Süddeutsche Zeitung - 18.03.2020

(Elliott) #1
Die Podcast-Landschaft hat einen Helden
hervorgebracht: Plötzlich wurde durch das
Coronavirus ein Virologe bekannt. Aber
auch für alle, die in Zeiten eines stillgeleg-
ten Soziallebens andere Themen hören
wollen, stellt die SZ ihre Favoriten vor.

Das Coronavirus-Update
ndr.de/coronaupdate
Keiner mag Corona, viele lieben Christian
Drosten, den Direktor der Virologie an der
Charité Berlin und seinen täglichen Pod-
castCoronavirus-Update. Drosten ordnet
für NDR Info per Telefon Entwicklungen
ein, erklärt Hintergründe und beantwortet
Grundlagenfragen, notfalls auch zehn Ta-
ge in Folge dieselbe. Dass man die Älteren
schützen muss, wie die Übertragung aus-
sieht. Wohltuend ist seine eindringlich-un-
aufgeregte Art und dass er sich korrigiert,
wenn sich seine Einschätzung geändert
hat. Zentrale Botschaft: keine Panik, aber
berechtigte Sorge. Der Podcast startete, als
die ersten deutschen Corona-Fälle be-
kannt wurden. Manche fordern nun, Dros-
ten möge das Bundesverdienstkreuz be-
kommen. Dabei hat er es längst. Im Pod-
cast erzählt er, dass er aber auch angefein-
det wird. Recht unbeeindruckt. Es braucht
schon mehr, um den Mann aus der Ruhe zu
bringen. elisa britzelmeier

Miauz Genau!
miauzgenau.de
Bisasam, Glumanda, Pikachu: Wer in den
Jahren nach der Wende geboren ist, weiß,
dass das die kleinen Fantasiewesen aus
dem Videospiel und der Anime-SeriePoké-
monsind.Miauz Genau! – Der deutsche Po-
kémon Podcasthandelt von der kindheits-
prägenden Saga. Dominik Seiler und seine
Co-Moderatoren teilen ihre Leidenschaft
für die japanischen Kultfiguren und tau-
chen in deren Welt ab. Im Zentrum stehen
die mehr als 20 Verfilmungen des Video-
spiels, aber Zeit für Spezialfolgen und zum
Abschweifen ist immer. Denn die ausgiebi-
gen Besprechungen der Filme stehen im-
mer in Verbindung mit Diskussionen über
einzelne Pokémon oder die philosophi-
schen Themen der Verfilmungen. Sound-
effekte von Mauzi erhöhen den Nostalgie-
faktor. Von Fans für Fans. nina mohs

The Escape Artist
bbc.co.uk/podcasts
Arthur Cravan gehört zu den faszinierends-

ten Künstlern des frühen 20. Jahrhun-
derts. Als Dichter, Sänger und anarchi-
scher Performer provozierte er jeden, der
ihm über den Weg lief. Er machte sich über
andere Künstler lustig, beschimpfte sein
Publikum, zog sich auf der Bühne aus. Er
war der Neffe von Oscar Wilde, Boxmeister
in Frankreich, Dadaist und Surrealist, be-
vor es beides überhaupt gab. Ross Suther-
land ergründet in zehn Folgen mit je 15 Mi-

nuten das Mysterium um den Meister der
Selbstinszenierung, der 1918 in Mexiko
spurlos verschwand. Amüsant, wie Suther-
land sich dem Künstler nähert: Er geht an
dessen Geburtsort in der Schweiz joggen.
Er trifft eine Journalistin, die bereits am
Thema gescheitert ist. Und in einem Selbst-
versuch rezitiert er in einem öffentlichen
Aufzug ein eigenes Gedicht. Arthur Cravan
hätte das gefallen. tobias obermeier

Pumuckl – Der Hörspielklassiker
br.de/pumuckl
„Kannst du mir mal sagen, was eine Schule
ist?“, will der Pumuckl vom Schreinermeis-
ter Eder wissen. „Da müssen alle Kinder
reingehen, damit sie was lernen“, kriegt er
zur Antwort. „Und wie macht man das mit
dem Lernen?“ Schwierig angesichts leerer
Klassenzimmer derzeit. Andererseits:
Dass der BR neun Folgen aus Ellis Kauts
HörspielserieMeister Eder und sein Pu-
mucklzur Verfügung stellt, kommt just zur
rechten Zeit – ein lustiger Zeitvertreib für
schulfreie Vormittage. Und Hans Clarin als
Pumuckl ist nach wie vor eine der besten
Sprecherleistungen der deutschen Hör-
spielgeschichte. stefan fischer

sz.de/podcast-tipps

von hans hoff

W


as für eine Chance muss das sein,
wenn man einen Bestseller wie
„Unsere wunderbaren Jahre“ von
Peter Prange verfilmen darf, der von auf-
strebenden Menschen in der deutschen
Nachkriegszeit handelt, von der Währungs-
reform, von den Schatten der Vergangen-
heit und vom großen Wollen junger Seelen
in den starren Fesseln einer Firmentraditi-
on? So viel könnte man da zeigen, wenn
man auch noch viereinhalb Stunden Zeit
hat und sich drei Teile lang einem Stoff wid-
men kann, der einen weiten Blick in eine
sehr besondere Zeit öffnet.


Die Geschichte, die der DreiteilerUnse-
re wunderbaren Jahreerzählt, geht so: In
Altena gibt es 1948 neues Geld, 40 Mark
für jeden. Das ist bedeutsam für die Sauer-
landstadt, vor allem aber bedeutsam für
die drei Töchter der Fabrikantenfamilie
Wolf, die hin und her gerissen werden zwi-
schen verrückt spielenden Hormonen, zu
überwindenden Kriegstraumata und der
Verantwortung für den elterlichen Betrieb,
in dem Teile der neuen Währung her-
gestellt werden. Irgendwie taumeln alle
zwischen dem, was nötig, und dem, was
möglich ist. Die Wirtschaftswunderjahre
beginnen, alles beginnt zu brummen, aber
da sind auch die dunklen Schatten der Ver-
gangenheit, die auch auf die sich tadellos
gebende Familie Wolf fallen. Gerade hat
der ach so ehrenwerte Patriarch seine Toch-
ter Margot verstoßen, weil die von ihrer


Ehe mit einem SS-Mann nicht lassen will,
da taucht eine Anklage gegen ihn auf, denn
sein Metallbetrieb soll Stacheldraht für ein
KZ geliefert haben.
Robert Krause und Florian Puchert ha-
ben aus Teilen von Pranges Bestseller ein
Drehbuch gemacht, das sich schwertut,
echte Intensität zuzulassen, weil es nie den
weiten Blick wagt, sondern sich immer wie-
der verheddert im Seelenschmerz einzel-
ner Protagonisten. Die Intensität schafft
auch Regisseur Elmar Fischer nicht heran,
denn er zieht prachtvolle Bilder einer wirk-
lich packenden Geschichte vor. Glänzen
darf hier vor allem die Ausstattung. Ge-
zeigt werden sehr schöne Bilder vom dama-
ligen Deutschland, das niemals so schön
poliert ausgesehen haben kann, wie es hier
suggeriert wird. Es ist, als blättere man in
einem Fotoalbum, in dem nur die schöns-
ten und am effektvollsten ausgeleuchte-
ten Bilder gesammelt wurden. Die Optik
stimmt also, und sie wird veredelt von
künstlerischen Unterwasseraufnahmen,
von verwackelten Traumbildern und exten-
sivem Einsatz der Krankamera.
Gegen so viel Opulenz haben die Schau-
spielerinnen nur eine geringe Chance.
Selbst Elisa Schlott, die der Tochter Ulla
Wolf wenigstens ein bisschen Kontur zu ge-
ben versucht, scheitert rasch an der Kli-
scheehaftigkeit der Geschichte. Sie muss
sich in den jungen aufbegehrenden Tommy
Weidner (David Schütter) verlieben, ob-
wohl sie doch eigentlich einem anderen
zugetan ist. Aber dieser Tommy wird als
Westentaschen-James-Dean von Altena
eingeführt, den alle wollen und viele krie-
gen. Immer wieder muss er sich von der Da-
menwelt zum spontanen Beischlaf drängen
lassen. Überhaupt gibt es so viel Beischlaf
in diesen drei Filmteilen, dass man rasch

den Eindruck gewinnt, die ausgehungerten
Menschen im Nachkriegsdeutschland hät-
ten nichts nötiger gehabt als Sex.
Derweil muss Anna Maria Mühe als Mar-
got Wolf die lange unbelehrbare Nazibraut
geben, die verstoßen wird, damit die Famili-
enehre nicht befleckt wird. Aber auch diese
Rolle erstarrt rasch im Klischee, im opti-
schen Zitat. Da hat Mühe keine Chance ge-
gen die hölzerne Vorlage. Sie muss immer-
zu ernst und sorgenvoll gucken, weil die Zei-
ten nun mal ernst und sorgenvoll sind. Hier
die lebensbejahende Ulla, die eigentlich Me-
dizin studieren will und die neue Welt mit
offenen Armen empfängt, dort die hölzerne
Margot, die sich verzweifelt ans Gestern
klammert. Verwirrt laviert Vanessa Loibl
als labile Gundel Wolf zwischen den von
ihren Schwestern markierten Polen.

Wie wenig die Regie den Schauspielerin-
nen zugetraut hat, sieht man, wenn man
auf die Kameraführung achtet. Immer
wenn es hochwichtig, bedrohlich oder
sonst wie heikel wird, zoomt sich die Kame-
ra an die betreffende Person heran. Die
könnte das natürlich auch spielen, weil ja
gute Schauspielerinnen in den prächtigen
Kostümen stecken, aber so viel Risiko woll-
te man dann wohl doch nicht eingehen. Des-
halb muss die Kamera suggestiv heranfah-
ren, damit auch der Hinterletzte merkt, wo-
hin der Hase läuft.
Das Defizit der vernachlässigten Story
wird dann noch mit einer mächtigen Film-
musik bemäntelt. Die große Klangsoße von
beinahe amerikanischen Blockbusteraus-

maßen erstickt jegliche Feinheit, die man
der Geschichte gerne zugestehen würde.
Stattdessen wird hier Opulenz zum Maß
der Nachkriegsstunde erhoben. Und dann
ist da noch die ganz und gar unglücklich
agierende Filmmutter Christel Wolf, in de-
ren Rolle Katja Riemann krachend schei-
tert, weil sie immer nur wirken darf wie ein
humpelnder Kleiderständer.
Ganz offensichtlich soll sie alles Hölzer-
ne der Nachkriegszeit verkörpern und die
auseinanderdriftende Familie zusammen-
halten. Aber sie hat keine Chance gegen
Buch und Regie. Ein bisschen besser trifft
es da schon Thomas Sarbacher, dem als
Patriarch Eduard Wolf wenigstens ein
Hauch von Profil zugestanden wird. Aber
letztlich wirkt auch er nur wie ein Hilfloser,
den man da durch die kunstvoll ausgeleuch-
teten Kulissen schiebt.
Natürlich ist das großes Fernsehen mit
tollen Bildern, dass es ein Quotenerfolg wer-
den wird, ist fast ausgemachte Sache. Denn
wer sich gern von der Regie klar vor die
Emotionstore führen lässt, findet sich hier
gut zurecht. Die Geschichte, die erzählt
wird, ist nachgerade wurscht. Auf diese Wei-
se haben Soaps vom SchlageRote Rosen
oderTraumschiffseit Ewigkeiten Erfolg.
Was also macht der WDR insgesamt aus
seiner Chance? Ein ausgefranstes Rühr-
stück, das als Familiensaga startet und
schnell zur quietschbunten Soap gerät. Mit
viel Farbe werden die grauen Jahre nach
dem Krieg koloriert, werden verfilmte
Ansichtskarten aneinandergereiht und ein
streckenweise unerträgliches Panoptikum
aus Schwulst, Schmalz und Schmonzes
gezeigt.

Unsere wunderbaren Jahre, Das Erste, 18./ 21./ 25.
März, jeweils 20.15 Uhr und Mediathek.

Wechsel an der Spitze: Kurt Kister scheidet
nach 15 Jahren auf eigenen Wunsch aus
der Chefredaktion derSüddeutschen Zei-
tungaus. Nach Entscheidung der Herausge-
ber soll Judith Wittwer zur neuen Chef-
redakteurin berufen werden und die Re-
daktion künftig gemeinsam mit Wolfgang
Krach führen. Kister, 62, wird der Redakti-
on weiter als Autor angehören.
Erstmals in der Geschichte der SZ soll
nun also eine Frau an der Spitze der Redak-
tion stehen. Judith Wittwer, 42, ist seit
2018 Chefredakteurin desTages-Anzeigers
in Zürich. Zuvor war sie Deutschland-Kor-
respondentin der Schweizer Tageszeitung
und arbeitete als Nachrichtenchefin. Von
2011 bis 2014 war sie Wirtschaftsredakteu-
rin für dieHandelszeitungdes Medienhau-
ses Axel Springer.
Neu in die Chefredaktion haben die SZ-
Herausgeber auch Alexandra Föderl-
Schmid und Ulrich Schäfer als Stellvertre-
ter berufen. Föderl-Schmid, 49, ist derzeit
SZ-Korrespondentin für Israel und die
Palästinensergebiete; zuvor war sie Chefre-
dakteurin desStandardin Wien. Schäfer,
52, ist momentan einer der Nachrichten-
chefs der SZ; zuvor war er Leiter des Res-
sorts Wirtschaft sowie des Großressorts
München, Region und Bayern.

Als Konstante an der Spitze bleibt Wolf-
gang Krach, 56. Er gehört der SZ-Chefre-
daktion seit 2007 an und führt die Redakti-
on seit 2015 gemeinsam mit Kurt Kister.
Das neue Führungsteam soll seine Aufga-
be im Sommer übernehmen und vollstän-
dig integriert arbeiten, also ohne getrenn-
ten Zuständigkeiten für die gedruckte, die
digitale sowie die Online-Ausgabe. Die Be-
rufungen stehen unter dem Vorbehalt,
dass das Gremium der Leitenden Redak-
teurinnen und Redakteure zustimmt, wie
es das Redaktionsstatut derSüddeutschen
Zeitungvorsieht.

Der Vorsitzende des Herausgeberrates,
Johannes Friedmann, dankte Kurt Kister
in einer Stellungnahme am Dienstag für
seine „herausragenden Verdienste“. Kister
sei „ein Journalist, wie es ihn heute kaum
noch gibt: ein exzellenter Schreiber, der
vom ,Streiflicht‘ über die ,Seite Drei‘-Re-
portage und den Leitartikel jede journalis-
tische Form beherrscht, gleichzeitig ein
hervorragender Blattmacher und ein
strikter Verfechter der Interessen seiner
Redaktion“. sz

Große Chance


Der WDR verfilmt Peter Pranges Bestseller „Unsere wunderbaren Jahre“ als glamouröses


Nachkriegsspektakel in drei Teilen – allerdings haben die Schauspieler ein Problem


Ja, das ist wohl eine
ausgemachte Sache, dass es ein
Quotenerfolg werden wird

Elisa Schlott spielt Ulla Wolf, die nach dem Krieg die neue Welt mit offenen Armen empfängt. Gegen all die Opulenz und Klischeehaftigkeit der Verfilmung kommen die
Schauspielerinnen inUnsere wunderbaren Jahreaber kaum an. FOTO: WILLI WEBER/UFA FICTION/WDR/DPA


Neues SZ-Führungsteam


Kurt Kister verlässt die Chefredaktion nach 15 Jahren


Pumuckl und Virologe


Was sich im März anzuhören lohnt


„Ein Journalist, wie es ihn
heute kaum noch gibt“

Die Optik stimmt, sie wird


veredelt von künstlerischen


Unterwasseraufnahmen


DEFGH Nr. 65, Mittwoch, 18. März 2020 (^) MEDIEN 27
PODCASTS DES MONATS


IST DIE 763IAEI.


DEIN TREUESTER -6336>ER


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DAS WÄRE DEIN LEBEN OHNEPRESSEFREIHEIT.

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