Süddeutsche Zeitung - 19.03.2020

(Nancy Kaufman) #1
von sebastian winter

München– Alexandra Wenk läuft gerade
so viel wie wohl noch nie in ihrem Leben.
Sie hat Muskelkater, weil sie das normaler-
weise nicht macht: joggen. Die 25-jährige
Münchnerin ist gerade bei ihren Eltern in
Alt-Perlach, im dortigen Reihenhäuschen
herrschen beste Bedingungen für sie. Ei-
nen kleinen Fitnessraum mit Laufband, Er-
gometer und ein paar anderen Geräten
gibt es dort. Ein Luxus in diesen Zeiten, in
denen nun auch Schwimmbäder und Fit-
nessstudios schließen und Ausgangssper-
ren mittlerweile ein realistisches Szenario
sind. Wenk, die Münchner Schwimmerin
und zweimalige Olympiateilnehmerin,
kann sich so zumindest fit halten für ihren
letzten sportlichen Traum: Tokio. Doch die-
ser Traum wird von Tag zu Tag unrealisti-
scher. Wenk selbst sagt: „Ich würde es herz-
lichst begrüßen, wenn die Olympischen
Spiele verschoben werden. Sie wären in die-
ser Situation absurd und völlig irrelevant.“
Die Athleten des Deutschen Schwimm-
verbands (DSV) schwimmen nicht mehr,
auch nicht an den Olympiastützpunkten,
sie müssen reihenweise von internationa-
len Wettkämpfen und Trainingslagern zu-
rückgeholt werden. Wenk, die in den ver-
gangenen Jahren große Verletzungsproble-
me hatte, die nach Berlin wechselte und
wieder zurück zu ihrem einstigen Münch-
ner Heimtrainer Olaf Bünde, unter dem sie

in den vergangenen Monaten in Regens-
burg trainierte, hat die Qualifikations-
norm noch nicht geschafft. Sie war im Janu-
ar im Trainingslager in Hurghada, Ende Fe-
bruar in Malaga, „die Zeiten waren super,
alles war im Plan“. Wenk kam rechtzeitig
zurück, um nicht zu den gestrandeten DSV-
Schwimmern zu gehören, die nun mit Char-
terfliegern zurückgeholt werden aus dem
Höhentrainingslager in der Sierra Nevada,
aus Lanzarote, Fuerteventura und der

Türkei. Erst am vergangenen Wochenende
hatte sie ihren letzten Wettkampf, in Es-
sen, es ging dort auch um die Qualifikation
für die Spiele in Japan. „Aber ich war dort
so was von unkonzentriert“, sagt Wenk.
Am Sonntag wurden die „Swim & Fun-
Days“ abgebrochen. Am Montag wurde
dann der Katastrophenfall in Bayern ausge-
rufen, die Bäder wurden geschlossen.
Wenk ist in besonderem Maße sensibili-
siert für das medizinische Thema. Ihre

Mutter, die einst als Schwimmerin EM-Sil-
ber für Rumänien gewann, war früher Chir-
urgin, und nun müssen beide Nachrichten
lesen wie diese vom Dienstag: „Mehr als
vier Monate vor den Spielen sind derzeit
keine einschneidenden Entscheidungen
zu treffen“, teilte das IOC nach einer Sit-
zung mit allen Sommersport-Fachverbän-
den mit und erklärte, „dass jede Spekulati-
on derzeit kontraproduktiv“ sei. Anderer-
seits sind alle Wettkämpfe bis auf Weiteres
abgesagt. Darunter auch alle Olympia-Qua-
lifikationen, selbst die wichtigste, die deut-
sche Meisterschaft Ende April in Berlin.
Bis 31.Mai hat der DSV, wie der Verband
am Mittwoch beschloss, alle Veranstaltun-
gen ausgesetzt.
„Die wollen das durchziehen“, sagt
Wenk. Sie meint die Beharrungspolitik des
IOC: „Aber die Realität sieht komplett an-
ders aus. Wenn wir wochenlang nicht im
Wasser waren, wie sollen wir dann Qualifi-
kationen schwimmen? Da ist keine Basis,
kein Fair Play. Und es ist respektlos. Gera-
de müssen Ärzte in Italien Triage-Entschei-
dungen treffen, Menschen sterben dort bei
vollem Bewusstsein, diese Situation gab es
noch nie. Da steht doch alles andere über
Olympischen Spielen. Ich könnte das nicht
vertreten.“
Dabei steht Wenk kurz vor ihrem Karrie-
reende, die Spiele in Tokio sollten ihre letz-
ten sein nach London 2012 und Rio de Ja-
neiro 2016. Der Bundestrainer hat kürzlich

bei ihrem Trainer Bünde nachgefragt, ob
sie noch trainieren könne, aber auch in Re-
gensburg sind die Bäder zu. Wenk kann
dort immerhin an der Donau laufen, aber
das hilft auch nicht weiter, um im Becken
schneller zu werden.
Zwölf Jahre lang schwimmt Wenk nun
in der nationalen Spitze, in guten Jahren
war sie auch international vorne dabei.
Seit 2008 hat sie rund 50 DM-Medaillen
bei den Erwachsenen gesammelt, dazu
Staffelgold und Einzelbronze bei Europa-
meisterschaften, Bronze bei der Weltmeis-
terschaft 2015 in Kasan. Nur bei den bei-
den Olympiateilnahmen lief es nicht wirk-
lich rund. Es wäre ein weiterer Grund, nun
am Boden zerstört zu sein wegen der düste-
ren Aussichten. „Aber wenn alles den Bach
runtergeht wie gerade, dann gibt es doch
viel größere Themen als ob Schwimm-
bäder offen haben oder Sportveranstaltun-
gen stattfinden oder eben nicht.“
Falls sich Wenks Wunsch erfüllt und die
Spiele in Tokio verschoben werden , könn-
te sie sich vorstellen, noch ein Jahr weiter-
zumachen, maximal. „Ich würde mir das
überlegen. Aber ich bin eben auch keine 17,
18 mehr.“ Die Studentin für angewandtes
Management an der FH in Ismaning be-
schäftigen derzeit ganz andere Gedanken.
Sie fragt sich, ob sie im August ihre Klausu-
ren schreiben kann. Zu diesem Zeitpunkt
wäre sie, so der Plan, in Japan gewesen, im
Wasser. Der Plan existiert nicht mehr.

SZ: Sport ist...
Ludwig Blochberger: ...eine der schönsten
Nebensachen der Welt. So nebensächlich,
dass auf die sportliche Betätigung gern
schon mal verzichtet werden kann.


Ihr aktueller Fitnesszustand?
Ich schwitze nicht nur in der Sauna.


Felgaufschwung oder Einkehrschwung?
Felgaufschwung, das ist doch diese Übung
zur Minimierung des eigenen Selbstwert-
gefühls? Widerlich!


Sportunterricht war für Sie?
Eine willkommene Abwechslung, auch
mal mit guten Noten auf mich aufmerk-
sam zu machen.


Ihr persönlicher Rekord?
Der Berlin-Marathon in 3:23 Stunden.


Stadion oder Fernsehsportler?
Fernsehsportler durch und durch.


Bayern oder Sechzig?
Alternativ oder erfolgreich? Als Berliner
halte ich da meine Schnauze.


Ihr ewiges Sport-Idol?
Muhammad Ali. Seine größte Waffe waren
nicht seine Fäuste, sondern seine Worte!


Ein prägendes Erlebnis?
Als ich zu Schulzeiten meinte, als Erster ins
Ziel zu laufen, um dann festzustellen, dass
wir die 800 und nicht die 400 Meter laufen.


In welcher Disziplin wären Sie Olympiasie-
ger?
Im Kuchenessen, sowohl bei Winter- als
auch bei Sommerspielen.


Mit welcher Sportlerin/welchem Sportler
würden Sie gerne das Trikot tauschen?
Klingt mir zu anstrengend. Kann ich lieber
mit einem Trainer tauschen – ich kann
sehr gut Anweisungen geben?!


Unter der Rubrik „Formsache“ fragt die SZ jede Wo-
che Menschen nach ihrer Affinität zum Sport. Künst-
ler, Politiker, Wirtschaftskapitäne – bloß keine Sport-
ler. Wäre ja langweilig.


Die Volleyballerinnen des Planegg-Kraillingbleiben
in der zweiten Liga. Der Tabellenletzte profitiert von ei-
nem Beschluss der Volleyball-Bundesliga, nach dem
es in dieser Saison keinen Zweitliga-Absteiger gibt. Zu-
gleich verliert Planegg Cheftrainer Sven Lehmann. Der
31-Jährige wechselt zum 1. Mai als Trainer an den
Beachvolleyball-Olympiastützpunkt nach Berlin.


„Da ist keine Basis, kein
Fair Play. Und es ist respektlos.
In Italien sterben Menschen
bei vollem Bewusstsein.“

KURZ GEMELDET


„Absurd und völlig irrelevant“


Haltung in Zeiten des Virus: Alexandra Wenk, Münchens erfolgreichste Schwimmerin, hofft auf eine Verschiebung
der Olympischen Spiele in Tokio – als Tochter einer Ärztin versteht sie die Beharrungspolitik des IOC nicht

München– Vergangene Woche erschien
die Lage noch abstrakt: Playoffs abgesagt,
Saison beendet. Der Schreck über das Vi-
rus und seine Auswirkungen ließ die Nach-
richt irgendwie unwirklich erscheinen.
Nun ist die Situation ganz konkret eingetre-
ten: Diese Woche hätte Hauptrundensie-
ger EHC Red Bull München sein Viertelfina-
le in der Deutschen Eishockey Liga (DEL)
bestreiten sollen. Hätte. Hat er aber nicht.
Auch wenn Spieler und Fans nun eine Wo-
che Zeit hatten, sich mit dem Gedanken
vertraut zu machen – leichter wird er da-
durch nicht. Auch nicht für Mads Christen-
sen. Der dänische Nationalstürmer spielte
sechs Jahre lang für den EHC München. Zu-
sammen holten sie drei deutsche Meisterti-
tel (2016, ’17, ’18) und zogen ins Finale der
Champions Hockey League (2019) ein. „Als
ich hierher kam, hätte ich nicht gedacht,
dass wir so erfolgreich sein werden. Wir
hatten sechs unglaubliche Jahre. Das
macht mich stolz und wird immer in mei-
ner Erinnerung bleiben“, sagt der 32-Jähri-
ge. München ohne Christensen, das war
auch eine bizarre Vorstellung. Fast so un-
wirklich wie die Annahme, André Rankel
könnte einmal nicht mehr für die Berliner
Eisbären spielen. Gemeinsam mit Rankel
und den Eisbären hatte Christensen zuvor
ebenfalls drei Meistertitel gewonnen, der
Trainer hieß jeweils Don Jackson. Aber so,
wie am Mittwoch die Eisbären verkünde-
ten, dass Rankel nach 17 Jahren nicht mehr
das Berliner Trikot tragen werde, hatten es
die Münchner tags zuvor schon in der Per-
sonalie Christensen getan. Der Däne wird
keinen Vertrag mehr in Münchenerhalten.
Wenn eine langfristige Beziehung en-
det, kann man sich im Guten trennen. „Ich
bin nicht verbittert“, sagt Christensen.
Aber: „Ich bin ein bisschen traurig, dass es
nach so vielen Jahren und so viel Erfolg
jetzt zu Ende ist.“ Es habe in der jüngsten
Vergangenheit „ein paar kleine Sachen ge-
geben, von denen ich nicht begeistert war.“
Die beiden jüngsten Spielzeiten waren
schwierig für Christensen, er war oft ver-
letzt, erst die Hand, dann die Hüfte. Seit No-
vember hat er kein Spiel bestritten – ob-
wohl er sich wohl wieder fit gefühlt hätte,
zumindest für die Playoffs. Es kam anders.

„Ich habe zehn Jahre mit Don zusam-
mengearbeitet. Ich verstehe nicht immer
alles, was er plant“, sagt Christensen.Er tra-
ge aber niemand etwas nach, die Trennung
sei „keine Katastrophe“. Er werde Mün-
chen vermissen. „Aber ich glaube, dass sie
mich nächstes Jahr auch vermissen wer-
den. Typen wie mich gibt es nicht so viele.“
Typen, die, wie er sagt, es „hassen zu verlie-
ren“, die wie er „auch die Momente lieben,
wenn es weh tut“. Typen wie Jason Jaffray,
der mit 38 Jahren, nicht zuletzt wegen an-
haltender Hüftbeschwerden, aufhört.
Christensen will weitermachen. Er wer-
de „mit kaltem Blut“ entscheiden, was für
seine Familie und ihn das Beste ist. Er will
in Deutschland bleiben, bei einem Klub,
der Ambitionen hat, so wie er. Man wird
Mads Christensen also ziemlich sicher wie-
der in München sehen. Nur eben dann in ei-
nem anderen Trikot. Auch wenn es schwer
vorstellbar ist. johannes schnitzler

„Es gibt nicht so
viele Typen wie
mich“, sagt Mads
Christensen, 32.
Typen, die es lieben,
„wenn es weh tut“.
FOTO: MARKUS FISCHER / IMAGO

Ein paar Armzüge vor dem Karriereende: Alexandra Wenk, 25, hier 2018 bei der deutschen Meisterschaft in Berlin. FOTO: EIBNER / IMAGO

Der gebürtige Ost-Berli-
nerLudwig Blochberger,
38, spielte am Münchner
Volkstheater, drehte mit
Joseph Vilsmaier und
Florian Henckel von
Donnersmarck. In der
neuen Staffel der ZDF-Kri-
mireihe „Der Alte“ ist er
von Freitag an wieder als
Kommissar Tom Kupfer
zu sehen.FOTO: IMAGO

Kommissar


Kuchenesser


Der Regisseur auf dem Trainerstuhl:


Schauspieler Ludwig Blochberger


FORMSACHE Traurig, aber


nicht verbittert


Mads Christensen verlässt den
EHC München ohne Groll

Alexandra Wenküber die Hinhaltetaktik des
Internationalen Olympischen Komitees

R8 (^) SPORT IN DER REGION Donnerstag, 19. März 2020, Nr. 66 DEFGH
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