Wissenschaft
8 Berliner Zeitung·Nummer 67·Donnerstag, 19. März 2020 ·························································································································································································································································································
Handschuhesindnichtschlecht,Abstandistwichtiger
TröpfchenbeimNiesenundHustensinddiegrößteGefahr–auchwenneinenochungeprüfteStudiezeigt,dassSars-CoV-2langeaufOberflächenbleibt
VonWolfgang RichterI
mmer öfter sieht manMen-
schen,dieauchbeimSchieben
desEinkaufswagensimSuper-
marktihreHandschuheanlas-
sen, manchmal sogar extraEinmal-
handschuhe anziehen.Grund dafür
könnteeineneueStudiesein,dieseit
Ende verg angenerWoche in Presse-
berichten und den sozialenMedien
zitiertwird.
Forscher unter anderem der na-
tionalenGesundheitsbehördeinden
USAundderUniversityofPrinceton
haben untersucht, wie lange das
neue Coronavirus Sars-CoV-2 auf
Oberflächen infektiös bleibt.Noch
befindet sich dieStudie imProz ess
derÜberprüfungdurchandereWis-
senschaftler.
Keine AngstvorBriefenDievorläufigen Ergebnisse: Auf
Kunststoffen undEdelstahl bleibt
dasViruszweibisdrei Tageaktiv ,auf
Karton immerhin 24Stunden, auf
Kupfer dagegen nur vier.Die For-
scher schließen daraus,dass soge-
nannte Schmierinfektionen ein
möglicherÜbertragungswegdesEr-
regers sein könnten–zusätzlich zur
Tröpfcheninfektion durch den na-
henKontaktzu Infizierten.
Sollten wir aufgrund dieserEr-
gebnisse nun unserVerhalten än-
dern? EtwaunserePosteinenTagim
KastenlassenundnurnochmitEin-
malhandschuhenausdemHausge-
hen? Zumindest wasBriefe undPa-
keteangeht,gibtdasBundesinstitut
für Risikobewertung (BfR)Entwar-
nung.DerzeitgebeeskeineFälle,bei
denen nachgewiesen sei, dass sich
Menschen durchKontakt zu konta-
miniertenGegenständen mitSars-
CoV-2infizierthaben, schreibt das
Institut in einer aktuellenStellung-
nahme.
Auch für andereCoronaviren
seien keineBerichte überInfektio-
nen durch denKontakt mit trocke-
nenOberflächenbekannt.Dassman
diesen Vergleich heranziehen kann,
haben dieForscher aus den USA
selbst gezeigt. Siehaben nicht nur
das neueSars-CoV-2, sondernauch
dasim Jahr2002aufgetreteneSars-1-
Virusuntersuchtunddabeiähnliche
Überlebenszeitengefunden.
Wichtig in diesemZusammen-
hang ist, dass dieZahl der noch in-
taktenVirenind iesenExperimenten
schnell abnahm. Schon nach 13
Stunden aufEdelstahl und nach 16
Stunden aufPlastik war jeweils nur
noch die Hälfte der neuenCorona-
Erreger aktiv.Bei Karton war dies
nach gut8Stunden derFall. Nach
denangegebenenmaximalenÜber-
lebensdauernvon mehrerenTagen
warennurnocheinzelneintakteVi-
renvorhanden. Ob damit die–bis-
herunbekannte–Mindestmengean
Virenerreicht wird, die eineInfek-
tionauslösenkann,istfraglich.
Bleiben die Schmierinfektionen,
auch Kontaktinfektionen genannt.Sieentstehen,wenn krankeMen-
schen etwa in dieHand husten und
sich dann amEinkaufswagen oder
anHaltestangeninderU-Bahnfest-
halten. Gerade Letzterewerden in
kurzerZeit vonsehr vielenMen-
schenbenutzt–dieWahrscheinlich-
keitistdamithöher,dassaucheinIn-
fizierter dabei ist.Außerdem sind
durch den kurzenZeitabstand bis
zurBerührungdurcheinenanderen
Passagier noch viele intakteViren
vorhanden.
„Ob dasTragen vonHandschu-
hen hierInfektionenverhindert, ist
bisher nicht wissenschaftlich unter-
sucht worden“, sagt derVirologe
Eike Steinmannvonder Ruhr-Uni-
versität Bochum. Er hat zusammen
mit einemHygiene-Wissenschaftleraus Greifswald schonEnde Januar
eine Literaturrecherche gemacht
und22 StudienzurÜberlebensfähig-
keitderbekanntenCoronavirenwie
Sarsund Mersausgewertet.Inderen
Experimenten blieben einzelneEr-
reger auf Oberflächen ebenfalls
mehrer eTageaktiv.
Auch das Robert-Koch-Institut
willauf NachfragekeineEmpfehlung
fürodergegendasTragenvonHand-
schuhengeben,verweistaberandas
DeutscheBeratungszentrumfürHy-
giene inFreiburgimB reisgau. Des-
senÄrztlicherDirektor,ErnstTabori,
will auch nichts empfehlen, lässt
sich aber auf eineDiskussion ein.
„Wir fassen uns zwischen 300- und
400-mal amTagunbewusst insGe-
sicht“, sagt er.Eine behandschuhteHand könne hier alsFremdkörper
vielleichtstärkerinsBewusstseintre-
ten–undesunsleichtermachen,die
Berührungzuunterbinden.
Außerdem würde der direkte
Hautkontaktvermieden. Nach dem
AusziehenderHandschuhewärein-
tensives Händewaschen dann im-
mernochobligatorisch,könnteaber
miteinergeringerenAnzahlanErre-
gernals Startpunkt bessereEnder-
gebnisseerzielen.
VielschiefgehenkönnebeimAus-
ziehen der Handschuhe nicht,
glaubtTabori,dennmanwürdedies
ja meist in einerruhigen Situation
tun.UndwennmandieHandschuhe
an einem festenPlatz lagert, könne
man sie quasi wie schmutzige
Schuhe beimVerlassen desHauses
wieder anziehen. Über dieVor- und
Nachteile verschiedener Hand-
schuhmaterialienzureden,ist Ernst
Taboridannaberdochzuspekulativ.
Außer wenn es um dieOptik geht:
„Helle Einmalhandschuhe sehen
doch einfach doof aus.“Jeder sollte
alsoselbstausprobieren,obihmdas
Tragen vonHandschuhen hilft.Viel
verk ehrtmachen kann man nicht,
denndieWahrscheinlichkeit,aufinfi-
zierte Stellen zu treffen, ist immer
nochrelativgering.
Davo nabgesehen gilt nach wie
vor:Wichtig istvorallem, das Hän-
dewaschenalsRoutineinseinenAll-
tag einzubauen.Denn geradeCoro-
naviren,derenErbgutvoneinerFett-
schicht umhüllt ist,reagieren emp-findlichaufdiefettlösendenTenside
inder Seife.NachAngabendesBun-
desinstituts für Risikobewertung ist
es hoch wahrscheinlich, dass durch
sie auch beiSars-CoV-2 dieVirus-
oberflächebeschädigtunddasVirus
inaktiviertwird.
Dasgleiche gilt für Alkohol und,
wie der Bochumer Virologe Eike
Steinmann bestätigt, auch für
Brennspiritus.Dieser durch Chemi-
kalienuntrinkbargemachteEthylal-
koholistimGegensatzzureinemAl-
koholderzeitnochonlineerhältlich.Distanz üben
Dieeinzige Gefahr,die vonder Dis-
kussion über die Schmierinfektio-
nen ausgeht, hat ChristianDrosten
am Montag im NDR-Podcast zum
Coronavirusbenannt.DerLeiterder
Virologie an der Berliner Charité
warntedavor,dassdieLeutefalsche
Prioritätensetzen.„Diesagendann:
Hilfe,ich fasse ab jetzt keine Tür-
klinke mehr an.Aber ob ich jeman-
dem nahekomme,das verliereich
ausden Augen.“
GenaudasseiaberdasWichtigste
beisolchenüberTröpfcheninfektion
übertragbarenViren.Mandürfesich
körperlich nicht so nahe kommen,
sich nicht anhusten und solle mit
möglichstwenigenPersonenlängere
Zeit aus nächster Nähereden. All
dies müsse nun eingeübtwerden,
ohne große Angst, etwas falsch zu
machen: „Diese Angst ist imMo-
mentwirklichüberflüssig.“300- bis 400-mal amTagfasst man sich ins Gesicht. In Corona-Zeiten erhöht das die Gefahr,sich zu infizieren. Allein vor dem Griff ins Gesicht könnten Handschuhe schützen. Ob sie darüber hinaus im Alltag sinnvoll sind, lässt sich nicht klar sagen. DPA
NÜTZT EIN SCHAL VORM MUND?Fremdschutz:Den Mund zu
verhüllen,wenn man sich in
die Öffentlichkeit begibt, dient
weniger dem eigenen Schutz.
Zumindest gibt es dafürkeine
Daten. Man schützt so aber
andere ein bisschen,weil
Tröpfchen zurückgehaltenwer-
den, die beim Sprechen, Hus-
ten oder Niesen entstehen.Stoff vormMund:Ein dicht
gewe bter Schal, ein Baum-
wolltuch oder eine selbstge-
nähte Maskesind daher eher
als Zeichen der Solidarität mit
anderen einzuordnen.
Darüber hinaushaben sie Ex-
perten zufolgeauch einen psy-
chologischen Effekt,wenn
man sichdamit wohler fühlt.Mund-und-Nasen-Schutzwie
er bei OPsgetragenwird, hält
Tröpfchenbesser zurück.
SchutzvorEigeninfektion bie-
ten Atemschutzmasken mit
Filternder Stufe3(FFP3).
Sie zu tragen hält man je-
doch nicht lang durch–und
sie sindvorrangig für medizi-
nischesPersonal bestimmt.IstdieCorona-KrisereinePanikmache?
DerMedizinerWolfgangWodargzweifeltineinemYouTube-Videoan,dasseseinePandemiemiteinemgefährlichenneuartigenVirusgibt
VonTorsten HarmsenZ
urzeitistim InterneteinMedizi-
ner sehr aktiv.Ers tellt grund-
sätzlich infrage ,dass gerade eine
Pandemiemiteinemneuartigen,ge-
fährlichenCoronavirus abläuft.Er
heißtWolfgangWodarg, ist 73Jahre
alt, war Lungenarzt, Amtsarzt in
Flensburgund SPD-Bundestagsab-
geordneter.Ert ratunter anderem
bereits2009alsGegnerderImpfung
gegenSchweinegrippeauf.
Fast eine Million Menschen ha-
ben seinVideo gesehen, in dem er
die aktuelle Erkrankungswelle als
Panikmache darstellt, dievonViro-
logenbefördertwerde .Grobzusam-
mengefasst vertri tt er folgende
Theorie:JährlichgibtesneueViren-
varianten, die zirkulieren. Schaut
man bei akuten saisonalenAtem-
wegserkrankungen wie derGrippe
mit speziellenTests nach, dann fin-
densichunterdenErregernimmer
bis 15 Proz ent Coronaviren.Derak-
tuelleHypeseieineFolgedergeziel-
ten Suche nachCoronaviren durch
spezielleTests,dieetwaanderBerli-
nerCharitéentwickeltwurden.Nach
demMotto:Wersucht,derfindet.
Wodargs Darstellungzufolgehät-
tenVirologendiechinesischeRegie-
rung „beeindruckt“.Diese habe ein
„Riesen-Bohei“ aus denErkrankun-
genmitderneuenVirusvariantege-
machtunddieCorona-Panikausge-
löst, die sich internationalverbrei-sind Experten zufolgeweltweit als
Auslöser vonAtemwegserkrankun-
gen undErkältungen bekannt.Sie
heißen 229E, NL63 und HKU1 und
lösen meist moderate Symptome
aus.Dasistfür Fachleuteauchnichts
Neues.Etwaein Dritteldertypischen
ErkältungenseiaufCoronavirenzu-
rückzuführen, heißt es in derDar-
stellung des Helmholtz-Zentrums
fürInfektionsforschung.
Coronavirenseienbereitsseitden
60er-Jahren bekannt. „Mit den
Krankheiten,diesieauslösen,hatten
wirMenschenunsarrangiert,bisein
neues Coronavirus derFamilie zu
zweifelhaftemRuhm verhalf“, und
zwardasVirusSars-CoV von2002.Es
habe derWelt mit nahezu1000To-tete und Aktionismus förderte.Für
Wodargfehlt bei derCorona-Krise
die„nüchterneBetrachtungsweise“,
dieFrage,woranmanerkenne,dass
dasVirusgefährlichsei.„Wiewardas
denn vorher? Hatten wir das nicht
letztesJahrauchschon?Istdasüber-
hauptwasNeues?“
Davo nabgesehen,dassmantäg-
lichim Internet,beimRobert-Koch-
Institut oder beim werk täglichen
NDR-PodcastmitdemBerlinerViro-
logenChristianDrosteneinewissen-
schaftlich„nüchterneBetrachtungs-
weise“findet,gibtesinWodargs Dar-
stellung selbst einiges,das offen
bleibt, was dieErkenntnissevonVi-
rologen betrifft.Dievon ihm er-
wähnten humanen Coronavirendesopferngezeigt,„wozu dieseSpe-
ziesprinzipiellfähigist“,sodieDar-
stellungdesZentrums.
Anders als dieCoronaviren, mit
denendieMenschenlängstvertraut
sind, habenSars-CoV von2002 und
das neuartigeVirusSars-CoV-2 eine
Spezies-Barriereübersprungen –
vomTier auf denMenschen –und
dabei Eigenschaftenverändert, die
dieSterberateunddieAnsteckungs-
gefahrerhöhen,wieAndreasGerrit-
zen, Leiter desMedizinischen La-
borsBremen,sagte.DieseVirenfüh-
renzum Schweren AkutenAtem-
wegssyndrom, dessen Symptome
klarbeschriebenwerden.Eskommt
gehäuft zu Lungenentzündungen.
DieSterberate ist bisherigen Er-kenntnissen zufolge höher als bei
der saisonalenGrippe.Auch andere
Dinge passen nicht zurVorstellung
eines systemisch geschürtenHypes.
ZumBeispiel das beobachtetewelt-
weite exponentielleWachstum der
Neuinfektionen.
Durchreine vermehrte Testung
ist zumBeispiel nicht zu erklären,
warum inWuhan ein neues Kran-
kenhausgebautwerdenmusste,um
denAnstiegderFälleüberhauptbe-
wältigen zu können, oder warum
Mediziner inItalien der schweren
Fälle nicht mehrHerr werden, so-
dass sie eine „Triage“ einführen
mussten:eineSchnellentscheidung,
beiwemeineBehandlungnocheine
Chancehatundbeiwemnicht.