Süddeutsche Zeitung - 25.03.2020

(Wang) #1
Mamako mamasa maka makossa. Selbst
der, der Kamerun nie auf der Landkarte fin-
den würde, hat den Chant schon gehört.
Wo? Bei Beyoncé? Bei Rihannas „Don‘t
Stop The Music“? Oder in Michael Jack-
sons „Wanna Be Starting Something“? Al-
les möglich, denn: Dieser Chorus wurde
hundertfach von westlichen Pop-Musi-
kern gesamplet oder nachgespielt.

Das 1972er Original aber stammt von ei-
nem Saxofonisten und Sänger aus Kame-
run: von Manu Dibango. Lange bevor das
Wort „Weltmusik“ die Runde machte, fusi-
onierte er James Brown mit den Tanzrhyth-
men seiner afrikanischen Heimat, brachte
er seine große Liebe, den Jazz, mit afroame-
rikanischem Twist und kongolesischem
Rumba zusammen. Ganz abgesehen von
seinen späteren Ausflügen in Reggae, Sal-
sa und Hip-Hop. Manu Dibango war einer
der ersten afrikanischen Künstler, der das
Ethno-Etikett abstreifte. Vorher galt alles
aus Afrika als Folk. Und nun das: Mamako
mamasa ...
Dibangos sonorer Tiefstbass-Chant,
sein Stakkato-Saxofon plus funky Rhyth-

mus machten die Tanzflächen-Hypnose
perfekt. Der Song wurde ein weltweiter Dis-
co- und Pophit – und von zwei Dutzend
Plattenfirmen in Umlauf gebracht, bevor
ihn „Atlantic Records“ offiziell lizenzierte.
Manu Dibango auf seinen größten Hit
zu reduzieren, wäre ungerecht. Als Saxofo-
nist mag er die afrikanische Version eines
King Curtis geben. Seine eigentliche Stär-
ke aber war die Vision eines Afro-Jazz, der
keine nationalen oder Genre-Grenzen
mehr kennt: „Wir sind eine neue Rasse“,
sagte Dibango, der mit glänzender Glatze
und Sonnenbrille stets wie eine Mischung
aus Cool Dude und Dorfältestem rüber-
kam. „Afrikanische Musiker behalten
zwar immer noch ihre Wurzeln, aber sie
sind nun überall auf der Welt daheim. Über-
all und nirgendwo“.
Das verdeutlichte schon „Saxy Party“
sein erstes Album aus dem Jahre 1969, auf
dem er einige Kompositionen als „Afro-
Jerks“ auswies und „I Want To Be Black“
seines einstigen Mitstreiters Nino Ferrer
coverte. Nachdem New Yorker DJs „Soul
Makossa“ groß gespielt hatten, traten
auch die „Fania All Stars“ an ihn heran: Sie
nahmen eine eigene Version des Hits auf,
tourten zwei Jahre lang mit Dibango durch
die Welt, traten mit ihm und Celia Cruz
beim legendären Musikfestival Zaire 74
vor dem „Rumble in the Jungle“ auf.

Dibangos Musiklaufbahn begann in der
protestantischen Kirche. Am 12. Dezember
1933 in Douala, Kamerun, als Kind eines
Staatsdieners geboren, spielte er nach dem
Bibelunterricht heimlich auf dem Harmo-
nium seines Onkels, ein Instrument, das
deutsche Kolonialisten einst ins Land ge-
bracht hatten. Über den von seiner Mutter
geleiteten Kirchenchor kam er zur Klassik:
„Ich bin mit vielen Hallelujas aufgewach-
sen. Wenn ich in einem Ohr die Harmonien
von Bach und Händel höre, höre ich mit
dem anderen kamerunische Chants. Des-
wegen konnte ich stets alles in Stereo statt
Mono hören“.

Mit 15 schickten ihn die Eltern auf eine
Schule nach Frankreich. Dibango kam mit
drei Kilo Kaffee als Geschenk für seine
französische Gastfamilie an – und sollte
sich bald in den Jazzkellern von Paris ver-
gnügen. Wie seine Mitschüler schwärmte
er für Louis Armstrong und Sidney Bechet,
sammelte Vinylplatten und kam – eher
durch einen Zufall – vom Klavier über die
Mandoline zum Saxofon. Ein Glücksfall,
dass er als Kneipenmusiker in Brüssel die
Bekanntschaft mit Joseph Kabasele mach-
te. Denn der kongolesische Bandleader
nahm ihn in seine Band „African Jazz“ auf:
Hier spielte Dibango erstmals afrikanische
Musik. Und verband sie mit Jazz.
Es war der Anfang Dutzender Fusionsex-
perimente. Dazu gehört sein 1979er Reg-
gae-Album mit Sly Dunbar und Robbie
Shakespeare, der Elektro-Jazz mit Herbie
Hancock, die panafrikanische Musik von
„Wakafrika“ mit Yousssou N‘dour, Salif
Keita und King Sunny Ade. Und dann be-
hält sich Dibango vor, ein Konzert, wie im
letzten Jahr in Paris, auch mal mit einem
Kirchenchor zu eröffnen. Letztlich aber
blieb er: Ein Brückenbauer zwischen Euro-
pa, Afrika und Nordamerika. Wer außer
ihm konnte eine Soul-Nummer mit einem
Rumba-Rhythmus unterlegen, eine Elling-
tonische Bläsersektion mit Afro-Chants
und Funk-Bässen zusammenspannen?
Und dann noch einen Bebop-Riff oben-
draufpacken? Gestern ist Manu Dibango in
einem Krankenhaus in Paris einer Infekti-
on mit dem Covid-19 Virus erlegen. Er wur-
de 86 Jahre alt. Getanzt aber wird in sei-
nem Namen garantiert noch lange. Mama-
ko mamasa maka makossa.
jonathan fischer

Jede Zeit hat ihr Medium. Das Medium
der Krise ist der Live-Stream. So viele
livestreamende Musiker wie in den
vergangenen Tagen hat es wahrschein-
lich noch nie gegeben. Einschneidend
sind diese improvisierten Heim-Konzer-
te für den Zuschauer vor allem aus ei-
nem Grund: Sie wirken oft erschre-
ckend dilettantisch, um nicht zu sagen:
normalsterblich. Die Bildqualität ist
schlecht, die Künstler fummeln unge-
schickt an ihren smarten Geräten her-
um, sagen ständig „ähem“ und ihre
Zimmer sind unordentlich und gar
nicht so selten nicht allzu geschmack-
voll eingerichtet. Ein paar Beispiele:
Diplospielt unter weihnachtlichen
Lichterketten wilde Culture-Clash-Sets.
Neil Youngtritt als Gitarrenmann aus
einer rustikal analogen Welt auf: Gum-
mistiefel, Flanellhemd, Feuerstelle am
See. UndJames Blakeschlürft zwi-
schen den Songs verlegen an einer Tee-
tasse. Immerhin hat sein Haus wirklich
schöne Deckenbalken und die Tasse die
selbstironische Aufschrift „Wifey“ –
Ehefrauchen. Vielleicht wird 2020 ja
das Jahr der großen Entzauberung der
Stars. Die Musik funktioniert – egal ob
zarter Falsettgesang oder bollerndes
DJ-Set – zum Glück auch auf diesen
schlecht ausgeleuchteten Bühnen.


Anderenorts im Netz ist die Quarantäne-
Kunst bereits weiter herangereift: „Co-
ronavirus“, der erste Single-Hit der
aktuellen Krise ist eine Dance-Remix
mit laut pumpenden Hip-Hop-Beats
und einer herrlich simplen Textzeile,
die die diffuse Panik dieser Tage auf
eine Weise verdichtet, die Luft für ein
letztes bisschen Lässigkeit lässt: „Coro-
navirus! Coronavirus! / Shit is getting
real!“ Im Original stammt diese von
New YorkerDJ iMarkkeyzgesampelte
und Club-tauglich geremixte Internet-
Weisheit aus einem Instagram-Video
vonCardi B, in dem die Rapperin in
ihrem typischen Dada-Slang und mit
beeindruckend langen Kunstfingernä-
geln über ihre Angst vor dem Virus
spricht. Wie ansteckend dieser Track ist
(in den amerikanischen iTunes-Charts
zwischenzeitlich auf Platz 8), ist dabei
so beruhigend wie bedenklich: Einer-
seits tut es gut, zu wissen, dass in Zeiten
der Pandemie die uns vertrauten vira-
len Mechanismen im Netz weiter funkti-
onieren. Andererseits tauchte auch ein
Handyclip auf, der schlimmer anzuse-
hen ist als ein Verkehrsunfall: Ein vollbe-
setzter Club in Rio de Janeiro tanzt zu
„Coronavirus“. Ähem.


„Gigaton“ (Sony) hält, was man sich
vom elften Album vonPearl Jamver-
sprochen hat: immer noch Unmut über
den Zustand der Welt, immer noch
Rock, oder das, was davon 30 Jahre
nach Grunge noch übrig ist. Auf dem
anachronistischen Terrain haben sich
Pearl Jam eine eigene Nische erfunden:
Sie probieren darin hier und da etwas
Neues, aber auch nicht zu viel, sie sind
politisch durchaus explizit, aber nie
richtig zornig. Und Eddie Vedder singt
über die Schieflage der Welt (Klima!
Hass! Ausbeutung!), was wir alle ahnen:
„It’s going to take
much more than
ordinary love / To
lift this up“ – nur
mit ein bisschen
Liebe wird man das
Ruder nicht rumrei-
ßen.


Unbedingt empfehlen muss man in
dieser Woche eine andere Platte: Dem
Londoner DuoSorrygelingt auf ihrem
Debütalbum „925“ (Domino) Erstaunli-
ches: Die Songs bedienen sich zwar aus
der Vergangenheit – es gibt Grunge-
Riffs, Trip-Hop-Rhythmen, Glam und
Indierock –, haben aber trotzdem eine
rätselhaft originelle und irgendwie
dystopische Textur. Die ergibt sich aus
dem Aufeinandertreffen von eingängi-
gen Melodien und nihilistischer Grund-
stimmung. „I want drugs and drugs and
drugs and drugs, I want love“, geht der
Refrain von „More“: Drogen, Drogen,
Drogen und Liebe. Noch besser sind
aber die vielen unerwarteten Momente:
etwa das schlenkernde Saxofon am
Anfang von „Right Round The Clock“,
das später mit einemTears-For-Tears-
Zitat endet, oder
der Würgelaut, ein
saftiges „uee-
errghhh“, das als
rhythmische Inter-
punktion den Re-
frain von „Star-
struck“ einleitet.


Neues gibt’s auch vonLittle Dragon.
„New Me, Same Us“ (Ninja Tune) heißt
das sechste Studioalbum des schwedi-
schen Bandprojekts um Sängerin Yuki-
mi Nagano. An die Klasse der Platte, die
sie 2011 berühmt machte, „Ritual Uni-
on“, kommen die neuen Songs aller-
dings leider wieder nicht heran. Damals
hing ihr geschmeidiger Synthie-R’n’B-
Pop noch in der aufregenden Schwebe
zwischen Selbsterfindung und Main-
streamkompatibilität. Auf „New Me“
machen sie immer noch alles richtig –
aber eben doch auch etwas zu sehr. Oft
klingt alles so, als wäre die Band spät-
nachts zu pluckernden House-Beats mit
der Janet Jackson der neunziger in den
Whirlpool gestie-
gen. Andererseits
ist für diese Art von
Eskapismus gerade
ja auch irgendwie
die Zeit.
annett
scheffel


Um trotz geschlossener Kinos ihre aktuel-
len Filme zeigen zu können, verlegen etli-
che Verleiher sie auf Streamingplattfor-
men. So auch Rise and Shine Cinema, die
über die Plattform Vimeo die hervorragen-
de Dokumentation „Waterproof“ über selb-
ständig arbeitende Frauen in Jordanien an-
bieten. Der Film ist vorerst bis zum 15. April
dort zu sehen und kostet 9,99 Euro. Die
Einnahmen werden mit Programmkinos
geteilt, um deren Ausfälle zu mildern.
Der Anfang hat Tempo. Khawla, blonde
Mähne, sitzt mit zwei verschleierten Kolle-
ginnen im Auto und fährt durch die Stadt.
Sie frotzeln sich an, rauchen durchs offene
Fenster, singen einen Schlager. Ziel ist ein
Mietshaus, auf dessen Dach ein Wasser-
tank gereinigt werden muss. Und während
die drei ihre Köpfe über dem großen Blech-
kasten zusammenstecken, um zu fach-
simpeln, wird klar: Die Frauen sind Klemp-
nerinnen. Dann gehen sie zu Werk, die Ka-
mera schaut derweil vom Dach weit über
Amman, als wäre sie in einem Western und
wolle zeigen: Das alles gehört zum Reich
dieser Frauen.
Tatsächlich öffnet der Beruf ihnen die
Türen der Stadt. Hier dürfen muslimische
Frauen nicht mit fremden Männern allein
in einer Wohnung sein, was ungünstig ist,
wenn mal ein Handwerker gebraucht wird.
Also ließ Khawla sich zur Klempnerin aus-

bilden, zu einer der ersten in Jordanien,
denn weibliche Handwerker dürfen die
Hausfrauen jederzeit einlassen. Entspre-
chend groß wurde die Nachfrage, also hat
Khawla noch weitere Frauen als Klemp-
nerinnen rekrutiert. Jetzt verbringen auch
ihre Freundinnen die Tage mit dem Werk-
zeugkasten außer Haus.
Daniela Königs Dokumentation „Water-
proof“ begleitet die Frauen zu Reparatu-
ren, geht mit ihnen in Bäder und Küchen,
auf Dächer und Terrassen. Sie zeigt, wie
bei ihrem professionellen Auftritt immer
der Stolz der Selbstbestimmung hervor-
blitzt, den die Kundinnen sofort verstehen.
Aber für den Film hat ihr Job noch einen
anderen Vorteil: Man sieht private Innen-
räume, zu denen Außenstehende sonst
selten Zugang haben. Dazu gehören auch
die Haushalte der Hauptfiguren selbst. Oft
trifft man sie in ihren üppig dekorierten
Wohnzimmern, im Gespräch miteinander,
mit Kindern oder Ehemann. Da merkt
man, dass sie nicht etwa rebellisch leben.
Sie haben, wie alle anderen, eine Familie
zu Hause, nur dass die Familie ihre Emanzi-
pation unterstützt. doris kuhn

Waterproof, D 2019 – Regie und Buch: Daniela Kö-
nig. Kamera: Patrick Richter. Auf Vimeo.com (Rise
and Shine Cinema), 88 Minuten.

von max dax

I


n den frühen Achtzigerjahren schos-
sen neue deutschsprachige Bands wie
Pilze aus dem Boden. Unter ihnen: das
Düsseldorfer DuoDeutsch Amerikanische
Freundschaft (DAF)um Robert Görl (Elek-
tronik) und Gabriel „Gabi“ Delgado-López
(Texte, Gesang und Schlagzeug). Beide hat-
ten sich 1979 im Ratinger Hof, dem Treff-
punkt der lokalen Punks sowie der Maler
der Kunstakademie kennengelernt.
Der „Hof“ wurde betrieben von Carmen
Knoebel, deren Mann Imi die ehemalige
Altbierkneipe in der Düsseldorfer Altstadt
über Nacht in einen neonbeleuchteten Whi-
te Cube umgewandelt hatte. Zwei Welten
prallten dabei im kalten Licht der Nächte
dort aufeinander: Die Suche nach neuen
Wegen in der Kunst und die Abenteuer-
lust, in deutscher Sprache zu singen.

Indem Görl und Delgado nicht einen
Gedanken daran verschwendeten, sich an
angloamerikanischen Vorbildern aus der
Beatmusik oder dem Blues zu orientieren,
betraten sie neues Terrain. DAF vermeng-
ten – anfangs noch als Quintett – auf ihren
ersten beiden Alben „Produkt der Deutsch
Amerikanischen Freundschaft“ (1979) und
„Die Kleinen und die Bösen“ (1980) Ideen
der Musique concrète mit Marschmusik-
rhythmen, verzerrten Gitarren und stak-
katohaften Synthesizersequenzen zu einer
neuen, noch sperrigen Musik.
Geschrumpft zum Duo, verfeinerten
Görl und Delgado die Musik von DAF von
anfangs noch fragmentarischen Improvi-
sationen hin zu einer neuen Idee von Pop,
wie sie die Welt bis dahin noch nicht gehört
hatte.
In vielen ihrer Songs verzichteten sie
ganz auf herkömmliche Strukturen. DAF
gelten deshalb als frühe Paten der erst ein
Jahrzehnt später beginnenden Techno-Re-
volution.
Mit „Alles ist gut“, „Gold und Liebe“ (bei-
de 1981) und „Für immer“ (1982) ver-
öffentlichten DAF in sehr kurzer Zeit eine
Trilogie von epocheprägenden Alben. Zu
internationalen Stars wurden sie nicht
zuletzt, weil sie ihre neue Tanzmusik mit
der Ästhetik der Schwulen- und der Sado-
maso-Szene kreuzten.
Delgado, geboren am 18. April 1958 in
Córdoba in Spanien, schrieb die Texte: „Als
ich mit acht Jahren nach Deutschland
kam, konnte ich kein einziges Wort. Schon
durch diese Distanz hatte ich einen ande-
ren Blick auf die Sprache. Und als es dann
darum ging, in Deutsch für DAF zu texten,

benutzte ich ausnahmslos Wörter, die für
mich sexy, lautmalerisch und vor allem
deutsch klangen. Es ging gar nicht so sehr
darum, was diese Worte genau bedeuten.
Mir war schnell klar: ,Mussolini‘, ,Lippe auf-
gebissen‘ oder ,Ficken‘ – das waren Worte,
bei denen keiner neutral bleibt.“
Eine klare Untertreibung. Delgados
pointierter Gebrauch der deutschen Spra-
che verblüfft bis heute.
Seine Texte wirkten in ihrer Verdich-
tung auf stets das Mindestmögliche wie
ein Amalgam aus konkreter Poesie und

militärischen Appellen. Zu Delgados
bekanntesten Miniaturen gehörten die im
Befehlston gerufenen Zeilen: „Verschwen-
de deine Jugend!“, „Tanz den Mussolini!“
oder „Alle gegen Alle!“ – stets intoniert mit
einem sicheren Gespür für Tabubruch und
Provokation. Er konnte allerdings auch
berührende Balladen, freilich mit explizit
sexuellem Unterton.
In Liedern wie „Der Räuber und der
Prinz“ oder „Prinzessin“ kreuzte Delgado
Grimm’sche Märchenstoffe mit schwulen
erotischen Fantasien. Als sein bester Song

gilt vielen „Ich und die Wirklichkeit“. In we-
nigen Zeilen brachte Delgado die deutsche
Selbstbefindlichkeit Anfang der Achtziger
auf den Punkt: „Ich und ich / Im wirkli-
chen Leben / Ich und ich / In der Wirklich-
keit / Ich fühle mich so seltsam.“
Gabi Delgado, der mit seiner neuen
Songlyrik und seiner neuen Musik Genera-
tionen von Bands und Musikern nicht nur
in Deutschland beeinflusst und geprägt
hat, erweiterte den Horizont. Er verstarb
überraschend am Montag, im Alter von
gerade einmal 61 Jahren.

„Als ich mit acht Jahren nach
Deutschland kam, konnte
ich kein einziges Wort.“

Manu Dibango: „Afrikanische Musiker behalten ihre Wurzeln, aber sie sind nun
überall auf der Welt daheim. Überall und nirgendwo.“ FOTO: RODGER BOSCH / AFP

Bach, Händel und ein Halleluja


Der große Musiker und Brückenbauer Manu Dibango ist gestorben


Getanzt wird in
seinem Namen garantiert
noch lange

Dibangos Musiklaufbahn
begann in der
protestantischen Kirche

Hausfrauen in Amman dürfen keine Handwerker in die Wohnung lassen, deshalb
gibt es jetzt erfolgreiche Handwerkerinnen: Szene aus „Waterproof“. RISE AND SHINE

Profis mit Rohrzange


Die Doku „Waterproof“ zeigt starke Jordanierinnen


„Verschwende deine Jugend!“ – Gabi Delgado während eines Auftritts in Berlin.FOTO: ROLAND OWSNITZKI / IMAGO

Der Räuber und der Prinz


Gabi Delgado ist tot. Mit seiner Band „DAF“ revolutionierte er nicht nur


die deutsche Popmusik. Und seine Songtexte verblüffen bis heute
Lange bevor der sehnlichst erwartete
letzte Teil von Hilary Mantels Thomas-
Cromwell-Trilogie in Großbritannien er-
schien, war der Hype immens: Erst heizte
eine mysteriöse Holztafel mit einer Tudor-
Rose am Leicester Square Gerüchte an,
Mantel sei fast fertig mit dem neuen Opus.
Dann berichtete das FachmagazinThe
Bookseller, ein kurzes Verlagsvideo mit
Impressionen des Covers – blaue Wellen,
die durch Waldgrün brechen – und Zitaten
aus dem zukünftigen Bestseller sei inner-
halb von 24 Stunden mehr als 10 000-mal
aufgerufen worden. Noch vor dem Erschei-
nungsdatum am 5. März überschlugen
sich britische Kritiker vor Begeisterung.
DerDaily Telegraphverglich „The Mirror
& the Light“, in dem die letzten vier Lebens-
jahre des Beraters von Heinrich VIII. und
die Zustände bei Hofe in komplexer und
poetischer Detailarbeit abgehandelt wer-
den, mit Tolstois „Krieg und Frieden“. Und
derEvening Standardbeschloss, selbstre-
dend verdiene das neue Opus von Hilary
Mantel den Booker Preis, den wichtigsten
Literaturpreis des Landes – wie die beiden
Vorgänger „Wolf Hall“ (2009) und „Bring
Up the Bodies“ (2012) zuvor auch.
So viel Marketing und Lob war selten.
Die Vorbestellungen explodierten. Und
auch Nachbestellungen der ersten zwei
Bände (auf Deutsch: „Wölfe“ und „Falken“)
gingen durch die Decke. Die historischen
Romane, die Anfang des 16. Jahrhunderts
spielen und im Zentrum nicht etwa den
bedeutenderen, späteren Lordprotektor
Oliver Cromwell, sondern den zum Lord
aufgestiegenen Sohn eines Schmieds, Tho-
mas, zum Thema haben, kommen mittler-
weile auf eine Auflage von 1,5 Millionen.
Als das Buch auf den Markt kam, strahl-
te der Verlag Mantel zu Ehren sogar den
Tower of London an. Zeitweilig gab es kein
Halten mehr: alle sieben Sekunden ging,
Medienberichten zufolge, ein Exemplar
von „The Mirror & the Light“ über den
Ladentisch.
Mantel ist auf der Insel so populär wie
umstritten: als Autorin ist sie international
erfolgreich. Als Intellektuelle, Monarchie-
Kritikerin undpolitical animalmit sehr
dezidierten Ansichten über die britische
Gesellschaft wird sie regelmäßig beleidigt
und angegriffen. Viele Fans mögen ihr
nicht verzeihen, dass sie die Duchess of
Cambridge, Kate Middleton, einst als
„Schaufensterpuppe ohne Persönlichkeit“
beschrieben, den Umgang der Briten und
des Hofs mit Meghan Markle indes als
rassistisch bezeichnet hat.
Mantel ist kein einfacher Star. Sie ist
offensiv geschäftstüchtig. Sie ist Feminis-
tin. Und sie ist wütend. Auf Ärzte, die ihren
Körper misshandelten, auf Männer, die ihr
vom Schreiben abrieten. Darüber schreibt
sie nicht nur, sie spricht darüber. Derzeit
ist sie die vielleicht spannendste Frau im
Königreich. cathrin kahlweit

10 HF2 (^) FEUILLETON Mittwoch, 25. März 2020, Nr. 71 DEFGH
POPKOLUMNE SCHAUPLATZ LONDON
Die spannendste Frau
im Königreich

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