ein-
setzt, bleiben am Ende prozessbe-
dingte CO 2 -Emissionen übrig, für die
man eine Lösung finden muss. Wie
kann die aussehen?
Man wird am Ende um CO 2 -Speiche-
rung für die letzten Prozentpunkte
an CO 2 -Emissionen möglicherweise
nicht herumkommen. Aber das kann
immer nur die letzte Option sein. Ge-
rade beim Wasserstoff liegt doch auf
der Hand, dass es bessere Möglich-
keiten gibt, die auch unserer deut-
schen Exportindustrie gut zu Gesicht
stehen werden.

Frau Schulze, vielen Dank für das In-
terview.

Die Fragen stellten Silke Kersting
und Klaus Stratmann.

Svenja Schulze


„Wasserstoff ist


ohne Alternative“


Die Umweltministerin über die Bedeutung


von Wasserstoff für die Industrie, staatliche Hilfen


für den Einstieg in die Wasserstoff-Wirtschaft


und eine Beimischungspflicht für Kerosin.


Svenja Schulze:
„Im Moment sehe ich ein
Henne-Ei-Problem.“

Uta Wagner

Amt Als Ministerin
verbuchte die SPD-
Politikerin 2019 mit
der Verabschiedung
des Klimaschutzge-
setzes einen Erfolg.

Leben Schulze, Jahr-
gang 1968, ist Polito-
login und seit 1988
SPD-Mitglied. Von
2000 bis 2004 arbei-
tete sie als Unterneh-
mensberaterin. Unter
Hannelore Kraft war
sie von 2010 bis 2017
Wissenschaftsministe-
rin in NRW.

Vita
Svenja Schulze

Wirtschaft & Politik
MONTAG, 17. FEBRUAR 2020, NR. 33
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