Der Stern - 08.04.2020

(Brent) #1

stehen: Die Felder mussten bestellt wer-


den. Nicht umsonst weisen Heiligtümer


aus der Bronzezeit, wie etwa die Himmels-


scheibe von Nebra, astronomische Kom-


ponenten auf, die den Frühlingsbeginn mit


der Tagundnachtgleiche anzeigen.


Solche Hilfsmittel braucht der Wald

nicht. Buchen zum Beispiel registrieren die


Jahreszeit genauso gut und treiben erst


dann aus, wenn die Tageslänge mindestens


13 Stunden beträgt. Ihre lichtempfind-


lichen Organe, die Blätter, ruhen zu diesem


Zeitpunkt allerdings noch zusammen-


gefaltet in den Knospen. Wie die Bäume


trotzdem sehen können? Vermutlich geben


die durchscheinenden Knospenschuppen


die Antwort. Schauen Sie doch einmal


durch so eine Schuppe und Sie werden


sehen, dass sie leicht transparent ist.


Die frischen Blätter der Laubbäume


haben einer Theorie zufolge sogar einen


Effekt auf die Erddrehung – sie wird mini-


mal abgebremst. Vielleicht kennen Sie das


von einem Karussell: Wenn


Sie die Beine weit nach


außen strecken, dreht es


sich langsamer; ziehen Sie


die Beine an, dann dreht es


sich schneller. Ähnliches pas-


siert auf der Nordhalbkugel.


Mit dem Laubaustrieb der Wäl-


der rutscht der Schwerpunkt


des Waldes entsprechend dem


gesamten Blattgewicht eine


Baumlänge nach oben, entfernt


sich also entsprechend vom Erdmittel-


punkt. Die meisten Laubwälder stehen auf


der Nordhalbkugel, daher ist dieser Effekt


berechenbar (ansonsten würde er sich mit


der Südhalbkugel, auf der jetzt Herbst mit


Laubabwurf ist, aufheben). Er ist aber mit


wenigen Nanosekunden sehr gering und


wird durch andere stärkere Phänomene


überdeckt und aufgehoben.


Doch auch unser Wetter ändert sich mit

dem Austrieb der Laubbäume. Sven Plö-


ger, der Fernsehmeteorologe, erzählte


mir einmal, dass zu diesem Zeitpunkt


eine spürbare Abkühlung feststellbar


sei. Das hänge mit der enormen Wasser-


verdunstung über die Blätter zusam-


men – ein durchaus von den Bäumen ge-


zielt eingesetzter Effekt. Eine alte Buche


kann an einem heißen Tag bis zu 500


Liter Wasser in die Luft entlassen. Die-


ser Effekt führt dazu, dass ein gesamter


Laubwald gegenüber der freien Land-


schaft um bis zu zehn Grad Celsius he-
runterkühlen kann.
Doch noch ist es nicht überall so weit.
Etliche Laubbäume zeigen erst das An-
schwellen der Knospen, gerade in den Wäl-
dern der Mittelgebirge. Müsste die Na-
tur in diesem Jahr nicht viel weiter sein?
Schließlich war der Winter doch sehr
mild – da würde man erwarten, dass die
Bäume auch früher austreiben. Zumindest
bei Buchen ist aber das Gegenteil der Fall.
Je wärmer die kalte Jahreszeit, desto
später treiben sie aus. Es ist, als ob sie den
Winterschlaf im Frühjahr nachholen
müssten. Und schlafen müssen die Bäume!
Aus diesem Grund gelingt es auch nicht,
selbst gezogene Eichen oder Buchen im
Wohnzimmer zu überwintern. Ohne die
winterliche Unterbrechung, ohne eisige
Temperaturen gehen die Sämlinge auf der
Fensterbank unweigerlich ein.

M


anche Wälder wirken gerade, als hät-
te es frisch geschneit. Ein genauer
Blick zeigt, dass es Blütenmeere sind,
die diesen Eindruck erwecken. Millionen
von Buschwindröschen oder Teppiche von
Bärlauch bedecken die Böden, durchsetzt
mit Farbtupfern von Lerchensporn, Schar-
bockskraut oder Veilchen. Was wie ein
Ausdruck von Lebensfreude wirkt, ist
in Wahrheit ein gigantischer Wett-
lauf. Denn diese Frühblüher brau-
chen vor allem eines: Licht. Im Wald
wird es jedoch ab Anfang Mai dun-
kel, wenn die Laubbäume neue Blät-
ter treiben. Bis zu 97 Prozent des Lichts
werden von ihnen geschluckt; lediglich die
Farbe Grün zurückgeworfen. Mit Grün
können Pflanzen nichts anfangen, weil der
Blattfarbstoff Chlorophyll, der bei der Foto-
synthese hilft, überwiegend blaues und
rotes Licht absorbiert. Für uns Menschen
ist es dagegen auch in einem Sommerwald
hell, weil wir auch im Wellenlängenbe-
reich grün gut sehen, für die Frühblüher
herrscht aber schon tiefste Finsternis.
Ihr Farbrausch endet mit der Produktion
von Samen, mit der Einlagerung von Nähr-
stoffen in die Wurzeln und mit der Vorbe-
reitung auf den langen Schlaf bis zum
nächsten Frühjahr.
Auch Igel sind nun aus dem Winter-
schlaf erwacht. Das ist gar nicht so einfach,
wenn man alle Körperfunktionen so sehr
reduziert hat wie sie. Die Körpertempera-
tur fällt im Winter von 35 Grad Celsius bis

Endlich aufgewacht aus
einem kalten Schlaf
Wenn der Frühling kommt,
tauen Igel förmlich auf.
Im Winter war ihre Körper-
temperatur bis auf etwa fünf
Grad abgesunken. Während
des Aufwachens aus
dem langen Schlaf zittern
die Stacheltiere. Der
Stoffwechsel kommt in
Schwung, und schon bald
suchen sich die Igel frische
Nahrung in der Natur

Manche Wälder


wirken, als hätte


es frisch geschneit


78 8.4.2020

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