Erlangen– Die Zahl der Corona-Toten in
Bayern ist bis Dienstag, zehn Uhr, im Ver-
gleich zum Vortag um vier angestiegen.
Das hat das Landesamt für Gesundheit
und Lebensmittelsicherheit (LGL), gemel-
det. Damit sind im Freistaat inzwischen 31
Menschen in Zusammenhang mit einer Co-
rona-Infektion gestorben. Die vier aktuel-
len Todesfälle wurden in den Landkreisen
Tirschenreuth, Amberg-Sulzbach, Traun-
stein und Freising registriert. Weitere De-
tails sind nicht bekannt. Der Landkreis
Freising zählt mit inzwischen 252 bestätig-
ten Infektionen und sechs Toten zu den am
meisten von Corona betroffenen Regionen
Bayerns. Landesweit gab es am Dienstag,
zehn Uhr, 6362 bestätigte Corona-Infektio-
nen. Im Vergleich zum Vortag ist das ein
Plus von 643 Fällen oder elf Prozent.cws
Neu-Ulm– Hamsterkäufe von Klopapier
führen zu Probleme in den Kläranlagen in
Neu-Ulm. Die schwäbische Stadt geht da-
von aus, dass viele Bürger kein Toilettenpa-
pier mehr bekommen haben und nun des-
wegen andere Materialien auf dem Klo be-
nutzen. Die Experten der Stadtentwässe-
rung hätten „zuletzt vermehrt Produkte
wie Feucht-, Kosmetik- oder Küchentü-
cher“ in der Kanalisation und den Pump-
werken entdeckt, teilte die Kommune am
Dienstag mit. „Die Pumpen in unseren
Pumpwerken können diese Stoffe nicht
transportieren“, sagte Abteilungsleiter Jo-
chen Meissner. „Es kann zu Ausfällen im
gesamten System kommen.“ dpa
Vor ein paar Tagen bekam Krisztina Csanyi
einen ungewöhnlichen Anruf von ihren Ver-
mietern. Csanyi arbeitet in einem Münch-
ner Hotel in der Reservierung. Wegen der
Corona-Krise stellt ihr Arbeitgeber im
April auf Kurzarbeit um, für Csanyi bedeu-
tet das: eine Drei-Tage-Woche und 30 Pro-
zent weniger Gehalt. Ihre Vermieter hatten
sich das schon gedacht und deshalb be-
schlossen, ihr für einen Monat die Miete zu
erlassen. 530 Euro warm bezahlt sie sonst
für ihr 28-Quadratmeter-Apartment in
Giesing. „Das hat mich überrascht“, sagt
Krisztina Csanyi, „ich finde, es ist eine sehr
schöne Geste.“ Dass Vermieter an so etwas
dächten, sei „in der heutigen Zeit nicht
selbstverständlich“.
Der Witz ist verlockend: Endlich werden
die teuren Münchner Wohnungen durch
die Ausgangsbeschränkungen mal so rich-
tig ausgiebig genutzt. Tatsächlich aber
wird für manche in dieser Krise ausgerech-
net das Zuhause, an das nun alle – für wer
weiß wie lange – weitgehend gebunden
sind, zum Problem. Weil es für sie wegen
Kurzarbeit oder, etwa bei freischaffenden
Künstlern, durch den kompletten Wegfall
von Honoraren, plötzlich schwierig bis un-
möglich wird, die Miete zu bezahlen. Das
Bundeskabinett hat auch deshalb am Mon-
tag ein Hilfspaket auf den Weg gebracht,
um die Folgen der Corona-Krise abzumil-
dern. Es soll am Mittwoch durch den Bun-
destag gehen. Die Themen Wohnen und
Mieten spielen darin eine wichtige Rolle.
Demnach soll es privaten und gewerbli-
chen Mietern erlaubt sein, zunächst in den
kommenden drei Monaten ihre Zahlungen
zu reduzieren oder einzustellen, ohne dass
der Vermieter ihnen deshalb kündigen
kann. Danach kann die Bundesregierung
die Regelung um weitere drei Monate ver-
längern. Der Mieter muss dabei „glaub-
haft“ nachweisen, dass er wegen der Pande-
mie nicht mehr zahlen kann. Erlassen wer-
den soll die Miete allerdings nicht, sie
muss später nachgezahlt werden.
Der Haus- und Grundbesitzerverein
warnt trotzdem vor einer „einseitigen Be-
lastung der Vermieter“. Natürlich müsse
Mietern in der Krise „sofort und möglichst
unbürokratisch“ geholfen werden, so
Rudolf Stürzer von Haus und Grund Mün-
chen. Vermieter müssten sich ein Entge-
genkommen jedoch auch leisten können –
nicht bei jedem sei das der Fall. Es werde
„eine Lawine losgetreten, weil auch Ver-
mieter, die mit den Mieten ihre Bankdarle-
hen bedienen müssen, ihren Verpflichtun-
gen nicht mehr nachkommen können“. In
den vergangenen Wochen hat sein Verein
die gesamte Rechtsberatung auf Telefon
umgestellt; zehn Anwälte nähmen jeden
Tag insgesamt 500 Anrufe entgegen.
Vermieter wollten wissen, welche
Rechtsansprüche etwa Gewerbemieter hät-
ten, wenn sie nun Schwierigkeiten haben,
ihre Miete zu bezahlen – weil sie ihr Klei-
dungsgeschäft oder ihren Friseursalon zu-
sperren mussten. Grundsätzlich beobach-
tet Stürzer, dass „unsere Mitglieder da
sehr großzügig sind“. Viele Vermieter seien
durchaus bereit, den Mietern entgegenzu-
kommen, durch Stundung oder einen Teil-
erlass bis hin zum kompletten Erlass einer
oder mehrerer Monatsmieten. Die meisten
Vermieter wollten schließlich ihre Mieter
behalten und hätten keine Lust, neue zu
suchen. Weil bisher immer alles gut ge-
klappt hat, aber auch – nicht ganz uneigen-
nützig – „weil sie ja jetzt Probleme hätten,
wieder einen entsprechenden Mieter zu fin-
den“, wie Stürzer sagt. Bei Wohnungen sei
es im Grunde ähnlich wie bei Geschäften:
„Wer mit den Mietern zufrieden ist,
kommt ihnen entgegen.“ Auch dem Mieter-
verein sind derzeit keine Fälle bekannt von
Mietern, die wegen der Corona-Krise Pro-
bleme mit ihren Vermietern bekommen ha-
ben – vielleicht ist es dafür aber noch zu
früh. Rechtliche Einschätzungen zu Fra-
gen rund um Kündigung, Besichtigung,
Umzug und Wohnungsübergabe in Zeiten
von Corona hat der Mieterverein am Diens-
tag auf seine Webseite gestellt.
Im Newsletter „Budenschleuder“, in
dem der Münchner Andreas Kräftner zwei-
mal wöchentlich Gesuche und Angebote
verschickt, ist gerade nicht weniger los als
sonst. Anders ist, dass manche Texte jetzt
mit einem „passt alle schön auf euch auf“
oder „ich wünsche dir viel Gesundheit“
enden. Eine Frau über 60, die zur Risiko-
gruppe gehört, sucht dringend einen „Zu-
fluchtsort in Corona-Zeiten“ für tagsüber
bis Ende April, weil ihre Nachbarwohnung
grundsaniert wird, was mit großer Lärmbe-
lastung verbunden ist – und „alle öffentli-
chen Orte, wo man sich sonst tagsüber auf-
halten könnte, sind geschlossen.“ In Face-
book-Gruppen wie „München – Wohnung
gesucht“ findet man jetzt auch ungewöhn-
liche Angebote. Etwa jenes des Hotels Holi-
day Inn in Berg am Laim, das seine Zim-
mer bis August an Wohnungssuchende ver-
mietet: 850 Euro kosten die 18 Quadratme-
ter, Fitnessraum-Nutzung inklusive, Zim-
merservice mit Handtuchwechsel einmal
pro Woche, „Klopapier ist auch dabei“, wie
Manager Carlos Schwarz versichert. Zehn
Zimmer habe man bereits auf diese Weise
vermietet. „Wir waren die ersten, mittler-
weile gibt es auch einige Nachahmer.“
Für eine seriöse Prognose, welche Aus-
wirkungen die Krise auf Miet- und Kauf-
preise haben könnte, sei es zu früh, sagt
Stephan Kippes, Leiter der Marktfor-
schung beim Immobilienverband Deutsch-
land (IVD Süd). Obwohl die Corona-Krise
die Nachfrage „für den Moment“ bremse.
Es fänden deutlich weniger Wohnungsbe-
sichtigungen statt. Die entscheidende
Frage sei, wie lange die „Bremsphase“ des
öffentlichen Lebens dauere. Auf der ande-
ren Seite würden Immobilien als Anlage-
möglichkeit für manche als „sowieso
schon sicherer Hafen noch interessanter“.
Es gebe also „zwei gegenläufige Strömun-
gen“. Ähnlich äußert sich Rudolf Stürzer
von Haus und Grund. Alles hänge davon
ab, wie lange der Ausnahmezustand an-
dauern werde: „Wenn er in wenigen Mona-
ten beendet ist, sehe ich keine großen Aus-
wirkungen. Wenn er aber bis Jahresende
dauert, kann es durchaus sein, dass der
Markt auch in München eine Delle be-
kommt.“
Die Münchner Makler gehen mit der
Krise unterschiedlich um. Axel Wolf von
Schwabinger Immobilien macht nur noch
Termine, „wenn es wirklich notwendig
ist“, etwa für eine Schlüsselübergabe – al-
le anderen würden verschoben. Bei Aig-
ner Immobilien sind alle Ladenbüros ge-
schlossen, die Mitarbeiter arbeiten im
Home- Office. „Da viele unserer Immobi-
lien leer stehen, können Besichtigungen
dort problemlos stattfinden – allerdings
nur in Einzelterminen und auch hier un-
ter Wahrung der Hygiene“, sagt Thomas
Aigner. Makler und Interessent hielten
sich dabei etwa zu keiner Zeit im selben
Zimmer auf. anna hoben
von katja auer
München– Er wiederhole seinen Spruch
von vergangener Woche nur ungern, sagt
Finanzminister Albert Füracker (CSU),
aber er habe wohl recht behalten. Niemand
könne wissen, ob nicht nächste Woche al-
les überholt sei, hatte er gesagt, als er dem
Landtag einen Nachtragshaushalt von
zehn Milliarden Euro zur Abstimmung vor-
gelegt hatte. Am Donnerstag war das, fünf
Tage später nur verdoppelt die Staatsregie-
rung das Corona-Hilfspaket für die bayeri-
sche Wirtschaft und das Gesundheitswe-
sen auf 20 Milliarden Euro. „Wir machen
uns riesige Sorgen um die wirtschaftlichen
Herausforderungen“, sagt Ministerpräsi-
dent Markus Söder am Dienstag in der
Pressekonferenz, die, wie nun schon beina-
he gewohntermaßen, ohne Journalisten
stattfindet und per Livestream und Fernse-
hen zu verfolgen ist.
Die Coronavirus-Krise hat die Unterneh-
men bereits voll getroffen, Wirtschaftsmi-
nister Hubert Aiwanger (FW) rechnet in
kürzester Zeit mit einem Anstieg der von
Kurzarbeit betroffenen Arbeitnehmer auf
1,8 Millionen. Um die 120 000 Anträge von
Unternehmen auf Unterstützung seien be-
reits eingegangen, sagt Söder. Zwischen
5000 und 30 000 Euro Soforthilfe gibt es
für Firmen, um kurzfristige Engpässe zu
überbrücken. Um das Geld sofort auszah-
len zu können, setzte das Parlament die in
der Verfassung verankerte Schuldenbrem-
se für zunächst ein Jahr außer Kraft.
Nun stockt der Freistaat die Hilfe weiter
auf. Die LfA Förderbank wird ertüchtigt,
Unternehmen mehr Bürgschaften zu ge-
währen, zu besseren Konditionen. Der
Bürgschaftsrahmen der LfA werde von
500 Millionen Euro auf zwei Milliarden er-
höht, sagt Söder, außerdem soll es ein güns-
tiges Sonderkreditprogramm werden. Im
Notfall springt der Freistaat ein, der Staats-
bürgschaftsrahmen werde von vier auf
40 Milliarden ausgeweitet. Über einen Bay-
ernfonds in Höhe von 20 Milliarden Euro
soll der Staat sich zeitweilig an Unterneh-
men beteiligen können.
Es ist „das umfassendste Wirtschafts-
programm, das je in Bayern beschlossen
wurden“, sagt Söder. Das soll zum einen Ar-
beitsplätze sichern in der Krise, zum ande-
ren Firmen vor Übernahmen bewahren.
„Es deutet sich an, dass andere Nationen,
die schneller aus der Krise kommen, viel-
leicht auf Shoppingtour gehen wollen“;
sagt Söder. Er wolle vermeiden, dass Bay-
ern „zum Übernahmekandidaten“ werde.
Ein Erfolgsmodell nennt Finanzminis-
ter Füracker Steuerstundungen und die
Herabsetzung von Vorauszahlungen. Die
Folge sind allerdings massive Steuerausfäl-
le, auch deswegen sei die Verdoppelung
des Nachtragshaushalts notwendig. Entge-
gen der Gewohnheiten eines Finanzminis-
ters werde er nicht darauf schauen, wo ein
Euro gespart werden könnte. „Das ist jetzt
Krisenbewältigung“, sagt er. Er plane auch
nicht, die einzelnen Etats einzuschränken,
das Land müsse – neben der Corona-Krise
- normal weitergeführt werden können.
Normal ist freilich wenig in diesen Ta-
gen, 6362 bestätigte Coronavirus-Infektio-
nen meldet Söder am Dienstag, Stand:
10 Uhr. 31 Menschen seien bislang gestor-
ben. „Es gibt keinen Anlass zur Entwar-
nung, es gibt weiter Anlass zu Disziplin
und Konsequenz“, sagt Söder. Um gleich
ein Lob anzuschließen an die Menschen in
Bayern, die sich zum überragenden Teil an
die Ausgangsbeschränkungen hielten.
Eine Frau aus dem Raum München aller-
dings und eine weitere Person wollten das
nicht und klagten dagegen vor dem Verwal-
tunsgericht München. Das entschied zu de-
ren Gunsten, das bedeutet, für die beiden
gelten die Nummern 1, 4 und 5 der Allge-
meinverfügung nicht, sie dürften ihre Woh-
nung auch ohne triftigen Grund verlassen.
Nur die beiden, eine solche Entscheidung
gilt stets nur für den Einzelfall. Von langer
Dauer ist ihr Erfolg allerdings nicht. Denn
bereits am Dienstagnachmittag erlässt das
Gesundheitsministerium eine Rechtsver-
ordnung, damit gelten die Ausgangsbe-
schränkungen wieder bayernweit und für
alle. Das Verwaltungsgericht bezweifelte
nämlich nicht den Inhalt der Regelung, son-
dern lediglich, ob der Freistaat Bayern die
Ausgangsbeschränkungen durch Allge-
meinverfügung regeln durfte – oder nicht
durch Rechtsverordnung hätte regeln müs-
sen, wie es in einer Mitteilung heißt. Es
geht um juristische Details, und aus der
Staatsregierung ist Unverständnis für die
zwei Kläger zu vernehmen. Auch wenn Sö-
der sagt, dass eine Klage gegen solche Be-
stimmungen „selbstverständlich“ und in
einem Rechtsstaat möglich sei.
Und es wäre ungewöhnlich, hätte Söder
nicht auch an jene gedacht, denen die Be-
schränkungen als zu hart erscheinen. Ein
breiter Konsens ist ihm offenbar wichtig
und er gelingt bislang, die Opposition trägt
die Maßnahmen mit. Die werden nicht ge-
lockert, aber es soll ein „Monitoring“ ge-
ben, „damit wir eine Spiegelung bekom-
men, wie es mit der Liberalität unseres
Rechtsstaats kompatibel und in Einklang
zu bekommen ist“. Die frühere evangeli-
sche Regionalbischöfin Susanne Breit-Keß-
ler und die beiden ehemaligen Oberlandes-
gerichtspräsidenten Christoph Strötz und
Clemens Lückemann sollen eine Art Grund-
rechte-Kommission bilden und die Maß-
nahmen ethisch und rechtlich beurteilen.
Es gibt noch mehr Personalien nach die-
ser Sitzung, zu der sich der Ministerrat erst-
mals im großen Kuppelsaal der Staatskanz-
lei versammelt hatte – weil dort der Ab-
stand besser gewahrt werden kann als im
normalen Sitzungssaal. Staatssekretär Ger-
hard Eck wechselt für drei Monate vom In-
nen- ins Gesundheitsministerium, das oh-
ne Staatssekretär ist. „Im Katastrophen-
fall brauchen wir ein großes Ministerium“,
sagt Söder. 50 Mitarbeiter werden zusätz-
lich abgestellt, außerdem insgesamt 800
an die Gesundheitsämter. Ein zweiter
Amtschef ist bereits installiert.
Nicht nur die Verwaltung soll unter-
stützt werden, sondern vor allem jene, die
sich um die Patienten kümmern. So wird
von April an das Pflegepersonal an Klini-
ken, in Pflegeheimen, Behinderteneinrich-
tungen und Kindertagesstätten kostenlos
versorgt. Es sei das Mindeste, dass die An-
gestellten nicht mehr für Essen und Trin-
ken bezahlen müssen, sagt Gesundheitsmi-
nisterin Melanie Huml (CSU). „Das ist ein
deutliches Signal, dass wir sehen, was da
geleistet wird.“ Auch der Nachschub funkti-
oniert: Atemschutzmasken und Desinfekti-
onsmittel werden in Bayern produziert.
Hamsterkäufer
belasten Kanalisation
Der Hausbesitzerverein
warnt vor einer „einseitigen
Belastung der Vermieter“
Zahl der Toten
steigt auf 31
Klopapier inklusive
Die Corona-Krise hinterlässt auf dem Immobilienmarkt Spuren: Vermieter geben sich großzügig, Hotelbetreiber einfallsreich – und Makler sind verunsichert
Musizieren gegen Corona: Das Zuhause ist in diesen Zeiten Zufluchtsort und Zwang zugleich. FOTO: MATTHIAS SCHRADER/AP
Eine Grundrechte-Kommission
soll die Maßnahmen ethisch
und rechtlich beurteilen
Freistaat verdoppelt Corona-Hilfen
Staatsregierung stützt Wirtschaft und Gesundheitswesen mit insgesamt 20 Milliarden Euro.
Damit soll auch verhindert werden, dass Betriebe vom Ausland übernommen werden
von johann osel
G
enugtuung ist sicherlich das fal-
sche Wort in der derzeitigen Kri-
se, aber ein bisschen mit sich zu-
frieden dürften viele Digitalisierungsan-
treiber der vergangenen Jahre nun zu
Hause sitzen, zwischen Notebook, Dosen-
ravioli und hoffentlich genug Klopapier.
Es gab ja immer jene Leute, die das ganze
Leben digitaler machen, am besten alles
ins Netz verfrachten wollten. Das wurde
gern auch mal belächelt. Erinnert sei an
die Piratenpartei, mit all ihren Ideen für
den digitalen Alltag und eine „flüssige De-
mokratie“ für innerparteiliche Meinungs-
bildung. Die Piraten gibt es übrigens im-
mer noch, zur Landtagswahl 2018 hatten
sie sogar offiziell einen „Herausforderer“
für Ministerpräsident Markus Söder no-
miniert, auch wenn das am Ende nicht
ganz geklappt hat. Der junge Mann, Mitte
30 aus Bad Brückenau, muss sich jeden-
falls in diesen Tagen konzeptionell bestä-
tigt fühlen – denn jetzt sind die Bürger
eben meist daheim und digitalisieren ih-
re Leben, was das Glasfaserkabel hergibt.
Damit zu den Jungen Liberalen in Bay-
ern, auch der FDP-Nachwuchs ruft stän-
dig nach mehr Digitalisierung. Im April
hätte man sich in Sonthofen zum Landes-
kongress getroffen. Der ist natürlich abge-
sagt, wegen Corona. Aber es gibt einen
Ausweg: Erstmals soll es einen virtuellen
Landeskongress geben, nach eigenen An-
gaben den ersten aller Jugendorganisatio-
nen und Parteien – mit regulären Teilneh-
merzahlen, mit allen Formalia wie An-
tragseinreichung, Stimmrechtsregistrie-
rung oder satzungskonformer Debatte.
Bereits vor Corona hat man laut Lan-
deschef Maximilian Funke-Kaiser die Ar-
beit für einen eigentlich später geplanten
„e-Kongress“ aufgenommen – und kön-
ne die Idee jetzt quasi pünktlich zur Krise
forcieren. Man wolle nicht nur über Digi-
talisierung reden, sondern sie auch „vor-
leben“. Das Problem sei, dass sich das
Land da „weitestgehend in der Steinzeit“
befinde. Dabei könne Digitalisierung Ar-
beitsprozesse, Abläufe und vieles andere
vereinfachen und kosteneffizienter ge-
stalten. Womöglich wird digitales Tagen
ja bald selbstverständlich in der Politik.
Und weitere Vorteile virtueller Parteitage
führen die Julis gar nicht auf: Jede Partei
zählt Parteifreunde, denen man eher un-
gern begegnet; auch der oft lästige Butter-
brezen-Smalltalk im Foyer entfällt. Und
überdies spart man ganz viel Klopapier.
Für die Verkäufer ist die Frage,
wie lange die „Bremsphase“
des öffentlichen Lebens dauert
(^26) MÜNCHEN · BAYERN Mittwoch, 25. März 2020, Nr. 71 DEFGH
So herrschaftlich hat der Ministerrat noch nie getagt.
Das Kabinett zog in den Kuppelsaal der Staatskanzlei um, weil dort ein größerer Abstand gewahrt werden kann.
FOTO: PETER KNEFFEL/DPA
Bestätigte Infektionen in Bayern
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SZ-Grafik; Quelle: Bayerisches Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit
Stand:24.3.,10Uhr
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MITTEN IN BAYERN
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