von anna steinbauer
D
ie Gelegenheit, in die Rolle des ärgs-
ten Peinigers aus der eigenen Kind-
heit zu schlüpfen, bekommt man
selten. Dazu muss man entweder eine The-
rapie machen. Oder Schauspieler sein, wie
Jeff Wilbusch. Der 32-jährige Israeli ist ab
Donnerstag als ultraorthodoxer Jude Mois-
he in der Netflix-SerieUnorthodoxzu se-
hen. Darin macht er sich mit seinem Cou-
sin auf die Suche nach dessen ausgebüxter
Ehefrau.
Das Aberwitzige an Wilbuschs Geschich-
te ist, dass er als Schauspieler am Anfang ei-
ner internationalen Film- und Fernsehkar-
riere also einen skrupellosen Typen spielt.
Einen, wie er ihn aus seiner Vergangenheit
nur zu gut kennt, weil er selbst in einer ul-
traorthodoxen Gemeinschaft aufgewach-
sen ist, aus der er mit gerade mal 13 Jahren
ausbrach. Wilbusch erzählt seine Geschich-
te bei einem gemeinsamen Streifzug durch
Berlin.
Seit zweieinhalb Jahren lebt er in der
Stadt. Die Sätze sprudeln, Wilbusch
schweift oft ab. Seine Stimme klingt dun-
kel und voll, immer wieder zitiert er Sprü-
che aus der Thora auf Jiddisch und aramä-
isch. Man spürt, dass es ihm schwerfällt,
seine Geschichte zu erzählen. Und die Ge-
schichte seines Widersachers, dessen Posi-
tion er für die Serienrolle übernimmt. Letzt-
lich führen beide Geschichten weit zurück
in die Vergangenheit, in Kindheiten in ei-
ner ultraorthodoxen Gemeinde.
Im indischen Restaurant die Ouvertüre:
die Vorgeschichte sämtlicher illusterer Vor-
fahren. In Wilbuschs Neuköllner Lieblings-
café und einer türkischen Bäckerei folgt die
Geschichte der Eltern, die zum orthodoxen
Judentum konvertiert sind. Als die Bäcke-
rei schließt, scheint dem Schauspieler der
McDonalds am Hermannplatz der richtige
Platz für die sehr schmerzhaften Kindheits-
erinnerungen zu sein. Bei grellem Neon-
licht und grünem Tee aus Pappbechern sit-
zen rundherum arabischsprechende Män-
ner, eine weinende Frau mit einem riesigen
Koffer, Teenager mit ihren Smartphones.
In diesem geschäftigen Transitraum, in
dem ein grimmiger Security-Mann Gäste
ermahnt, wenn sie nichts bestellen, erzählt
der große dunkelhaarige Mann seine Ge-
schichte schließlich zu Ende.
Dass er so intensiv mit seinen Erinnerun-
gen konfrontiert wurde, hing mit zwei Frau-
en zusammen, Anna Winger und Alexa Ka-
rolinski, den Autorinnen des großen Serien-
projekts. Sie waren auf der Suche nach
Schauspielern, die Jiddisch sprechen, er-
zählt Wilbusch. Als sie ihm bei einem Tref-
fen die Handlung vonUnorthodoxpräsen-
tierten, habe er sofort gesehen, wie sehr die
Geschichte seine eigene spiegelt. Die Serie
beruht auf Deborah Feldmanns gleichnami-
gem autobiografischen Bestseller, in dem
die Autorin ihren Ausstieg aus der ultraor-
thodoxen Gemeinschaft beschreibt.Uno-
rthodoxspinnt Feldmanns Memoiren wei-
ter, springt zwischen der Vergangenheit
der Hauptfigur Esty (Shira Haas), ihrer ul-
traorthodoxen Vergangenheit als Ehefrau
in den dunklen Williamsburger Innenräu-
men und der freizügigen Gegenwart hier
im hippen Multikulti-Berlin hin und her.
Und gibt beklemmende Eindrücke von der
abgeschotteten Lebenswelt, in der die Frau-
en als Gebärmaschinen dienen, „um die
sechs Millionen zurückzuholen“, wie Etsy
es einmal formuliert, aber auch berühren-
de vom Zusammenhalt dieser Gemein-
schaft. Es geht darum, wie schwierig es ist,
sich aus dieser zu lösen, wie Estys ebenfalls
ausgestiegene Mutter feststellt: „Es gibt im-
mer einen Moishe, der einen verfolgt und
einem glauben macht, dass man es nicht
schafft, in der Welt außerhalb der Commu-
nity zu überleben.“
Moishe sei in der Serie so etwas wie der
„Mann für die dreckigen Angelegenhei-
ten“, sagt Wilbusch. Dieser werde vom Rab-
bi immer dann eingesetzt, wenn in der ul-
traorthodoxen Satmar-Gemeinde in Willi-
amsburg, New York, etwas schieflaufe. „Ei-
ne tragische Figur. Ein Getriebener, ein
Spieler. Er hat beide Welten gesehen, aber
erkannt, dass er es nicht allein schafft. Au-
ßerhalb der Gemeinde fällt er in die Sucht.
Denn niemand wartet da draußen auf ihn.“
Eine Figur, in der sich die gesamte Ambiva-
lenz des orthodoxen Judentums spiegelt.
Mehrmals, sagt Wilbusch, hätten Leute wie
Moishe versucht, ihn nach seinem Ausstieg
zu manipulieren, emotional zu erpressen
und zur Umkehr zu bewegen.
Mit 13 Jahren kehrte der in Haifa gebore-
ne Isroel Iftach Wilbuschewitz seinen El-
tern und den damals neun jüngeren Ge-
schwistern (heute sind es 13) den Rücken.
Er hielt es einfach nicht mehr aus in Mea
Shearim, dem Viertel in Jerusalem, in dem
die Ultraorthodoxen abgeschottet leben, so
erzählt er es heute. Seine Eltern waren hier
selbst lange Fremde. Sie waren jüdischen
Glaubens, Kinder von Holocaustüberleben-
den, stammten aber aus Kreisen, wo der
Glaube kaum praktiziert wurde. Beide wa-
ren „mit großer Kälte und narzisstischen El-
tern“ aufgewachsen, sagt Wilbusch. Der Va-
ter traumatisiert, er hatte im Libanonkrieg
gekämpft. Beide suchten nach Halt, sie fan-
den ihn schließlich in der Religion.
Von früh an hatte er das Gefühl, dass die-
se Eltern mit ihm, dem aufgeweckten Jun-
gen, nicht zurechtkamen. Zu neugierig, zu
wissbegierig, zu frech. Seine Kindheit be-
stand aus paradoxen Regeln, die er nicht be-
griff: „Katzen sind so süß, wieso darf ich sie
nicht streicheln? Oder: Wieso muss ich von
morgens bis abends in der Schule stillsit-
zen, obwohl ich den Stoff schon verstehe?
Ich wollte nicht provozieren, ich habe nur
echte Fragen gestellt“, sagt Wilbusch. Die
Überforderung mit ihrem ältesten Sohn
hätten die Eltern mit übermäßiger Strenge
und Härte kompensiert, detaillierter will er
sich dazu nicht äußern. Und weil aus ihrer
Sicht der Makel ihrer – aus orthodoxer
Sicht minderen – Herkunft auf der Familie
lastete, versuchten sie diesen durch beson-
dere Frömmigkeit wettzumachen.
Die Wilbuschewitz hätten ein radikales
Orthodoxisierungs-Programm inklusive
Kindererziehung auf Jiddisch durchgezo-
gen, erzählt Wilbusch. „Meine Eltern woll-
ten unbedingt, dass wir Kinder Jiddisch
sprechen, bekamen es selbst aber nicht gut
hin. Ich habe mich immer für das Jiddisch
meines Vaters geschämt. Wir waren nie zu-
gehörig.“ Ein Gefühl, das er bis heute nicht
ganz abgelegt hat, wie er sagt.
Dann zeigt das Foto von einem kleinen
orthodoxen Jungen mit Kippa, der unglück-
lich und ernst dreinschaut. Das Foto sei bei
seiner Bar Mizwa aufgenommen worden,
sein Bruder habe sich gewünscht, dass er
wenigstens an diesem Tag ein Mal lächle.
Das war, kurz bevor der unglückliche Jun-
ge verschwand.
Wenn der sprachgewandte Schauspieler
seine irrwitzige Lebensgeschichte erzählt,
versiegt manchmal seine Stimme, aber nur
kurz, im nächsten Moment sprudeln dann
die Worte wieder hervor, als sei es ihre Auf-
gabe, die Vergangenheit zu bannen. Und
man staunt: Über die Reife, Zähigkeit und
Wissbegier eines jungen Mannes, der nach
seiner Flucht abwechselnd bei nicht-religiö-
sen Verwandten, im Internat, hinter einem
Gemüseladen lebte, und es schaffte, in fünf
Jahren die gesamte weltliche Schulbildung
aufzuholen und das Abitur zu machen.
Später studierte Wilbusch in den Nieder-
landen Wirtschaftswissenschaften und
Schauspiel in Israel und Deutschland. Viel-
leicht verdankt er seinen Lebensweg auch
einer gewissen Chuzpe: Ohne ein Wort
Deutsch zu können, bestand der Wilbusch
die Aufnahmeprüfung an der Otto-Falcken-
berg-Schule für Darstellende Kunst in
München, wo er noch während seiner Aus-
bildung Ensemblemitglied an den Münch-
ner Kammerspielen wurde und anschlie-
ßend ans Residenztheater wechselte. 2011
war das. Heute spricht er nahezu akzentfrei
Deutsch. Erste kleinere Film- und Fernseh-
rollen folgten 2018 unter anderem in der
ersten Staffel vonBad Banksund in der
BBC-SerieThe Little Drummer Girl, in der
er einen deutschen Terrorristen spielte. In
seiner ersten Serien-Hauptrolle Moishe zu
verkörpern, sei für ihn sehr therapeutisch
gewesen, weil das Spielen ihm die Gelegen-
heit gebe, die andere Seite zu betrachten,
sagt Jeff Wilbusch.
Dass er seine Geschichte heute erzählen
kann, hat auch mit einer überraschenden
Wende zu tun: Bis er 21 Jahre alt war, durfte
er keinerlei Kontakt zu seiner Familie ha-
ben, die inzwischen weit weg von der
Schmach in Israel lebte und Teil der Sata-
mar-Gemeinde in Manchester geworden
ist. Zum ersten Mal sah er alle bei der Hoch-
zeit seiner Schwester 2008 wieder. Seine
jüngsten Geschwister hatte er bis dahin
nicht gekannt. Danach folgten wieder viele
Jahre ohne Kontakt. Das schlechte Gewis-
sen, seine Geschwister verlassen zu haben,
belastet ihn bis heute. Aber ausgerechnet
kurz vor Drehbeginn vonUnorthodoxkam
der Kontakt mit seiner Familie wieder
zustande. „Die Serie hat mir geholfen,
wieder Empathie für diese Gemeinschaft
zu entwickeln“, sagt er. Es sei ihm wichtig,
den Kosmos, aus dem er kommt, nicht zu
verunglimpfen. „Die chassidische Gemein-
de wird immer Teil meiner Identität sein.“
Er vermisse sie sogar hier, auf den Straßen
Berlins.
Die Autorin Jasmin Schreiber hat gerade
viel Zeit zum Telefonieren. Die geplanten
Lesungen ihres Romans wurden wegen
der Corona-Pandemie abgesagt. „Nach-
dem ich gesehen habe, das geht jetzt die
nächsten Monate so weiter, habe ich über-
legt, wie ich trotzdem mein Buch promo-
ten kann“, erzählt die Autorin. Viele Men-
schen im Kulturbetrieb beschäftigen der-
zeit ähnliche Fragen: Was bleibt Schauspie-
lern ohne Theatervorführungen, Musikern
ohne Konzerte?
Gerade für weniger bekannte Künstle-
rinnen und Künstler kann die Frage
schnell existenziell werden. „Ich bin Debü-
tantin und habe keine Stammleserschaft“,
sagt Schreiber. Ihre Lösung, Lesungen ein-
fach im Livestream zu veranstalten, dürfte
auch einem Publikum gefallen, das zu Hau-
se nicht auf Kultur verzichten will. Lange
Zeit war diese Lösung medienrechtlich hei-
kel, denn nicht jeder darf einfach alles in
die Welt hinaussenden. In der Krise aber,
in der sich viele Veranstaltungen ins Netz
verlagern müssen, haben die Medienhüter
die Interpretation des Rundfunkrechts
gelockert.
Am 12. März kündigt Jasmin Schreiber
auf Twitter eine Online-Lesung für den
nächsten Tag an, per Stream auf Twitch.
„Wir werden Pyjamas tragen.“ 4500 Men-
schen schauen zu. „So eine große Lesung
hätte ich nie hingekriegt“, sagt sie im Nach-
hinein. Die Anfragen von Autorinnen und
Autoren, die mitmachen oder selbst
streamen wollen, werden nun immer
mehr. Der Livestream als virtueller Auf-
trittsort boomt: Der Pianist Igor Levit
spielt jeden Abend Hauskonzerte, Autor
Saša Stanišić liest im Stream, Hasnain
Kazim, Hatice Akyün und Anja Rützel eben-
falls, das Münchner Marionettentheater
zeigt die „Zauberflöte“, und Max Giesinger
veranstaltet ein Festival per Livestream.
Die Videospielszene bespielt diese digi-
tale Bühne seit Jahren. Es waren Jahre vol-
ler Unverständnis darüber, dass Gamer,
die sich selbst beim Spielen ins Netz über-
tragen, rechtlich gesehen als Rundfunk
gelten und eine Lizenz brauchen.
Die Krise konfrontiert nun die breite
Masse mit einem Problem der deutschen
Mediengesetze, das bisher eher in Nischen
zu Ärger führte. „Aktuell dürften tatsäch-
lich viele Livestreams dem klassischen
Rundfunk ähneln“, schreibt der Medien-
rechtsanwalt Christian Solmecke: „In-
sofern wäre bei zahlreichen Livestreams
durchaus an eine Sendelizenz zu denken.“
Noch zu Beginn der vergangenen Woche
konnten die Medienanstalten, die für die
Rundfunkaufsicht zuständig sind, auf SZ-
Anfrage keine Antwort geben, wie sie mit
den vielen neuen Kulturstreamern um-
zugehen gedenken. Am Ende der Woche
setzten sie die Lizenzpflicht von kulturel-
len oder religiösen Veranstaltungen sowie
von Bildungsangeboten dann aus – vorerst
bis zum 19. April.
Einfach losstreamen darf man trotzdem
nicht. „Handelt es sich um lineare, also zeit-
gleich ausgestrahlte Bewegtbildangebote,
die journalistisch-redaktionell gestaltet
sind und im Rahmen eines Sendeplans ver-
breitet werden“, heißt es von den Medien-
anstalten, „dann sind sie wie Fernsehen zu
behandeln und bedürfen einer Zulassung.“
Wer Videos nur zum späteren Abruf anbie-
tet, ist also nicht betroffen. Die Streams
macht aber gerade der Reiz der Livesituati-
on attraktiv. Auch, weil so wenigstens ein
bisschen Gemeinschaftsgefühl entsteht.
Jasmin Schreiber hat mit Gleichgesinn-
ten den Twitter-Account @Streamkultur
ins Leben gerufen. Dort sammelt sie die vie-
len Angebote, „damit man mittags immer
schon weiß, was abends sozusagen im Kul-
turfernsehen im Internet läuft“. Medien-
rechtlich ist bei angekündigten Streams
dann allerdings schnell die Rede von ei-
nem Sendeplan. Schreiber hat keine Beden-
ken. „Wenn Igor Levit mit seinem Hauskon-
zert live geht oder ich mich auf meinen Ses-
sel setze und eine Lesung mache, dürfte es
schwierig sein, nachzuweisen, dass wir re-
daktionell arbeiten.“ Für die Medienhüter
zählten dazu bislang Schnitte, Zooms,
Kommentar, Moderation. Große Gaming-
Streamer wie Gronkh oder Piet Smiet
mussten deshalb Lizenzen beantragen.
Nun genügt es, der zuständigen Landes-
medienanstalt einen geplanten Live-
stream vorab anzuzeigen. Nötig sind nur
Name, Adresse und Kontaktdaten, der In-
halt des Streams und wie er umgesetzt wer-
den soll. Damit geht die „pragmatische Lö-
sung mit Augenmaß“, wie sie der Vorsitzen-
de der Direktorenkonferenz der Landes-
medienanstalten Wolfgang Kreißig nennt,
noch weiter als der Medienstaatsvertrag.
Der soll ab Herbst den Rundfunkstaatsver-
trag ersetzen. benedikt frank
Die Rückkehr
Der israelische Schauspieler Jeff Wilbusch hat mit 13 Jahren seine Familie und deren ultraorthodoxe
Gemeinschaft verlassen. In der Netflix-Serie „Unorthodox“ ist er jetzt wieder genau dort
Der will doch nur spielen
Bislang war es juristisch heikel, einfach aus dem Wohnzimmer heraus zu streamen. Corona verändert das
Bertelsmann, Deutschlands größtes Medi-
enunternehmen, geht derzeit davon aus,
gut durch die Wirtschaftskrise aufgrund
des Coronavirus zu kommen – auch dank
Kurzarbeit. „Wir sind ertragsstark, verfü-
gen über eine hohe Liquidität und eine
komfortable Eigenkapitalquote“, sagte Ber-
telsmann-Chef Thomas Rabe. Seinen
Angaben zufolge wurden bei Bertelsmann
bereits einige hundert Mitarbeiter in Kurz-
arbeit geschickt, eine Ausweitung werde
derzeit geprüft. Weltweit beschäftigt der
Konzern momentan rund 126 000 Mitar-
beiter. Kurzarbeit betreffe vor allem die
Dienstleistungstochter Arvato. Dort sei in
einigen Bereichen die Nachfrage stark
zurückgegangen, etwa die Auslieferung
von Büchern, weil viele Buchhandlungen
geschlossen haben.
Der Umsatz von Bertelsmann stieg 2019
leicht auf 18 Milliarden Euro, der Gewinn
erreichte wieder etwa eine Milliarde Euro.
Eine Prognose für 2020 wollte Rabe ange-
sichts der derzeitigen Unsicherheit nicht
geben. Er beobachte gegenläufige Effekte:
Auf der einen Seite gehe das Werbe- und
Anzeigengeschäft zurück. Die Fernsehwer-
bung sei im ersten Quartal noch stabil
gewesen, aber seit März gebe es erste „Co-
rona-Effekte“, sagte Rabe, der in Personal-
union auch Chef der RTL-Gruppe ist. Das
zweite Quartal werde sicher schwierig.
Auf der anderen Seite seien viele Ange-
bote von Bertelsmann gerade sehr gefragt.
„Die Menschen haben ein erhöhtes Bedürf-
nis nach Information und Unterhaltung.“
Beim Hamburger Zeitschriftenverlag Gru-
ner + Jahr, der zu Bertelsmann gehört und
Magazine wieSternundBrigitteverlegt, ge-
be es eine erhöhte Nachfrage im Abo-Ver-
kauf. Auch die Fernsehnutzung bei der
RTL Group steige, die Konzerntochter hat
rund 50 Sender in vielen Ländern Europas.
Penguin Random House, der weltgrößte
Buchverlag mit Hauptsitz in New York, ver-
zeichne derzeit eine erhöhte Nachfrage
nach digitalen Büchern, beim Musikunter-
nehmen BMG boome momentan das
Musikstreaming.
Eine Absage erteilte Rabe einer Beteili-
gung der RTL-Sender an der Streaming-
plattform Joyn, die von Pro Sieben Sat 1 ent-
wickelt wurde. Er strebe „höchstwahr-
scheinlich“ keine Kooperation an, da diese
von den deutschen Kartellbehörden nicht
genehmigt werden würde. RTL ist mit der
Streamingplattform TV Now aktiv.
Kurzarbeit wegen der Corona-Folgen
könnte auch für andere Medienunterneh-
men in Frage kommen. Die Axel Springer
AG habe derzeit noch nicht entschieden,
ob man das Instrument in Anspruch neh-
me, sagte ein Sprecher auf Anfrage. „In vie-
len Bereichen kommt das aber gar nicht in
Betracht, vor allem nicht im Journalis-
mus“, betonte er. Es gebe derzeit erhöhte
Zugriffszahlen auf die journalistischen An-
gebote. Das Unternehmen revidierte aber
seine Prognose für das laufende Jahr. Um-
sätze und operativer Gewinn dürften in
allen Geschäftsbereichen schlechter aus-
fallen als bisher, hieß es. Die Aktionäre, dar-
unter Friede Springer und die Beteiligungs-
firma KKR, sollen dennoch eine Dividende
für das Jahr 2019 bekommen.
Bei Pro Sieben Sat1 sei Kurzarbeit der-
zeit kein Thema, sagte eine Sprecherin. Al-
le Mitarbeiter seien momentan stark be-
schäftigt, man wolle den Auftrag, ein sys-
temrelevantes Medienunternehmen zu
sein, perfekt erfüllen. caspar busse
Die Zutaten zu diesem als Krimikomödie
angekündigten Film sind erst einmal her-
vorragend. Holger Karsten Schmidt hat
das Drehbuch geschrieben und Markus Im-
boden die Regie übernommen. Gemein-
sam haben die beiden mit Hinnerk Schöne-
mann als Hauptdarsteller die fabulöse Kri-
mi-GroteskeMörder auf Amrumund die
außergewöhnliche Finn Zehender-Reihe
geschaffen, weshalb man davon ausgehen
darf, dass es nicht nach Schema F läuft,
wenn sich das Duo ans Werk macht.
In diesem Film schicken die beiden Ma-
ja Witt (Julia Koschitz) und Klaus Burck (Al-
joscha Stadelmann) in Bremen auf Streife.
Die zwei Polizisten schieben schwer Frust,
weil die Kriminellen, die sie heute festset-
zen, morgen schon von versierten Anwäl-
ten aus der Haft geholt werden. Als Burck
dann auch noch die Hand ausrutscht, nach-
dem ihn ein aufmüpfiges Clan-Mitglied be-
spuckt hat, droht ihm selbst ein Verfahren.
Sehr viel Spaß haben die zwei nicht.
Das ändert sich, als sie die Sache mit der
Gerechtigkeit selbst in die Hand nehmen.
Auf einmal kommt der Clan ebenso in Be-
drängnis wie der von ihm beauftragte An-
walt. Es scheint alles gut zu laufen für die
Polizisten. Dann aber geraten die Dinge
aus der Bahn. Und das nicht zu knapp.
Gerade konnten Schmidt und Imboden
sich über den Deutschen Fernsehkrimi-
Preis für diese Produktion freuen, und
man ahnt rasch, was die Jury so lobens-
wert fand an diesem Film. Es geht nämlich
endlich mal nicht um Standardfragen,
nicht um „Wer war es?“, nicht um „Warum
hat er’s getan?“. Es geht vielmehr um eine
kecke Aneinanderreihung verschiedener
Formen von Eskalation, die in ihren besten
Momenten sehr lapidar wirkt und deshalb
auch ein bisschen witzig ist.
Da treffen Szenen von erschreckender
Gewalt auf bitterbösen Humor, da begeg-
net harte Realität regelrechten Traumbil-
dern. Nichts läuft hier so, wie man es in ei-
nem deutschen Krimi erwarten würde.
Stattdessen liefern Schmidt und Imboden
einen Mix aus der von denSoko-Filmen ge-
fürchteten Biederkeit und brutalen Taran-
tino-Anklängen. Aber.
Leider schaffen es die Macher dann
nicht, die Ebenen so kunstvoll zu verwe-
ben, wie sie es bislang in ihren Kollaboratio-
nen hinbekommen haben. Über weite Stre-
cken wirkt dieser Film daher unentschlos-
sen. Man spürt das Wollen, aber man sieht
das Misslingen, wenn Dinge einfach nicht
zusammenpassen wollen. Dazu kommen
blasse, schwach konturierte Bilder, die
auch den ordentlich arbeitenden Haupt-
darstellern wenig Raum zur Profilierung
lassen. Am Ende schiebt man dann als er-
wartungsfroher Zuschauer denselben
Frust, mit dem es auch die beiden Polizis-
ten zu tun haben. hans hoff
Das Gesetz sind wir. ZDF, 20.15 Uhr.
Man habe versucht, ihn zu
erpressen und zur Umkehr
zu zwingen, erzählt er
Kurzarbeit im Journalismus?
Komme „nicht in Betracht“,
heißt es bei Axel Springer
Für Anbieter, die eigentlich eine
Rundfunklizenz bräuchten,
wurden die Regeln gelockert
Gegenläufig
Bertelsmann hilft sich in
Corona-Krise mit Kurzarbeit
Aus der Bahn
Das ZDF zeigt einen ungewöhnlichen Krimi
„Die chassidische Gemeinde
wird immer Teil
meiner Identität sein“
DEFGH Nr. 71, Mittwoch, 25. März 2020 (^) MEDIEN HF2 27
Schönster Tag des Lebens? Shira Haas und Amit Rahav als Hochzeitspaar in der MiniserieUnorthodox. FOTO: NETFLIX
Jeff Wilbusch spielt Moishe – und erlebt
dabei seine eigene Geschichte. FOTO: NETFLIX
Jeden Abend ein virtuelles Hauskonzert: Igor Levit bei seinem Corona-Kultur-
programm. SCREENSHOT: LEVIT/PSCP.TV
Auf Streife: Julia Koschitz und Aljoscha
Stadelmann. FOTO: MICHAEL IHLE/ZDF