Berliner Zeitung - 25.03.2020

(Joyce) #1

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Berliner Zeitung·Nummer 72·Mittwoch,25. März 2020 (^3) ·························································································································································································································································································
ZumToddesgroßartigenfranzösischen
ComiczeichnersAlbertUderzo:
GemeinsammitRenéGoscinnyerfanderAsterix
undalldieanderenunbeugsamenGallier,dieGenerationenvonLesern
immerwiedervonNeuemkennenlernten.
EinbisheuteeindrucksvolleskünstlerischesGroßprojekt


E


rstaunlichistesimmerwieder,dass
auseinervermeintlichenSchwäche
oderBeeinträchtigungeinesogroße
Meisterschaft entstehen kann:Der
französischeZeichner AlbertUderzo hatte
eine Rot-Grün-Sehschwäche–sie hielt ihn
abervonseinerProfessionnichtabundtrug
auch noch zu seinem unverwechselbaren,
ebenfarbstarken,kontrastreichenStilbei. Der
MannarbeitetemitnummeriertenFarbtuben
und ließ seine Schwarz-Weiß-Zeichnungen
nachseinenVorgabenvonSpezialistenkolo-
rieren. DasWerk, das auf dieseWeise ent-
stand,reichtweitüberdasweltberühmteAs-
terix-Universum mit seinen unbeugsamen
Galliernhinaus,Uderzowarein Universalist,
er zeichnete auch den Indianerhäuptling
Umpah-Pah und denFliegerhelden Mick
Tanguy.
Aber Asterix und seine gallischenStam-
mesgenossen, eineGemeinschaft so her-
zensguter wie prügelfreudiger Knollenna-
senträger,war die großeGeschichte des Al-
bertUderzo.Auchsieentstandeherauseiner
Widrigkeit.Uderzo hatte mit demTexter
RenéGoscinnyeinneuesProjektgeplant,sie
wolltenindemneuenfranzösischenComic-
Magazin„Pilote“eineeigeneSeriebeginnen;
dasThemawarReinekeFuchs,esg absogar
schonersteZeichnungen.Dannabermuss-
tenbeidefeststellen,dassschonjemandan-
deres auf dieseIdee gekommen war,der
Zeichner JenTrubert. So blieb Uderzo und
Goscinnynichtsandersübrig,alssicheinan-
deres Projekt zu suchen.Welch ein Glück:
Eine Unbill des Schicksals war also derBe-
ginn der legendärenAbenteuervonAsterix
undObelix.


DasGeheimnis desZaubertranks

DieZeitdrängte,dasMagazin„Pilote“sollte
am 29. Oktober 1959 erscheinen, durch die
EpisodemitReinekeFuchshattendiebeiden
Künstlerjetzteinigesaufzuholen:Esblieben
nur nochwenige Wochen. DieMacher von
„Pilote“ wünschten sich etwas Französi-
sches,lustigsollteesauchsein.Damalswar
der Comic-Markt noch sehr amerikanisch
geprägt,vorallemSuperheldenbestimmten
die Szene.Uderzo selbst war ein großerBe-
wunderer derKunst vonWalt Disney,als
KindhatteersichdasZeichnenselbstbeige-
bracht –Mickey Mouse und DonaldDuck.
DerkleineAlbertnahmsichüberdiesansei-
nemälterenBruderBrunoVorbild,derFlug-
zeugkonstrukteurunddamitauchKonstruk-
tionszeichnerwerdenwollte.
Wasalso könnte eine guteGeschichte
sein? Uderzo und Goscinny kamen schließ-


lichdertragischeGallierhäuptlingVercinge-
torixindenSinn,der GallischeKriegundJu-
liusCäsar.Daswarnichtnureinerömische,
sondernauch eine sehr französische Ge-
schichte,eine,die man außerdem kannte,
bereits dieKinder lernten sie in der Schule.
Blieb nur noch dieFrage,wie hier ,indem
recht blutigen und für dieFranzosen nicht
ruhmreichenKrieg,etwasKomischesentste-
henkönnte.DieAntwortwareindramatur-
gischeGrundkniff:In Anerkennungderhis-
torischen Tatsachen gingen Uderzo und
Goscinny vonder NiederlageGalliens aus,
erfandenaberdaswiderständigeDorfind er
Bretagne.DamitwardererzählerischeRah-
mengesteckt,dernuninzahlreichenVarian-
tenwiederholtwurde.
Im Zentrum derGeschichten stand der
Zaubertrank,einegenialeErfindung,diente
erdochwieeineAusfallbürgschaftdazu,die
römischeÜbermachtdortinS chachzuhal-
ten, wo gallische Rauflust und Bauern-
schläue nichtweiterhalfen. Überdies waren
dieGallierunterdemHäuptlingMajestixein
sehr streitsüchtigerHaufen undvornehm-
lich damit beschäftigt, einander zuverprü-
geln. Daswar allemal unterhaltsam, jeder
konntesichdarinwiedererkennen.Dasgalli-
sche Dorflag in der wildfranzösischenBre-
tagne,denn, so Uderzo,sie„war die einzige
Gegend,dieichinFrankreichaußerhalbvon
Pariskannte.Ich habe meinenBruder wäh-
renddesKriegesdortbesucht,weilesin Paris
nichtsmehrzuessengab“.
Ausdiesem französischenRegionalpro-
dukt,dassichgeradezuBeginnmitzahlrei-
chen politischen Andeutungen auf dieGe-
genwartbezog, sollte ein internationaler
Bestseller werden. Eineinträgliches Riesen-
unternehmen.Weltweit wurdenMillionen

AlbertUderzo und sein einzigwahrer Gallier:der ewig vernünftige und ansonsten furchtlose Krieger Asterix. AFP


VonChristian Schlüter


Christian Schlüter
fühlt sich bis heute dem Dorfschmied
Automatix am meistenverbunden.

ExemplarederAsterix-Albenverk auftundin
mehr als 100Sprachen undDialekte über-
setzt. Über die zaubertranksatten Hau-
drauf-GeschichtenmitihremgallischenWitz
wurdeinallerWeltgelacht.UderzoundGos-
cinny haben mit„Asterix“ nicht nur die er-
folgreichste französische Comic-Serie ge-
schaffen:Mehr als zehn Zeichentrick- und
Realverfilmungensindentstanden,1989öff-
neteein Freizeitpar kbeiParis,derseinenNa-

men trägt, undHunderte vonMerchandi-
sing-Artikelnwurdenentworfen.
AlbertUderzowurdeam25.April1927als
SohnitalienischerEinwandererinderNähe
vonReims geboren.DasZeichnen war ihm
nichtindieWiegegelegt.Daslagnichtnuran
seiner Farbenblindheit, er kam auch mit
sechs Fingernanj eder Hand auf dieWelt,
eine Fehlbildung, die später operativ ent-
fernt wurde.Als seinen erstenComic ent-
deckteerdieDisney-Figureninderfranzösi-
schenTageszeitungLeParisien–unddamit
auchseiner LiebefürgroßeNasen.Im Alter
vonzehn Jahren fühlte sich der kleine
Uderzo bereit, er drängte seinen Bruder
Bruno, seine Dienste einemPariserVerlag
anzubieten, wo er im Altervon14J ahren
seine ersteZeichnung publizierte.Ende der
40er-Jahregehörte Uderzo zu den erfol-
greichstenZeichnernseinerGeneration.
Erwarein Ausnahme talent.EinAlleskön-
ner,fremdeZeichenstileeignetesichderAu-
todidaktschnellan.Erbeherrschtedurchaus
denausdenDC-undMarvel-Comicsherbe-
kannten naturalistischenStrich der Super-
heldenhefte wie seine Bildergeschichten
über den bärenstarken RitterBelloy(ab
1948), den jungenReporter LucJunior( ab
1952) oder den französischenLuftwaffenpi-
loten Mick Tanguy (ab 1959) eindrucksvoll
zeigen. Obwohl auch hier schonUderzos
starke rHangzumKalauerdeutlichwird,zur
Übertreibung,Überzeichnung–zumgrotes-
ken Bildwitz. Eben dafür schuf er sich ge-
meinsam mitGoscinny ein ganz eigenes
Genre: 1959 erschien die erste Asterix-Ge-
schichte,zweiJahrespäter mit „Asterix der
Gallier“dasersteAlbum.
Bis1977, demJahr,indem Goscinny im
Altervon51J ahrenstarb,veröffentlichtedas

Duoüber20A lben. Viele befürchteten mit
demTodvon Goscinny dasEnde de rAben-
teuer vonAster ix undO belix. Nichtwenige
befürchteten auch,Uderzo können alleine
weitermachen undvonnun an auch die
Texteschreiben.Ebendasgeschah:Daserste
vonUderzoallein geschaffene Album „Der
große Graben“erschien1980undwarnoch
gut lesbar–dann ging es aber deutlich
bergab .Esf ehltendieerzählerischenBögen
und der scharfeWortwitz Goscinnys .Der
Tiefpunkt war schließlich derBand„Gallien
in Gefahr “imJ ahre 2005, denUderzo als
HommageanWaltDisney versta ndenwissen
wollteundindemAußerirdischeundSuper-
heldenauftauchten.Mondieu!

Wenn derHimmel auf denKopf fällt
Nein,spannendeGeschichte nerzählen,das
war UderzosSache nicht.Vielleicht sollten
wir „Gallien inGefahr “auchganz wörtlich
nehmen, nämlich alsGefahren anze ige für
das ganzeAsterix-Projekt. Uderzo warjetzt
immerhin 89Jahrealt.Anfang 2009zoger
sich wegen seines Arthroseleidens zuneh-
mend vomZeichentisch zurück.Zwei Jahre
spätertate rdaseinzigRichtigeundübergab
anjüngereKollegen.DerersteAsterix-Band
vonJean-YvesFerriund Didier Conrad er-
schi en 2013. Gerade no ch rechtzeitig, denn
mit „Asterix bei denPikten“ wurde dieCo-
mic-Ser iewiederwitzigundbekamihrezau-
berhafte ,spieler ische Leichtigkeit zurück.
Mittlerweileistmit„DieTochterdesVercin-
getorix“ (2019) bereits der vierteBand von
FerriundConraderschienen.
DieSerieistaufeinemgutemWegunddas
Erbealsogeregelt.Langehatteesnichtsoaus-
gesehen,nichtnurkünstlerisch:Sowieseine
GalliergaltauchUderzoalssehrstreitlustig.In
den90er-Jahrenzoffte er sich jahrelangvor
Gerichtmit dem Verlag Darg aud um die
Rechte für die ersten 25 Asterix-Bände.Da-
nachbegannzwischenihmundseinerToch-
terSylvi eeinjuristischerKampfumdasmil-
lionenschwereAster ix-Erbe, denbeide erst
2014 beilegten.Wasfür ei nGlück .Auchfür
denMeister,zufriedenmagerjetztbeimTeu-
tate soderBelenussitzenundaufseineGallier
schauen, auf Asterix und Obelix undIdefix,
aufTroubadix,Miraculix,Methusalix,Verleih-
nix...AlbertUderzoistam DienstagimAlter
von92J ahren inParisgestorben.

Leicht reizbar und immer rauflustig: die Gallier As-
terix, Obelix und Idefix. ASTERIX®-OBELIX®-IDEFIX®

BeimBelenus!

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