Süddeutsche Zeitung - 25.03.2020

(Wang) #1
von jan willmroth

P


eter Altmaier will nicht über Ge-
spenster diskutieren, und das darf
man ihm auch nicht verübeln. Es
gibt so viel zu besprechen und zu ent-
scheiden, Milliardenhilfen hier, KfW-Pro-
gramme da, einen Rettungsfonds gegen
feindliche Übernahmen deutscher Kon-
zerne. Für längst zu Ende geführte Debat-
ten ist da keine Platz. Im Angesicht der
Krise wieder über Eurobonds sprechen,
so wie vor zehn Jahren nach der Finanz-
krise? Für den Bundeswirtschaftsminis-
ter ist das eine „Gespensterdebatte“, mit
der man keine Zeit vergeuden sollte.
Der Minister irrt, und mit ihm irren all
jene, die jetzt die Sprache der ordnungs-
politischen Besitzstandswahrer spre-
chen. In dieser weltweiten Jahrhundert-
krise, die alle europäischen Länder gleich-
zeitig trifft, darf nicht gegeneinander
aufgerechnet werden, wer vermeintlich
besser gewirtschaftet hat, seine Staats-
finanzen besser im Griff, die Eurokrise
länger hinter sich gelassen. Überall dort,
wo das Virus Existenzen zerstört und in-
takte Geschäftsmodelle bedroht, müssen
öffentliche Gelder das Schlimmste ver-
hindern. Das ist unvorstellbar teuer, es
kostet so viel, dass es die Haushalte man-
cher EU-Staaten überfordern wird.
Eine neue Euro-Staatsschuldenkrise
darf sich Europa aber nicht leisten. Die
Gefahr ist real, sie ist trotz der großen Un-
sicherheit in der momentanen Lage ab-
sehbar, und sie ist viel größer als zur Zeit
der Finanzkrise 2008. Deshalb ist jetzt
die Zeit, gemeinschaftliche Anleihen zu
begeben, damit die Eurozone für alle Fäl-
le gerüstet ist. Jetzt ist die Zeit, die Fehler
der Vergangenheit zu vermeiden, als man
zu spät auf schon eingetretene Schäden
reagiert hatte und es der EZB unter Mario
Draghi überließ, die Eurozone vor dem
Auseinanderbrechen zu bewahren. Um
die jetzige Krise in den Griff zu bekom-
men, braucht es Corona-Bonds.


Solche Gemeinschaftsanleihen wären
zunächst ein starkes Signal an die Kapital-
märkte. Die Eurozone würde frühzeitig
ihre Handlungsfähigkeit demonstrieren,
den Willen, die Währungsunion abzu-
schirmen gegen die Folgen des Virus. Der
Gefahr, dass Investoren das Vertrauen in
die Schuldentragfähigkeit von Staaten
wie Griechenland oder Italien verlören,
wäre nach dem Vorpreschen der EZB da-
mit zusätzlich vorgebeugt. Gleichzeitig
wären die neu geschaffenen Wertpapiere
so sicher wie Bundesanleihen, sie wür-
den Banken helfen, stabil durch die Krise
zu kommen. Die Gefahr einer Bankenkri-
se würde also gleich mit verringert.
Corona-Bonds würden auch die Staats-
haushalte etwa von Italien und Spanien
frühzeitig entlasten, von jenen Ländern,
die jetzt besonders vom Virus getroffen
sind. Man darf Staaten mit höheren Schul-
denquoten und Strukturproblemen, die
mühsam sich aus der vorigen Krise ge-
kämpft haben, jetzt nicht für den Aus-
bruch des Virus bestrafen. Jede Krisenhil-
fe muss bedingungslos gezahlt werden.
Insofern ist es ein guter erster Schritt und
ein starkes Signal, wenn der Rettungs-
schirm ESM für Investitionen ins Gesund-
heitssystem Kredite ohne die üblichen
Auflagen vergibt. Es ist richtig, die EU-
Schuldenregeln außer Kraft zu setzen für
die Zeit der Krise. Aber diese für sich ge-
nommen großen Schritte reichen nicht,
sie sind zu sehr national begrenzt.
Allein echte Eurobonds würden den
unbegrenzten Finanzrahmen ermögli-
chen, den es jetzt braucht – wenn schon
keine weltweite Antwort auf eine Welt-
krise möglich ist, dann braucht es wenigs-
tens ein starkes europäisches Signal.
Wem hilft das deutsche Selbstlob unter
Verweis auf den streng geführten Haus-
halt, wenn zugleich die Euro-Zone vor ei-
ner Zerreißprobe steht? Deutschland und
die ebenso skeptischen Niederlande ha-
ben es in der Hand, diese Zerreißprobe zu
verhindern. Die Corona-Bonds ließen
sich so konstruieren, dass niemand den
Einstieg in eine auf Dauer angelegte Ge-
meinschaftshaftung befürchten muss –
etwa, indem der ESM sie begibt und mit
dem Geld einen Notfallfonds befüllt, so
wie das unlängst eine ungewöhnlich brei-
te Ökonomen-Allianz vorgeschlagen hat.
Wobei gerade der Einstieg in eine ge-
meinsame EU-Finanzpolitik eine große
Chance ist, die in dieser Krise liegt. Coro-
na-Bonds als Nukleus dafür: Das klingt
überhaupt nicht gespenstisch.


DEFGH Nr. 71, Mittwoch, 25. März 2020 HF2 15


München– Es ist die Zeit der großen Hilfs-
programme. Bund und Länder kündigten
in den vergangenen Tagen Zuschüsse, Kre-
dite und andere Formen der Unterstüt-
zung für Unternehmen an, die durch die Co-
rona-Epidemie in Not geraten. Welche Fir-
men können jetzt welche Hilfe beantra-
gen? An wen müssen sie sich wenden?
Und: Wie viel Geld gibt es? Ein Überblick:

Soforthilfe für Kleinunternehmer


Der Bund kündigte am Montag an, dass er
für Firmen mit bis zu fünf Beschäftigten
9000 Euro Soforthilfe bereitstellt, für bis
zu zehn Beschäftigte 15 000 Euro. Voraus-
setzung sind „wirtschaftliche Schwierigkei-
ten in Folge von Corona“, die im Antrag ver-
sichert werden müssen. Das Unternehmen
darf vor März 2020 nicht in wirtschaftli-
chen Schwierigkeiten gewesen sein, der
Schaden muss nach dem 11. März 2020 ein-
getreten sein. Die Anträge sollen über Län-
der und Kommunen gestellt werden.

Doch die Auszahlung ist nicht einfach.
Anders als etwa beim Kurzarbeitergeld,
das in der Krise 2008 und 2009 schon ein-
mal gezahlt wurde, gibt es bei den Soforthil-
fen keine Erfahrungen vor Ort. Die Länder
müssen erst selbst die Strukturen schaf-
fen, um die Gelder auszahlen. Denn der
Bund kann solche Hilfen zwar beschließen
und finanzieren. Eine Stelle, die sie schnell
und unbürokratisch an lokale Kleinunter-
nehmen auszahlen könnte, hat er nicht.
Ziel sei, die Förderbanken der Länder mit
der Auszahlung zu betrauen, heißt es aus
Regierungskreisen.
Die Bundesländer haben zum Teil eige-
ne Programme für Kleinunternehmen auf-
gelegt, die nun mit den Hilfen des Bundes
verzahnt werden. Beispiel Bayern: Der Frei-
staat kündigte schon in der vergangenen
Woche ein eigenes Soforthilfe-Programm
für Kleinunternehmer und Freiberufler
an. Betriebe mit bis zu fünf/zehn Mitarbei-
tern erhalten 9000/15 000 Euro wie beim
Bundesprogramm, zusätzlich gibt es bis zu
30 000 Euro für Betriebe mit elf bis 250 Be-
schäftigten. Den Antrag stellen Unterneh-
men bei der Bezirksregierung ihres Fir-
mensitzes, also bei der Regierung von Mit-
telfranken, Schwaben oder Oberbayern, in
München beim Referat für Arbeit und Wirt-
schaft der Landeshauptstadt. Erste Sofort-
hilfen sind bereits geflossen. Anträge kön-
nen bis 31. Oktober gestellt werden.
Baden-Württemberg teilte am Dienstag
mit, dass es ebenfalls 9000/15 000 Euro So-
forthilfe zahlt für Betriebe bis fünf/zehn
Mitarbeiter, außerdem bis zu 30 000 Euro
für Unternehmen bis 50 Beschäftigten.
Der Antrag ist bei den regionalen Wirt-
schaftskammern einzureichen, er kann im
Internet unter wm.baden-wuerttem-
berg.de heruntergeladen werden. Nord-
rhein-Westfalen stockt die Bundeshilfe für
Kleinunternehmen mit 10 bis 50 Beschäf-
tigten auf 25 000 Euro auf. Informationen
über das Vorgehen anderer Bundesländer
sollten bald auf den Internetseiten der je-
weiligen Ministerien für Finanzen, Arbeit
oder Wirtschaft zu finden sein.
Wichtig: Die Obergrenze richtet sich je-
weils nach dem konkreten Liquiditätsbe-
darf, der durch die Corona-Krise eingetre-
ten ist. Und: Bei den Soforthilfen handelt
es sich um keinen Kredit, sondern um ei-
nen Zuschuss. Das heißt: Das Geld muss
nicht zurückgezahlt werden.

Kredite der Kf W


Abgesehen von den Soforthilfen können
Unternehmen auch Kredite bei den staatli-
chen Förderbanken beantragen. Der An-
trag dafür muss bei der Hausbank gestellt
werden. Die Bundesregierung hat die Be-
dingungen für Kredite der bundeseigenen
KfW nochmals verbessert. Bei kleinen und
mittleren Firmen (bis 50 Millionen Euro
Umsatz und 250 Mitarbeitern) übernimmt
der Bund 90 Prozent der Haftung statt bis-

lang 80 Prozent. Den Rest übernimmt die
Hausbank. Bei Krediten bis drei Millionen
Euro prüft nur die Hausbank das Risiko;
die KfW verzichtet auf eine eigene Prü-
fung. Die Kredite gelten auch für Betriebs-
mittel, also Mieten und Personalkosten.
Kleine und mittlere Unternehmen zah-
len je nach Laufzeit 1,00 bis 1,46 Prozent
Zinsen, größere Unternehmen 2,00 bis
2,12 Prozent. Ganz ohne Zinsen hätte Brüs-
sel das Programm womöglich als staatli-
che Beihilfe gewertet. Beantragen können
die Kredite alle Unternehmen, die bis 31.
Dezember 2019 nicht in wirtschaftlichen
Schwierigkeiten waren. Der Kreditbetrag
ist begrenzt, zum Beispiel auf 25 Prozent
des Jahresumsatzes für 2019. Für den An-
trag braucht es den Jahresabschluss für
2019, teilweise auch für 2018. Verweigert
die eigene Bank den Kredit, kann der Unter-
nehmer zwar vor Ort zu einer anderen
Bank oder Sparkasse gehen, als Neukunde
dürfte es dort aber schwierig werden. Ban-
ken und Sparkassen haben zwar verspro-
chen, ihren Kunden zur Seite zu stehen.
Die ein oder andere Firma aber klagt be-
reits, dass Institute ihre Anträge mit Blick
auf die Kreditwürdigkeit ablehnen.

Kredite der Landesförderbanken


Nicht nur der Bund, auch die Länder haben
Kreditprogramme aufgelegt, die über die
jeweiligen Landesförderbanken abgewi-
ckelt werden. Einige von ihnen haben we-
gen der Corona-Krise die Kreditsummen
nun erhöht und die Zinssätze verringert.
Zum Teil dürften die Zinskonditionen der
KfW allerdings günstiger sein als die der
Länderinstitute. Auch für diese Kredite ist
die Hausbank der erste Ansprechpartner:
Sie beraten dazu, welches Programm am
besten passt und ob sich Förderprogram-
me auch kombinieren lassen. Das Land
Hessen bietet zum Beispiel Kredite über
die WIBank und die Bürgschaftsbank Hes-
sen an; Baden-Württemberg vergibt Kredi-
te über die L-Bank und Bayern über die För-
derbank LfA. Informationen zu den ver-
schiedenen Programmen gibt es auf den In-
ternetseiten der Landesförderbanken..

Kurzarbeitergeld


Kurzarbeit können alle Unternehmen be-
antragen, die nicht genug Arbeit für ihre
Mitarbeiter haben – selbst wenn sie nur ei-
nen Angestellten haben. Anlaufstelle für
Unternehmen ist die örtliche Arbeitsagen-
tur; viele Informationen und Vordrucke
gibt es auf der Internetseite der Bundes-
agentur für Arbeit (BA). Wegen der Corona-
Krise wurden die Voraussetzungen von der
Politik zuletzt deutlich gelockert – rückwir-
kend zum 1. März. Es reicht seither, dass
zehn Prozent der Mitarbeiter wegen ge-
kürzter Arbeitszeiten einen Arbeitsentgelt-
ausfall von zehn Prozent haben. Zudem be-
kommen die Unternehmen die Beiträge
zur Kranken-, Pflege- und Rentenversiche-
rung auf die ausgefallenen Arbeitsstunden
von der BA vollständig erstattet; die Beiträ-
ge zur Arbeitslosenversicherung entfallen.
Auch für Leiharbeiter kann jetzt Kurzar-
beit beantragt werden. Vor dem Antrag
muss der Betrieb den Beschäftigten seine
Pläne ankündigen. Manchmal ist eine Ver-
einbarung mit dem Betriebsrat notwen-
dig, ansonsten müssen die Arbeitnehmer
zustimmen. Die Arbeitsagentur prüft die
Voraussetzungen. Bewilligt sie den Antrag,
müssen Arbeitgeber die Auszahlungen be-
rechnen. Dabei kann der Steuerberater hel-
fen. Das Kurzarbeitergeld beträgt 60 Pro-
zent des entgangenen Nettoarbeitsent-
gelts. Hat ein Mitarbeiter Kinder, sind es
67 Prozent. In einigen Branchen und Unter-
nehmen regeln tarifvertragliche Vereinba-
rungen, dass die Firma das Kurzarbeiter-

geld aufstockt, damit die Lohneinbußen
für Beschäftigte nicht zu hoch ausfallen.
Am Ende zahlt das Unternehmen den Lohn
für die restliche geleistete Arbeit plus das
errechnete Kurzarbeitergeld. Für Letzte-
res beantragt es dann bei seiner Arbeits-
agentur eine Erstattung, rückwirkend für
den vergangenen Monat. Genehmigt wer-
den kann Kurzarbeit derzeit für höchstens
ein Jahr; Unterbrechungen verlängern die
Laufzeit. Gezahlt wird es frühestens von
dem Monat an, in dem es beantragt wurde.

Stundung von Steuern


Die Finanzämter können Einkommen-,
Körperschaft- und Umsatzsteuer stunden,
also vorläufig darauf verzichten, sie einzu-
ziehen. Außerdem ist es möglich, die Vor-
auszahlungen der Gewerbesteuer auf null
zu setzen. Ansprechpartner ist das jeweils
zuständige Finanzamt. Voraussetzung:
Das Unternehmen muss glaubhaft ma-
chen, dass die Corona-Epidemie Ursache
für die fehlende Liquidität ist. Die Meldun-

gen für die Lohnsteuer und die Umsatzsteu-
er müssen weiter pünktlich beim Finanz-
amt eingehen, auch wenn es nur Nullsum-
men sind. Hier ist der 10. April der nächste
Stichtag. Die Politik kündigte an, Stundun-
gen für die Umsatzsteuer ohne Komplikati-
onen zu genehmigen. Sie müssen aber
rechtzeitig beantragt werden.

Stundung von Sozialbeiträgen


Unternehmen müssen bei einer finanziel-
len Notlage wegen der Corona-Krise zu-
nächst auch keine Sozialversicherungsbei-
träge abführen. Auf Antrag des Arbeitge-
bers könnten die Beiträge bis Mai gestun-
det werden, hieß es am Dienstag in Kreisen
der Sozialversicherungsträger. Turnusge-
mäß sind die Beiträge für Kranken-, Ar-
beitslosen-, Renten- und Pflegeversiche-
rung an diesem Freitag fällig. Eingezogen
werden sie von der gesetzlichen Kranken-
versicherung. Es handelt sich um insge-
samt rund 40 Milliarden Euro.

Schluss mit Rabatten


Erste Händler verzichten


auf Rabatte. Wirklich um


Hamsterkäufe zu bremsen? 18


Was Handy-Ortung bringt


Die Mehrheit der Deutschen hätte


nichts dagegen. Datenschützer


warnen allerdings 19


Aktien, Devisen und Rohstoffe 20,


 http://www.sz.de/wirtschaft


Hilfe!


Bund und Länder kündigen Milliarden-Programme für Unternehmen an.
Einige Details sind noch offen. Was bekannt ist, wo es
Unterstützung gibt und wer Geld bekommt – ein Überblick

EUROBONDS

Gar nicht


gespenstisch


HEUTE


WIRTSCHAFT


von michael bauchmüller,
harald freiberger,
stefan mayr, henrike rossbach
und meike schreiber

Abstand halten: Auch vor dem berühmten Imbiss Konnopke im Berliner Stadtteil Prenzlauer Berg stehen die Menschen nicht mehr Schlange. FOTO: CARSTEN KOALL/DPA

Eine neue


Euro-Staatsschuldenkrise darf


sich Europa nicht leisten


Die Bundesregierung hat ein Maßnahmenpaket


beschlossen, mit dem Unternehmen bei der Bewältigung


der Corona-Krise unterstützt werden.


Die KfW versorgt Unternehmen kurzfristig mit Liquidität.


Die Kredite können über die Hausbank bzw. über Finanzie-


rungspartner beantragt werden.


Weitere Informationen dazu unter:


kfw.de/coronahilfe


Corona-Hilfe


der KfW


Kredite für


Unternehmen

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