Der Stern - 08.04.2020

(Brent) #1

S


tell dir vor, es ist Ostern, und das,
was am besten versteckt ist – ist
die Oma.
Auch das größte christliche Fest
fällt in diesem Jahr ein bisschen
anders aus als sonst. Nach wie vor
gilt das Gebot, sich zum Wohle der Alten
und Schwächeren voneinander fern zu
halten, und das fällt zu Ostern
auch deshalb so schwer, weil
dieses Frühlingsfest für viele
traditionell die erste große Fei-
er seit Weihnachten ist.
Man hat sich ein gutes Vier-
teljahr voneinander erholt und
ausreichend Kraft getankt, um
zwischen Narzissen und Filter-
kaffee auf gelben Tischdecken
einen schönen Eiertanz zu
zelebrieren. Gütige Großeltern
gucken den Kleinen dabei
zu, wie sie liebevoll bemalte
Eier aus dem Rhododendron fi-
schen – oder eine neue Playsta-
tion, denn auch bei diesem Fest
neigen inzwischen alle zu einer
dramatischen Überschenkung.
Aber wie gesagt: nicht in die-
sem Jahr. Abgesagt. Gibt nix.
Wer will das auch: Eier suchen,
Corona finden?
Und es ist ja sowieso der gan-
ze Kalender hin. Allein schon
deshalb, weil Ostern fast über-
all eine Woche nach Ferien-
beginn ansteht. Nun gibt es in
diesem Jahr zwar Ferien – aber
die sind nur theroretisch. In der
Praxis zieht sich der Stress ein-
fach durch. Denn das, was man
sich in einer netten Ferienwoh-
nung in Holland noch ganz
romantisch vorstellt – als Fa-
milie für 14 Tage auf 80 Quadratmetern ab-
gammeln – ist für fünf verpflichtende Wo-
chen auf 67 Quadratmetern in Herne schon
bedeutend weniger amüsant. Man ver-
bringt jeden neuen Tag mit exakt den Men-
schen, die man schon zwei Wochen zuvor
mit dem Monopoly-Spielbrett erschlagen
wollte. Andere, die man vielleicht lieber se-
hen würde, die soll man ja nicht treffen.

Die Gesellschaft beiläufig bekannter
Menschen ist wie Geld: Man hält sie nur
dann nicht für wichtig, wenn man viel da-
von hat. Aber selbst der Papst hat Oster-
versammlungen abgesagt, und das will was
heißen. Stattdessen betet Franziskus gegen
Corona und blickt dabei auf einen leeren
Petersplatz. Wie er da so allein steht auf
dem Balkon, wirkt er wie ein Oppa, der da-

rauf wartet, dass ein netter junger Nach-
bar vorbei kommt und ihn fragt, ob er ihm
nicht ein paar Rollen Klopapier mitbrin-
gen könne.
Wenn die kleine Sophie in diesem Jahr
noch ein bisschen österliches Feeling mit
Omma haben will, sollte sich Großmama
beim Facetimen besser via Insta-Filter ein
paar Hasenohren draufpixeln.
Mehr ist nicht drin.
Wegfahren natürlich auch
nicht. Mein Bruder und seine
Familie wollten, um sich vom
urlaubstechnischen Thomas-
Cook-Desaster im vorigen Jahr
zu erholen, ab Karfreitag nach
Sylt. Dicht. Zumindest die
Sylter haben mal Ruhe vor
den Touristen. Es sei ihnen ge-
gönnt. Aber meiner Familie
wünsche ich künftig ein glück-
licheres Händchen bei der
Ferienplanung.
Ich für meinen Teil verbinde
mit Ostern traditionell einen
Trip nach Holland. Ostern-
Frühling-Holland. Für mich
immer schon eins.
Aber die Holländer werden
dieses Jahr ohne meine aufrei-
zende Frühlingsmode auskom-
men müssen. Es ist alles eine,
zumindest von der Sonne gut
ausgeleuchtete, Tristesse.
So müssen wir als gefühlte
Hausarrestler am Ostersonn-
tag vielleicht ganz besonders
an Jesus denken: Der hat es im-
merhin geschafft, nach Tagen
der Einsamkeit schlussendlich
einen riesigen Stein vor seiner
Höhle beiseitezuräumen und
wieder rauszukommen. Und
der war vorher sogar tot!
Gemessen daran ist der Zustand, in dem
die meisten von uns sich befinden, doch
eigentlich noch ganz okay, oder? 2

Eiersuchen ohne Omma, Kaffeetrinken ohne


Gäste, fünf Wochen zu Hause in Herne statt fünf


Tage auf Sylt – dieses Jahr ist alles anders


Ostern 2020


8.4.2020 59

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Der Autor und Moderator Micky Beisenherz („Das Lachen der Anderen“, „ZDF Heute-Show“, „Extra 3“)
schreibt alle zwei Wochen im stern – und regelmäßig auch bei stern.de

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ILLUSTRATION: DIETER BRAUN/STERN; FOTO: DAVID MAUPILÉ

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