Süddeutsche Zeitung - 19.03.2020

(Nancy Kaufman) #1
Berlin/München– Jahrelang hat sich der
ehemalige Basketball-Europameister Hen-
ning Harnisch abgemüht, hierzulande eine
neue Sportkultur zu etablieren. Er wollte
und will den Schulsport beleben, ihn neu
denken, anders organisieren. In Berlin, wo
der 51-Jährige vor zwei Jahrzehnten seine
Profi-Karriere ausklingen ließ, hat er in
einzelnen Stadtteilen Grund- und Ober-
schulligen initiiert; später schickte er Trai-
ner los, die sogar schon in Kindergärten
und Kindertagesstätten zum Bewegen ani-
mieren sollen. Und nun, wo im Zuge der Co-
ronakrise landesweit alle Schulen zu und
alle Kigas und Kitas geschlossen sind, wo
alle Schwimmbäder und Turnhallen dicht
gemacht haben? Geht’s erst richtig los. So
eine Krise kann ja auch eine Chance sein.
„Wir wollten nicht lange in Stockstarre
verharren, sondern die Geschichte umdre-
hen“, erzählt Harnisch, seit etlichen Jahren
Vizepräsident des Basketball-Bundesligis-
ten Alba Berlin. Wenn die Kinder und Ju-
gendlichen nicht mehr zum Sport raus dür-
fen, so sein Gedanke, dann muss der Sport
eben zu ihnen nach Hause kommen. Das
tut er übers Internet, über den Youtube-Ka-
nal des Klubs. Wer mag oder wem langwei-
lig ist, der kann auf der Seitewww.you-
tube.com/albaberlinsehen, was die Basket-
baller noch zu bieten haben außer Profi-
sport. Das Programm nennt sich „Albas
tägliche Sportstunde“; so wie die Kinder
derzeit digital Mathe, Deutsch und Eng-
lisch lernen, sollen sie auch Sport treiben.
Am Mittwochvormittag haben sie ange-
fangen mit einem 25 Minuten langen Clip,
der vor allem für Grundschüler gedacht
war. Am Freitag folgt einer für Vorschulkin-
der, am Montag einer für ältere Schüler.

Am Dienstag startet der Klub ein Vollpro-
gramm mit täglich drei 45-Minuten-Sen-
dungen, jeweils zu fixen Zeiten: um neun
Uhr für die Kita-Kinder, um zehn für die
Grundschüler, um elf für die Oberschüler.
Im Internet kann man theoretisch zwar
immer alles schauen und das auch so oft
man will, trotzdem sind Harnisch die fes-
ten Anfangszeiten wichtig. „Wer wirklich
heiß ist, der weiß dann zum Beispiel: Jetzt
geht gleich der Kitasport los“, sagt er. Und
damit gerade die Kleinsten heiß auf die
Sportstunde sind, ist bei ihnen natürlich
das kuschelige Klub-Maskottchen dabei,
der Albatros. Ansonsten erklären zwei Trai-
ner und ein Experte die Übungen; ange-
dacht ist zudem, auch die Profis gelegent-
lich einzuladen oder zuzuschalten.

Bei Albas Sportstunde geht es nicht spe-
ziell um Basketball, es geht auch nicht um
schweißtreibende Höchstleistungen, son-
dern um ein bisschen Bewegung, etwas Ko-
ordination, kinderleichte Sachen gewisser-
maßen, ein wenig Ablenkung halt. Wer in
diesen Zeiten Kinder zu Hause beschäfti-
gen muss, ist durchaus dankbar für solche
Anregungen. In der ersten Sendung jon-
glierten drei junge Alba-Leute in der ver-
waisten Umkleide der Profis in der Merce-
des-Benz-Arena mit kleinen Bällen; wer
keine daheim hat, kann auch zusammenge-
rollte Socken hernehmen. Und sie im Sit-
zen in einen Eimer oder Papierkorb wer-
fen. Der rücksichtsvolle Hinweis, „damit
euch der Nachbar nicht hört“, fehlte jeden-
falls nicht. Es geht ja nicht um lärmendes

Austoben, eher um spielerische Dinge, klei-
ne Herausforderungen.
Henning Harnisch weiß aus eigener Er-
fahrung, dass man eine Wohnung durch-
aus als Sportstätte nutzen kann. Er war im
vorigen Jahr nach einem Fahrradunfall län-
ger daheim, als ihm lieb war, und hat sich
dabei trotzdem fitgehalten. Aus dieser Er-
innerung entstand nun der Impuls zur
Sportstunde daheim, weitere Ideen dazu
kamen aus dem ganzen Klub. Alba beschäf-
tigt mittlerweile ja rund 120 Kinder- und
Jugendtrainer – die waren auf einen
Schlag beschäftigungslos, aber nicht taten-
los. In kürzester Zeit wandelte sich der
Sportverein zu einer Medienproduktion,
mit externer Hilfe eines Profis. Ab kom-
mender Woche täglich drei unterschiedli-
che Sendungen zu füllen, sei zwar „ein
ganz schöner Apparat“, sagt Harnisch,
„aber da wir ja sonst nichts zu tun haben...“
Um die Programminhalte sorgt er sich je-
denfalls nicht. „Wir haben Enthusiasten
mit echt gute Ideen“, sagt er und versi-
chert: „Der Stoff geht uns nicht aus.“
Die erste Resonanz auf das Angebot war
bemerkenswert. Innerhalb der ersten fünf
Stunden wurde der Clip mehr als 25 000
Mal aufgerufen, die Kommentare waren
fast ausschließlich positiv, von Eltern wie
von Kindern. Dass die vor diversen größe-
ren oder kleineren Bildschirmen verharr-
ten, war ausnahmsweise mal lobenswert:
Sie saßen ja nicht, sie bewegten sich. „Es
hagelt Zuspruch“, stellte Harnisch fest.
Was ihn besonders freut: Dass seine
Idee nun über Berlin hinaus verbreitet
wird. Aus Albas täglicher Sportstunde, so
hofft er, „könnte vielleicht eine neue Sport-
kultur werden“. joachim mölter

Mit zusammengerollten Socken


Sie haben ja sonst nichts zu tun: Der Basketball-Bundesligist Alba Berlin organisiert digitale Sportstunden für Kinder


von gerald kleffmann

Paris/München –Seit kurz vor 17 Uhr am
Dienstag ist die Tenniswelt in Aufregung.
Der französische Verband, die Fédération
Française de Tennis (FFT), hatte da eine
Nachricht verschickt, über Emails an Jour-
nalisten, über die sozialen Medien an Fans
und Interessierte. In der Veröffentlichung
hieß es: „Roland Garros wird vom 20. Sep-
tember bis 4. Oktober gespielt.“ In der Fol-
ge wurde knapp erklärt: Aufgrund der Co-
rona-Pandemie sei es nicht möglich, das ei-
gentliche Datum der Ausrichtung einzuhal-
ten; die French Open, das zweite Grand-
Slam-Turnier der Saison, sollten ursprüng-
lich vom 24. Mai bis 7. Juni stattfinden.
Nun aber hat Frankreichs Präsident Em-
manuel Macron sogar eine Ausgangssper-
re für das Land verhängt. Die Nation ist wie
so viele andere im Ausnahmezustand. An
Sport im Mai ist wahrlich nicht zu denken.
Aus Verantwortung gegenüber allen Betei-
ligten, so teilte die FFT daher mit, sei es
„die einzige Option“ gewesen, die French
Open zu verlegen. Um die Veranstaltung
2020 zu retten. „Wir haben eine schwierige
und doch mutige Entscheidung in dieser
beispiellosen Situation getroffen“, wurde
Bernard Giudicelli zitiert, weiter sagte der
FFT-Präsident: „Wir müssen zusammenar-
beiten in diesem Kampf, um jedermanns
Gesundheit und Sicherheit zu sichern.“
Das alles hätte vernünftig geklungen,
wenn die FFT eine Kleinigkeit berücksich-
tigt hätte: irgendjemandem der beteiligten
Partner, Fraktionen, Verbände von dieser
Verschiebung zu erzählen und sie unterein-
ander abzustimmen. Nach Lage der Dinge
ist dies allerdings nicht geschehen. Ein Al-
leingang par excellence. Spielerinnen und

Spieler wussten nichts, wie auch Profis der
SZ bestätigten. Die Männertour ATP lösch-
te einen Tweet, in dem auf das neue Datum
verwiesen wurde. Ansonsten: kein Kom-
mentar. Spürbarer Groll. Der Chef der Frau-
entour, Steve Simon, versicherte in der
New York Times, er sei völlig überrascht
worden. Auch der Internationale Tennis-
Verband (ITF), bei den Grand Slams als
Dach-Organisation involviert, verkündete
nichts, was für sich stand. René Stamm-
bach, Präsident von Swiss Tennis und im
ITF-Vorstand, verriet derLuzerner Zeitung
immerhin: Vor zwei Wochen seien im Vor-
stand Szenarien besprochen worden: „Die
Verschiebung der French Open war dabei
aber kein Thema.“ Und so erhitzten sich die
Gemüter aller und entwickelten sich zu ei-
nem Sturm der Entrüstung.

„Entschuldigung?“, schrieb erzürnt die
zweimalige Grand-Slam-Siegerin Naomi
Osaka aus Japan, sonst lammfromm. „Wie-
der einmal haben es wir bei Twitter rausge-
funden“, giftete der Argentinier Diego
Schwartzman. Am Schärfsten ging Vasek
Pospisil, im ATP-Spielerrat engagiert, in
die Offensive. „Das ist Wahnsinn“, twitter-
te der Kanadier, er meinte auch: nur eine
Woche nach den US Open die French Open
zu platzieren. Das Finale in New York auf
Hartplatz wäre an einem Sonntag, am fol-
genden Sonntag stünden in Paris Erstrun-
denmatches an, auf Sand. Dazu beklagte
Pospisil, es habe „keine Kommunikation
mit den Spielern der ATP“ gegeben. „Wir

haben NULL zu sagen in diesem Sport.“ Es
sei daher Zeit, eine Spielerunion zu grün-
den, forderte er, mal wieder.
Zu einem Putschversuch rief der ameri-
kanische Verband USTA nicht auf, aber der
Veranstalter der US Open (ab Ende August)
machte in einem Statement erstaunlich un-
diplomatisch klar: Solche Entscheidungen
könnten „nicht einseitig“ getroffen wer-
den. Selbst prüfe man „all unsere Optio-
nen, einschließlich der Möglichkeit, das
Turnier auf einen späteren Zeitpunkt zu
verlegen“, dies würde aber „nur in vollstän-
diger Beratung mit den anderen Grand-
Slam-Turnieren, der WTA und ATP, der
ITF und anderen Partnern, inklusive des
Laver Cups“ geschehen. Ein stattlicher Sei-
tenhieb. Denn genau das, sich mit den an-
deren abzustimmen, hat Roland Garros
nicht getan. Und dass die US Open eine Ver-
schiebung nach hinten in den Raum stel-
len, ist auch als Signal zu verstehen: Wir las-
sen es, wenn ihr diese Spielregeln wollt,
auf eine Kollision ankommen!
Wie eine Planierraupe ist die FFT wahr-
lich in das zweiwöchige Zeitfenster ab En-
de September gebrettert. Ohne Rücksicht
auf Turniere, die dort verankert sind:
Metz, St. Petersburg, Chengdu, Sofia, Zhu-
hai (Männer), Guangzhou, Seoul, Tokio,
Wuhan (Frauen). Der Laver Cup in Boston
ist auch (17. bis 19. September). Federers
Showkampf ist sportlich belanglos, doch
die Strahlkraft des 20-maligen Grand-
Slam-Siegers aus der Schweiz hat das Du-
ell zwischen sechsköpfigen Teams aus Eu-
ropa und dem Rest der Welt zu einem milli-
onenschweren Business gemacht. In einer
Erklärung machte die Agentur Team 8, die
hinter Federer und dem Laver Cup steht,
klar: Man will keinen Millimeter weichen.

Das Bizarre ist, dass alle Streitigkeiten
vorerst um den hypothetischen Fall krei-
sen, dass die Pandemie eingedämmt und
Tennis gespielt werden kann. Angesichts
der dramatischen Entwicklungen gerade
in Europa und den USA ist davon aber nur
schwer auszugehen. Am Mittwochabend
gaben ATP und WTA bekannt, dass die Tur-
nierpause nun weltweit bis 7. Juni mindes-
tens andauert. Trotzdem eint nicht mal die-
se düstere Aussicht den Tenniskosmos.
Das Bild, das sich aufdrängt: Statt in einer
fundamentalen gesellschaftlichen Krise
zusammenzufinden, hat der Verteilungs-
kampf um Pfründe begonnen. Nicht lang-
sam. Sondern von null auf hundert.
Trotz der Kritik am Vorpreschen könnte
aber die Taktik der FFT Chancen haben auf-
zugehen. Am Ende einer Saison, in der die
Profis wohl kaum etwas verdienten, wür-
den die French Open mit 45 Millionen Euro
Preisgeld aufwarten, rund 50 000 Euro al-
lein für Runde eins wäre garantiert. Frag-
lich ist ohnehin, ob die Turniere in China
stattfinden und, selbst wenn, ob die Frau-
en etwa nach Wuhan reisen, dem Corona-
Ursprungsort. Der Lockruf des Geldes
wird letztlich zur Zerreißprobe. Selbst Po-
spisil hat in derL’Equipeeingeräumt, dass
ein Boykott kein zu erwartendes Szenario
ist. Noch komplizierter könnte die Ausein-
andersetzung werden, wenn Wimbledon
(erste Juli-Hälfte) eine Entscheidung fällt.
Wie Rafael Nadal, zwölfmaliger Paris-Ge-
winner, die Verlegung findet, ist unklar. Es
heißt, French-Open-Turnierdirektor Guy
Forget habe ihn vor der Bekanntgabe ange-
rufen. Der Mallorquiner hat gerade Wichti-
geres zu tun. Auf der Insel muss er sich um
jene Talente kümmern, die in seiner Akade-
mie aufgrund Corona ausharren müssen.

Köln– Der Automobil-Weltverband Fia
hat die Sommerpause der Formel 1 im Zu-
ge der Coronakrise verlegt und dadurch
die Möglichkeit geschaffen, den Kalender
neu zu sortieren. Demnach wird die für Juli
und August geplante Pause auf März und
April vorverlegt und von 14 auf 21 Tage er-
weitert. Am Mittwoch genehmigte die Fia
eine entsprechende Änderung des Regle-
ments für 2020. Die wegen der Pandemie
bereits abgesagten ersten Rennen in Aus-
tralien, Bahrain, Vietnam und China könn-
ten somit im neu geschaffenen Zeitfenster
angesetzt werden. Vor einer Absage steht
wohl der Große Preis der Niederlande
(3. Mai). Dies berichtete die ZeitungDe Tele-
graafunter Berufung auf eine Quelle aus
dem Kreis der Organisatoren. Auch das tra-
ditionsreiche 24-Stunden-Rennen von Le
Mans ist verschoben worden. Wie die Orga-
nisatoren mitteilten, soll der Langstrecken-
klassiker vom 16. bis 20. September statt
vom 10. bis 14. Juni gefahren werden. sid

„Be you.“ Viel mehr hatte Roger Maywe-
ather nicht gebraucht, um seinen Athle-
ten zu motivieren. Geholfen hatte ihm da-
bei, dass sein Athlet Floyd Mayweather
Junior war, der talentierteste Boxer sei-
ner Generation. Floyd Jr., der Neffe, war
für jeden Gegner zu schnell, zu clever, zu
gerissen. Und in den Rundenpausen hat
ihm Roger, der Onkel, wenige Worte zu-
gerufen, Sätze wie: „Mach weiter das,
was du gerade machst.“ Oder eben: „Be
you.“ Sei du selbst. Es sind Sätze, die wie
selbstverständlich klingen. Für Roger
Mayweather waren sie es nicht.

Roger und sein älterer Bruder Floyd
Senior, der Vater von Floyd Junior, wuch-
sen in schwierigen Verhältnissen auf,
umgeben von Gewalt, Drogen und Alko-
holismus. Den Weg aus diesem Elend
heraus suchten beide durch das Boxen.
Doch die inneren Kämpfe endeten nie.
Roger war als Boxer erfolgreicher, er
wurde Weltmeister im Superfederge-
wicht und im Superleichtgewicht, er box-
te große Namen wie Julio César Chavez
oder Pernell Whitaker. Floyd Senior ver-
lor die großen Duelle, er kompensierte
es durch große Sprüche. Floyd Senior
war laut und schrill. Roger war stiller
und weniger egozentrisch. So blieb das
auch, als Floyd Junior Profiboxer wurde.

Damals, 1996, saß sein Vater wegen
Drogenhandels im Gefängnis, Roger
übernahm als Trainer. Er erkannte, dass
sein Neffe dem Stil der Familie treu
blieb, dass er ein defensiv denkender Bo-
xer war, einer, der weiß, dass es gut ist,
zu treffen – und dass es besser ist, selbst
nicht getroffen zu werden. Unter Roger
wurde Floyd Junior schneller, bewegli-
cher, er war kaum zu treffen. Dann trai-
nierte wieder der Vater den Sohn, in der
festen Annahme, das größte boxerische
Mastermind der Geschichte zu sein.
2000 feuerte ihn sein Sohn – sein Vater
habe nur Perfektion akzeptiert. Wieder
kehrte der Onkel in die Ringecke zurück,
er führte seinen Neffen zu Titeln und gro-
ßen Kämpfen. Die beiden waren auch
ein gutes Team, weil Roger verstanden
hatte, dass er in dieser Familiengeschich-
te der Nebendarsteller war. Er hörte sei-
nem Neffen zu, der selbst ein Großmaul
ist, gab ihm das Gefühl, dass er ohnehin
nahe an der Perfektion boxte. Vielleicht
war Roger Mayweather in diesen Jahren
auch er selbst, so genau wusste das kei-
ner; über sein wahres Innenleben sprach
keiner der Mayweather-Männer. Floyd
Senior übernahm noch einmal, 2006, als
Roger Mayweather ein halbes Jahr im Ge-
fängnis verbrachte, danach lebten die
drei in offener Abneigung. 2008 trainier-
te Floyd Senior Óscar De La Hoya im
Kampf gegen Floyd Junior. Und verlor.
Die Feindseligkeiten nahmen erst ab,
als Roger Mayweather durch eine Diabe-
teserkrankung schwächer wurde, 2013
ersetzte ihn wieder sein Bruder. Roger
Mayweather war zwar noch am Ring und
im Gym dabei, aber die Zeit der großen
Kämpfe war für ihn schon lange vorbei.
Am Dienstag starb er im Alter von 58 Jah-
ren. benedikt warmbrunn

Mannheim/Berlin – Positiv betrachtet
gibt es gerade für einen großen Teil der
Menschheit sehr viel zu lernen. Das gilt
auch für Bob Hanning. Der Vizepräsident
des Deutschen Handballbundes (DHB) war
ja doch recht grimmig vorgeprescht in der
vergangenen Woche: Dass die niederländi-
sche Nationalmannschaft nur einen Tag
vor dem angesetzten Länderspiel gegen
die deutsche Auswahl in Magdeburg ihre
Rückkehr aufgrund des Coronavirus be-
schloss, verärgerte den 52-Jährigen ziem-
lich. „Das Vorgehen der Niederländer miss-
billige ich“, ließ Hanning ausrichten, man
könne alles absagen, aber bitte nicht so
kurzfristig. Doch die Mannschaft aus dem
Nachbarland, die am Donnerstag schon im
Hotel in Dessau eingecheckt hatte, kann
sich nun in ihrer Umsicht bestätigt fühlen:
Am Dienstag, vier Tage nach dem ur-
sprünglich angesetzten Länderspiel, mel-
dete der DHB den ersten Corona-Fall in sei-
nem Nationalteam.


Kreisläufer Jannik Kohlbacher hat es er-
wischt, der 24-Jährige von den Rhein-Ne-
ckar Löwen wurde positiv getestet. Da er in
der vergangenen Woche mit der DHB-Aus-
wahl in Aschersleben ein Trainingslager
absolviert hatte, informierte der Verband
auch alle Teamkollegen und den Betreuer-
stab um Trainer Alfred Gislason. Die betrof-
fenen Nationalspieler hielten sich in ihren
Heimatorten auf und an die von den Behör-
den angeordneten Sicherheitsmaßnah-
men, teilte der DHB mit. Da die Vorkehrun-


gen regional unterschiedlich seien, befän-
den sich nicht alle Spieler automatisch in
Quarantäne, etliche hätten sich diese aber
selbst verordnet. Kohlbacher ist nach sei-
nem Mannheimer Teamkollegen Mads
Mensah der zweite Bundesliga-Handbal-
ler mit nachgewiesener Covid-19-Infekti-
on. Die Rhein-Neckar Löwen bestätigten
zudem weitere Fälle, ohne Namen zu nen-
nen, das Team befindet sich bereits kom-
plett in häuslicher Isolierung.
Kohlbacher selbst meldete sich via Insta-
gram zu Wort: Er fühle sich super, „ich bin
topfit und vollständig gesund“. Auch einen
Appell richtete er an seine fast 81 000 Follo-
wer: Es sei wichtig, „dass wir alle nicht
leichtfertig mit dem Coronavirus und den
Folgen umgehen“, schrieb Kohlbacher,
„denkt bitte an Eure Mitmenschen!“ Tor-
wart Andreas Wolff hatte in der vergange-
nen Woche seine Teilnahme an dem Län-
derspiel abgesagt, weil der Profi von Vive
Kielce nach damaligem Stand bei seiner
Rückkehr nach Polen in Quarantäne ge-
musst hätte. Sein Zimmernachbar in der
Nationalmannschaft ist gewöhnlich: Jan-
nik Kohlbacher.
Die Dynamik im Umgang mit Corona
hat auch die Handballer in den vergange-
nen Tagen beschäftigt und manche Ansich-
ten im Rekordtempo verändert: Das für
April angesetzte Olympia-Qualifikations-
turnier hatte der Weltverband IHF schließ-
lich auf Juni verschoben, damit fiel auch
der abgesagte Test gegen die Niederlande
weniger ins Gewicht. „Ich halte die Ent-
scheidung für klug und in unserer jetzigen
Situation für alternativlos. Auch wir Hand-
baller müssen einen Beitrag leisten, um
die Corona-Pandemie bestmöglich einzu-
dämmen“, sagte Bob Hanning zur IHF–Ent-
scheidung, nur Stunden nach seiner ur-
sprünglichen Verärgerung.
In der Bundesliga der Männer sind die
Spiele vorerst bis zum 23. April ausgesetzt,
wie es danach weitergeht, ist offen. Bei den
Frauen kam der Liga-Vorstand am Mitt-
woch zu dem Schluss: Die Saisons in erster
und zweiter Liga werden abgebrochen.
Sportliche Absteiger werde es nicht geben,
über Aufsteiger und Teilnehmer internatio-
naler Wettbewerbe werde man später ent-
scheiden. saskia aleythe

Köln –Auch der Kanu-Weltverband ICF
hat auf die Coronakrise reagiert und zahl-
reiche anstehende Events abgesagt oder
verlegt. Dies betrifft auch die ursprünglich
für den 21. bis 24. Mai angesetzte Kanu-Re-
gatta auf der Bahn in Duisburg-Wedau. Ge-
plant waren für diesen Zeitraum die Para-
Kanu-Weltmeisterschaften, die Rennen
um die letzten Quotenplätze für die Olym-
pischen Sommerspiele 2020 in Tokio so-
wie der Kanu-Weltcup. Derzeit werde abge-
wogen, ob es Möglichkeiten für einen Er-
satztermin später in diesem Sommer noch
geben könne. Abgesagt wurde auch die Ka-
nuslalom-EM vom 15. bis 17. Mai in Lon-
don. Dies teilte der europäische Verband
ECA am Mittwoch mit. Demnach kann
auch nicht wie geplant der letzte Quoten-
platz für die Olympischen Spiele in Tokio
ausgefahren werden, als Maßstab wird da-
mit die Weltrangliste gelten. Stand jetzt
würde damit ein Deutscher im Einer-Cana-
dier starten können. sid


Hauptsache halbwegs rund: Die Alba-Trainer zeigen Jugendlichen, wie sie auch
mit einer Handvoll Socken etwas für ihre Fitness tun können. FOTO: ALBA BERLIN / OH

Neues Zeitfenster
Sommerpause der Formel 1 vorverlegt

Das Ohr und die Großmäuler


Zum Tod von Box-Weltmeister und Trainer Roger Mayweather


Handball-Nationalspieler


in Quarantäne


Kreisläufer Jannik Kohlbacher positiv auf Covid-19 getestet


Roger Mayweather
wurde Weltmeister
im Superfeder-
und im Superleicht-
gewicht. Später
führte er seinen
Neffen Floyd May-
weather Junior zu
mehreren Titeln.
FOTO: REUTERS

Kanuten sagen ab
Keine Regatta in Duisburg, EM fällt aus

Vasek Pospisil vom Spielerrat
beklagt: „Wir haben NULL
zu sagen in diesem Sport.“

Wie eine Planierraupe


Roland Garros überrumpelt die Tenniswelt mit der Verlegung des Pariser Grand-Slam-Turniers in den Herbst.
Statt in einer fundamentalen gesellschaftlichen Krise zusammenzufinden, hat der Verteilungskampf begonnen

DEFGH Nr. 66, Donnerstag, 19. März 2020 (^) SPORT HF3 27
Muss pausieren: Handball-Nationalspie-
ler Jannik Kohlbacher fühlt sich trotz In-
fektion „super“. FOTO: ROBERT MICHAEL / DPA
Dauerstress für den Besten: Rafael Nadal, Sieger der French Open und US Open 2019, müsste im Herbst zwei Titel nacheinander verteidigen. FOTO: PFAFFENBACH / REUTERS

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