Berliner Zeitung - 25.03.2020

(Joyce) #1

Feuilleton


18 Berliner Zeitung·Nummer 72·Mittwoch, 25. März 2020 ·························································································································································································································································································


Zuzweit


gegendie


Clans


Fernsehkrimipreis2020:
„WirsinddasGesetz“

VonTorstenWahl

A


ls der Streifenpolizist Klaus
Burck(Aljoscha Stadelmann)
denDealerAhmedIssa(RauandTa-
leb) auffordert, ihm denAusweis zu
zeigenundseineZigaretteauszuma-
chen, wirderv on ihm angespuckt.
Derart provoziertschlägt Burckzu-
rückundbrichtdemarrogantenKri-
minellen dasNasenbein.Er kann ja
nicht ahnen, dass er es gerade mit
dem jüngstenSohn des Clanchefs
Djamal Issa (MerabNinidze) zu tun
hatte.AlsersichinderPolizeidirek-
tion gegenüber den Anwälten des
Clans für seinenFaustschlagrecht-
fertigensoll,springtihmseineKolle-
gin Maja Witt (Julia Koschitz) zur
Seite.SieschildertdenVorfallausih-
rerSichtundlügtdabeinochdreister
alsdieKriminellen.
Zwei Bremer Polizisten nehmen
es mit einem ebenso brutalen wie
gutvernetztenClanauf,dessenEin-
flussbisindiePolizeibehördereicht.
DerFilm vonHolger Karsten
Schmidt (Buch) undMarkus Imbo-
den(Regie),dieschondesöfterener-
folgreichkooperierthaben,zeichnet
seine beidenHauptfiguren nicht als
Helden, sondernals Menschen mit
alltäglichenSorgen. Maja lebt allein
mit ihremHund und trifft sich nur
mit anderenHundehaltern. Klaus
muss sich um seinen dementenVa-
ter kümmern(AljoschaStadelmann
spielt hier starkmit seinemVater
Heinerzusammen).


Alles andereals komisch

DasZDF annonciertden Film als
„Krimikomödie“–dochdieseKlassi-
fizierungwecktfalscheErwartungen
underscheintinsgesamtunpassend.
DennobwohlMajaundKlausdurch-
ausgewitztarbeiten,erzähltderFilm
vorallem, wie ohnmächtig diePoli-
zisten im täglichen Straßenkampf
sind, wieverbittertsie registrieren
müssen, dassDrogendealer,die sie
gerade mit großemEinsatz gestellt
hatten,amnächstenTagschonwie-
derdraußenherumspazieren.Allein
dasssieinUniformüberhauptbeto-
nen müssen „DasGesetz sind wir“,
verdeutlicht ihreschwierige Posi-
tion. Unddie Bedrohungen gegen
diebeiden–Majavermisstihrenge-
liebten Hund, die Pflegerin desVa-
tersvonKlausüberlebteinenAngriff
nurschwerverletzt–sindwirklichal-
lesanderealskomisch.
Doch wie der Krimi hier seine
HeldendurchdieklassischeKonstel-
lationDavidgegenGoliathführtund
zugleich die serielleVerkultung der
Clansunterläuft,sorgtimmerwieder
für überraschende Momente.Die
dauerpräsenteJuliaKoschitzkannin
Verwandlungsszenenihrkomisches
Talentausspielen, malalsfalsche
Verfassungsschützerin,malverfüh-
rerischimschwarzenCocktailkleid.
DieJurydesDeutschenFernsehkri-
mifestivalsinWiesbadenkürteden
FilmzumGewinnerundschriebin
der Laudatio: „Wie die beiden es
schaffen, denKopf immer wieder
aus der Schlinge zu ziehen, um sie
anderen um denHals zu legen–so
haben wirPolizei noch nicht oft im
deutschenFilmgesehen.“


Wirsind das Gesetz20.15 Uhr,ZDF


DiePolizistin Maja Witt (JuliaKoschitz)
im Einsatz auf der Straße. ZDF/MICHAEL IHLE


MehrWahrheitwagen


AlsStudioleiterverantworteteJochenMückenbergerjeneDefa-Filme,die1965verbotenwurden.Ei nNachruf


VonRalf Schenk

A


ls er Direktor wurde,im
November 1961, war er 35
Jahrealt. EinBäckersohn
aus Chemnitz, dem die
Partei das einzige Spielfilmstudio
desLandesanvertraute.Beider Defa
arbeiteten damals rund zweiein-
halbtausend Leute,und die Firma
hatte gerade einen schlechtenRuf.
ZuvielSchematismus,zuseltenein
großerWurf.JochenMückenberger,
deralsMitarbeiterderKulturabtei-
lung im Zentralkomiteeder SED
selbstausdemApparatkam,kannte
dieUrsachen.Erwusste,dassdiePo-
litikdieKunstandieLeinenahm.
KinoalsverlängerterArmderPropa-
ganda.DaswarnichtseinDing.
ErsuchteVerbündete,fand sie
unterKünstlernundFunktionären.
GleichaltrigestandenihmzurSeite:
KlausWischnewskialsChefdrama-
turg,WernerKühnalsParteisekretär,
GünterWittalsFilmminister,Hans
Bentzien als Kulturminister.Die
junge Garde. Bereit zum Wagnis ei-
neranderenFilmpolitik.
Zu seinen ersten Schritten ge-
hörtees ,dieBuch-und Produktions-
freigabe zu demokratisieren.Keine
ewigen Diskussionen mehr mit der
Kulturbürokratie,sondernEntschei-
dung imStudio selbst. Mückenber-
ger übernahmVerantwortung. Kräf-
tigte die Künstlerischen Arbeits-
gruppen, die,meist unter Leitung
wichtigerRegisseure, in einenWett-
bewerb miteinander traten.Konrad
Wolf, Frank Beye r, Gerh ardKlein,
Ralf Kirsten, Frank Vogel, Günter
Reisch:ErholtedieBestenaufseine
Seite.AltgedientenRegisseuren, de-
renLeistung inzwischen zu wün-
schen übrig ließ, kürzte er diePrä-
mien,ohneaufNationalpreiseRück-
sichtzunehmen.
SeinevielleichttreuesteBeraterin
warseineFrauChristiane,eineFilm-
wissenschaftlerin.Gemeinsam wur-
den Strategien entwickelt, um die
verloren gegangenen Zuschauer
wieder zurück zurDefa zu holen.
Erster Schwerpunkt: ehrlicheFilme
zu Gegenwartund Geschichte.Die
Atmosphärenach demMauerbau,
als viele DDR-Intellektuelle über-
zeugt davon waren, dass man mehr
Wahrheitwagenmüsse,brachteden

nötigenAufwind.„Beschreibungei-
nes Sommers“, „Karbid undSauer-
ampfer“,„DergeteilteHimmel“,„Die
Abenteuer desWerner Holt“ trugen
zumneuengutenRufderDefabei.
KinobrauchtPublikumslieblinge,
auchdaswussteMückenberger.Wer
bei den Zuschauerneinen Stein im
Brett hatte,sollte möglichst jedes
JahrseinenFilmbekommen:Armin
Mueller-Stahl und Manfred Krug,
Angelica Domröse,Jutta Hoffmann
und Annekatrin Bürger wurden in
dieser Zeit populär.Rolf Herricht
drehte Lustspiele.Und Gojko Mitic
ritt zum erstenMalals Defa-Chef-
indianerüberdieLeinwand.
Natürlich gab esReibungen mit
der Obrigkeit.Noch immer wurden
diefertigenFilmevomKulturminis-
terium abgenommen, und in der
Kommission saßen auch Dogmati-
ker.Doch dann wurde es ganz
schlimm.Im Deze mber 1965 tagte
das 11. Plenum des ZK der SED.Jo-
chenMückenbergerwaralsGastge-
laden, gemeinsam mitFrank Beyer
und Konrad Wolf. „DieStimmung
uns gegenüber war feindlich“,resü-
mierte er später,„was da ablief, war
gespenstisch.“ Nach demPlenum
landeten,imLaufeeineshalbenJah-
res,zwölfDefa-FilmeimTresor.Dar-
unter „Das Kaninchen bin ich“,
„SpurderSteine“,„Karla“.
Jochen Mückenberger erkrankte
undwurdeohneRücksichtausder
Defaentlassen.DieIdee,mitaufrech-
tenFilmeneinemdemokratischen
SozialismusaufdieBeinezuhelfen,
wargescheitert.DerkritischeBlick
aufdieGesellschaft:unerwünscht.
ImFilmbereichdurfteMücken-
bergerfortannichtmehrarbeiten.Er
wurdeGeneraldirektorderStaatli-
chen Schlösser und Gärten inPots-
dam-Sanssouci.Undsorgtehiermit
dafür,dass sich imPotsdamerMar-
stall das Filmmuseum etablieren
konnte.Die Verzweiflung, in der
seine Jahrebei der Defa endeten,
wurdeimNachhineingemildert,als
dieVerbotsfilme1990dochnochins
Kino kamen.Wieerst jetzt bekannt
wurde ,istJochenMückenbergeram
14.Mär zine inem Potsdamer Kran-
kenhausverstorben.

UnserAutorRalfSchenkist seit 2012Vorstand
der Defa-Stiftung in Berlin.

Kino brauchtPublikumslieblinge,


auch das wusste Mückenberger.


Werbeiden ZuschauerneinenSteinim Brett


hatte,sollte möglichst jedesJahr


seinen Film bekommen.


Jochen Mückenberger (1926–2020) DEFA-STIFTUNG

DemMomentverschrieben


ZumTodvonGabrielDelgado-López,demFontmannderBandDeutsch-AmerikanischeFreundschaft


VonJohannes vonWeizsäcker

A


bEnde derSiebzigerwurdeesin
derPopmusikschick,durchsKo-
kettieren mitNazi-Symbolik zu pro-
vozieren; David Bowies berühmter
Hitlergruß erregte die Gemüter
ebenso verlässlich wie dasAufnähen
vonHakenkreuzen aufPunk-Jacken.
Doch erst ein inDeutschland aufge-
wachsenerjungerSpaniererhob
die Terrorsymbolentfremdung zu
wirklich großer Kunst: „Tanz den
Mussolini“, barschteGabi Delgado-
Lópezdie Hörerschaft an, sicher der
berühmtestenMoment seinerBand
Deutsch-Amerikanische Freund-
schaft,kurzDAF.
Zu stilbildendemSynthesizerge-
schnatter und hektischem Disco-
Schlagzeug–jeweils eingespieltvon
BandkollegeRobertGörl –brachte
Delgadohiermitcartoonhafter,aber
auch ziemlich unheimlicher Kom-
mandierstimmeganzeUniversender
Psychologie vonDominanz undUn-
terwerfung zusammen–und kom-
mentierte so die banalerenFascho-
Kokettierversucheanderergleichmit.
AberauchinanderenDAF-Stücken–
„Der Räuber und der Prinz“ oder
„Kebab Träume“–fallendieseWelten
zusammen und bauen eine Span-
nungauf,dieniezurKatharsisführt,
sondernsichim Einklangmitderum-
gebenden Proto-Techno-Musik in
Schleifenverfängt.

Diese Verknüpfung aus körper-
lich-emotionalemSogmit deutlich
konzeptuellemAnsatzwareinErgeb-
nis der frühenFindungsphasevon
DAF,dieEndeder70er-JahreimD üs-
seldorferRatinger Hofstattfand, ei-
nem Spielortder frühenNeue-Deut-
sche-Welle-Zeit, in demPunks und
Kunsthochschulstudenten aufeinan-
dertrafen.Neben DAF durchliefen
hier auchFehlfarben oderMania D
ihreformativ ePhase; doch einzig
DAFzogendie Konsequenz,Gitarren
ganz den Rücken zu kehren, da der

Moby –zue inerdergrößtenErfolgs-
geschichteninderWeltder Indepen-
dent-Labelswurde.
AufMuteerschiendasAlbum„Die
KleinenunddieBösen“,einepunkige
Minimierung des Krautrock. DAF
schrumpftenvomQuartettzumDuo,
und mit demFolgealbum „Alles ist
gut“ stand dann der klassische DAF-
Sound: eine frühe Variante von
Electro–unddochsovielmehr;dank
DelgadosTalent für konzeptuellweit
geöffnete Slogans („Verschwende
deineJugend“),daslauteigenerAus-
sage aus seiner außenseiterhaften
Aneignung der deutschenSprache
geboren wurde.1966 zogDelgado
achtjährig aus Córdoba nachNord-
rhein-Westfalen.Nach der baldigen
TrennungvonDAF nahmDelgado
Solo-Albenauf,wurdeEndeder Acht-
ziger in Berlin zu einem frühen
House-Musik-Exponenten und
kehrte später im Leben wieder nach
Córdobazurück.
DAF kamen immer mal wieder
nach Berlin, zuletzt 2018, und mit
welcherHingabesichDelgado-López
auf der Bühne desFestsaals Kreuz-
bergderLiebe ,demMomentundder
Musikekstase verschrieb ,wie seine
einst durch dumpfen deutschen
Schlager inspiriertenWortesog anz
andereKonnotationen als jenes
rechtslastigeGenreweckten,wirdmir
immerinErinnerungbleiben.Nunist
erimAltervon61J ahrengestorben.

eher an Disco geschulte Delgado
zwar vonder Do-it-yourself-Attitüde
des Punk begeistertwar,von dessen
Festhalten an altmännlichenRock-
strukturenaberehernicht.
DAFzogen1980nachLondon,lie-
ßensichvomLookderdortigenSkin-
head-Szeneinspirierenundmachten
die BekanntschaftvonDaniel Miller,
dessenfrischgegründetesLabelMute
Records durch Künstler ähnlicher
postindustrieller Düsternisausrich-
tung–DepecheMode,NickCave,die
EinstürzendenNeubautenbishinzu

„Tanz den Mussolini“: Gabriel „Gabi“ Delgado-López (1958–2020). IMAGO

QUARANTÄNE-TIPP


VonPeter Uehling

E


sist fast tragisch:Hatte es die
MaerzMusik in den letztenJah-
renwirklich geschafft, unserInte-
resse an ihrvollständig abzutöten,
weckte sie in diesemJahr plötzlich
Aufmerksamkeit durch eine profi-
lierte Konzertdramaturgie–und
prompt fällt sie aus.Schauen wir
zum Ersatz auf CD-Neuerscheinun-
genneuerMusik.
Wasneue Musik einmal war,
daran kann man sich mit zwei CDs
erinnern:ArnoldSchönbergsViolin-
konzer tversuchtsichanBewahrung
und Steigerung klassisch-romanti-
scher Komplexität und scheut die
Widersprüchenicht,diesichdaraus
ergeben–und kaum eine Schön-
berg-Aufnahme macht dieseWider-
sprüchesoproduktivwiedievonIsa-
belle Faust mit derBegleitung des
Schwedischen Rundfunkorchesters
unter Daniel Harding (harmonia
mundi).Unglaublichklaristdasge-
spielt,manverfolgtaufmerksamdie
motivischenundrhythmischenKor-
respondenzen–und verliertdann
dochdievonSchönberggelegteSo-
natenspur,ums ichindenkaleidos-
kopischen Brechungen zuverfan-
gen, die aus der Zwölftontechnik
und ihren unausgesetztenDrehun-
gen und Varianten hervorgehen.
Diese wiederumwerden mit wun-
derbarpräzisemSinnfür Farbenund
Ausdruck gestaltet–soe ntsteht das
vielschichtigeBild einerMusik, de-
renProvo kation nicht nur in ihrer
brachialenDissonanzundnervösen
Instrumentation liegt, sondernvor
allem darin, dass sie den Hörer
selbstbewusstüberfordert.
Dastat die 2006 gestorbeneGa-
linaUstwolskajaaufihreWeiseauch.
Dievon Viviane Spanoghe (Violon-
cello)undJanMichiels(Klavier)ein-
gespielte CD mit demGrand Duet
von1959undderKlaviersonateNr.
von1986(Etcetera)zeigteine radikal
vereinfachte Musik, bei der aller-
dings jederTondie Spur persönli-
cherVerantwortung trägt.Nichts ist
hierwiebeiSchönbergodergaran-
deren Vereinfachernwie Ar vo Pärt
einer Struktur überlassen, die den
Tonstrom organisiert.Struktur ent-
stehtbeiUstwolskajaausdemeinen
Tonunddemnächstenunddemfol-
genden–unddashat,trotzdeshäu-
fig geschriebenen mehrfachen for-
tissimo,eine eigensinnigeFragilität.
DasReklamewort„radikal“ ist hier
wirklich angebracht.In der Folge
dieser Stücke hörtman auch, was
Ustwolskaja 1959 nochvonihrem
Lehrer Schostakowitsch mitgenom-
menhatanmelodischerSchlagkraft,
aberauch,wiedurchgreifendsiees
sichanverwandeltunddann 1986 in
ihrer eigenen Schreibweise ver-
schlungenhat.
BeideCDsenthaltenzudemkon-
trastierendeWerke.Weniganfangen
kannichmitAlfredSchnittkes„Epi-
logzuPeerGynt“,einerstilistisch
unscharfen Musik mit Tonband-
Chor imHintergrund.Erneut zum
Hinhören reizt Schönbergs „Ver-
klärte Nacht“, dieIsabelle Faust mit
großartigen Kollegen vibratoarm
und extrem transparent in derSex-
tettfassungspielt.

Wasneue


Musikeinmal


war


Spielt Schönberg vibratoarmund transpa-
rent: die Geigerin IsabellaFaust IMAGO
Free download pdf