Berliner Zeitung - 25.03.2020

(Joyce) #1

Gesundheit


16 Berliner Zeitung·Nummer 72·Mittwoch, 25. März 2020 ·························································································································································································································································································


SinnvollerPiks


ImpfungengegenGrippe,KeuchhustenundPneumokokken:GeradejetztsindImmunisierungen,dievorLungeninfektionenschützen,vonbesondererBedeutung


VonMichaelTimm

S


ehrintensivsuchenWissen-
schaftler auf der ganzen
Welt nach einemImpfstoff
gegen das neueCoronavi-
rus.Vermutlichwirdesn ocheinbis
zwei Jahredauern, bis ein entspre-
chendesPräparat verfügbarist.
Doch mitten im derzeit herr-
schendenChaosdarfmannichtver-
gessen,dassdieCovid-19-Krankheit
längstnichtdieeinzigeInfektionist,
dieunsereGesundheitundunserLe-
ben auch jetzt bedroht.Denn wäh-
rend SARS-CoV-2 überall wütet, ha-
ben anderegefährliche Bakterien
undVirenkeinePause.
So erkranken nach Angaben des
Robert-Koch-Instituts (RKI) wäh-
rend einer saisonalenGrippewelle
alleininDeutschlandzwischenzwei
und 14 Millionen Menschen anIn-
fluenza.Je nach Ausprägung der je-
weiligenWelle sterben bis zu 20000
vonihnen.IndenerstenzweiMona-
ten 2020 wurden dem RKI bereits
102000 Grippe-Patienten offiziell
gemeldet.Allerdingsgehendiemeis-
ten Betroffenen gar nicht zum Arzt.


DieDunkelziffer ist alsowesentlich
höher.Außerdemverzeichnete die
Gesundheitsbehörde1535Fälle von
Keuchhusten,andemnichtnurKin-
der,sondernauchnichtgeimpfteEr-
wachseneerkrankenkönnen.
Betroffen sind meist ältereoder
chronisch krankeMenschen sowie
PatientenmiteinemschwachenIm-
munsystem.Ihnen raten Experten,
sich jetzt impfen zu lassen und den
Impfstatus zu überprüfen–haupt-
sächlich gegen diereguläreGrippe,
Keuchhusten undPneumokokken.
„IstjemandbereitsanderLungeer-
krankt, wäreeine Ansteckung mit
Sars-CoV-2 besonders gefährlich
und dieBehandlung der Krankheit
Covid-19 nur schwer möglich“, er-
klärtRKI-PräsidentLotharWieler.
Dochistesgeradejetztangesichts
vollerWartezimmerunderhöhterAn-
steckungsgefahr überhaupt sinnvoll,
eine möglicherweise überlastete
Arztpraxis aufzusuchen?„Ja, das be-
grüßenwirsogarundwirimpfender-
zeitauchmehralssonst“,sagtAllge-
meinmedizinerWolfgang Kreischer,
Vorstand des Hausärzteverbandes
Berlin undBrandenburg.„Allerdings

sollten diePatienten vorher unbe-
dingtanrufenundeinenTerminver-
einbaren.Wenneshauptsächlichum
eineImpfunggeht,könnenIhnendie
Kollegen einen Randtermin zum

Endeder Sprechstundegeben,woSie
nicht mehr auf viele andereKranke
treffen.“Nachfolgend einBlick auf
drei Impfungen,dieindiesenZeiten
sinnvoll sind,weil sie vorallem die
Lungeschützen,diedurchdasCoro-
navirusangegriffenwird.
Angel Merkel hat sie kürzlich
auch erhalten–die Impfung gegen
Pneumokokken.DassindBakterien,
die denNasen-Rachenraum befal-
len.Siekönnenaberweiterwandern

und gelten als häufigsteErreger ei-
ner Lungenentzündung. DasRKI
schätzt, dass jedesJahr mehr als
5000Menschen inDeutschland an
den Folgen einerPneumokokken-

„Diese Impfungen schützen zwar nichtvor


dem Coronavirus,


aber voranderen Lungeninfektionen.“


LotharWieler,Präsident des Robert-Koch-Instituts

Erkrankung sterben.Besonders ge-
fährdet sind nicht nurKinder unter
zwei Jahren, sondernauch Men-
schenab60JahrensowieKinder,Ju-
gendliche undErwachsene mit be-
stimmten Grundkrankheiten, bei-
spielsweisePersonen mit einerIm-
munschwächeodermitchronischen
Krankheiten desHerzens oder der
Lunge.Bei Älteren muss derImpf-
schutz alle sechsJahreaufgefrischt
werden.Geimpftwirdentwedermit

einem sogenannten Totimpfstoff,
per Spritzeind enMuskel.Oder mit
einer „aktivenImpfung“: Dabei bil-
det der Organismus nach derImp-
fungAntikörpergegendieStoffeaus
der Bakterienhülle.Infiziertman
sich später mit echtenPneumokok-
ken-Bakterien, fangen die Antikör-
perdieseab.Aufgrunddererhöhten
Nachfrage bestehen für Pneumo-
kokken-Impfstoffe zurzeit Liefer-
schwierigkeiten. Doch einigeBerli-
ner Arztpraxen undApotheken ha-
ben nochVorräte.Deshalb: Vorher
telefonischerkundigen!
Ebenfalls empfehlenswertist die
Impfung gegenGrippe (Influenza).
Dieechte Virusgrippe ist eine ernst
zu nehmendeErkrankung.Beson-
ders Senioren, Schwangereund
chronisch Kranke haben ein erhöh-
tesRisikofürschwereKrankheitsver-
läufe.Die Grippeschutzimpfung
muss jedesJahr wiederholtwerden.
Bissie ihr eSchutzwirkungvoll ent-
faltet,vergehenzwar14Tageunddie
aktuelleGrippewelle klingt langsam
ab.Doch werimWinter noch keine
Impfung hatte,kann und sollte sie
jetzt nachholen.DasRKI empfiehlt

sie besonders fürMenschen ab 60
und alle chronisch Kranken.Zum
Einsatz kommen je nachImpfstoff
inaktivierte Virenoder Virenbes-
tandteile.Dad er Erreger sehr wan-
delbar ist, wirdjedes Jahr ein ange-
passterneuerImpfstoffentwickelt.
Auch Keuchhusten sollten sich
Risikogruppenjetztbessernichtein-
handeln.Dieweit verbreiteteKin-
derkrankheit tritt auch beiErwach-
sen auf.Beider quälendenAtem-
wegserkrankung kommt es zu wo-
chenlangem schweren und
krampfartigenHustenbishinzuEr-
stickungsanfällen, die sogar tödlich
enden können, außerdem zuLun-
genentzündungen.
DieImpfung besteht aus einem
Totimpfstoff mit harmlosen Be-
standteilendesErregers,erw irdmit
einerSpritzeind enMuskelinjiziert.
DerImpfstoff ist nicht einzeln, son-
dernnur als Kombinationspräparat
mit Komponenten gegenTetanus,
Diphtherie oderKinderlähmung er-
hältlich.Diese drei Krankheiten ge-
hören zu denjenigen, gegen dieEr-
wachseneohnehingeimpftseinsoll-
ten(sieheTexteunten).

Kleiner Piks, schützende Wirkung; Allein die gesetzliche Krankenversicherung gibt nach Angaben des Apothekerverbandes mehr als eine Milliarde Euro pro Jahr für Impfstoffe aus. IMAGO IMAGES


D


iphtherieisteinelebensgefährli-
che,hoch ansteckendeErkran-
kung der oberenAtemwege ,sie wird
durch Tröpfcheninfektion übertra-
gen.DieRachenschleimhautschwillt
an,Infiziertebekommenkaumnoch
Luft. Ohne Behandlungverläuft die
Diphtherieofttödlich,selbstmitBe-
handlung sterben fünf biszehn Pro-
zentder Patienten.BeischweremVer-
lauf drohen gefährliche Schäden an
Herz oder Hirn.Diphtherie war bei
uns schon fast ausgerottet, wurde
aber aus Länderndes ehemaligen
Ostblockswiedereingeschleppt.


Wann impfen? Grundimmunisie-
rungim Kindesalter.Auffrischungen
zwischen5bis6und9bis17 Jahren.
Danach allezehn Jahreeine Auf-
frischimpfung. FürErwachsene ist
eine kombinierteDiphtherie-Teta-
nus oderDiphtherie-Keuchhusten-
Impfung möglich.ZumAuffrischen
genügt eine einzelne Impfdosis,
auchwenndieletzteImpfungschon
länger alszehn Jahrezurückliegt.
Wurdedie Impfung alsKind ver-
säumt, kann man dieGrundimmu-
nisierungmitdreiInjektionenjeder-
zeitnachholen.Wernichtweiß,ober
als Kind geimpft wurde,dem wird
ebenfalls eine kompletteGrundim-
munisierungempfohlen.


Waswird geimpft? Totimpfstoff,
Spritzeind enMuskel.


Diphtherie


D


ieGürtelrose(Herpeszoster)
wirdwieWindpockendurchVa-
rizella-Zoster-Virenverursacht. Die
meistenErwachsenen ab einem Al-
tervon50J ahrenhabeninihremLe-
bendie Windpockendurchgemacht.
DabeinistensichVirenimK örperin
denNervenzellenein.Wenndas Im-
munsystem im Alter schwächer
wird, können dieVirenwieder aktiv
werdenundeinensehrschmerzhaf-
ten Ausschlag mit flüssigkeitsgefüll-
ten Bläschen hervorrufen. Je nach
Ausprägung können kleinereoder
größereHautflächenanRumpfoder
Kopfbetroffensein.Dieschmerzhaf-
ten Nervenentzündungen dauern
manchmalauchnachAbklingendes
AusschlagsnochlängereZeitan.Am
meisten gefährdet sind ältereEr-
wachseneundMenschenmiteinem
geschwächtenImmunsystem.

Wann impfen? Alle Personen ab
60JahrenundPersonenab50Jahren
mit schwachem Immunsystem
und/oderschwerenGrundleidenan
Lunge,Niere, Darm oder bei ent-
zündlichemGelenkrheuma.

Waswird geimpft?Derempfohlene
Totimpfstoff ist wirksamer und bie-
teteinenlängeranhaltendenSchutz
als der Lebendimpfstoff. Er wird
zweimalimAbstandvonmindestens
zwei und höchstens sechsMonaten
indenOberarm-Muskelgeimpft.

Gürtelrose


M


aserngehören zu den anste-
ckendstenInfektionskrankhei-
ten beimMenschen.Mehr als die
Hälfte derMasernfälle inDeutsch-
landbetreffenheuteJugendlicheund
Erwachsene bis etwaEnde 40. Es
kommt dabei zu einerInfektion der
oberen AtemwegemitMasern-Viren.
Typisch ist einroter,fleckiger Haut-
ausschlag. Masernschwächen das
Immunsystem stark. AlsKomplika-
tionentretenbeispielsweiseLungen-
undHirnhautentzündungenauf.

Wann impfen?DieImpfung fürKin-
der erfolgtvomvollendeten elften
biszum14.Lebensmonat.Nachvier
Wochen sollte die Zweitimpfung
stattfinden.FürKinderundErzieher,
Lehrer ,Tagespflegepersonen und
medizinischesPersonal, die jünger
als 50 Jahresind, gilt seit März
eine Impfpflicht.Wernoch nicht
geimpft wurde,muss dieImpfung
nachholen.Hier reicht eine einma-
lige Impfung. AlleNichtgeimpften,
die Kontakt zu einemMasernkran-
ken haben, sollten sich ebenfalls
impfenlassen.

Waswird geimpft?Lebendimpfstoff,
Spritzeind en Muskel. In der Regel
wirdein Kombinationsimpfstoff ge-
spritzt, der gleichzeitig gegenMa-
sern, Mumps und Röteln schützt.
DerImpfstoffbestehtauslebenden,
abgeschwächtenViren.

Masern


R


öteln-Viren sind weltweit ver-
breitet undwerden häufigvon
Personen weitergegeben, die daran
unbemerkterkranktsind.Siewerden
durch Tröpfcheninfektion,zumBei-
spiel durch Husten und Niesen,
übertragen.DieRöteln-Infektionbe-
ginntmithellenFleckenimGesicht,
diesichaufdenganzenKörperaus-
breiten. DieKrankheitverläuftmeist
mild, etwa wie eineErkältung.Bei
rundderHälftederRötelnfälletreten
keine oder nur ganz leichte Krank-
heitszeichen auf. Gefährdet sind
aberschwangereFrauenohneImpf-
schutz. Eine Infektion während der
Schwangerschaft kann zu Fehlge-
burtenoderteilweiseschwerenFehl-
bildungenbeimKindführen.

Wann impfen?Geimpftwirddaserste
Malzwischen dem 12. und 15.Le-
bensmonat, dieZweitimpfung er-
folgtimAltervon15b is23 Monaten.
DieImpfung ist in derRegel ein
Kombinationsimpfstoff, mit dem
gleichzeitig gegenMasern, Mumps
und Röteln geimpft wird.DasRKI
empfiehlt dieImpfung allenFrauen
im gebärfähigen Alter,die noch gar
nicht oder nur einmal in derKind-
heit gegen Röteln geimpft wurden
oderderenImpfstatusunklarist.

Waswird geimpft?DerImpfstoffbe-
stehtauslebenden,abgeschwächten
Viren.

Röteln


I


nDeutschlandist der letzteFall
vonKinderlähmung (Polio) 1990
aufgetreten.Europagiltseit2002als
polio-frei. Allerdings gibt es noch
Fälle in Afghanistan,Pakistan und
vorkurzenauchinderUkraine.Po-
lio-VirenwerdenmitdemStuhlaus-
geschieden undvorwiegend durch
Schmierinfektion (Stuhl-Hand-
Mund) übertragen.Auch eine An-
steckung perTröpfcheninfektion –
HustenundNiesen–istmöglich.In
95Proz ent der Fälleverläuft die
KrankheitohneSymptome.DerEr-
reger kann aber auch das Rücken-
markbefallen,wasimschlimmsten
Fall zu Lähmungen der Arm- oder
Beinmuskulaturführt.

Wann impfen?DieGrundimmunisie-
rung beginnt im dritten Lebensmo-
nat und umfasst zwei bis dreiSprit-
zenime rsten und eineweiterezu
BeginndeszweitenLebensjahres.Im
Alter von9bis 17 Jahren wirdeine
Auffrischung empfohlen.Siekann
aber jederzeit nachgeholtwerden:
zwei oder dreiInjektionen imAb-
stand vonmindestens vierWochen
biszusechsMonaten.

Waswird geimpft?Frühergabeseine
Schluckimpfung mit abgeschwäch-
tenViren,heutewirdinD eutschland
ein inaktivierterImpfstoff gespritzt.
EsgibtdiverseEinzel-undKombina-
tionsimpfstoffefürErwachsene.

Kinderlähmung


D


ieErregerfürWundstarrkrampf
(Tetanus) befinden sich in Bö-
den und gelangen überWunden,
Kratzer oderStiche in den Körper
(VerletzungenbeiStürzenoderGar-
tenarbeit).In Deutschland gibt es
immerhinnochzehnbis15Fällepro
Jahr.DreiTagebisdreiWochennach
der Infektion treten die ersten
Krankheitszeichenauf.Kribbelnund
Taubheitsgefühl im Bereich der
WundesowieAbgeschlagenheit,Un-
ruhe und Kopfschmerzensind erste
Anzeichen.Nach kur zerZeit kom-
men starke,schmerzhafte Krämpfe
des Kiefers undweiterer Muskeln
hinzu. Krämpfe desKehlkopfes und
derBrustmuskulaturkönnensoaus-
geprägtsein,dassdiePatientennicht
mehrsprechenkönnen.DieAtmung
setzt aus,esk ann zumErstickungs-
todkommen.Etwa zehnbis20Pro-
zentder Infektionenendentödlich.

Wann impfen?Säuglinge:VierSprit-
zenimA ltervonzweibis14 Monaten
erforderlich.Anschließendsolltemit
fünf Jahren und zwischen 9und
17Jahren jeweils eineAuffrischung
erfolgen.DanachmussdieImpfung
alle zehn Jahrewiederholtwerden.
Ungeimpfte erhalten nach Verlet-
zungen eine passiveSchnell-Imp-
fungausAntikörpern.

Waswird geimpft?Totimpfstoff,In-
jektionindenMuskel.

Wundstar rkrampf

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